Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 6 E 935/21
Tenor
Der Streitwertbeschluss wird geändert.
Der Streitwert wird auf die Wertstufe bis 45.000,00 Euro festgesetzt.
Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.
Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
1
G r ü n d e :
2Das Oberverwaltungsgericht entscheidet gemäß §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 6 Satz 1 GKG über die Beschwerde durch die Berichterstatterin als Einzelrichterin. Zwar hat im erstinstanzlichen Verfahren nicht ein Einzelrichter
3- im Folgenden wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit auf die gleichzeitige Verwendung der männlichen und weiblichen Sprachform verzichtet und gilt die männliche Sprachform für alle Geschlechter -
4gemäß § 6 VwGO entschieden, sondern der Berichterstatter gemäß § 87a Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 VwGO im Rahmen eines Beschlusses nach Abgabe übereinstimmender Hauptsacheerledigungserklärungen. Es entspricht jedoch dem Sinn des Gesetzes, dass auch in einer solchen Konstellation ein Einzelrichter über die Beschwerde entscheidet.
5Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 23. Oktober 2018 ‑ 13 E 737/18 -, juris Rn. 1, 16. August 2017 - 18 E 594/17 -, juris Rn. 1, 27. August 2008 - 16 E 1126/08 -, juris Rn. 1; OVG Bremen, Beschluss vom 23. Dezember 2015 - 1 S 288/15 -, NVwZ-RR 2016, 440 = juris, Rn. 5; VGH Hessen, Beschluss vom 12. Februar 2008 - 8 E 284/08 -, LKRZ 2008, 217 = juris Rn. 2; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 2. Juni 2006 - 9 S 1148/06 -, NVwZ-RR 2006, 648 = juris Rn. 2 ff.
6Die Voraussetzungen für die Übertragung der Entscheidung im Beschwerdeverfahren an den Senat nach § 66 Abs. 6 Satz 2 GKG liegen nicht vor.
7Die von den Prozessbevollmächtigten der Klägerin zulässigerweise im eigenen Namen erhobene Beschwerde (vgl. § 32 Abs. 2 Satz 1 RVG) ist in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang begründet.
8Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens war die am 8. Oktober 2020 erhobene Klage auf Aufhebung des Bescheides vom 22. September 2020, mit dem die Klägerin aus dem Beamtenverhältnis auf Probe entlassen wurde, sowie auf Verpflichtung der Beklagten, die Klägerin zur Beamtin auf Lebenszeit zu ernennen. Bei diesen in einer Klage geltend gemachten Begehren handelt es sich, worauf die Prozessbevollmächtigten der Klägerin in der Beschwerde zutreffend hinweisen, um zwei selbstständige Streitgegenstände, deren Werte gemäß § 39 Abs. 1 GKG zu addieren sind.
9Vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 31. Juli 2015 - 3 ZB 12.1613 -, juris Rn. 58.
10Gemäß § 39 Abs. 1 GKG werden in demselben Verfahren und in demselben Rechtszug die Werte mehrerer Streitgegenstände zusammengerechnet, soweit - was vorliegend nicht der Fall ist - nichts anderes bestimmt ist. Allerdings setzt die Zusammenrechnung nach § 39 Abs. 1 GKG voraus, dass die geltend gemachten Ansprüche von selbstständigem Wert sind, mithin nicht wirtschaftlich denselben Gegenstand haben bzw. nicht auf dasselbe Ziel gerichtet sind.
11Vgl. noch zu § 5 ZPO: BVerwG, Beschluss vom 22. September 1981 - 1 C 23.81 -, DÖV 1982, 410 = juris Rn. 1, Urteil vom 16. Dezember 1988 - 7 C 93.86 -, NVwZ-RR 1989, 581 = juris Rn. 12 m. w. N.; zu § 39 GKG: OVG Niedersachsen, Beschluss vom 11. März 2020 - 1 OA 7/20 -, NVwZ-RR 2020, 463 = juris Rn. 9 m. w. N.; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 9. August 2011 - 1 E 10808/11 -, BauR 2011, 1952 = juris Rn. 12.
12Dieses in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts anerkannte „Additionsverbot wegen wirtschaftlicher Identität“ greift hier aber nicht ein. Die von der Klägerin anhängig gemachten Begehren der Aufhebung der Entlassungsverfügung aus dem Beamtenverhältnis auf Probe und der Ernennung zur Beamtin auf Lebenszeit regeln schon aus Gründen des materiellen Rechts - Abwehr einer Belastung in dem einen, Erweiterung der Rechtsposition in dem andern Fall - unterschiedliche Sachverhalte und sind auch nicht aus wirtschaftlicher Sicht austauschbar. Zwar setzt die erstrebte Lebenszeiternennung die Aufhebung der Entlassungsverfügung voraus, da sonst kein umzuwandelndes Beamtenverhältnis besteht. Indessen folgt aus einer etwaigen Rechtswidrigkeit der Entlassung der Klägerin aus dem Beamtenverhältnis auf Probe nicht zwingend die Verpflichtung der Beklagten, das Beamtenverhältnis in ein solches auf Lebenszeit umzuwandeln. So kann, wenn die Entlassungsverfügung an behebbaren Fehlern leidet, der Dienstherr die Entlassung erneut verfügen; auch kann die gemäß § 10 BeamtStG, § 15 LBG NRW für die Lebenszeiternennung erforderliche Bewährung aus Gründen fehlen, die nicht Gegenstand der Entlassungsverfügung waren. Wenn, wie im Streitfall, die zulässige Höchstprobezeit von fünf Jahren nach § 10 BeamtStG, § 13 Abs. 4 LBG NRW i. V. m. § 5 Abs. 8 der Verordnung über die Laufbahnen der Beamtinnen und Beamten im Land Nordrhein-Westfalen nicht ausgeschöpft war, steht dem Dienstherrn ggfs. auch die Möglichkeit offen, die Probezeit zu verlängern. Im Fall der Abweisung des geltend gemachten Anspruches auf Umwandlung des Beamtenverhältnisses in ein solches auf Lebenszeit liegt ein selbständiges wirtschaftliches Interesse der Klägerin darin, das Beamtenverhältnis auf Probe fortzuführen.
13Vgl. im Aufenthaltsrecht: BVerwG, Beschluss vom 22. September 1981 - 1 C 23.81 -, a. a. O. Rn. 2; im Baurecht: OVG Niedersachsen, Beschluss vom 11. März 2020 - 1 OA 7/20 -, a. a. O. Rn. 10; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 9. August 2011 – 1 E 10808/11 -, a. a. O. Rn. 12.
14Demgemäß ist der Streitwert für das auf Aufhebung der Entlassungsverfügung gerichtete Begehren nach § 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2, Sätze 2 und 3 GKG und für den geltend gemachten Anspruch auf Ernennung auf Lebenszeit nach § 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1, Sätze 2 und 3 GKG zu bestimmen. Danach werden die Hälfte sowie die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge im angestrebten Dienstverhältnis angesetzt, wobei maßgebend für die Berechnung das im Zeitpunkt der den jeweiligen Rechtszug einleitenden Antragstellung (hier: 8. Oktober 2020) laufende Kalenderjahr (§ 52 Abs. 6 Satz 2 GKG und § 40 GKG) und das zu diesem Zeitpunkt bereits bekanntgemachte einschlägige Besoldungsrecht sind. Bei der Berechnung der Bezüge im vorstehenden Sinne ist, soweit es das Grundgehalt betrifft - entgegen dem Beschwerdevorbringen -, nicht auf das jeweilige Endgrundgehalt abzustellen, sondern auf das Grundgehalt, das sich unter Berücksichtigung der für den jeweiligen Antragsteller geltenden Erfahrungsstufe ergibt, weil das Gesetz seit der Neufassung des seinerzeitigen § 52 Abs. 5 GKG mit Wirkung zum 1. August 2013 nicht mehr auf den festen "Betrag des Endgrundgehalts" abstellt, sondern auf die Summe der (dem Betroffenen) für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge. Ferner haben bei dieser Berechnung die von § 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 und 2, Satz 3 GKG angeführten Bezügebestandteile außer Betracht zu bleiben.
15Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 15. Juni 2020 - 1 E 461/20 -, juris Rn. 5, und vom 11. Juli 2014 - 6 B 1381/13 -, NVwZ-RR 2014, 902 = juris Rn. 18.
16Die von den Prozessbevollmächtigten der Klägerin angeführte gegenteilige Auffassung der Oberverwaltungsgerichte Rheinland-Pfalz und Niedersachsen,
17vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 23. Dezember 2013 - 2 B 11209/13 -, IÖD 2014, 42 = juris, Rn. 15; OVG Niedersachsen, Beschluss vom 25. August 2014 - 5 ME 116/14 -, NVwZ-RR 2014, 941 = juris Rn. 18,
18folgt der Senat aus den vorstehenden und in dem Beschluss vom 11. Juli 2014 - 6 B 1381/13 -, juris Rn. 18 ff., dargestellten Gründen nicht. In dem genannten Beschluss hat sich der Senat - entgegen dem Vorbringen der Prozessbevollmächtigten der Klägerin - vertieft mit der vom OVG Rheinland-Pfalz vertretenen Auffassung auseinandergesetzt und ist unter Heranziehung des Wortlauts der der Vorschrift im Streitfall entsprechenden (Vorgänger-)Norm sowie der Gesetzesmaterialien zu dem dargestellten Verständnis gelangt. An diesem hält der Senat weiterhin fest. Die Prozessbevollmächtigten der Klägerin haben keine gegen diese Auslegung der Norm sprechenden Gründe vorgetragen hat und auch die von ihnen genannte Entscheidung des OVG Niedersachsen führt keine weitergehenden in dem genannten Senatsbeschluss unberücksichtigt gelassenen Gesichtspunkte an.
19Der nach den vorstehenden Maßgaben zu bestimmende Jahresbetrag beläuft sich angesichts des begehrten Amtes der Besoldungsgruppe A 6 LBesG NRW und bei Zugrundelegung der maßgeblichen Erfahrungsstufen 2 (bis einschließlich November 2020, 2.493,77 Euro) und 3 (ab Dezember 2020, 2.560,27 Euro) auf 29.991,74 Euro, sodass bei Addition eines weiteren halben Jahresbetrages der Streitwert in die festgesetzte Wertstufe bis 45.000,00 Euro fällt.
20Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (vgl. § 68 Abs. 3 GKG).
21Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
- § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG 1x (nicht zugeordnet)
- Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (2. Senat) - 2 B 11209/13 1x
- § 39 GKG 1x (nicht zugeordnet)
- § 68 Abs. 3 GKG 1x (nicht zugeordnet)
- 5 ME 116/14 1x (nicht zugeordnet)
- BeamtStG § 10 Voraussetzung der Ernennung auf Lebenszeit 2x
- 13 E 737/18 1x (nicht zugeordnet)
- LBG § 15 1x
- 1 S 288/15 1x (nicht zugeordnet)
- Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (1. Senat) - 1 E 10808/11 1x
- § 66 Abs. 6 Satz 2 GKG 1x (nicht zugeordnet)
- §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 6 Satz 1 GKG 2x (nicht zugeordnet)
- RVG § 32 Wertfestsetzung für die Gerichtsgebühren 1x
- 1 E 10808/11 1x (nicht zugeordnet)
- § 39 Abs. 1 GKG 3x (nicht zugeordnet)
- LBG § 13 1x
- VwGO § 6 1x
- 16 E 1126/08 1x (nicht zugeordnet)
- 1 E 461/20 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 5 Mehrere Ansprüche 1x
- 18 E 594/17 1x (nicht zugeordnet)
- 9 S 1148/06 1x (nicht zugeordnet)
- 8 E 284/08 1x (nicht zugeordnet)
- 6 B 1381/13 2x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 87a 1x
- 1 OA 7/20 2x (nicht zugeordnet)