Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 9 B 805/22
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500 Euro festgesetzt.
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G r ü n d e :
2Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.
3Das Verwaltungsgericht hat den Antrag,
4die aufschiebende Wirkung der Klage 16 K 1644/22 gegen die Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 28. März 2022 wiederherzustellen,
5mit der Begründung abgelehnt, die Aufhebung des Einweisungsbescheids vom 21. Oktober 2016, mit dem der Antragsteller in die städtische Obdachlosenunterkunft S.---------straße 15 eingewiesen worden ist, und die nunmehrige Einweisung des Antragstellers in die städtische Obdachlosenunterkunft C. 27 durch die Ordnungsverfügung vom 28. März 2022 seien offensichtlich rechtmäßig und es bestehe ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung dieser Anordnungen. Nach § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwVfG NRW i. V. m. § 2 Abs. 5 erster Spiegelstrich der Satzung über die Unterhaltung und Nutzung der Übergangsheime der Stadt T. vom 26. September 2013 einschließlich des VI. Nachtrages vom 10. Dezember 2021 sei der Widerruf der Einweisungsverfügung zulässig, wenn aus organisatorischen Gründen eine Umsetzung in ein anderes Übergangsheim erforderlich sei. Solche Gründe, die eine Umsetzung des Antragstellers erforderten, lägen hier nach den Darlegungen der Antragsgegnerin vor. In Anbetracht eines aktuell deutlich erhöhten Bedarfs der Antragsgegnerin an Unterbringungsmöglichkeiten für Obdachlose aufgrund zunehmender Räumungsklagen und des Zuzugs von Flüchtlingen aus der Ukraine sei es nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin die Unterkunft S.---------straße 15 nunmehr nur noch für bestimmte, besonders schutzwürdige Personengruppen nutzen und alleinstehende (arbeitsfähige) Männer bis zu einem gewissen Alter - wie den Antragsteller - grundsätzlich der Unterkunft C. 27 zuweisen wolle. Ermessensfehler seien nicht erkennbar. Die vom Antragsteller geltend gemachten persönlichen Interessen an einem Verbleib in der Unterkunft S.---------straße 15 dürften zwar subjektiv von einigem Gewicht sein. Sie vermöchten die von der Antragsgegnerin angeführten erheblichen Gründe, die im öffentlichen Interessen für die ausgesprochene Neueinweisung des Antragstellers im Zuge einer organisatorischen Neugestaltung der Unterbringung von Obdachlosen im Stadtgebiet der Antragsgegnerin stritten, aber nicht zu überwiegen. Dies gelte insbesondere auch mit Blick darauf, dass die Zuweisung einer vorläufigen Unterkunft zur Vermeidung von Obdachlosigkeit kein auf Dauer angelegter Behelf sei.
6Aus dem Beschwerdevorbringen, mit dem im Wesentlichen das erstinstanzliche Vorbringen wiederholt wird, ergibt sich nicht, dass das Verwaltungsgericht zu Unrecht von der offensichtlichen Rechtmäßigkeit der Ordnungsverfügung ausgegangen ist.
7Der Antragsteller zeigt nicht auf, dass entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts die Voraussetzungen für einen Widerruf der ursprünglichen Einweisungsverfügung nach § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwVfG NRW i. V. m. § 2 Abs. 5 Satz 1 erster Spiegelstrich der Satzung über die Unterhaltung und Nutzung der Übergangsheime der Antragsgegnerin in der hier maßgeblichen Fassung nicht vorliegen. Die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, die von der Antragsgegnerin im erstinstanzlichen Verfahren angeführte organisatorische Neugestaltung der Unterbringung von Obdachlosen im Stadtgebiet erfülle die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 2 Abs. 5 Satz 1 erster Spiegelstrich der Satzung, wird mit dem Beschwerdevorbringen nicht durchgreifend in Frage gestellt. Entgegen der Annahme des Antragstellers hält der Senat die geänderte Zuweisungsstrategie für nachvollziehbar sowie plausibel begründet und die Substantiierung mit konkretem Zahlenmaterial angesichts dessen nicht für geboten. Im Übrigen hat die Antragsgegnerin im Beschwerdeverfahren weiter dazu vorgetragen, wie sich die Wohnungsknappheit darstellt. Soweit der Antragsteller ‑ auch in Bezug auf den Gesichtspunkt der organisatorischen Neugestaltung ‑ rügt, die Behörde habe „ein Potpourri von Argumenten nachgereicht“, ist darauf hinzuweisen, dass die Behörde grundsätzlich auch im gerichtlichen Verfahren weitere Erwägungen im Hinblick auf die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Vorschrift anstellen kann, und das Gericht vollumfänglich prüft, ob die Voraussetzungen einer Rechtsgrundlage erfüllt sind. Die Beschwerde legt auch nicht dar, dass insoweit in unzulässiger Weise Ermessenserwägungen nachgeschoben oder ausgetauscht worden wären.
8Soweit der Antragsteller kritisiert, die Antragsgegnerin könne sich nicht auf die Notwendigkeit von Sanierungsarbeiten berufen, wird dadurch der angefochtene Beschluss schon deshalb nicht in Frage gestellt, weil das Verwaltungsgericht auf diesen Gesichtspunkt nicht abgestellt hat. Auf die weiter angeführten Zahlungsrückstände hat die Antragsgegnerin ihre Umsetzungsentscheidung schon nicht gestützt und das Verwaltungsgericht ebenfalls nicht abgestellt.
9Aus dem Beschwerdevorbringen ergibt sich auch nicht, dass entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts der Widerruf der ursprünglichen Einweisungsverfügung und die Umsetzung in die Unterkunft C. 27 ermessensfehlerhaft sind.
10Das Verwaltungsgericht hat zu Recht darauf hingewiesen, dass der Unterbringungsanspruch eines Obdachlosen nach § 14 Abs. 1 OBG NRW grundsätzlich auf die Unterbringung in einer menschenwürdigen Unterkunft gerichtet ist, die Schutz vor den Unbilden der Witterung bietet sowie Raum für die notwendigsten Lebensbedürfnisse lässt. Dabei müssen Obdachlose im Verhältnis zur Versorgung mit einer Wohnung weitgehende Einschränkungen hinnehmen. Insbesondere ist Einzelpersonen grundsätzlich auch eine Unterbringung in Sammelunterkünften mit Schlaf- und Tagesräumen für mehrere Personen zumutbar. Nur in Ausnahmefällen kann bei Vorliegen besonderer Einzelfallumstände ein Anspruch auf Versorgung mit einem Raum, der dem Betreffenden für sich allein zur Verfügung steht, bestehen. Die Grenze zumutbarer Einschränkungen liegt allerdings dort, wo die Anforderungen an eine menschenwürdige Unterbringung nicht eingehalten sind.
11Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 4. März 1992 - 9 B 3839/91 -, NWVBl. 1992, 258, juris Rn. 7 f., vom 3. Februar 2016 - 9 E 73/16 -, juris Rn. 13 f., vom 17. Februar 2017 - 9 B 209/17 -, juris Rn. 6, und vom 6. März 2020 - 9 B 187/20 -, juris Rn. 9.
12Dass die Unterbringung in der Unterkunft C. 27 - wie vom Antragsteller behauptet - nicht menschenwürdig wäre, ergibt sich aus dem Beschwerdevorbringen nicht. Wie ausgeführt, ist Einzelpersonen auch eine Unterbringung in Sammelunterkünften zumutbar. Abgesehen davon hat die Antragsgegnerin vorgetragen, dass derzeit dort nur sieben Personen leben. Warum der Antragsteller in der Unterkunft trotzdem keinen Schlaf und keine Ruhe finden könnte, legt er auch mit der Beschwerde nicht dar, sondern wiederholt insoweit nur das erstinstanzliche, vom Verwaltungsgericht zutreffend als spekulativ bezeichnete Vorbringen. Bei einer Unterbringung zur Vermeidung von Obdachlosigkeit, die grundsätzlich nur vorübergehend gedacht ist, kann auch keine Rolle spielen, dass die bisherige Unterkunft der aktuelle Lebensmittelpunkt des Antragstellers ist. Die Unterbringung in der S.---------straße 15 ist, anders als offenbar vom Antragsteller angenommen, keine Versorgung mit einer dauerhaften Wohnung, sondern dient allein der Beseitigung der Obdachlosigkeit. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass er keinen Anspruch auf den dauerhaften Fortbestand des bisherigen Unterkunftsstandards hat. Ferner ergibt sich aus der Beschwerdeerwiderung, dass für die vom Antragsteller geltend gemachte Diskriminierung bei der Auswahl derjenigen Personen, die der Unterkunft C. 27 zugewiesen worden sind bzw. werden sollen, jeder Anhalt fehlt.
13Warum dem Antragsteller die Ausübung seiner Tätigkeit als Zeitungszusteller nach der Umsetzung nicht mehr möglich wäre, legt er auch mit der Beschwerde nicht dar. Das Verwaltungsgericht hat hinsichtlich der Erreichbarkeit darauf verwiesen, dass es ihm ohne weiteres zumutbar sei, beispielsweise mit dem Fahrrad zu seiner Arbeitsstelle zu fahren statt wie bislang zu Fuß dorthin zu gehen. Dazu verhält sich das Beschwerdevorbringen nicht.
14Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
15Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 und 2 GKG.
16Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO; §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
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Referenzen
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- VwGO § 154 1x
- VwGO § 152 1x
- §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 und 2 GKG 3x (nicht zugeordnet)
- 9 B 187/20 1x (nicht zugeordnet)
- 9 E 73/16 1x (nicht zugeordnet)
- §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG 2x (nicht zugeordnet)
- 9 B 3839/91 1x (nicht zugeordnet)
- VwVfG § 49 Widerruf eines rechtmäßigen Verwaltungsaktes 2x
- 9 B 209/17 1x (nicht zugeordnet)