Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 7 B 918/21
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Arnsberg vom 4.5.2021 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 30.000 Euro festgesetzt.
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G r ü n d e :
2Die Beschwerde der Antragstellerin hat keinen Erfolg. Das Beschwerdevorbringen, auf dessen Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, stellt den angegriffenen Beschluss nicht durchgreifend in Frage, mit dem das Verwaltungsgericht den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die immissionsschutzrechtliche Genehmigung vom 30.3.2020 für die Errichtung und den Betrieb der beiden Windenergieanlagen abgelehnt hat.
3Nach der im Rahmen des vorliegenden Verfahrens gebotenen summarischen Beurteilung wird die Klage der Antragstellerin gegen die Genehmigung voraussichtlich keinen Erfolg haben.
41. Die Antragstellerin dringt nicht mit ihrem Einwand durch, die Genehmigung sei deshalb aufzuheben, weil entgegen den gesetzlichen Anforderungen das Erfordernis einer Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) mit Blick auf die denkmalrechtlichen Belange nach der durchgeführten standortbezogenen Vorprüfung des Einzelfalls zur Feststellung der UVP-Pflicht (UVP-Vorprüfung) verneint worden sei.
5Dabei kann dahinstehen, ob dieser Einwand hier schon deshalb nicht greift, weil nach § 3c i. V. m. Ziffer 1.6.3 Anlage 1 des UVPG in der bis zum 16.5.2017 geltenden Fassung (UVPG a. F.), die nach § 74 Abs. 1 UVPG insoweit Anwendung findet, eine standortbezogene UVP-Vorprüfung nur bei drei bis weniger als sechs Windkraftanlagen durchzuführen ist und die beiden zur Genehmigung gestellten Anlagen in diesem Sinne keine Windfarm gemäß § 2 Abs. 5 UVPG mit mindestens einer der drei Bestandsanlagen in der Nähe des Vorhabenstandorts bilden.
6Vgl. zur Anwendung des Windfarmbegriffs nach § 2 Abs. 5 UVPG OVG NRW, Urteil vom 5.10.2020 - 8 A 894/17 -, juris, Beschluss vom 20.11.2020 - 8 A 4256/19 -, juris.
7Nach § 3a Satz 4 UVPG a.F. ist, wenn die Feststellung, dass eine UVP unterbleiben soll, auf einer Vorprüfung des Einzelfalls nach § 3c UVPG a. F. beruht, die Einschätzung der zuständigen Behörde in einem gerichtlichen Verfahren betreffend die Entscheidung über die Zulässigkeit des Vorhabens nur darauf zu überprüfen, ob die Vorprüfung entsprechend den Vorgaben von § 3c UVPG a. F. durchgeführt worden ist und ob das Ergebnis nachvollziehbar ist. Das Verwaltungsgericht hat in dem angegriffenen Beschluss im Einzelnen begründet, dass der Antragsgegner seine standortbezogene UVP-Vorprüfung gesetzeskonform durchgeführt hat und zu einem nachvollziehbaren Ergebnis mit Blick auf die Frage der UVP-Pflicht gelangt ist (Beschlussabdruck Seiten 8 f.).
8Dem setzt die Antragstellerin nichts Substanzielles entgegen.
9Hinsichtlich der Durchführung der UVP-Vorprüfung dringt die Antragstellerin nicht damit durch, der Antragsgegner sei seiner Dokumentationspflicht nach § 3c Satz 6 UVPG a. F. nicht nachgekommen. Vielmehr hat dieser im Rahmen seines Vermerks zur UVP-Vorprüfung vom 9.3.2020 eine ausführliche Darstellung zur Durchführung dieser Prüfung geliefert (vgl. Beiakte Heft 4, Blatt 1759 ff.). Auch der Genehmigungsbescheid vom 30.3.2020 geht auf die UVP-Vorprüfung ein (dort Seiten 22, 23). Hierauf hat bereits das Verwaltungsgericht in seinem angegriffenen Beschluss hingewiesen (dort Seite 8). Soweit die Antragstellerin meint, der Antragsgegner habe keine eigenständige Entscheidung getroffen, ergibt sich auch hier Gegenteiliges aus dem Vermerk zur UVP-Vorprüfung vom 9.3.2020. Der Antragsgegner nimmt dort namentlich eine eigene Abschätzung der Auswirkungen auf das Schloss I. vor (vgl. Seite 7 unter 5. „Denkmäler“). Der Verweis der Antragstellerin auf die Seiten 27 f. des Genehmigungsbescheides überzeugt schon deshalb nicht, weil es an dieser Stelle nicht um die UVP-Vorprüfung, sondern unter der Überschrift „3. Baurecht und Brandschutz“ um die Vereinbarkeit des Vorhabens mit dem materiellen Recht und insbesondere auch § 9 DSchG NRW geht; hierfür kommt der Entscheidung der obersten Denkmalbehörde vom 27.5.2019 nach § 21 Abs. 4 Satz 3 DSchG NRW eine wesentliche Bedeutung zu.
10Anders als die Antragstellerin meint, liegt der Vermerk des Antragsgegners vom 9.3.2020 (zunächst von ihr genanntes Datum: 9.5.2021) – über die UVP-Vorprüfung – dem Gericht vor (vgl. Beiakte Heft 4, Blatt 1759 ff.). Dem Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin wurde mit Schreiben vom 1.7.2020 in dem dazugehörigen Hauptsacheverfahren mit dem Aktenzeichen 4 K 1213/20 durch das Verwaltungsgericht Akteneinsicht in den betreffenden Verwaltungsvorgang gewährt.
11Soweit die Antragstellerin einwendet, jedenfalls sei das Ergebnis der Vorprüfung nicht nachvollziehbar, da unter Berücksichtigung denkmalschutzrechtlicher Gesichtspunkte gemäß Ziffer 2.3.11 der Anlage 2 zum UVPG a. F. die Beeinträchtigung des Erscheinungsbildes des Schlosses I. als unzumutbar anzusehen sei, bleibt auch dieses Beschwerdevorbringen ohne Erfolg. Der Antragsgegner hat die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung maßgeblich mit der Begründung abgelehnt, dass im Ergebnis erhebliche nachteilige Auswirkungen und Beeinträchtigungen auf ein in Anlage 2 Ziffer 2.3 UVPG a. F. genanntes besonders empfindliches Gebiet bzw. die Schutzziele eines dieser Gebiete nach überschlägiger Prüfung nicht zu erwarten seien. Neben der Entscheidung der obersten Denkmalbehörde vom 27.5.2019 sei außerdem zu berücksichtigen, dass die geplanten Windenergieanlagen nur innerhalb weniger Sichtachsen zusammen mit dem Schloss zu sehen seien – aufgrund der Entfernung mit geringerer visueller Intensität. Zudem wiesen die Betrachtungspunkte keinerlei Aufenthaltsqualität auf. Eine Beeinträchtigung des Schlosses könne – wenn überhaupt – nur als äußerst gering angesehen werden (vgl. Beiakte Heft 4, Blatt 1766). Diese Einschätzung ist im Rahmen der im vorliegenden Verfahren allein möglichen summarischen Prüfung – auch mit Blick auf die mit der Beschwerdebegründung vorgelegten Stellungnahmen des LWL – nicht zu beanstanden; die im Zusammenhang mit der 2001 erfolgten Eintragung als Baudenkmal in die Denkmalliste genannten städtebaulichen Gründe für das öffentliche Interesse an der Erhaltung und Nutzung des Schlosses I. (vgl. Beiakte Heft 6, Blatt 1242), die im Schreiben des LWL vom 28.7.2017 an die oberste Denkmalbehörde hervorgehoben werden, rechtfertigen keine andere Beurteilung.
122. Das Beschwerdevorbringen der Antragstellerin, sie habe einen Abwehranspruch aufgrund einer Verletzung ihres gemeindlichen Selbstgestaltungsrechts, bleibt ebenfalls ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat im Einzelnen ausgeführt, warum keine schwerwiegende Veränderung der städtebaulichen Strukturen auf dem Gebiet der Antragstellerin durch das Vorhaben hervorgerufen werde. Es hat in diesem Zusammenhang eine die übrige Bebauung dominierende Wirkung des Vorhabens, eine optische Riegelwirkung, einen denkmalrechtlichen Ensembleschutz der Ortschaft I. sowie die Überschreitung der Schwelle eines erheblichen Eingriffs in das Erscheinungs- bzw. Ortsbild aufgrund betroffener Sichtbeziehungen auf das Einzeldenkmal verneint (Beschlussabdruck Seiten 12 f.).
13Der allgemeine Hinweis der Antragstellerin darauf, dass der Beschluss des Verwaltungsgerichts insofern zu Unrecht ergangen sei, sowie auf ihren erstinstanzlichen Vortrag und die dazugehörigen Unterlagen genügt insofern schon nicht den Darlegungsanforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO. Soweit sie einwendet, die Stellungnahme der obersten Denkmalbehörde vom 27.5.2019 sei unzureichend, ergibt sich bereits aus den vorstehenden Ausführungen, dass ein erheblicher Eingriff in das Erscheinungs- bzw. Ortsbild aufgrund betroffener Sichtbeziehungen auf das Schloss I. durch das Vorhaben nicht hervorgerufen wird.
143. Die Antragstellerin dringt ebenfalls nicht mit ihrem Vortrag durch, dass sich das Verwaltungsgericht nicht bzw. nicht in ausreichendem Maße mit der Frage auseinandergesetzt habe, ob und inwieweit die streitgegenständliche Genehmigung in ihre Eigentumsrechte eingreife. Soweit sie in diesem Zusammenhang einen Verstoß gegen das Gebot der nachbarlichen Rücksichtnahme unter dem Aspekt einer optisch bedrängenden Wirkung des Vorhabens rügt, zeigt sie einen solchen Verstoß auf der Grundlage der von ihr selbst zitierten Rechtsprechung nicht hinreichend auf. Denn bei einer Entfernung der beiden Anlagen zu den Gebäuden der Antragstellerin von mindestens 800 m ergibt sich unter Berücksichtigung der Gesamthöhe der Anlagen von jeweils 149,90 m ein Entfernungsfaktor von über 5 – was einer Entfernung von mehr als dem Fünffachen der Gesamthöhe der Anlagen entspricht.
154. Soweit die Antragstellerin schließlich vorträgt, dass die neu eingeführte Vorschrift des § 63 BImSchG im Rahmen der Interessenabwägung keine Anwendung zugunsten der Windenergieanlagenbetreiber finde, ist sie darauf zu verweisen, dass im Falle eines solchen gesetzlich angeordneten Sofortvollzugs die gesetzgeberische Entscheidung für den grundsätzlichen Vorrang des Vollziehungsinteresses bei der Gesamtwürdigung zu berücksichtigen ist. § 63 BImSchG in der seit dem 10.12.2020 geltenden Fassung (BGBl. I S. 2694) gilt dabei auch für Genehmigungen, die wie hier vor seinem Inkrafttreten erteilt worden sind.
16Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 12.3.2021 - 7 B 8/21 -, juris.
17Die Kostentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind aus Gründen der Billigkeit erstattungsfähig, weil sie einen Sachantrag gestellt und sich damit selbst einem prozessualen Kostenrisiko ausgesetzt hat (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO).
18Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i. V. m. Nr. 19.3 und Nr. 1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
19Der Beschluss ist unanfechtbar.
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Referenzen
- VwGO § 154 2x
- VwGO § 162 1x
- §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG 4x (nicht zugeordnet)
- § 3c UVPG 2x (nicht zugeordnet)
- § 63 BImSchG 2x (nicht zugeordnet)
- UVPG § 74 Übergangsvorschrift 1x
- UVPG § 2 Begriffsbestimmungen 2x
- § 3a Satz 4 UVPG 1x (nicht zugeordnet)
- § 3c Satz 6 UVPG 1x (nicht zugeordnet)
- § 21 Abs. 4 Satz 3 DSchG 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 146 1x
- 8 A 894/17 1x (nicht zugeordnet)
- 8 A 4256/19 1x (nicht zugeordnet)
- 4 K 1213/20 1x (nicht zugeordnet)
- 7 B 8/21 1x (nicht zugeordnet)