Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 6 B 850/21
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert.
Die aufschiebende Wirkung der Klage - 1 K 4381/20 - gegen die Entlassungsverfügung des Polizeipräsidiums S. vom 29. Oktober 2020 wird wiederhergestellt.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf die Wertstufe bis 9.000,00 Euro festgesetzt.
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G r ü n d e :
2Die Beschwerde hat Erfolg.
3Das Verwaltungsgericht hat den Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage - 1 K 4381/20 - gegen die Entlassungsverfügung des Polizeipräsidiums S. vom 29. Oktober 2020 wiederherzustellen, abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Antrag sei unbegründet. In formeller Hinsicht genüge die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Entlassungsverfügung noch den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Die nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung falle zu Lasten des Antragstellers aus. Die auf §§ 21 Nr. 1, 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BeamtStG i. V. m. § 28 Abs. 2 LBG NRW und § 5 Abs. 7 Satz 2 LVOPol gründende Entlassungsverfügung erweise sich bei summarischer Prüfung als rechtmäßig. Die Voraussetzungen des § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BeamtStG lägen vor. Die Einschätzung des Antragsgegners, der Antragsteller habe sich in der Probezeit nicht bewährt, sei nicht zu beanstanden. Die Entlassungsverfügung sei auch nicht deshalb rechtswidrig, weil die unter dem 17. April 2019 und 29. April 2020 verfügten Verlängerungen der Probezeit möglicherweise rechtswidrig gewesen seien.
4Die vom Antragsteller hiergegen erhobenen Einwände verlangen die Abänderung des angefochtenen Beschlusses. Die im Rahmen des auf die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gerichteten Verfahrens nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmende Abwägung zwischen dem öffentlichen Vollziehungsinteresse und dem Interesse des Antragstellers an der Aussetzung der Vollziehung geht zu Gunsten des Antragstellers aus. Die angefochtene Entlassungsverfügung erweist sich als rechtswidrig, weil sie sich maßgeblich auch auf die Leistungen des Antragstellers in der Zeit vom 1. Mai 2019 bis zum 31. Oktober 2020 stützt, die aufgrund der Aufhebung der Verfügungen des Antragsgegners vom 17. April 2019 und vom 29. April 2020 jedoch nicht zur Probezeit i. S. v. § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BeamtStG zählt.
5Gemäß § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BeamtStG können Beamte auf Probe entlassen werden, wenn sie sich in der Probezeit nicht bewährt haben. Die Entscheidung des Dienstherrn darüber, ob der Beamte sich in der Probezeit nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung bewährt hat, ist ein Akt wertender Erkenntnis seines für die Beurteilung zuständigen Organs. Dabei genügen bereits berechtigte Zweifel des Dienstherrn, ob der Beamte die Eignung und Befähigung besitzt und die fachlichen Leistungen erbringt, die für die Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit notwendig sind, um eine Bewährung zu verneinen. Diese Entscheidung ist gerichtlich nur daraufhin überprüfbar, ob der Begriff der Bewährung und die gesetzlichen Grenzen des Beurteilungsspielraums verkannt worden sind, ob der Beurteilung ein unrichtiger Sachverhalt zugrunde liegt und ob allgemeine Wertmaßstäbe nicht beachtet oder sachfremde Erwägungen angestellt worden sind.
6Vgl. BVerwG, Urteile vom 18. Juli 2001 - 2 A 5.00 -, NVwZ-RR 2002, 49 = juris Rn. 15, und vom 31. Mai 1990 - 2 C 35.88 -, BVerwGE 85, 177 = juris Rn. 18.
7Maßgebend für die Beurteilung, ob sich ein Beamter auf Probe bewährt hat bzw. ob er wegen mangelnder Bewährung entlassen werden kann, ist allein sein Verhalten in der laufbahnrechtlichen Probezeit. Sein Verhalten nach Ablauf der Probezeit bleibt außer Betracht, selbst wenn der Status als Beamter auf Probe noch weiter fortbestanden oder der Beamte aufgrund der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Entlassung zunächst noch weiter Dienst geleistet hat.
8Vgl. BVerwG, Urteile vom 18. Juli 2001 - 2 A 5.00 -, a. a. O. Rn. 17, vom 19. März 1998 - 2 C 5.97 -, BVerwGE 106, 263 = juris Rn. 26, vom 25. Februar 1993 - 2 C 27.90 -, BVerwGE 92, 147 = juris Rn. 12, und vom 31. Mai 1990 - 2 C 35.88 -, a. a. O. Rn. 19, sowie Beschluss vom 1. September 1988 - 2 B 105.88 -, juris Rn. 3.
9Das Verhalten nach Ablauf der Probezeit kann allenfalls ergänzend insoweit berücksichtigt werden, als es Rückschlüsse auf das Verhalten während der Probezeit und darauf zulässt, wie dieses im Gesamtzusammenhang zu gewichten ist.
10Vgl. BVerwG, Urteile vom 30. Oktober 2013 - 2 C 16.12 -, BVerwGE 148, 204 = juris Rn. 45, und vom 25. Februar 1993 - 2 C 27.90 -, a. a. O. Rn. 14; Lemhöfer, in: Plog/Wiedow, BBG 2009, Kommentar Loseblattslg. Stand November 2019, § 34 Rn. 22.
11Hiervon ausgehend ist die Entlassungsverfügung rechtswidrig, weil sie sich maßgeblich auch auf das Leistungsbild des Antragstellers nach Ablauf der Probezeit stützt. Der Antragsteller ist am 1. Mai 2016 unter Berufung in ein Beamtenverhältnis auf Probe zum Polizeikommissar ernannt worden. Mit Verfügung vom 17. April 2019 hat der Antragsgegner die laufbahnrechtliche Probezeit des Antragstellers um ein Jahr bis zum 30. April 2020 mit der Begründung verlängert, seine Bewährung in der dreijährigen Regelprobezeit (vgl. § 5 Abs. 2 Satz 1 LVOPol) könne noch nicht abschließend festgestellt werden. Mit der gleichen Begründung hat der Antragsgegner mit Verfügung vom 29. April 2020 die Probezeit erneut und zwar um sechs Monate bis zum 31. Oktober 2020 verlängert. Er hat die Verfügungen vom 17. April 2019 und vom 30. April 2020 jedoch am 11. November 2020 aufgehoben, so dass es sich bei der Dienstzeit des Antragstellers, auf welche sich diese Verfügungen bezogen, nicht mehr um eine Probezeit i. S. d. § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BeamtStG handelt. Vor diesem Hintergrund können die Leistungen des Antragstellers in der Zeit vom 1. Mai 2019 bis zum 31. Oktober 2020 nicht, wie der Antragsgegner annimmt, tragend für das der angefochtenen Entlassungsverfügung zugrunde liegende Urteil über seine Nichtbewährung nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BeamtStG sein.
12Aus dem Vorstehenden folgt zugleich, dass der Antragsgegner sich auch nicht darauf berufen könnte, er habe die Leistungen des Antragstellers in der Zeit vom 1. Mai 2019 bis zum 31. Oktober 2020 bloß ergänzend insoweit berücksichtigt, als sie Rückschlüsse auf das Leistungsbild während der Regelprobezeit zugelassen haben. Er ist bei Erlass der Entlassungsverfügung von der Rechtmäßigkeit der Verfügungen vom 17. April 2019 und 29. April 2020 ausgegangen und hat die Leistungen des Antragsstellers in der durch diese Verfügungen verlängerten Probezeit unmittelbar und in den Vordergrund stellend zur Feststellung der Nichtbewährung herangezogen.
13Da der Antragsgegner die Verfügungen vom 17. April 2019 und vom 29. April 2020 aufgehoben hat, sie also rechtlich nicht mehr existent sind, stellt sich im vorliegenden Verfahren die vom Verwaltungsgericht geprüfte Frage nicht, ob die (bloße) Rechtswidrigkeit dieser Verfügungen die Rechtswidrigkeit der Entlassungsverfügung zur Folge hat. Angemerkt sei aber, dass eine Entlassungsverfügung, wenn sich die Verlängerung der Probezeit als rechtswidrig erweist und deshalb aufzuheben ist, regelmäßig nicht gleichwohl darauf bzw. die in diesem Zeitraum erbrachten Leistungen gestützt werden kann.
14Vgl. hierzu OVG NRW, Beschluss vom 23. Januar 2013 - 6 E 721/12 -, juris Rn. 3; VGH Baden-Württemberg, Urteile vom 21. Januar 2016 - 4 S 1082/14 -, juris Rn. 33, und vom 3. April 1990 - 4 S 1940/88 -, juris Rn. 45; ferner Hessischer VGH, Urteile vom 27. März 1985 - I OE 33/82 -, NVwZ 1985, 929, und Beschluss vom 3. Februar 1984 - 1 TH 48/83 -, DÖD 1985, 43; daneben BVerwG, Beschluss vom 10. April 1991 - 2 B 115.90 -, juris Rn. 8.
15Eine Aufhebung der Verlängerung der Probezeit und die daraus folgende Rechtswidrigkeit der Entlassungsverfügung haben indes nicht zur Konsequenz, wie der Antragsgegner zu meinen scheint, dass der Dienstherr gehindert ist, erneut über eine Verlängerung der (Regel-)Probezeit bis zum Erreichen der Höchstdauer bzw. über eine Entlassung wegen mangelnder Bewährung in der Probezeit zu entscheiden.
16Klarzustellen ist insbesondere, dass die vorliegende Entscheidung den Antragsgegner mitnichten dazu zwingt, den Antragsteller ungeachtet der bei ihm beobachteten Defizite nunmehr in ein Beamtenverhältnis auf Lebenszeit zu übernehmen. Anzumerken ist ferner, dass aufgrund der eingehenden und auf die Beobachtungen einer Reihe von Beamtinnen und Beamten gestützten Bewertungen des Antragsgegners die Annahme nachvollziehbar sein dürfte, der Antragsteller habe sich (bislang) nicht bewährt. Der Senat folgt insoweit den Feststellungen des Verwaltungsgerichts. Ersichtlich entbehrt angesichts der ausführlichen Darstellungen insbesondere die immer wieder erhobene Rüge des Antragstellers einer Grundlage, die Einschätzungen seien substanzlos und nichtssagend. Aber auch für die Berechtigung des Vorwurfs der Voreingenommenheit und des (bewusst) wahrheitswidrigen Vortrags gleich mehrerer Kolleginnen und Kollegen des Antragstellers ist nichts Hinreichendes erkennbar.
17Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streit-wertes beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1, Abs. 6 Satz 1 Nr. 2, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.
18Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
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