Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 9 E 181/21
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
1
Gründe:
2Über die Beschwerde entscheidet der Senat nach § 9 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 VwGO in der Besetzung von drei Richtern. Denn es handelt sich um eine Beschwerde nach § 146 Abs. 1 VwGO gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts über die Erinnerung nach den §§ 151, 165 VwGO gegen die Festsetzung der vom Gegner zu erstattenden Kosten nach § 164 VwGO. Für diese Beschwerde gilt keine derjenigen Vorschriften, die bei Kosten- und Streitwertbeschwerden eine Beschwerdeentscheidung des Rechtsmittelgerichts durch eines seiner Mitglieder als Einzelrichter vorsehen, wenn die angefochtene Entscheidung von einem Einzelrichter oder einem Rechtspfleger erlassen wurde (§§ 66 Abs. 6 Satz 1 Halbsatz 2, 68 Abs. 1 Satz 5 GKG, §§ 33 Abs. 8 Satz 1 Halbsatz 2, 56 Abs. 2 Satz 1 RVG).
3Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 5. Januar 2021 ‑ 19 E 20/20 ‑, juris Rn. 1, und vom 2. Oktober 2009 ‑ 13 E 1111/09 ‑, juris Rn. 2; BayVGH, Beschluss vom 19. Januar 2007 ‑ 24 C 06.2426 ‑, juris Rn. 19; Neumann/Schaks, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl., 2018, § 165 Rn. 3.
4Die Beschwerde ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Erinnerung der Klägerin gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vom 16. Juni 2020 zu Recht zurückgewiesen.
5Die Klägerin kann die im vorliegenden sowie im Parallelverfahren 9 E 182/21 begehrte Berechnung der Einigungsgebühr, die in den Verfahren zweiter Instanz 9 A 3013/17 und 9 A 3014/17 dem Grunde nach ‑ was unstreitig ist ‑ angefallen ist (Nrn. 1000, 1004 VV RVG), auf der Grundlage der für diese Verfahren festgesetzten (Einzel-)Streitwerte anstelle eines Gesamtstreitwertes nicht beanspruchen.
6Dabei kann im Ergebnis offen bleiben, welche Bedeutung dem von der Klägerin angeführten Umstand zukommt, dass die vorgenannten Berufungsverfahren in der mündlichen Verhandlung vom 3. März 2020 lediglich zur gemeinsamen Verhandlung verbunden worden sind. Die Verbindung von Verfahren regelt § 93 Satz 1 VwGO. Hiernach kann das Gericht durch Beschluss mehrere bei ihm anhängige Verfahren über den gleichen Gegenstand zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung verbinden und wieder trennen. Eine solche Verbindung hat zur Folge, dass die Verfahren zu einem Verfahren mit mehreren Klagegegenständen werden,
7vgl. Pätzold, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl., 2018, § 93 Rn. 14; Garloff, in: BeckOK VwGO, Posser/Wolf, Stand 1. Januar 2022, § 93 Rn. 5,
8mit der kostenrechtlichen Folge, dass ab dem Zeitpunkt der Verbindung ein einheitlicher Streitwert festzusetzen ist, der sodann Grundlage u. a. für die Berechnung der anwaltlichen Vergütung ist. Erfolgt eine Verbindung hingegen nur zur gemeinsamen Verhandlung, ist mit Blick auf den Wortlaut des § 93 Satz 1 VwGO umstritten, ob eine solche Verbindung zulässig ist, bzw. ob es sich um eine Verbindung im Rechtssinne handelt mit den damit einhergehenden auch kostenrechtlichen Folgen,
9verneinend: Rudisile, in: Schoch/Schneider, VwGO, Stand 41. EL, Juli 2021, § 93 Rn. 19; Redeker/von Oertzen, VwGO, 16. Aufl., 2014, § 93 Rn. 2; W.-R. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl., 2021, § 93 Rn. 5; vgl. zu § 147 ZPO: Fritsche, in: MüKo-ZPO, 6. Aufl., 2020, § 147 Rn. 13;
10bejahend: VGH BW, Beschluss vom 17. August 2006 ‑ 3 S 1425/06 ‑, juris Rn. 2; Peters/Pätzold, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl., 2018, § 93 Rn. 15;
11unklar: Rennert, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl., 2019, § 93 Rn. 1 und 3, und Porz, in: Fehling/Kastner/Störmer, VerwR, 5. Aufl., 2021, § 93 Rn. 9;
12offen gelassen von OVG Hamburg, Beschluss vom 19. Februar 2009 ‑ 3 So 197/08 ‑, juris Rn. 23,
13oder ob nur eine rein tatsächliche Verfahrensvereinfachung bezweckt ist, die die Selbständigkeit der Verfahren unberührt lässt.
14Vgl. hierzu Nds. OVG, Beschluss vom 22. Januar 2010 ‑ 1 OA 246/09 ‑, juris Rn. 12 ff.; BayVGH, Beschluss vom 17. April 2007 ‑ 4 C 07.659 ‑, juris Rn. 6 ff.; Garloff, in: BeckOK VwGO, Posser/Wolf, Stand 1. Januar 2022, § 93 Rn. 6 f.; zu § 147 ZPO: BGH, Urteil vom 30. Oktober 1956 ‑ I ZR 82/55 ‑, juris Rn. 13 ff.
15Denn auch wenn anzunehmen ist, dass die in den vorgenannten Berufungsverfahren erfolgte Verbindung nur zur gemeinsamen Verhandlung im letztgenannten Sinne zu verstehen ist, folgt daraus trotz der fortbestehenden Selbständigkeit der beiden Verfahren nicht, dass sich die Einigungsgebühr ‑ anders als die Terminsgebühr ‑ nach den Einzelstreitwerten bemisst. Insoweit hat bereits das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt, dass im Fall des Abschlusses eines einheitlichen Vergleichs derselben Beteiligten nur eine (Gesamt-)Einigung vorliegt. Dies gilt unabhängig davon, ob die materiell-rechtlichen Regelungen des Vergleichs Streitgegenstand eines gerichtlichen Verfahrens oder mehrerer selbständiger gerichtlicher Verfahren sind, und ungeachtet der Frage, ob es sich ‑ was im Übrigen für eine Verbindung im Rechtssinne erforderlich wäre ‑ um Verfahren der gleichen Prozessart handelt.
16Vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 18. April 2017 ‑ 5 OA 44/17 ‑, juris Rn. 20 (zwei Hauptsacheverfahren und ein vorläufiges Rechtsschutzverfahren), unter Bezugnahme auf Beschluss vom 11. August 2016 ‑ 13 OA 130/16 – juris; OVG MV, Beschluss vom 29. April 2008 ‑ 1 O 38/08 ‑ juris Rn. 4 (Haupt- und Eilrechtsschutz);
17vgl. zu § 147 ZPO: OLG Celle, Beschluss vom 24. April 2014 ‑ 17 WF 79/14 ‑, juris Rn. 15 (zwei Hauptsache- und ein vorläufiges Rechtsschutzverfahren); OLG Düsseldorf, Beschluss vom 4. März 2009 ‑ II-10 WF 36/08 ‑, juris Rn. 6 (zwei selbständige Verfahren); OLG Stuttgart, Beschluss vom 10. März 2005 ‑ 8 W 89/05 ‑, juris Rn. 14 (zwei selbständige Verfahren); OLG München, Beschluss vom 22. März 1993 ‑ 11 WF 582/93 ‑, juris Rn. 3 (Hauptsache- und einstweiliges Rechtsschutzverfahren).
18Ebenso ist unerheblich, ob die Vergleichsgegenstände überhaupt ‑ sei es auch nur zum Teil ‑ gerichtlich anhängig sind oder ob ‑ nur oder auch ‑ außergerichtliche Lebenssachverhalte geregelt werden.
19Vgl. Sächs. OVG, Beschluss vom 27. Mai 2019 ‑ 5 B 72/19 ‑ juris Rn. 6 (anhängige und außergerichtliche Gegenstände); OVG NRW, Beschluss vom 1. Februar 2016 ‑ 8 E 651/15 ‑ juris Rn. 24 ff. (außergerichtliche Streitigkeiten);zusammenfassend: Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt, RVG, 25. Aufl., 2021, RVG VV 1003 Rn. 71; Klees, in: Mayer/Kroiß, RVG, 8. Aufl., 2021, RVG VV 1000 Rn. 54.
20Denn der Abschluss eines einheitlichen gerichtlichen Vergleichs bringt den übereinstimmenden Willen des Gerichts, der Beteiligten und ihrer Prozessbevollmächtigten zum Ausdruck, die Sachen für die Einigung als miteinander verbunden zu betrachten. Bedeutung erlangt die Frage, ob die Streitgegenstände außergerichtlich oder gerichtlich anhängig sind und bejahendenfalls in welcher Instanz, lediglich für den jeweiligen Gebührensatz (RVG VV 1000, 1003 oder 1004).
21Vgl. Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt, RVG, 25. Aufl., 2021, RVG VV 1003 Rn. 72, 89, 92; Sefrin, in: BeckOK RVG, v. Seltmann, 55. Edition, Stand 1. März 2022, RVG VV 1000 Rn. 45.
22Die von der Klägerin angeführte Entscheidung des VG Hamburg vom 9. Mai 2008 ‑ 8 K 2094/07 ‑, juris, rechtfertigt keine abweichende Einschätzung. Sie betrifft einen Fall der Verbindung der Verfahren mehrerer Beteiligter ‑ und nicht der gleichen ‑ und damit einen anderen Sachverhalt als vorliegend.
23Hiervon ausgehend ist vorliegend von einem einheitlichen Vergleich auszugehen. Gegenstand beider Berufungsverfahren waren Ausgleichsbeträge nach der Altenpflegeausbildungsausgleichsverordnung. Beide Verfahren betrafen den gleichen Streitstoff und insbesondere auch die gleichen Rechtsfragen. Dass es um unterschiedliche Erhebungsjahre ging, war ein Gesichtspunkt, der für den Inhalt des abgeschlossenen Vergleichs nicht von Relevanz war. Die Annahme eines einheitlichen Vergleichs ist auch unter Kostengesichtspunkten gerechtfertigt, da die für beide Verfahren gemeinsam erfolgten Vergleichsgespräche, die in dem einheitlichen Vergleich mündeten, auch für die jeweiligen Prozessbevollmächtigten einen verminderten Arbeits- und Zeitaufwand zur Folge hatten.
24Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
25Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
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