Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 2 A 1684/21
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Kläger tragen als Gesamtschuldner die Kosten des Zulassungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 7.500,- Euro festgesetzt.
Gründe:
1Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Aus dem gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 maßgeblichen Zulassungsvorbringen ergeben sich nicht die allein geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils (Zulassungsgrund gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
2Zur Darlegung des Zulassungsgrunds der ernstlichen Zweifel bedarf es einer hinreichenden Auseinandersetzung mit den entscheidungstragenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts. Dabei ist in substantiierter Weise an der Gedankenführung des Verwaltungsgerichts orientiert aufzuzeigen, dass und warum das vom Verwaltungsgericht gefundene Ergebnis ernstlich zweifelhaft sein soll. In der Sache liegen ernstliche Zweifel vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die verwaltungsgerichtliche Entscheidung einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhalten wird. Sie sind (nur) begründet, wenn zumindest ein einzelner tragender Rechtssatz der angefochtenen Entscheidung oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und sich die Frage, ob die Entscheidung etwa aus anderen Gründen im Ergebnis richtig ist, nicht ohne weitergehende Prüfung der Sach- und Rechtslage beantworten lässt.
3Derartige Zweifel weckt das Antragsvorbringen nicht.
4Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit dem (schriftsätzlich gestellten) Antrag,
5die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung der Beklagten vom 15. April 2020 (Az.: 63-23/BV-2019-1280) betreffend die Nutzungsänderung und den Umbau eines 2-Familienhauses in ein 5-Familienhaus in 00000 E. (Gemarkung I. , Flur 000, Flurstück 000) aufzuheben,
6im Wesentlichen unter Bezugnahme auf seinen im zugehörigen Eilverfahren ergangenen Beschluss vom 20. November 2020 – 25 L 1370/20 – und dessen Bestätigung vom 1. Februar 2021 – 2 B 1964/20 - durch den beschließenden Senat mit der Begründung abgewiesen, die angefochtene Baugenehmigung verletze nachbarliche Abwehrrechte der Kläger nicht. In einem festgesetzten bzw. faktischen reinen Wohngebiet sei ein Wohnhaus mit fünf Wohnungen gemäß (§ 34 Abs. 2 BauGB i. V. m.) § 3 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO zulässig. Eine Verletzung des nach § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO unmittelbar geltenden bzw. aus § 34 Abs. 2 i. V. m. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO ableitbaren Gebots der Rücksichtnahme zu Lasten der Kläger sei im Hinblick auf das Bauvorhaben, das die bauordnungsrechtlich relevanten Abstandsflächen beachte, nicht ersichtlich. Dass die genehmigte Bebauung aus Sicht der Kläger zu einem "spürbaren Wertverlust ihres Anwesens“ führe, sei kein im Rahmen des „Einfügens“ bzw. am Maßstab des § 15 Abs. 1 S. 2 BauNVO beachtliches Kriterium. In bebauten innerstädtischen Wohngebieten müssten Nachbarn regelmäßig hinnehmen, dass Grundstücke innerhalb des durch das Bauplanungs- und Bauordnungsrecht vorgegebenen Rahmens baulich ausgenutzt würden und es dadurch zu Einsichtsmöglichkeiten - auch in Wohnräume - komme, wie sie in einem bebauten Gebiet üblich seien. Eine Ausnahme von dieser Regel liege offenkundig nicht vor, insbesondere könne bei der Größe beider Grundstücke und der auf ihnen zu den jeweiligen Grundstücksgrenzen hin ausgerichteten großzügigen Gärten nicht davon gesprochen werden, den Klägern verbleibe keine Rückzugsmöglichkeit mehr, zumal sie sich etwa durch Anpflanzungen im Grenzbereich der Grundstücke gegen eine unerwünschte Einsichtnahme schützen könnten und entsprechende Einsichtnahmen nach dem nicht bestrittenen Vorbringen der Beigeladenen schon derzeit wegen der auf beiden Grundstücken vorhandenen Hecken und Bäumen nur äußerst eingeschränkt möglich seien. Hinzu komme, dass die auf dem eingeschossigen Anbau genehmigte und nach Westen ausgerichtete Dachterrasse mit ca. 19 m in deutlicher Entfernung von der Grundstücksgrenze entfernt geplant sei und der streitgegenständliche Balkon - in einer Größe von nur 4,18 m² - immerhin noch 9 m entfernt vom Grundstück der Antragsteller in Richtung der – aus Sicht der Beigeladenen – nord-östlichen Grundstücksgrenze errichtet werden solle. Dass die im genehmigten Baukörper geplanten (geneigten) Dachflächenfenster unzumutbare Einsichtnahmemöglichkeiten auf das Grundstück der Antragsteller eröffneten, sei schon wegen der beachtlichen Entfernung des genehmigten Baukörpers von 9 m bzw. 19 m von der Grundstücksgrenze fernliegend, zumal nach dem unbestrittenen Vorbringen der Beigeladenen die Bebauung auf dem Grundstück der Antragsteller ihrerseits offenbar entsprechende Einsichtnahmemöglichkeiten auf das Grundstück der Beigeladenen durch gartenseitige Fenster im Obergeschoss ihres Wohnhauses ermögliche. Ein lärmbedingter Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot scheide ebenfalls aus. Die im Rahmen der genehmigten Wohnnutzung insoweit typischerweise entstehenden Lebensäußerungen der Bewohner hätten die Antragsteller als sozialadäquate Geräusche zu dulden, auch wenn sich diese durch die verdichtete Wohnnutzung intensivierten. Die Terrasse 1 der 3. Wohneinheit befinde sich in einem Abstand von mindestens 8 m zur Grundstücksgrenze der Kläger und nochmals mindestens 15 m bis zu deren Haus, so dass das Gebot der Rücksichtnahme offenkundig nicht verletzt sei. Dass die durch die fünf Stellplätze und den dadurch verursachten (zusätzlichen) Verkehr geltend gemachten Lärmzuwächse den Grad der Zumutbarkeit überschritten, sei angesichts der Grundstückslagen und der erheblichen Entfernung vom Grundstück der Antragsteller sowie des Umstandes, dass sämtliche Stellplätze durch den genehmigten Baukörper bzw. die auf dem Baugrundstück vorhandene Doppelgarage vollständig gegenüber dem Grundstück der Kläger abgeschottet würden, fernliegend.
7Diesen ohne Weiteres nachvollziehbar begründeten Ausführungen werden mit der Zulassungsbegründung keine Argumente entgegengesetzt, die auch nur ansatzweise ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils begründen könnten. Sie enthält nichts substantiell Neues gegenüber den Einwendungen im Eilverfahren. Dass diese eine Nachbarrechtswidrigkeit der Baugenehmigung nicht begründen ergibt sich hinlänglich bereits aus den im Eilverfahren ergangenen Beschlüssen vom 24. November 2020 und 1. Februar 2021, auf die bereits das Verwaltungsgericht zutreffend Bezug genommen hat. Hierauf geht der Zulassungsantrag schon nicht ein.
8Es bleibt zudem unklar, was die Zulassungsbegründung mit den in den Raum gestellten Schlagworten "Abwägungsdisproportionalität" und "Abwägungsfehlgebrauch" im vorliegenden Zusammenhang meint.
9Die Kläger wenden weiter ohne Erfolg ein, dass es sich bei dem streitgegenständlichen Gebäude auf dem Grundstück I1. 00-00 nicht um ein bestehendes Zweifamilienhaus handele, auch wenn es in der angefochtenen Baugenehmigung vom 17. Juni 2020 so bezeichnet werde, sondern vielmehr um ein Einfamilienhaus, das zu keinem Zeitpunkt in zwei Wohnungen unterteilt gewesen sei. Welche rechtliche Relevanz diesem Umstand in einem reinen Wohngebiet und im Kontext der Entscheidung des Verwaltungsgerichts zukommen soll, wird nicht weiter ausgeführt und wäre im Übrigen auch nicht ersichtlich.
10Was für eine Bedeutung es für die von den Klägern angenommene Nachbarrechtswidrigkeit der Baugenehmigung haben soll, dass die gartenseitig gelegenen Terrassenflächen – anders als das Verwaltungsgericht meine – tatsächlich nicht bereits bestehen würden, erschließt sich ebenfalls nicht. Daran ändert nichts, dass diese Darstellung aus Sicht der Kläger "von erheblicher Bedeutung" ist, da die gesamte genehmigte neue Terrassenfläche, die ihrem Grundstück zugewandt sei und erhebliche Einsichtsmöglichkeiten in ihre Privatsphäre ermögliche, nunmehr etwa 208 qm betrage. Hierzu hat der Senat bereits in seinem genannten Beschluss vom 1. Februar 2021 (dort S. 4 und 5) ausgeführt, dass weder die Nutzung der Terrassenfläche durch 4 Parteien noch aus etwaigen Einsichtnahmemöglichkeiten vom Balkon durch eine fünfte Partei eine bauplanungsrechtliche Rücksichtslosigkeit – begründet, weil Nachbarn die im Rahmen einer genehmigten Nutzung einer Terrasse bzw. Dachterrasse typischerweise entstehenden Lebensäußerungen – regelmäßig und so auch hier – zu dulden haben. Hierauf wird Bezug genommen. Von daher lässt auch der Vortrag, die Errichtung von großformatigen Terrassen auf vorherigen Garten- und Rasenflächen werde zu einer unzumutbaren Lärm- und Sichtbelästigung führen, da befestigte Terrassen erfahrungsgemäß in erheblich größerem Umfang frequentiert und - beispielsweise zum regelmäßigen Essen oder geselligen Beisammensein in wärmeren Jahreszeiten - genutzt würden als unbefestigte Außenbereiche wie etwa Rasenflächen oder Bereiche anderweitiger Anpflanzungen, eine Nachbarrechtswidrigkeit der angegriffenen Baugenehmigung nicht hervortreten. Im Übrigen sind die Kläger dem Vortrag der Beigeladenen, angesichts der auf beiden Grundstücken vorhandenen Bäume und Büsche seien die Einsichtnahmemöglichkeiten ohnehin beschränkt, den auch das Verwaltungsgericht berücksichtigt hat, nicht entgegen getreten.
11Der Vortrag der Kläger, das Verwaltungsgericht habe von der höheren Anzahl an Stellplätzen ausgehenden Lärmimmissionen fehlerhaft bewertet, vermag ernstliche Zweifel im genannten Sinne ebenfalls nicht zu begründen. Sie machen mit der Zulassungsbegründung geltend, die Zufahrt zu dem Vorhabengrundstück I1. 00-00 sei sehr schmal. Diese Zufahrt befindet sich indessen unmittelbar im Anschluss an die westliche, dem klägerischen Grundstück abgewandten Seite des Vorhabengrundstücks und die Stellplätze sind jeweils zwischen 35 und 45 m vom Wohngebäude der Kläger entfernt und im Übrigen auch durch das Wohn- bzw. das Garagengebäude abgeschirmt. Angesichts dieser örtlichen Situation geht der Vortrag der Kläger zu den Rangiervorgängen im Bereich der Zufahrt zur Doppelgarage ebenso ins Leere wie die nicht weiter konkretisierte Behauptung, die Baukörper stellten aufgrund "ihrer doch sehr begrenzten Höhe keine genügende Barriere" dar, um ihr Grundstück der Kläger gegen die Lärm- bzw. Abgasemissionen hinreichend abzuschirmen.
12Schließlich verfängt auch die in der Zulassungsbegründung ohne weitere Konkretisierung erfolgte Berufung auf eine Einsichtnahme in die zwei Schlafzimmer ihrer Töchter im ersten Obergeschoss „aufgrund der zahlreichen neuen Fenster“ nicht. Es ist schon nicht zu erkennen, dass dies trotz der erheblichen Entfernung und der baulichen Anlage der Dachfenster rücksichtslos sein könnte. In jedem Fall wäre dies mit üblichen Eigenmitteln (Gardinen, Rollos, Plissées o. ä.) leicht zu verhindern.
13Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 154 Abs. 2 und 3, 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, den Klägern auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, da diese einen Antrag gestellt und sich zur Sache umfangreich eingelassen hat.
14Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 47 Abs.1 und 3, 52 Abs. 1 GKG und folgt – auch in der Begründung – der erstinstanzlichen Entscheidung.
15Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 152 Abs. 1 VwGO. Mit der Ablehnung des Zulassungsantrages wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124 Abs. 5 Satz 4 VwGO).
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Referenzen
- BauNVO § 15 Allgemeine Voraussetzungen für die Zulässigkeit baulicher und sonstiger Anlagen 3x
- VwGO § 154 1x
- VwGO § 124 2x
- VwGO § 3 1x
- VwGO § 152 1x
- 2 B 1964/20 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 162 1x
- §§ 47 Abs.1 und 3, 52 Abs. 1 GKG 3x (nicht zugeordnet)
- 25 L 1370/20 1x (nicht zugeordnet)
- BauNVO § 3 Reine Wohngebiete 1x
- § 34 Abs. 2 BauGB 1x (nicht zugeordnet)