Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (8. Senat) - 8 B 10791/13


Tenor

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 12. Juli 2013 wird abgeändert und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die Untersagungsverfügung der Antragsgegnerin vom 18. April 2013 wiederhergestellt.

Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes für das Beschwerdeverfahren wird auf 10.000,00 € festgesetzt.

Gründe

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Die zulässige Beschwerde hat Erfolg.

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Die in der Beschwerde dargelegten Gründe, auf deren Prüfung sich der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, rechtfertigen eine Abänderung der Entscheidung des Verwaltungsgerichts. Bei der im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmenden Interessenabwägung tritt das öffentliche Interesse an einem sofortigen Vollzug der Untersagungsverfügung der Antragsgegnerin vom 18. April 2013 hinter dem Interesse der Antragstellerin, von einer Vollziehung vorläufig verschont zu bleiben, zurück.

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Das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin überwiegt nicht bereits deshalb, weil sich die von ihr verfügte Untersagung einer gewerblichen Alttextilien- und Altschuhsammlung als offensichtlich rechtmäßig erwiese und damit der erhobene Rechtsbehelf offenkundig erfolglos bleiben müsste. Andererseits kann die Verfügung bei der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung auch nicht als offensichtlich rechtswidrig angesehen werden. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen sind.

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Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verfügung ergeben sich bereits im Hinblick auf die sachliche Zuständigkeit der Antragsgegnerin. Maßgeblich für die Bestimmung der Zuständigkeit ist § 27 Abs. 2 Satz 4 Landesabfallwirtschaftsgesetz - LAbfWG -. Nach dieser Bestimmung ist für Anordnungen zur Erfüllung der Überlassungspflicht nach § 13 Abs. 1 KrW-/AbfG die Verwaltung des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers zuständig. Diese Bestimmung ist entsprechend anzuwenden auf Anordnungen, die die Überlassungspflicht für Abfälle nach der Neuregelung des § 17 KrWG betreffen. Soweit in diesem Zusammenhang Anordnungen nach § 18 Abs. 5 KrWG gegen Personen erlassen werden sollen, die gewerbliche Sammlungen durchführen oder durchführen wollen, stellt sich allerdings die Frage, inwieweit die Zuständigkeit einer Behörde begründet werden kann, die demselben Rechtsträger angehört wie der öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger. Ein sich hieraus ergebender Interessenkonflikt könnte mit der Neutralitätspflicht der Behörde nach den Vorgaben des EU-Wettbewerbsrechts kollidieren (vgl. BT-Drs. 17/6052, S. 88; Beckmann, in: Landmann/Rohmer, UmwR, 68. EL, Februar 2013, § 18 KrWG, Rn. 10, EuGH, Urteil vom 1. Juli 2008 - C-49/07 - Motoe - Rn. 53). Im Falle der Antragsgegnerin bedarf es daher der Nachprüfung im Hauptsacheverfahren, ob die innerorganisatorische Zuständigkeitsverteilung den Anforderungen der Neutralitätspflicht in hinreichender Weise genügt (vgl. hierzu: VGH BW, Beschluss vom 9. September 2013 - 10 S 1116/13 -, juris, Rn. 23).

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Auch in materieller Hinsicht erweist sich die Verfügung nicht als offensichtlich rechtmäßig.

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Nach § 18 Abs. 5 Satz 2 KrWG hat die zuständige Behörde die Durchführung der angezeigten gewerblichen Sammlung zu untersagen, wenn Tatsachen bekannt sind, aus denen sich Bedenken gegen die Zuverlässigkeit des Anzeigenden oder der für die Leitung und Beaufsichtigung der Sammlung verantwortlichen Personen ergeben, oder wenn die Einhaltung der in § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 oder 4 KrWG genannten Voraussetzungen anders nicht zu gewährleisten ist. Nach § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 KrWG besteht die Überlassungspflicht nicht für Abfälle, die durch gewerbliche Sammlung einer ordnungsgemäßen oder schadlosen Verwertung zugeführt werden, soweit überwiegende öffentliche Interessen dieser Sammlung nicht entgegenstehen. § 17 Abs. 3 Satz 1 KrWG bestimmt, dass überwiegende öffentliche Interessen nach Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 einer gewerblichen Sammlung dann entgegenstehen, wenn sie in ihrer konkreten Ausgestaltung, auch im Zusammenwirken mit anderen Sammlungen, die Funktionsfähigkeit des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers, des von diesem beauftragten Dritten oder des aufgrund einer Rechtsverordnung nach § 25 KrWG eingerichteten Rücknahmesystems gefährdet. Eine Gefährdung der Funktionsfähigkeit des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers ist insoweit anzunehmen, wenn die Erfüllung seiner Pflichten zu wirtschaftlich ausgewogenen Bedingungen verhindert oder die Planungssicherheit und Organisationsverantwortung wesentlich beeinträchtigt wird (§ 17 Abs. 3 Satz 2 KrWG). Eine wesentliche Beeinträchtigung der Planungssicherheit und Organisationsverantwortung des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers ist dabei wiederum anzunehmen, wenn durch die gewerbliche Sammlung Abfälle erfasst werden, für die öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger oder der von diesem beauftragte Dritte eine haushaltsnahe oder sonstige hochwertige getrennte Erfassung und Verwertung der Abfälle durchführt (§ 17 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 KrWG) oder die Stabilität der Gebühren gefährdet wird (§ 17 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 KrWG).

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Die Untersagungsverfügung erweist sich nicht insoweit als offensichtlich rechtmäßig, als sie auf Gefahren für die Funktionsfähigkeit des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers gestützt ist. Im Falle der Antragsgegnerin kann derzeit nicht abschließend festgestellt werden, dass ihre Planungssicherheit und Organisationsverantwortung als öffentlich-rechtlicher Entsorgungsträger durch die Sammlung der Antragstellerin wesentlich beeinträchtigt wird. Insoweit fehlt es an einer schlüssigen Konkretisierung, dass sie eine haushaltsnahe oder sonstige hochwertige getrennte Erfassung und Verwertung von Abfällen durchführt. Sie hat insbesondere nicht ausgeführt, in welcher Weise die von ihr eingesammelten Alttextilien verwertet werden. Bei der Beurteilung, ob eine entsprechend hochwertige Tätigkeit des Entsorgungsträgers vorliegt, sind Qualität und Effizienz, Sortenreinheit und Servicefreundlichkeit des Erfassungssystems sowie die Hochwertigkeit und Ressourceneffizienz der anschließenden Verwertung von Bedeutung (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 17/6052, S. 88). Hinzu kommt, dass auch bei Vorliegen einer hochwertigen Erfassung und Verwertung von Abfällen immer berücksichtigt werden muss, dass eine wesentliche Beeinträchtigung von Planungssicherheit und Organisationsverantwortung des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers vorliegen muss (vgl. Beckmann, a.a.O., § 17 KrWG, Rn. 128; VGH BW, Beschluss vom 9. September 2013 - 10 S 1116/13 -, juris, Rn. 37 ff.). Für eine wesentliche Beeinträchtigung ist nicht ausreichend, dass dem öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger lediglich geringfügige Abfallmengen entzogen werden. Insoweit fehlt es aber bislang auch an einer Prognose, in welcher Weise es durch die Gesamtheit der gewerblichen Sammlungen zu einer Beeinträchtigung des vom öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger organisierten Systems kommt. Ebenso fehlt es an einer Konkretisierung, dass durch die gewerbliche Sammlung der Antragstellerin die Stabilität der Gebühren gefährdet wird. Eine hierfür erforderliche wesentliche Veränderung der Abfallgebühren tritt nicht bereits dann ein, wenn wie bei jeder gewerblichen Sammlung der hierbei erzielte Erlös nicht mehr in die Gebührenkalkulation des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers einbezogen werden kann (vgl. Beckmann, a.a.O., § 17 KrWG, Rn. 132 f.; OVG NRW, Beschluss vom 19. Juli 2013 - 20 B 122/13 -, juris, Rn. 8, VGH BW, Beschluss vom 9. September 2013 - 10 S 1116/13 -, juris, Rn. 33). Ob die genannten Voraussetzungen erfüllt sind, bedarf der abschließenden Klärung im Hauptsacheverfahren, wobei für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblich auf den Zeitpunkt des Widerspruchsbescheides als letzter behördlicher Entscheidung abzustellen sein wird.

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Die Untersagungsverfügung erweist sich aber auch nicht deshalb als offensichtlich rechtmäßig, weil die Einhaltung der weiteren in § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 KrWG für eine Ausnahme von der Überlassungspflicht vorgesehenen Voraussetzung, wonach die von der gewerblichen Sammlung erfassten Abfälle einer ordnungsgemäßen und schadlosen Verwertung zugeführt werden müssen, erkennbar nicht gewährleistet ist. Im Gegensatz zu dem Antragsteller im vom Senat mit Beschluss vom 4. Juli 2013 entschiedenen Verfahren 8 B 10533/13.OVG hat die Antragstellerin Unterlagen vorgelegt, die zumindest ansatzweise die vorgesehenen Verwertungswege, die Sicherung der Kapazitäten sowie eine Darlegung erkennen lassen, wie die ordnungsgemäße und schadlose Verwertung gewährleistet wird (§ 18 Abs. 2 Nrn. 4 und 5 KrWG). So hat sie Bescheinigungen ihrer Abnehmer in Polen und Spanien vorgelegt, aus denen sich ergibt, dass ein Mehrfaches (6.400 t) der im Stadtgebiet der Antragsgegnerin von ihr voraussichtlich eingesammelten Altkleidermenge (144 t) von ihnen übernommen wird. Für die Entsorgung von Fehlwürfen hat sie die Müllheizkraftwerk K. GmbH benannt. Zudem hat sie hinsichtlich des spanischen Abnehmers die für die Verbringung von Abfällen nach Art. 18 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1013/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2006 erforderliche vertragliche Vereinbarung vorgelegt. Hiernach kann zwar noch nicht festgestellt werden, dass die Antragstellerin ihrer Darlegungspflicht nach § 18 Abs. 2 KrWG vollständig nachgekommen ist. Die verbliebenen Unklarheiten der Anzeige rechtfertigen aber - auch vor dem Hintergrund der in § 18 Abs. 5 Satz 1 KrWG vorgesehenen Möglichkeit der Anordnung einer Befristung, von Bedingungen oder Auflagen - nicht offensichtlich die Untersagung der angezeigten Sammlung nach § 18 Abs. 5 Satz 2 KrWG. Anhaltspunkte dafür, dass wegen sonstiger Umstände die Verwertung der Abfälle nicht in ordnungsgemäßer und schadloser Weise im Sinne von § 7 Abs. 3 KrWG und der dort genannten Kriterien erfolgte, sind weder aus den Darlegungen der Antragsgegnerin noch aus dem sonstigen Akteninhalt ersichtlich.

9

Können nach alledem die Erfolgsaussichten in der Hauptsache nicht offensichtlich eingeschätzt werden, so kommt der Senat bei der nunmehr erforderlichen Interessenabwägung zu dem Ergebnis, dass das Interesse der Antragstellerin an der Fortführung ihrer gewerblichen Sammlung das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin überwiegt. Zugunsten der Antragstellerin ist insoweit zu berücksichtigen, dass sie in erheblichem Umfang in ihren Rechten beeinträchtigt wird, wenn sich die angefochtene Verfügung im Hauptsacheverfahren als rechtmäßig erweisen sollte. Neben den hiermit verbundenen wirtschaftlichen Nachteilen wird sie jedenfalls in ihrer Berufsausübungsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Juni 2009 - 7 C 16.08 -, BVerwGE 134, 154 und juris, Rn. 36) betroffen. Demgegenüber kann für den Fall der Erfolglosigkeit des Rechtsbehelfs derzeit noch nicht abgeschätzt werden, ob und inwieweit die Funktionsfähigkeit des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers oder die Gebührenstabilität bei einer vorläufigen Fortsetzung der gewerblichen Sammlung erheblich beeinträchtigt wird. Für die Annahme einer sonstigen Gefährdung öffentlicher Interessen durch eine nicht ordnungsgemäße oder nicht schadlose Verwertung der gesammelten Abfälle fehlt es derzeit an hinreichenden Anhaltspunkten.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

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Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf den §§ 47, 53 Abs. 3 und 52 Abs. 1 GKG.

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