Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (2. Senat) - 2 D 10709/13

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 20. Juni 2013 wird aufgehoben. Dem Kläger wird für das Verfahren im ersten Rechtszug unter Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. Sch.-W. ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt.

Gründe

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Die zulässige Beschwerde hat Erfolg.

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Das Verwaltungsgericht hat den Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu Unrecht abgelehnt.

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Gemäß § 166 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – in Verbindung mit § 114 Zivilprozessordnung – ZPO – erhält eine Partei auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn sie nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann und die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichend Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

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Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Insbesondere hatte die Klage im maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligungsreife am 23. Mai 2013 hinreichend Aussicht auf Erfolg. Prozessual maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der hinreichenden Erfolgsaussicht der Klage ist der Zeitpunkt der Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfeantrags, also der Zeitpunkt, zu dem das Prozesskostenhilfegesuch einschließlich der Erklärungen über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vollständig vorliegt (OVG RP, Beschluss vom 13. Dezember 1990 – 2 E 12010/90 –, NVwZ 1991, 595; BVerwG, Beschluss vom 23. Juli 2003 – 1 B 386/02 –, NVwZ 2004, 111; BVerfG, Kammerbeschluss vom 14. Juni 2006 – 2 BvR 626/06 u.a. –, NVwZ 2006, 1156; OVG NRW, Beschluss vom 17. März 2010 – 5 E 1700/09 –, NVwZ-RR 2010, 742; BayVGH, Beschluss vom 13. September 2006 –, BeckRS 2009, 40950; wohl auch OVG RP, Beschluss vom 27. Januar 1993 – 12 A 10776/91 –, NVwZ-RR 1994, 123 [124]; aA OVG RP, Beschluss vom 12. Januar 1990 – 11 E 70/89 –, NVwZ-RR 1990, 384: Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung). Maßgeblich hierfür ist die Überlegung, dass der allgemeine Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz – GG – in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 1 GG, dem Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 GG und dem Anspruch auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG eine weitgehende Angleichung der Rechtsschutzmöglichkeiten von Bemittelten und Unbemittelten gebieten. Der Unbemittelte muss einem solchen Bemittelten gleichgestellt werden, der seine Aussichten vernünftig abwägt und dabei auch sein Kostenrisiko berücksichtigt (BVerfG, Beschluss vom 14. Oktober 2008 – 1 BvR 2310/06 –, BVerfGE 122, 39 [48 f.] m.w.N.). Die Anforderungen an die Erfolgsaussichten dürfen daher nicht überspannt werden (BVerfG, Kammerbeschluss vom 21. März 2013 – 1 BvR 68/12, 1 BvR 965/12 – NJW 2013, 2013 [2014]).

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Nach diesen Maßstäben ist von einer hinreichenden Erfolgsaussicht der Klage auszugehen. Diese war bei sachgerechter Würdigung des Begehrens des Klägers (§ 88 VwGO) dahingehend zu verstehen, dass der Kläger gemäß § 43 Abs. 1, 1. Alt., 1. Var. VwGO die Feststellung begehrte, dass er einen Anspruch auf Beschulung durch die Schule am B. hatte. Für die so verstandene Feststellungsklage bestand im maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfeantrags ein Rechtsschutzbedürfnis, denn es lag eine Konstellation vor, die einer „faktischen Vollziehung“ eines Schulausschlusses gleichkam (vgl. auch für einen zulässigen Feststellungsantrag entsprechend § 43 Abs. 1, 1. Alt., 2. Var. VwGO bei unwirksamer Bekanntgabe eines Verwaltungsakts BayVGH, Urteil vom 24. November 2011 – 20 B 11.1659 –, NVwZ-RR 2013, 169 m.w.N.; s. auch zur faktischen Vollziehung des unwirksamen Verwaltungsakts VG Augsburg, Beschluss vom 16. November 2007 – Au 4 S 07.1206 –, juris).

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Der Zulässigkeit der Feststellungsklage stand auch ihre Subsidiarität gemäß § 43 Abs. 2 VwGO nicht entgegen. Keine der vorrangigen Klagearten kam ernsthaft in Betracht. Insbesondere entsprach eine auf Ausschluss von der Schule gerichtete Verpflichtungsklage nicht dem eigentlichen Begehren des Klägers. Dass parallel zum faktischen Schulausschluss ein förmliches Schulausschlussverfahren betrieben wurde, ist daher für die Zulässigkeit der Feststellungsklage bezüglich des faktischen Schulausschlusses insoweit ohne Belang.

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Dies zugrunde gelegt war die Feststellungsklage im maßgeblichen Zeitpunkt als voraussichtlich zulässig und begründet anzusehen. Mangels Bekanntgabe in der vorgeschriebenen Form (vgl. § 81 Abs. 6 SoSchulO und § 81 Abs. 8 Satz 3 in Verbindung mit Abs. 6 SoSchulO) waren weder der dauerhafte noch der vorläufige Schulausschluss wirksam (vgl. § 1 Abs. 1 LVwVfG in Verbindung mit § 43 Abs. 1 VwVfG). Gleichwohl wurde der Schulausschluss faktisch vollzogen, denn der Kläger besuchte trotz bestehender Schulpflicht (vgl. § 7 SchulG) seit dem 12. Dezember 2012 nicht mehr die Schule.

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Das ergibt sich nicht nur aus dem insoweit übereinstimmenden Beteiligtenvorbringen, sondern auch aus dem Halbjahreszeugnis des Klägers für das Schuljahr 2012/2013 vom 25. Januar 2013. Dort wird unter dem Feld „Bemerkungen“ ausgeführt, sein Verhalten habe sich im Laufe des vergangenen Schuljahres dramatisch verschlechtert. Er stelle eine Gefahr für seine eigene Sicherheit sowie für die Sicherheit seiner Mitschüler dar. Deshalb besuche er seit dem 12. Dezember 2012 nicht mehr die Schule. Darüber hinaus ist in dem Zeugnis vermerkt, dass der Kläger im betreffenden Halbjahr 5 Tage entschuldigt und 0 Tage unentschuldigt gefehlt habe. Der Beklagte war jedoch nicht nur verpflichtet, die Wahrnehmung der Schulpflicht zu ermöglichen, sondern diese auch durchzusetzen (vgl. §§ 65, 66 SchulG). Dieser Verpflichtung war er offenkundig im maßgeblichen Zeitpunkt seit geraumer Zeit nicht nachgekommen.

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Dass der Beklagte im Rahmen des Eilverfahrens (7 L 567/13) mit Datum vom 4. Juni 2013 eine Erklärung abgegeben hat, nach welcher der Kläger das Recht habe, die Schule zu besuchen, widerspricht nicht dessen ursprünglich bestehendem Rechtsschutzbedürfnis, sondern belegt dieses gerade.

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Nach alledem hätte das Verwaltungsgericht nach Eingang der vollständigen Unterlagen Prozesskostenhilfe bewilligen müssen. Daran vermag auch die im Nachgang zu dem hier angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts erfolgte Beendigung des Rechtsstreits infolge der übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Beteiligten nichts zu ändern. Da die unanfechtbare Kostenentscheidung des Verwaltungsgerichts fehlerhaft zulasten des Klägers erging, hätte dieser andernfalls zu Unrecht die gesamten Verfahrenskosten zu tragen (vgl. auch zur rückwirkenden Bewilligung von Prozesskostenhilfe BVerwG, Beschluss vom 3. März 1998 – 1 PKH 3.98, 1 C 34.97 –, BeckRS 1998, 30433571 m.w.N.).

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