Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 2 A 2444/21
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 24.412,50 Euro festgesetzt.
Gründe:
1Der auf die Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO gestützte Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
21. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts (Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) ergeben sich aus dem nach § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO maßgeblichen Zulassungsvorbringen nicht.
3Zur Darlegung des Zulassungsgrunds der ernstlichen Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bedarf es einer hinreichenden Auseinandersetzung mit den entscheidungstragenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts. Dabei ist in substantiierter Weise an der Gedankenführung des Verwaltungsgerichts orientiert aufzuzeigen, dass und warum das vom Verwaltungsgericht gefundene Ergebnis ernstlich zweifelhaft sein soll. In der Sache liegen ernstliche Zweifel vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die verwaltungsgerichtliche Entscheidung einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhalten wird. Sie sind (nur) begründet, wenn zumindest ein einzelner tragender Rechtssatz der angefochtenen Entscheidung oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und sich die Frage, ob die Entscheidung etwa aus anderen Gründen im Ergebnis richtig ist, nicht ohne weitergehende Prüfung der Sach- und Rechtslage beantworten lässt.
4Derartige Zweifel weckt das Antragsvorbringen nicht.
5Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit den Anträgen,
6den Bescheid der Beklagten vom 15. Oktober 2019 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihre Bauvoranfrage vom 15. März 2018 für die Erweiterung des Lebensmitteldiscountmarktes auf dem Grundstück Gemarkung Y. , Flur 11, Flurstücke 1379, 2018, 1554, 1587 und 1588 (I.------straße 1) in Y. auf eine Verkaufsfläche von 1.399,07 m² positiv zu bescheiden,
7hilfsweise beschränkt auf die Art der baulichen Nutzung unter Ausklammerung des Rücksichtnahmegebots,
8weiter hilfsweise unter zusätzlicher Ausklammerung auch der Frage schädlicher Auswirkungen im Sinne des § 34 Abs. 3 BauGB,
9im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, der Erteilung des beantragten Vorbescheids – auch in der Fassung der Hilfsanträge - stünden öffentlich-rechtliche Vorschriften in Form der am 21. Mai 2019 beschlossenen, am 13. Juni 2019 bekannt gemachten und mit Beschluss vom 6. Mai 2021 bis zum 14. Juni 2022 verlängerten Veränderungssperre für einen Teilbereich des Bebauungsplans Nr. 190 „Gewerbegebiet Y. “ entgegen. Die Veränderungssperre sei wirksam und auch gegenüber der Klägerin noch nicht abgelaufen. Die materiellen Voraussetzungen für den Erlass einer Veränderungssperre lägen vor. Zum Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses am 21. Mai 2019 hätten ersichtlich hinreichend konkretisierte Planungsvorstellungen der Beklagten vorgelegen. Ausweislich der Verwaltungsvorlage solle ein Gewerbegebiet nach § 8 BauNVO 2017 festgesetzt und zur Stärkung des Einzelhandels in der Innenstadt Y1. in dem Gebiet Einzelhandel in Teilbereichen ausgeschlossen oder eingeschränkt werden. Die hinreichende Konkretisierung der Ziele der zukünftigen Planung stelle die Klägerin letztlich nicht in Abrede. Entgegen ihrer Auffassung fehle es der Planung aber auch nicht an der städtebaulichen Erforderlichkeit, weil die Beklagte beabsichtige, durch weitgehende Beschränkungen des Einzelhandels im Plangebiet Einzelhandelsnutzungen in das Innenstadtzentrum von Y. zu lenken, die dort keinen Platz fänden. Die Wirksamkeit der Veränderungssperre dürfe nur in sehr engen Grenzen davon abhängig gemacht werden, ob Überlegungen über bestimmte Festsetzungen im späteren Bebauungsplan letztlich rechtmäßig getroffen werden könnten. Eine Veränderungssperre solle typischerweise eine „Planung im Werden“ vor äußeren Störungen schützen. Vor diesem Hintergrund komme eine umfassende antizipierte Normenkontrolle der Rechtmäßigkeit der Planung regelmäßig nicht in Betracht. Die in der Rechtsprechung anerkannten Ausnahmen griffen hier nicht. Namentlich könne nicht von einem evidenten, im weiteren Verfahren nicht heilbaren Mangel ausgegangen werden. Vielmehr könnten der unter anderem geplante Ausschluss bzw. die Beschränkung von Einzelhandel ohne Weiteres rechtmäßiger Gegenstand einer Bauleitplanung sein. Ob und in welcher Weise dieses Ziel im Einzelnen umgesetzt werden könne, sei dann eine Frage der Abwägung und nicht – wie die Klägerin meine – der Erforderlichkeit. Ob diese Abwägung rechtmäßig erfolgen werde, könne aber erst am Ende des Planungsprozesses beurteilt werden. Die Beklagte habe insoweit die Ergebnisoffenheit des Planungsprozesses noch in der Verwaltungsvorlage zur Verlängerung der Veränderungssperre eigens hervorgehoben. Im Verhältnis zur Klägerin sei auch die höchstzulässige Dauer einer Veränderungssperre nicht überschritten. Insbesondere sei auf die regelmäßige Höchstdauer hier nicht der Zeitraum anzurechnen, der seit der Zurückstellung des Baugesuchs nach § 5 Abs. 1 BauGB abgelaufen sei. Denn die Zurückstellung und die Veränderungssperre bezögen sich auf unterschiedliche Planungen. Für die Abgrenzung sei entscheidend, ob sie unterschiedliche Planungen sicherten oder aber der Sicherung derselben Planung dienten. In materiellrechtlicher Hinsicht müsse die Gemeinde entweder ein völlig neues städtebauliches Ziel verfolgen oder unter Berücksichtigung desselben städtebaulichen Ziels jedenfalls andere und ihrerseits hinreichend gewichtige Festsetzungen in den Blick nehmen. Das sei hier der Fall. Die Zurückstellung habe auf dem Aufstellungsbeschluss zur 10. Änderung des Bebauungsplans Nr. 18 vom 25. September 2014 beruht, während sich die Veränderungssperre auf den Bebauungsplan Nr. 190 „Gewerbegebiet Y. “ beziehe. Hierbei handele es sich um materiell unterschiedliche Planungen. Sie unterschieden sich sowohl in Bezug auf die Größe der Plangebiete als auch in ihren Hauptplanungsanliegen. Zudem bestehe zwischen ihnen ein hinreichend großer zeitlicher Abstand. Der vorgesehene räumliche Geltungsbereich der 10. Änderung habe im Wesentlichen die sich unmittelbar nördlich an die T. Straße anschließende Bebauung erfasst. Der Änderungsbeschluss sei mit der Zielstellung gefasst worden, den „Sonderstandort T. Straße […] gemäß Einzelhandelskonzept […] primär zu einem Standort für großflächige Einzelhandelsbetriebe mit nicht zentren- und nicht nahversorgungsrelevantem Hauptsortiment [zu]entwickeln“ und ergänzend als Standort für kleinflächige Einzelhandelsbetriebe mit solchen Hauptsortimenten. Die mit dem Bebauungsplan Nr. 190 verfolgte Planung gehe räumlich und inhaltlich ganz erheblich hierüber hinaus und weiche zugleich namentlich im Bereich des „Sonderstandortes T. Straße“ von dieser ab. Das Plangebiet erstrecke sich nunmehr über das gesamte Gewerbegebiet im zentralen Siedlungsbereich der Stadt und erfasse verschiedene Bebauungspläne. Der Plan verfolge das Ziel, ein Gewerbegebiet gemäß § 8 BauNVO 2017 zwecks städtebaulicher Restrukturierung des Gewerbestandortes auszuweisen und dieses unter Berücksichtigung des Bestandes zu gliedern, insbesondere ihn einem einheitlichen Zulässigkeitsmaßstab für Gewerbegebiete nach der aktuellen Baunutzungsverordnung zu unterwerfen. Derzeit gälten aufgrund nicht übergeleiteter Fassungen der Baunutzungsverordnung je nach Plangebiet unterschiedliche Zulässigkeitsmaßstäbe für Gewerbebetriebe aller Art. Für die noch nicht von Einzelhandelsstandorten überprägten Teilbereiche des Gewerbegebietes sei beabsichtigt, Einzelhandelsbetriebe – mit Ausnahme eines Handwerkerprivilegs – zukünftig grundsätzlich auszuschließen. Für die durch Einzelhandel geprägten Teilbereiche beiderseits der T. Straße sollten demgegenüber zukünftig Gewerbebetriebe aller Art mit Ausnahme von Einzelhandelsbetrieben mit zentrenrelevanten bzw. zentren- und nahversorgungsrelevanten Sortimenten zulässig sein. Im Planverfahren sei in diesem Zusammenhang auch zu klären, für welche Betriebe und Nutzungen Festsetzungen nach § 1 Abs. 10 BauNVO vorzusehen seien, um sie in ihrem Bestand zu sichern und ihnen zugleich einen geringen Entwicklungsspielraum zu ermöglichen, der gegenüber dem zentralen Versorgungsbereich Innenstadt verträglich sei. Es gehe danach also gerade nicht mehr (nur) um die Entwicklung des „Sonderstandort T. Straße“, sondern um eine Neuplanung und -ausrichtung der Gewerbeflächen in einem Zentralbereich der Stadt. Dabei diene der Bebauungsplan zwar weiterhin auch der Steuerung des Einzelhandels. Hauptplanungsanliegen sei jedoch eine umfassende Neustrukturierung der Nutzung der Gewerbeflächen im Stadtgebiet mit dem Ziel eines sparsamen und gezielten Umgangs mit den zur Verfügung stehenden Gewerbeflächen. Zudem solle großflächiger Einzelhandel nunmehr auch an der T. Straße soweit wie möglich ausgeschlossen werden, während dieser Bereich durch die 10. Änderung primär zu einem Standort für großflächige Einzelhandelsbetriebe mit nicht zentren- und nicht nahversorgungsrelevantem Hauptsortiment habe entwickelt werden sollen. Diese Planungsabsicht enthalte damit unabhängig davon, ob und wie dies planungsrechtlich möglich gewesen wäre, im Verhältnis zum Bebauungsplan Nr. 190 letztlich sogar gegensätzliche städtebauliche Ziele. Schließlich liege zwischen diesen räumlich und inhaltlich unterschiedlichen Planungen auch noch ein beträchtlicher zeitlicher Abstand, was als weiterer Anhaltspunkt gegen eine Kontinuität der Planungsabsichten spreche.
10Diesen eingehenden und mindestens nachvollziehbaren Erwägungen des Verwaltungsgerichts setzt das Zulassungsvorbringen nichts Erhebliches entgegen, das im vorgenannten Sinne zu ernstlichen Zweifeln an der (Ergebnis-)Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung führen könnte.
11Ohne Erfolg macht die Klägerin zunächst geltend, die Veränderungssperre stehe ihrem Vorhaben nicht entgegen, weil sie der Sicherung eines Bebauungsplans diene, dem die städtebauliche Rechtfertigung fehle und der deshalb nicht sicherungsfähig sei. In diesem Zusammenhang wiederholt sie letztlich lediglich ihren erstinstanzlichen Vortrag, dem bereits das Verwaltungsgericht – zurecht – nicht gefolgt ist.
12Dabei setzt sich die Klägerin bereits nicht hinreichend mit dem zutreffenden rechtlichen Ansatzpunkt des Verwaltungsgerichts auseinander, wonach eine antizipierte Rechtmäßigkeitskontrolle eines zukünftigen Bebauungsplans im Rahmen der Inzidentkontrolle einer Veränderungssperre nur in einem sehr eingeschränkten Umfang in Betracht kommt, nämlich nur dann, wenn sich das aus dem Aufstellungsbeschluss ersichtliche Planungsziel im Wege planerischer Festsetzung nicht erreichen lässt, wenn der beabsichtigte Bauleitplan einer positiven Planungskonzeption entbehrt, der Förderung von Zielen dient, für deren Verwirklichung die Planungsinstrumente des Baugesetzbuchs nicht bestimmt sind, oder wenn rechtliche Mängel schlechterdings nicht behebbar sind.
13Vgl. dazu nur OVG NRW, Urteil vom 25. Januar 2021 – 2 D 131/20.NE -, juris Rn. 47 ff., m. w. N.; nachfolgend BVerwG, Beschluss vom 26. August 2021 – 4 BN 14.21 -, juris.
14Dass diese – der Funktion einer Veränderungssperre wesensimmanenten – strengen Anforderungen hier nicht erfüllt sind, ergibt sich vielmehr letztlich aus dem Vortrag der Klägerin selbst. Denn (auch) sie meint lediglich, „die Planung begegnet erheblichen Zweifeln an ihrer städtebaulichen Erforderlichkeit.“ (Zulassungsbegründung S. 6). Dies reicht indes für die Unwirksamkeit der Veränderungssperre nach obigen Maßstäben gerade (noch) nicht aus.
15Unbeschadet dessen hat bereits das Verwaltungsgericht zutreffend die in diesem Zusammenhang erfolgten Einwände der Klägerin der Ebene der Abwägung zugeordnet.
16Vgl. zu dieser Verortung im Rahmen der Einzelhandelssteuerung bereits OVG NRW, Urteil vom 14. Oktober 2013 – 2 D 103/12.NE -, BauR 2014, 213 = juris Rn. 67 ff.
17Die antizipierte Rechtmäßigkeitskontrolle einer noch ausstehenden und damit inhaltlich nicht feststehenden Abwägung ist aber regelmäßig – und so auch hier – bei der Überprüfung einer Veränderungssperre nicht statthaft bzw. nicht möglich.
18So ausdrücklich BVerwG, Urteil vom 19. Februar 2004 – 4 CN 16.03 -, BVerwGE 120, 138 = juris Rn. 25; vgl. auch OVG NRW, Urteil vom 25. Januar 2021 – 2 D 131/20.NE -, juris Rn. 50.
19Anhaltspunkte dafür, dass Festsetzungen zur Steuerung des Einzelhandels nicht zuletzt mit Blick auf die von der Beklagten ausdrücklich angesprochenen bestandsschützenden Regelungen für bestehende Einzelhandelsbetriebe in dem bestehenden und avisierten Gewerbegebiet in nicht integrierter Lage hier von vornherein nicht abwägungsgerecht erfolgen könnten, nennt auch die Klägerin nicht.
20Im Gegenteil – und die Ablehnung des Zulassungsantrages selbstständig tragend – beruhen ihre Ausführungen auf einer mindestens verkürzten Erfassung des der Planung zugrunde liegenden Einzelhandelskonzeptes der Beklagten einschließlich seiner anlässlich des Aufstellungsverfahrens zum Bebauungsplan Nr. 190 erfolgten Stellungnahme der GMA vom 24. April 2019 und der daraus von der Beklagten gezogenen Schlussfolgerungen für das Planungsverfahren.
21So weist bereits die Beschlussvorlage St 14/1592 zum Aufstellungsbeschluss des Bebauungsplans vom 29. März 2019 darauf hin, dass die Regelungen zur Steuerung des Einzelhandels nicht zuletzt vor dem Hintergrund des § 1 Abs. 4 BauGB erfolgten. Der Regionalverband S. als zuständige Regionalplanungsbehörde habe darauf hingewiesen, dass künftige Einzelhandelsvorhaben an der T. Straße voraussichtlich den einschlägigen rechtlichen Vorgaben für (großflächige) Einzelhandelsansiedlungen zuwider laufen und in der Folge zu Verstößen gegen Ziele der Raumordnung und Landesplanung führen würden. Schon deshalb kann keine Rede davon sein, der u. a. hierauf abzielenden Planung fehle es an einer hinreichenden planerischen Veranlassung, sie dürfte deshalb bereits nach § 1 Abs. 4 BauGB geboten sein.
22Unabhängig davon folgt die beabsichtigte Planung inhaltlich den Empfehlungen des Einzelhandelskonzeptes und zielt mithin nicht im Widerspruch zu diesen darauf, Betriebe in den zentralen Versorgungsbereich zu lenken, die dort wegen der kleinteiligen Innenstadtstruktur keinen Platz fänden, wie die Klägerin auch im Zulassungsverfahren geltend macht. Abgesehen davon, dass die gutachterlichen Untersuchungen auch eine Zusammenlegung vorhandener (kleinerer) Verkaufsflächen in der Innenstadt nicht für ausgeschlossen halten, wird dort eine Neuansiedlung nahversorgungsrelevanter Einzelhandelsbetriebe an der T. Straße abgelehnt und für die bestehenden Betriebe die planerische Sicherung „gewisser Weiterentwicklungsmöglichkeiten“ im Sinne eine „dynamischen Bestandsschutzes“ empfohlen. Gleiches gilt in der Sache für den zentrenrelevanten Einzelhandel (Gutachten S. 83 f.). Dies greift der Planentwurf mit dem geplanten Einzelhandelsausschluss und seinem Hinweis auf die im jeweiligen Einzelfall zu gewährleistende Sicherung vorhandener Betriebe auf. In Bezug auf die Nahversorgung soll die Einschränkung zudem nicht allein oder vorrangig dem Schutz der Innenstadt, sondern insbesondere des Nahversorgungszentrums „M. Straße“ dienen und flankiert zugleich die weitere Empfehlung, nahversorgungsrelevanten Einzelhandel im Übrigen nurmehr an städtebaulich integrierten Standorten zu entwickeln (S. 88). Dass sich diese Ziele von vornherein mit dem avisierten Bebauungsplan nicht erreichen ließen, lässt sich mithin nicht feststellen.
23Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die individuelle Geltungsdauer der mit Beschluss vom 6. Mai 2021 bis zum 13. Juni 2022 verlängerten Veränderungssperre ihr gegenüber auch nicht deshalb abgelaufen, weil hierauf Zeiten der am 13. Juli 2018 verfügten Zurückstellung anzurechnen wären.
24Das Zulassungsvorbringen lässt nicht darauf schließen, dass der Bebauungsplan Nr. 190 und die 10. Änderung des Bebauungsplans Nr. 18 eine rechtliche Einheit bildeten und deshalb die hier in Rede stehende Veränderungssperre bzw. die ihr zugrunde liegende beabsichtigte Bauleitplanung nicht als „neu“ im Verhältnis zur Zurückstellung bzw. der ihr zugrunde liegenden Änderungsplanungsabsicht angesehen werden könnten. Namentlich ist die Ausgangssituation nicht mit derjenigen vergleichbar, die der von der Klägerin ausführlich zitierten Entscheidung des Senats vom 11. Juli 2017 – 2 D 72/16.NE – zugrunde lag.
25Dies gilt schon deshalb, weil die Klägerin mit dem Bebauungsplan Nr. 190 keine mit den früheren Vorstellungen vergleichbaren, geschweige denn identischen Zielsetzungen verfolgt. In der Rechtsprechung ist geklärt, dass eine selbstständige andere Veränderungssperre dann vorliegt, wenn die Sperranordnungen auf verschiedenen, inhaltlich in keinem Zusammenhang stehenden Planaufstellungsbeschlüssen beruht, sich also auf formell und materiell unterschiedliche Planungen bezieht. Demnach ist zunächst verfahrensmäßig zu fordern, dass ein neuer Aufstellungsbeschluss gefasst und damit ein neues Bebauungsplanverfahren eingeleitet wurde. In materiell-rechtlicher Hinsicht muss die Gemeinde mit der neuen Bauleitplanung eine völlig neue Planungskonzeption verfolgen.
26So BVerwG, Beschluss vom 20. November 2006 – 4 B 50.06 -, BRS 70 Nr. 114 = juris Rn. 14; OVG NRW, Urteil vom 11. Juli 2017 – 2 D 72/16.NE -, juris Rn. 37; OVG Saarl., Urteil vom 11. Januar 1980 - II N 2/79 -, BRS 36 Nr. 109; Stock, in: Ernst/Zinkahn/ Bielenberg/Krautzberger, BauGB - Kommentar, Stand August 2021; § 17 Rn. 58; Runkel, ebd., § 18 Rn. 13; Lemmel, in: Berliner Kommentar zum BauGB, 3. Aufl., Stand April 2022, § 17 Rn. 13; wohl auch OVG NRW, Urteil vom 5. Juni 2000 - 10 A 696/96 -, juris Rn. 85.
27Sie muss demnach zumindest entweder ein völlig neues städtebauliches Ziel verfolgen oder unter Berücksichtigung desselben städtebaulichen Ziels jedenfalls andere und ihrerseits hinreichend gewichtige Festsetzungen in den Blick nehmen.
28Vgl. Sennekamp, in: Brügelmann, BauGB - Kommentar, Stand April 2021, § 17 Rn. 61; ähnlich Schäling, NVwZ 2003, 149, 150 f.
29Dabei ist im Grundsatz davon auszugehen, dass bei einer bloßen Konkretisierung der ursprünglichen Planungsabsichten keine im vorgenannten Sinne „neue“ Planung vorliegt, die durch eine selbstständige neue Veränderungssperre gesichert werden könnte. Um keine neue Planungskonzeption handelt es sich, wenn sich die neue Planung lediglich als ein Vorgang der Konkretisierung, Fortschreibung oder auch Weiterentwicklung der ursprünglichen, nicht durch einen Satzungsbeschluss abgeschlossenen Gestaltungsabsichten darstellt, wie er im Grunde genommen für jedes Verfahren der Bauleitplanung als einer dynamischen, nicht von vornherein auf bestimmte Inhalte festgelegten Tätigkeit mehr oder minder kennzeichnend ist.
30Vgl. OVG NRW, Urteil vom 11. Juli 2017 – 2 D 72/16.NE -, juris Rn. 52, und Beschluss vom 7. Februar 2017 – 2 B 994/16.NE -, NVwZ 2017, 975 = juris Rn. 36 f.; OVG Saarl., Urteil vom 11. Januar 1980 - II N 2/79 -, BRS 36 Nr. 109.
31Insofern stellen sich diese Kriterien als Spiegelbild der grundsätzlich geringen inhaltlichen Anforderungen an die Konkretisierung der Planungsabsichten als Voraussetzung für eine rechtmäßige Veränderungssperre dar.
32Dazu OVG NRW, Urteile vom 11. April 2016 - 2 D 30/15.NE -, juris, und vom 13. Dezember 2016 - 2 D 23/16.NE -.
33Gerade deshalb sind weitreichendere Modifikationen der Planung in diesem weiten Rahmen der durch eine Veränderungssperre gesicherten Planung immanent. In diesen Fällen stets eine neue Planung anzunehmen, überdehnte die Verpflichtung des Eigentümers, planbedingte Nutzungsbeschränkungen seines Grundstücks vorübergehend hinnehmen zu müssen. Deshalb ändert allein der Umstand, dass der ursprüngliche Planentwurf für den von der Veränderungssperre erfassten Teilbereich zwischenzeitlich durch räumliche Veränderungen, insbesondere Verkleinerungen des Gebietszuschnittes, und Änderung einzelner Festsetzungen über das bauliche Nutzungsmaß, die Stellung der Baukörper, die überbaubaren Grundstücksflächen, die Verkehrsflächen usw. nicht unerheblich modifiziert wird, nichts an der Möglichkeit, dass damit die ursprüngliche Planungskonzeption lediglich weitergeführt wird.
34So OVG NRW, Urteil vom 11. Juli 2017 – 2 D 72/16.NE -, juris Rn. 57; OVG Saarl., Urteil vom 11. Januar 1980 - II N 2/79 -, BRS 36 Nr. 109; OVG Lüneburg, Beschluss vom 4. März 2003 - 1 KN 104/02 -, juris Rn. 5; Sennekamp, in: Brügelmann, BauGB - Kommentar, Stand April 2021, § 17 Rn. 60.
35Wann dabei die Modifikationen qualitativ und/oder quantitativ so gewichtig sind, dass sie bei verständiger Würdigung in eine faktische Neuplanung umschlagen, ist einer abstrakten Betrachtung allerdings entzogen und stets nur nach Maßgabe der je besonderen Umstände des Einzelfalles zu entscheiden.
36Vgl. auch OVG NRW, Urteil vom 5. Juni 2000 - 10 A 696/96 -, juris Rn. 81 ff.; Runkel, in: Ernst/Zinkahn/ Bielenberg/Krautzberger, BauGB - Kommentar, Stand August 2021, § 18 Rn. 13.
37Ausgehend hiervon liegt vorliegend aus den schon vom Verwaltungsgericht genannten Gründen eine neue Planung auf der Hand. Mit dem Bebauungsplan Nr. 190 verfolgt die Beklagte ausweislich der Begründung des Aufstellungsbeschlusses primär das Ziel, das tatsächlich zusammenhängende, aber durch eine Vielzahl unterschiedlicher und zeitlich auseinanderfallender Bebauungspläne überplante „Gewerbegebiet Y. “ neu zu ordnen und einheitlich zu strukturieren, nicht zuletzt um dessen tatsächliche Ausnutzbarkeit für das produzierende Gewerbe zu verbessern. Dies geschieht vor dem Hintergrund der schon wegen der jeweils zu beachtenden unterschiedlichen Fassungen der Baunutzungsverordnung bestehenden Rechtszersplitterung gerade mit Blick darauf, dass der gewerblichen Entwicklung Y1. durch übergeordnete Planungen enge Grenzen gesetzt sind. Insbesondere weist die Begründung darauf hin, dass die Ausweisung neuer Gewerbeflächen nur in geringem Umfang und nur unter Beachtung von Restriktionen wegen eines in dieser Fläche liegenden Denkmals („Haus F. “) möglich ist. Ein auch nur im Ansatz vergleichbares Anliegen war mit dem Aufstellungsbeschluss zur 10. Änderung des Bebauungsplans ersichtlich nicht verbunden, im Hinblick auf das Neuordnungsanliegen sogar objektiv ausgeschlossen.
38Mit der Neufokussierung der Planung unmittelbar verbunden ist auch die bereits vom Verwaltungsgericht herausgestellte grundlegende Änderung hinsichtlich der vorgesehenen Einzelhandelssteuerung gerade für den von der Veränderungssperre erfassten Bereich an der T. Straße. Dass die Beklagte hier weiterhin Regelungen zum Einzelhandel treffen will, reicht, anders als es die Klägerin offenbar meint, für die Annahme einer nur fortgesetzten Planung ebenso wenig aus wie die Tatsache, dass in diesem Rahmen bestimmte Regelungsabsichten bestehen bleiben. Entscheidend ist vielmehr, dass die Beklagte mit der 10. Änderung das Gebiet an der T. Straße ausdrücklich zu einem „Sonderstandort“ entwickeln wollte, der primär (Hervorhebung nur hier) zu einem Standort für großflächige Einzelhandelsbetriebe mit nicht zentren- und nicht nahversorgungsrelevantem Hauptsortiment und ergänzend als Standort für kleinflächige Einzelhandelsbetriebe mit diesem Hauptsortiment ausgebaut werden sollte (weitere Hervorhebungen auch im Original). Geplant war mithin erkennbar eine aktive und positive Begleitung einer solchen Entwicklung. Warum dies entgegen der ausdrücklichen Hervorhebung in der Sitzungsvorlage eigentlich nicht vorrangiges Planungsziel der Beklagten gewesen sein sollte, sondern tatsächlich allein der Ausschluss zentren- und nahversorgungsrelevanten Einzelhandels die Änderungsplanung motiviert haben soll, wie die Klägerin geltend macht, erschließt sich vor diesem Hintergrund nicht, zumal die Planung – soweit ersichtlich – mit keinem konkreten Bauantrag, insbesondere aus dem Bereich des zentren- und/oder nahversorgungsrelevanten Segment, in Verbindung stand und auch nicht mit einer Veränderungssperre verknüpft wurde. Vielmehr wollte die Beklagte ersichtlich den Empfehlungen des Einzelhandelskonzepts folgen und das Gebiet zu einem Sonderstandort für - gerade auch großflächigen - Einzelhandel aufwerten.
39Demgegenüber ist von einer solchen Entwicklungsabsicht im Aufstellungsbeschluss zum Bebauungsplan Nr. 190 nicht mehr die Rede. Vorgenannte Betriebe sollen lediglich weiterhin zulässig sein, indes mit der wesentlichen – und neuen – Einschränkung, dass sie nicht dem § 11 Abs. 3 BauNVO unterfallen, was jedenfalls bei der Mehrzahl der Bestandsbetriebe nicht auf der Hand liegt. Dies entspricht wiederum dem primären Anliegen des Bebauungsplans, die beschränkten Gewerbeflächen nach Möglichkeit dem produzierenden Gewerbe vorzubehalten bzw. eine solche Nutzung zukünftig perspektivisch wieder zu eröffnen.
40Dieses in sich schlüssige Plankonzept bedingt zugleich die erhebliche Vergrößerung des Plangebiets, die sich mithin organisch aus den Planungsabsichten ergibt und nicht gewissermaßen als „Vorwand“ für einen neuen Aufstellungsbeschluss fungiert. Das manifestiert sich zugleich in dem Anliegen, das gesamte Plangebiet als – gegliedertes – Gewerbegebiet festzusetzen, also nicht unterschiedliche Baugebiete mehr oder minder willkürlich in einen Bebauungsplan zusammenzufassen. Auch dies unterscheidet den vorliegenden Sachverhalt von demjenigen, der der von der Klägerin herangezogenen Senatsentscheidung zugrundelag.
41Vgl. dazu OVG NRW, Urteil vom 11. Juli 2017 – 2 D 72/16.NE -, juris Rn. 82.
42Schon aus diesem Grund verbietet es sich hier auch, die einheitlichen Planungsanliegen aufzuspalten und eine grundstücksbezogene Betrachtung vorzunehmen und danach zu einer differenzierten Betrachtung der Frage zu kommen, ob eine neue Planung vorliegt, wie es der Klägerin offenbar vorschwebt. Vielmehr bestätigt der zu den Planungszielen kongruente Planungsraum, dass hier eine auf das gesamte Plangebiet einheitlich zu beziehende neue Planungsabsicht in Rede steht.
43Ob schließlich bei der Beantwortung der Frage, ob eine neue Veränderungssperre oder eine erneuerte Veränderungssperre anzunehmen ist, auch dem Zeitmoment ausschlaggebende Bedeutung in dem Sinne zukommt, dass zwischen den Veränderungssperren bzw. Aufstellungsbeschlüssen ein hinreichender zeitlicher Abstand bestehen muss,
44vgl. zum Streitstand ausführlich OVG NRW, Urteil vom 11. Juli 2017 – 2 D 72/16.NE -, juris Rn. 61 ff., mit zahlreichen weiteren Nachweisen,
45mag hier dahinstehen. Allerdings wird es regelmäßig so sein, dass je enger der zeitliche Zusammenhang zwischen den in Rede stehenden Beschlüssen ist, desto eher eine Kontinuität der Planungsabsichten angenommen werden kann und sich deshalb die „neue“ Planung von der alten inhaltlich umso klarer absetzen muss, damit eine tatsächlich vollständig neue Planungskonzeption konstatiert werden kann.
46Umgekehrt gilt, dass je länger der veränderungssperrenlose Zeitraum angedauert hat, desto eher eine Eigenständigkeit einer am Ende dieses Zeitraums beschlossenen Veränderungssperre anzunehmen sein wird.
47Stock, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB - Kommentar, Stand August 2021, § 17 Rn. 58.
48Selbst übertragen auf den hier in Rede stehenden Fall einer Zurückstellung ist zu konstatieren, dass der ursprüngliche Beschluss zur 10. Änderung des Bebauungsplans Nr. 18 bereits im Jahre 2005 und am 25. September 2014 erneut gefasst wurde, während der Aufstellungsbeschluss zum Bebauungsplan Nr. 190 vom 21. Mai 2019 datiert. In den jedenfalls anzusetzenden mehr als viereinhalb Jahren, die zwischen diesen Beschlüssen liegen, existierte auch keine Veränderungssperre für das Grundstück der Klägerin.
492. Vor diesem Hintergrund weist die Rechtssache auch keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten (Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) auf. Die Begründung des Zulassungsantrages enthält insoweit über die vorstehend behandelten Aspekte – fehlende städtebauliche Erforderlichkeit des Bebauungsplans und Verhältnis der Planungen zueinander - hinaus keine weitergehenden Überlegungen.
50Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
51Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 GKG und folgt – auch in der Begründung – der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung.
52Der Beschluss ist unanfechtbar, § 152 Abs. 1 VwGO. Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags ist das angegriffene Urteil rechtskräftig, § 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO.
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
- BauNVO § 11 Sonstige Sondergebiete 1x
- VwGO § 124 4x
- 1 KN 104/02 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 152 1x
- VwGO § 154 1x
- § 1 Abs. 4 BauGB 2x (nicht zugeordnet)
- §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 GKG 3x (nicht zugeordnet)
- II N 2/79 3x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 124a 2x
- § 34 Abs. 3 BauGB 1x (nicht zugeordnet)
- 2 B 994/16 1x (nicht zugeordnet)
- 2 D 72/16 6x (nicht zugeordnet)
- 2 D 131/20 2x (nicht zugeordnet)
- 2 D 30/15 1x (nicht zugeordnet)
- BauNVO § 1 Allgemeine Vorschriften für Bauflächen und Baugebiete 1x
- 2 D 103/12 1x (nicht zugeordnet)
- 10 A 696/96 2x (nicht zugeordnet)
- BauNVO § 8 Gewerbegebiete 2x
- 2 D 23/16 1x (nicht zugeordnet)