Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 12 B 247/22
Tenor
1. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.
2. Das in der Hauptsache erledigte Verfahren wird eingestellt.
Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 7. Februar 2022- 19 L 177/22 - ist hinsichtlich der Ablehnung des Antrags der Antragstellerin auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wirkungslos.
Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens beider Instanzen trägt die Antragstellerin.
1
Gründe:
21. Die Antragstellerin hat bereits keinen Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren, weil sich nach den von ihr gemachten Angaben nicht feststellen lässt, dass sie nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen zur - zumindest teil- oder ratenweisen - Aufbringung der Kosten der Rechtsverfolgung nicht in der Lage ist (vgl. § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Die zur Beantragung von Prozesskostenhilfe im Beschwerdeverfahren 12 B 247/22 vorgelegte Erklärung der Antragstellerin über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ist unvollständig und nicht nachvollziehbar. Im Abschnitt E des Formulars sind sämtliche Fragen zu eigenen Einnahmen der Antragstellerin verneint worden; die für diesen Fall erforderliche und unter Ziffer 5 auch ausdrücklich verlangte Erklärung, auf welche Umstände dies zurückzuführen ist und wie sie ihren Lebensunterhalt bestreitet, hat die Antragstellerin nicht abgegeben. Auch ist Abschnitt H zu den Wohnkosten der Antragstellerin unvollständig ausgefüllt. Erstinstanzlich sind von der Antragstellerin keinerlei Prozesskostenhilfeunterlagen eingereicht worden, auf die zurückgegriffen werden könnte.
3Ungeachtet dessen steht einer Bewilligung von Prozesskostenhilfe auch entgegen, dass die Beschwerde aus den nachfolgend unter 2. ausgeführten Erwägungen bis zur Erledigung des Begehrens nicht die in § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO vorausgesetzte hinreichende Aussicht auf Erfolg gehabt hat.
42. Das Verfahren ist in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO (deklaratorisch) einzustellen, nachdem die Beteiligten es übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben. Zur Klarstellung ist der angefochtene Beschluss des Verwaltungsgerichts für wirkungslos zu erklären (§ 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO).
5Die Kostenentscheidung für das gemäß § 188 Satz 2 Halbsatz 1 VwGO gerichtskostenfreie Verfahren beruht auf § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO. Danach hat das Gericht bei Erledigung der Hauptsache nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Es ist ermessensgerecht, die Antragstellerin mit den Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu belasten, weil die mit der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 5 VwGO beschränkt gewesen wäre, keine Veranlassung zur Änderung des angefochtenen Beschlusses gegeben hätten. Das Verwaltungsgericht dürfte den Antrag der Antragstellerin auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes im Ergebnis zu Recht abgelehnt haben. Dabei mag bei der hier nur noch zu treffenden Kostenentscheidung dahinstehen, inwieweit die vom Verwaltungsgericht angeführten drei Aspekte tatsächlich jeweils selbständig tragend eine vorläufige Inobhutnahme gerechtfertigt haben. Jedenfalls in der Gesamtschau, insbesondere auch mit den Umständen, die hinsichtlich der hier betroffenen Kinder der Antragstellerin zu der Gewährung zunächst einer flexiblen Erziehungshilfe gemäß § 30 SGB VIII und sodann einer Hilfeleistung gemäß § 19 SGB VIII (Mutter-Kind-Einrichtung) und hinsichtlich der älteren Tochter zu einer Inobhutnahme geführt haben, ergibt sich nach Aktenlage zum für die Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkt ein Bild, das die Annahme einer Kindeswohlgefährdung rechtfertigt. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat Bezug auf die Ausführungen des angefochtenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts. Zudem wird auf die Gründe des Beschlusses des Amtsgerichts X. - Familiengericht - vom 1. März 2022 - 66 F 2/22 - verwiesen, mit dem der Antragstellerin und dem Kindesvater im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig das Recht zur Beantragung von Hilfen zur Erziehung und das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die in Obhut genommenen Kinder wegen einer im Falle des Aufenthalts bei der Antragstellerin angenommenen Kindeswohlgefährdung vorläufig entzogen worden ist. Daneben nimmt der Senat Bezug auf die Gründe des Beschlusses des Oberlandesgerichts E. vom 1. September 2021 - II-6 UF 92/21 -, mit dem die Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts hinsichtlich der älteren Tochter der Antragstellerin bestätigt worden ist. Hervorzuheben ist, dass es für die Beurteilung einer Gefahr im jugendhilferechtlichen Sinn - wie allgemein im Gefahrenabwehrrecht - auf den Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung ankommt, also darauf, ob im Rahmen der prognostischen ex-ante-Betrachtung bei ungehindertem Ablauf des zu erwartenden Geschehens der Eintritt des Schadens hinreichend wahrscheinlich ist.
6Dies zugrunde gelegt vermag das Beschwerdevorbringen nicht in Zweifel zu ziehen, dass sich für das Jugendamt ex ante jedenfalls ab der Nacht vom 5. auf den 6. Januar 2022 das Bild einer Kindeswohlgefährdung ergeben hat, die durch eine Fortsetzung der Hilfeleistung nach § 19 SGB VIII nicht hinreichend sicher abgewendet werden konnte. Die Antragstellerin lehnte diese Hilfe erkennbar ab. Die Betreuung in einer Mutter-Kind-Einrichtung wurde gerade wegen der Meldung einer Kindeswohlgefährdung veranlasst, weil sich nach den Erfahrungen mit der älteren, ebenfalls in Obhut genommenen Tochter auch bei den im Oktober 2021 geborenen Zwillingen trotz Unterstützung durch die Familie des Kindesvaters eine deutliche Überforderung der Antragstellerin, verbunden mit erheblichen Versorgungsdefiziten bei den Kindern (z. B. in Bezug auf Kinderarzttermine, den Abschluss einer Krankenversicherung und auch die Ernährung und Beruhigung der Kinder), gezeigt hatte, an deren Behebung die Antragstellerin und der Kindesvater kein Interesse zeigten. So wurde die Antragstellerin am 8. Dezember 2021 bei einem unangekündigten Hausbesuch des Anbieters der damals installierten ambulanten erzieherischen Hilfe (Diakonie X. ) fest schlafend angetroffen, während die Zwillinge - bei im Hintergrund laufendem Föhn - eingeengt in Babyschalen lagen, an denen mit Mullbinden Trinkflaschen so angebracht waren, dass den Kindern vermeintlich ein eigenständiges Trinken ermöglicht werden sollte. Dass die Antragstellerin in einem Zustand angetroffen wurde, in dem sie kaum erweckbar und erst nach mehrminütigen Weckversuchen ansprechbar war, ist nach Mitteilung der Diakonie bereits in der Vergangenheit vorgekommen, woraufhin die Problematik mit den Kindeseltern besprochen worden ist.
7Auch während des Aufenthalts in der Mutter-Kind-Einrichtung gab die Antragstellerin zu erkennen, dass sie an der Umsetzung von Ratschlägen zu einem sichereren und auf die Bedürfnisse der Säuglinge angepassten Umgang kein Interesse hatte. Weder berücksichtigte sie die Aufklärung seitens der Fachkräfte, dass zu ruckartige Bewegungen und fehlende Stützung des Kopfes gesundheitsgefährdend sein können, noch ging sie auf Ratschläge für einen bedarfsorientierten und gesunden Ess- und Schlafrhythmus ein. Die Schilderungen der Einrichtung gegenüber der Antragsgegnerin knüpfen an tatsächliche Feststellungen an und lassen entgegen den Vorhaltungen der Antragstellerin keine abwertende Grundeinstellung erkennen. Am tatsächlichen Gefährdungspotenzial konkreter Verhaltensweisen im Umgang mit Säuglingen ändert sich auch nichts, wenn man sie im kulturellen Kontext der Antragstellerin und ihres familiären Umfelds betrachtet. Dafür, dass den entsprechenden Berichten der Fachkräfte der Einrichtung in Bezug auf die gesundheitlich relevanten Aspekte des sicheren Tragens der Säuglinge und der Beachtung ihres Schlaf- und Essrhythmus' tatsächlich keine entsprechenden Gefährdungssituationen zugrunde lagen, gibt die Beschwerde nichts her und ist auch sonst nichts ersichtlich. Der bloße Verweis der Beschwerde auf eine eventuelle eigene Kinderlosigkeit der Fachkräfte und den Umstand, dass Mütter oder Schwiegermütter einer Säuglingsmutter sich häufig ähnlich belehrend äußern würden, führt insoweit nicht weiter. Soweit die Antragstellerin den Bericht der Einrichtung vom 10. Januar 2022 für konstruiert hält, um dadurch die Inobhutnahme nachträglich zu rechtfertigen, verkennt sie, dass es sich um einen Abschlussbericht handelt, der allein aus Anlass der Beendigung der Hilfeleistung in der Mutter-Kind-Einrichtung - wie in solchen Situationen üblich - verfasst worden ist und dass darin genannte Umstände von der Einrichtung zum Teil auch bereits vor der Inobhutnahme gegenüber der Antragsgegnerin kommuniziert worden sind.
8Ausgehend von dem bekannt gewordenen Verhalten der Antragstellerin während ihres Aufenthalts in der Mutter-Kind-Einrichtung dürfte die Antragsgegnerin spätestens nach Kenntnis von den Umständen im Vorfeld der Inobhutnahme zu Recht von einer dringenden Kindeswohlgefährdung ausgegangen sein. Es ist nach den Schilderungen des Einrichtungspersonals, die nicht ansatzweise auf einen Schwächeanfall oder eine sonstige behandlungsbedürftige Folge von "physischen und psychischen Ausnahmezuständen" hindeuten, bereits nicht auszuschließen, dass es des nach vehementen Forderungen des Kindesvaters und des Bevollmächtigten der Antragstellerin zustande gekommenen Einsatzes eines Rettungswagens mit Transport ins Krankenhaus nicht bedurft hat und dass dieser Einsatz von der Antragstellerin und/oder dem Kindesvater als Möglichkeit gesehen wurde, dass die Antragstellerin die Einrichtung für eine Zeit ohne Kinder verlassen kann. Jedenfalls offenbart der Umstand, dass sie nachts telefonisch gegenüber der Einrichtung wahrheitswidrig von einer Fortdauer ihres Krankenhausaufenthalts über Nacht berichtete und dass der Kindesvater dies am Morgen des 6. Januar 2022 zunächst noch bekräftigte, eine fehlende Bereitschaft, durchgängig Verantwortung für die Kinder zu übernehmen und sich dabei auf die Unterstützung in der Mutter-Kind-Einrichtung einzulassen. Ob die Antragstellerin davon ausgehen konnte, dass man in der Einrichtung wegen der Möglichkeit einer stationären Aufnahme noch nicht mit ihrer Rückkehr rechnete, ist für die Frage ihres eigenen Interesses an einer Wiederaufnahme der Wahrnehmung ihrer elterlichen Sorge und in Bezug auf ihre diesbezüglichen Fähigkeiten unbeachtlich. Soweit die Antragstellerin darauf verweist, dass sie nach Einnahme eines im Krankenhaus erhaltenen Beruhigungsmittels (Tavor) angeblich die Nacht in einem "zeitweisen Dämmerzustand" auf einer Bank im Eingangsbereich vor der Klinik verbracht habe, und soweit sie dies für "erwartbar und auch verständlich" hält, dringt sie nicht durch. Unterstellt, sie wäre - was zweifelhaft erscheint - tatsächlich zunächst nach Einnahme des Beruhigungsmittels an einer Rückkehr gehindert gewesen, dürfte ein entsprechender "Dämmerzustand" spätestens gegen 2:00 Uhr beendet gewesen sein, als sie in der Lage war, eine WhatsApp-Nachricht an die Einrichtung zu schreiben und darin wahrheitswidrige Angaben über eine angeblich fortdauernde Untersuchung bzw. Beobachtung im Krankenhaus zu machen, die gerade nicht verständlich sind. An der aufgrund des Verhaltens der Antragstellerin anzunehmenden Gefahr einer Kindeswohlgefährdung dürfte sich auch nichts geändert haben, wenn die Antragsgegnerin im Rahmen von zwischenzeitlichen Rückmeldungen seitens des Kindesvaters und des Bevollmächtigten der Antragstellerin am Morgen des 6. Januar 2022 auf eine bevorstehende Rückkehr der Antragstellerin in die Einrichtung hingewiesen worden sein sollte. Zum einen dürften an der Verlässlichkeit dieser Angaben nach der Vorgeschichte begründete Zweifel bestanden haben. Zum anderen hat der Bevollmächtigte der Antragstellerin nach eigenen Angaben mit Schreiben vom 5. Januar 2022 das Begehren geäußert, dass im Hinblick auf die gesamten Umstände der Unterbringung der Antragstellerin und ihrer Zwillinge nunmehr der Aufenthalt dort kurzfristig beendet werden soll, womit der kindeswohlgefährdende Zustand, der vor der Aufnahme in die Einrichtung festzustellen war, unmittelbar erneut gedroht hätte. Dieser Zustand hatte zuvor trotz des Zusammenlebens mit dem Kindesvater bestanden, so dass auch eine Betreuung durch diesen - ungeachtet der umstrittenen Frage, inwieweit er zur Gewaltanwendung neigt und es dazu in Bezug auf die ältere Tochter der Antragsteller gekommen ist - zur Beseitigung der Gefährdung aus der damaligen Sicht nicht geeignet erschien.
9Für die unsachlichen Vorwürfe seitens der Antragstellerin bzw. ihres Bevollmächtigten, dass es sich bei der Schilderung der Einrichtung vom 6. Juni 2022 um einen "Racheakt" der verfassenden Mitarbeiterin gehandelt haben könnte, ergibt sich weder aus den Vorgängen noch aus dem pauschalen Vorbringen der Antragstellerin, dass sie es gewagt habe, sich der "gefängnisähnlichen Ordnung" in der Einrichtung zu widersetzen, ein Anhalt. Soweit die Antragstellerin in Abrede stellt, dass ihr Aufenthalt in der Mutter-Kind-Einrichtung freiwillig eingeleitet wurde, lässt sie zunächst außer Acht, dass sie den Antrag auf entsprechende Hilfegewährung selbst unterzeichnet hat. Soweit sie die in der Einrichtung bestehenden Regeln offenbar als Freiheitsberaubung oder Gängelung ansieht, verkennt sie, dass die Betreuung in einer Mutter-Kind-Einrichtung kinder- und jugendhilferechtliche Unterstützungsleistung darstellt, die gemäß § 19 Abs. 1 SGB VIII dazu dient, dass der leistungsberechtigte Elternteil in die Lage versetzt wird, Pflege und Erziehung des betreffenden Kindes eigenverantwortlich wahrzunehmen und dass es zur Erreichung dieses Ziels selbstverständlich eines Einrichtungskonzepts mit bestimmten Regeln bedarf. Einschränkungen bei Besuchskontakten aufgrund von Hygienekonzepten zur Bekämpfung der Corona-Pandemie ändern daran nichts. Dass sie nicht bereit ist, sich zur Erlangung ausreichender pflegerischer und pädagogischer Fähigkeiten an die dafür von der Einrichtung aufgestellten Regeln zu halten, gibt für das Einrichtungspersonal keinen Anlass für vermeintliche Rachegedanken, sondern zeigt lediglich, dass die Antragstellerin den von Fachkräften festgestellten erheblichen Hilfebedarf verkennt und dementsprechend weiterhin mit Kindeswohlgefährdungen - etwa durch Selbstentlassung mit den Kindern oder durch Zurücklassen der Kinder in der Einrichtung - zu rechnen ist.
10Dieser Beschluss ist insgesamt nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.
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Referenzen
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- VwGO § 166 2x
- ZPO § 114 Voraussetzungen 2x
- VwGO § 92 1x
- VwGO § 173 1x
- ZPO § 269 Klagerücknahme 1x
- VwGO § 188 1x
- VwGO § 161 1x
- VwGO § 146 1x
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