Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (12. Senat) - 12 F 10353/14
Tenor
Der Antrag des Beklagten wird abgelehnt.
Gründe
I.
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Die Beteiligten des Hauptsacheverfahrens streiten um die Rückzahlung von Umlagen aufgrund deren Einstufung als unionsrechtswidrige Beihilfen durch die Europäische Kommission.
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Der Beklagte und Berufungskläger wurde im Jahre 1979 als Zweckverband in der Rechtsform einer Körperschaft des öffentlichen Rechts gegründet und führt im Auftrag seiner Mitglieder Aufgaben der Tierkörperbeseitigung aus. Mitglieder sind sämtliche rheinland-pfälzischen und saarländischen Landkreise und kreisfreien Städte sowie zwei hessische Landkreise. Im Verbandsgebiet führt der Beklagte die Beseitigung tierischer Nebenprodukte der Kategorien 1 und 2 (gefährliches Material nach Maßgabe unionsrechtlicher und nationaler Vorschriften) als Pflichtaufgabe der Selbstverwaltung in Form eines Eigenbetriebs durch, wobei die Werkleitung der Gesellschaft für Tierkörperbeseitigung mit beschränkter Haftung (GFT GmbH) übertragen ist, deren einziger Gesellschafter der Beklagte ist und die seiner Weisungsbefugnis unterliegt sowie ihre Kosten vom Beklagten erstattet bekommt. In diesem Bereich erhebt der Beklagte Gebühren, in deren Kalkulation auch die Kosten zur Vorhaltung einer sog. Seuchenreserve einbezogen sind. Daneben beseitigt der Beklagte aufgrund vertraglicher Vereinbarungen Materialien der Kategorien 1 und 2 auch aus Baden-Württemberg (bis 2014) und aus Nord- und Mittelhessen sowie Material nach Kategorie 3, das am Markt frei gehandelt wird, wofür er privatrechtliche Entgelte vereinbart. Zur Deckung seiner nicht durch Gebühren und privatrechtliche Entgelte gedeckten Kosten erhebt der Beklagte von seinen Mitgliedern eine Umlage, die seit 2009 nur noch zur Deckung von Kosten im Zusammenhang mit seinen Pflichtaufgaben einschließlich der Seuchenreserve verwendet werden darf.
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Gegen diese Praxis der Umlagefinanzierung erhob die Beigeladene zu 1. Beschwerde bei der Europäischen Kommission. Mit Beschluss vom 25. April 2012 stellte die Europäische Kommission fest, dass die vom Beklagten seit 1979 erhobenen Umlagen wettbewerbsverzerrende Wirkung entfalteten und als solche rechtswidrig erhoben worden seien; die zuständigen Organe der Bundesrepublik Deutschland wurden verpflichtet, die seit dem 26. Mai 1998 gezahlten Beihilfen in Höhe von ca. 30 Mio. Euro nebst Zinsen binnen vier Monaten zurückzufordern; alle ausstehenden Zahlungen an den Beklagten waren mit sofortiger Wirkung einzustellen. Gegen diesen Beschluss haben die Bundesrepublik Deutschland und der Beklagte Anträge auf Nichtigerklärung beim Europäischen Gericht 1. Instanz erhoben, über die noch nicht entschieden worden ist.
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Der Klage des Landkreises Birkenfeld auf Rückzahlung der von ihm in den Jahren 1998 bis 2012 an den Beklagten gezahlten Umlagen nebst Zinsen hat das Verwaltungsgericht Trier mit Urteil vom 19. November 2013 - 1 K 1053/12.TR - stattgegeben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Dem Kläger stehe ein Anspruch auf Rückerstattung der seit dem Jahre 1998 an den Beklagten geleisteten Umlagen zu, da aufgrund der Zahlung dieser Umlagen zwischen ihm und dem Beklagten eine rechtsgrundlose Vermögensverschiebung stattgefunden habe. Dies stehe aufgrund des Beschlusses der Europäische Kommission fest, wonach die Umlagen wettbewerbsverzerrende Wirkung entfalteten, als solche rechtswidrig erhoben worden und unverzüglich zurückzufordern seien. Diese Entscheidung entfalte Bindungswirkung für das nationale Gericht, so lange sie nicht vom Europäischen Gerichtshof für ungültig erklärt worden sei. Da ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung der Kommission, dass es sich bei den seit 1979 erhobenen Umlagen um eine rechtswidrige Beihilfe im Sinne des Unionsrechts gehandelt habe, aus seiner Sicht nicht bestünden und zudem auch keine Gründe ersichtlich seien, die die Rückforderung unmöglich machten, sei von der Möglichkeit einer Aussetzung des Verfahrens und einer Vorlage an den Europäischen Gerichtshof kein Gebrauch gemacht worden.
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Gegen dieses Urteil richtet sich die beim 6. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz unter dem Aktenzeichen 6 A 11351/13.OVG anhängige, bisher nicht begründete Berufung des Beklagten. Nachdem der 6. Senat einem Begehren des Beklagten, die - bereits vom Verwaltungsgericht vorgenommene - einfache Beiladung der Beigeladenen zu 1. bis 3., bei denen es sich um privatwirtschaftliche Wettbewerber des Beklagten handelt, aufzuheben, nicht gefolgt ist, hat der Beklagte den vorliegenden, auf § 99 Abs. 2 VwGO gestützten Antrag gestellt. Mit diesem beantragt er:
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1. festzustellen, dass seine Weigerung, exakt bezeichnete Passagen der Berufungsbegründung gegenüber den Beigeladenen zu 1. bis 3. offenzulegen, rechtmäßig ist, und
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2. festzustellen, dass das nach § 100 VwGO bestehende Akteneinsichtsrecht gegenüber den Beigeladenen zu 1. bis 3. entsprechend zu beschränken ist.
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Dem Antrag beigefügt wurde der Entwurf einer Berufungsbegründung nebst Anlagen; sowohl in der Berufungsbegründungsschrift als auch in dem als eine der Anlagen vorgesehenen, vom Beklagten eingeholten Gutachten der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG sind Angaben, insbesondere Geschäftskennzahlen des Beklagten, geschwärzt worden. Zur Begründung des Antrags führt der Beklagte im Wesentlichen aus: Der Antrag sei geboten, nachdem der 6. Senat der Anregung, die Beiladungen aufzuheben, nicht gefolgt sei, so dass der Rechtsstreit in der vorliegenden multipolaren Interessenlage weitergeführt werden müsse, und nachdem ihm auch nicht gestattet worden sei, die Berufungsbegründung unter Wahrung seiner Geschäftsheimnisse vorzulegen. Denn andernfalls sei er nunmehr gezwungen, entweder eine unsubstantiierte Berufungsbegründung einzureichen oder geheimhaltungsbedürftige Geschäftsgeheimnisse zu offenbaren, die als Teil der Gerichtsakte auch dem Akteneinsichtsrecht der Beigeladenen zugänglich seien. Zwar sei § 99 Abs. 2 VwGO auf bipolare Interessenkonflikte zugeschnitten. Da er jedoch nach Art. 107 Abs. 1 AEUV als Unternehmen behandelt werde, sei es geboten, ihn auch im Hinblick auf die grundrechtstypische Gefährdungslage wie ein Unternehmen zu behandeln und ihm in verfassungskonformer Auslegung bzw. in einer der Europäischen Grundrechtecharta konformen Auslegung des § 99 Abs. 2 VwGO die Rechte zu gewähren, die das Bundesverfassungsgericht in seiner grundlegenden Entscheidung zu Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen im Verwaltungsprozess (Beschluss vom 14. März 2006 - 1 BvR 2087/03 u.a. -, BVerfGE 115, 205) herausgearbeitet habe. Weiter hat der Beklagte zu den im Entwurf der Berufungsbegründung sowie in der genannten Anlage vorgenommenen Schwärzungen näher ausgeführt, worauf das Geheimhaltungsbedürfnis aus seiner Sicht jeweils beruht.
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Der 6. Senat hat dem Fachsenat für Entscheidungen nach § 99 Abs. 2 VwGO den Antrag vorgelegt, ohne sich bisher zur Entscheidungserheblichkeit der als geheimhaltungsbedürftig zurückgehaltenen Informationen förmlich geäußert zu haben.
II.
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Der auf § 99 Abs. 2 VwGO gestützte Antrag des Beklagten ist unzulässig. Er erweist sich bereits als unstatthaft (1.); darüber hinaus fehlt es an einer förmlichen Verlautbarung des Hauptsachegerichts über die Entscheidungserheblichkeit der als geheimhaltungsbedürftig zurückgehaltenen Informationen (2.).
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1. Der Antrag des Beklagten, im Zwischenverfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO festzustellen, dass seine Weigerung, bestimmte Passagen der Berufungsbegründung gegenüber den Beigeladenen offenzulegen, rechtmäßig und deren Akteneinsichtsrecht nach § 100 VwGO entsprechend zu beschränken ist, ist unstatthaft.
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Auf ein solches Begehren ist § 99 Abs. 2 VwGO zunächst nicht unmittelbar anwendbar. Nach ihrem Wortlaut, ihrer Entstehungsgeschichte, ihrem erkennbaren Sinn und Zweck sowie auch nach der Struktur des in § 99 Abs. 2 Satz 3 bis 6 VwGO geregelten Verfahrens ist die Vorschrift auf die hier gegebene Sondersituation nicht zugeschnitten. Diese ist dadurch geprägt, dass eine verfahrensbeteiligte Behörde, die zugleich in gewissem Umfang am Wirtschaftsleben teilnimmt, in einem rechtsmittelbegründenden Schriftsatz verfahrensbeteiligten privaten Dritten als Wettbewerbern bestimmte als Geschäftsgeheimnisse eingestufte Informationen vorenthalten will. § 99 Abs. 2 VwGO ist im Zusammenhang mit der in § 99 Abs. 1 VwGO normierten behördlichen Vorlagepflicht zu sehen: Diese Vorschrift statuiert – als spezifischer Ausdruck der in § 14 VwGO allgemein geregelten Amtshilfepflicht gegenüber den Verwaltungsgerichten – eine an alle Behörden gerichtete Pflicht zur Vorlage von Akten im Verwaltungsprozess, die der umfassenden Sachverhaltsaufklärung und in Verbindung mit dem Einsichtsrecht nach § 100 Abs. 1 VwGO dem rechtlichen Gehör der Beteiligten, der prozessualen Waffengleichheit sowie dem effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) dient (vgl. dazu im Einzelnen z.B. Gärditz, VwGO, 1. Aufl. 2013, § 99, Rn. 1, 9 und 14, jeweils m.w.N.). Die vorlagepflichtige Behörde darf die Vorlage geheimhaltungsbedürftiger Informationen nur nach Maßgabe von § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO verweigern, wobei über die Berechtigung der Verweigerung auf Antrag eines Beteiligten in dem besonderen Zwischenverfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO durch den besonderen Spruchkörper nach § 189 VwGO zu entscheiden ist. Die gesamte Regelung des § 99 VwGO ist damit auf bipolare Konfliktlagen zugeschnitten, in denen sich das Informationsinteresse des Bürgers und das Geheimhaltungsinteresse des Staates gegenüberstehen (vgl. Gärditz, a.a.O., Rn. 3 sowie Schemmer, DVBl. 2011, S. 323, 324, auch zur Entstehungsgeschichte). Multipolaren Konfliktlagen, in denen im Fall einer Offenlegung behördlicher Informationen Geheimhaltungsinteressen Dritter betroffen sind, trägt die Vorschrift insoweit Rechnung, als nach ständiger Rechtsprechung auch Betriebs- und Geschäftsheimnisse unter den Begriff der „ihrem Wesen nach geheim zu haltenden“ Informationen im Sinne von § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO fallen und daher die Geheimhaltungsbedürftigkeit nach dieser Vorschrift begründen können (vgl. Gärditz, a.a.O., Rn. 47, m. Rsprn.). Auf die in diesem Zusammenhang diskutierte Frage, ob die gegenwärtige Regelung dem verfassungsrechtlich gebotenen Ausgleich zwischen Geheimnisschutz und effektivem Rechtsschutz hinreichend Rechnung trägt (vgl. dazu Gärditz, a.a.O., Rn. 12, und Schemmer, a.a.O., S. 330 f.), kommt es vorliegend nicht an. Denn der Beklagte fungiert hier gerade nicht – wie in den diskutierten multipolaren Geheimschutzfällen vornehmlich im Post- und Telekommunikationsrecht – gleichsam als Sachwalter der Interessen der in einem Wettbewerbsverhältnis zueinander stehenden übrigen Verfahrensbeteiligten, der deren gleichrangige Güter angemessen zu berücksichtigen hat (vgl. dazu Schemmer, a.a.O.). Vielmehr tritt der Beklagte in einer Doppelrolle als „beklagte Behörde“ und als „Wettbewerber“ von privaten Verfahrensbeteiligten auf, der für sich selbst diesen gegenüber zu verteidigende Geheimschutzinteressen reklamiert. Auf eine solche Konstellation ist § 99 Abs. 2 VwGO auch hinsichtlich der in Absatz 1 Satz 2 sowie den Sätzen 3 bis 6 des Absatzes 2 der Vorschrift geregelten Verfahrensstruktur – mit der Notwendigkeit einer Entscheidung der obersten Aufsichtsbehörde über die Vorlage und mit deren Beiladung im Zwischenverfahren – ersichtlich nicht zugeschnitten.
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Darüber hinaus geht es dem Beklagten vorliegend nicht – wie in § 99 Abs. 2 VwGO vorausgesetzt – darum, bei ihm geführte Akten nicht oder nur in Auszügen bzw. mit Schwärzungen vorlegen zu dürfen, sondern darum, den Inhalt eines Schriftsatzes – nämlich der Berufungsbegründung nebst darin in Bezug genommenen Anlagen – anderen Verfahrensbeteiligten nicht vollständig zugänglich zu machen. Wie das Bundesverwaltungsgericht bereits entschieden hat, bietet § 99 Abs. 2 VwGO keine Handhabe, anderen Verfahrensbeteiligten den Inhalt von Schriftsätzen, namentlich einer Rechtsmittelbegründung, ganz oder teilweise vorzuenthalten. Vielmehr sieht § 99 Abs. 2 VwGO keine Ausnahme von dem Grundsatz vor, dass sich alle Verfahrensbeteiligten gemäß Art. 103 Abs. 1 GG zu jeder dem Gericht zur Entscheidung unterbreiteten schriftsätzlichen Stellungnahme der Gegenseite äußern können müssen; die Behörde muss daher ihre Rechtsmittelbegründung so abfassen, dass der von ihr begehrte Geheimnisschutz auch dann gewahrt bleibt, wenn der Schriftsatz prozessordnungsgemäß dem Gegner zustellt wird (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. November 2003 - 20 F 16.03 -, NVwZ 2004, 486 und juris, Rn. 2).
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Auch für die vom Beklagten angestrebte analoge bzw. verfassungs- oder unionsrechtskonforme Anwendung des § 99 Abs. 2 VwGO auf die hier gegebene Fallkonstellation ist kein Raum.
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Die vom Beklagten in seinem – in der Antragsbegründung in Bezug genommenen – Schriftsatz vom 26. März 2014 angesprochene analoge Anwendung von § 138 Abs. 1 des Telekommunikationsgesetzes – TKG – im Rahmen des Verfahrens nach § 99 Abs. 2 VwGO ist nicht möglich. Sie scheidet schon deshalb aus, weil § 138 Abs. 1 TKG als Spezialregelung zu § 99 VwGO vorsieht, dass auf Antrag eines Beteiligten das Gericht der Hauptsache selbst entscheidet, ob hinreichende Geheimhaltungsgründe bestehen, den Beteiligten Akteneinsicht zu verweigern bzw. bestimmte Informationen vorzuenthalten (vgl. dazu im Einzelnen Gärditz, a.a.O., Rn. 79 ff.). Demgegenüber strebt der Beklagte mit seinem Antrag ausdrücklich eine Entscheidung des nach § 189 VwGO gebildeten Fachsenats im Zwischenverfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO an. Im Übrigen kommt eine – wie auch immer geartete – Analogie zu § 138 TKG schon deshalb nicht in Betracht, weil es sich bei § 138 TKG um eine sektorale Sondervorschrift des Telekommunikationsrechts zu § 99 VwGO handelt, die nicht analogiefähig ist (vgl. Schemmer, a.a.O., S. 331). Zudem sind die Sachverhalte nicht vergleichbar: Während die im Rahmen des § 138 TKG anstelle der obersten Aufsichtsbehörde angesprochene Bundesnetzagentur in der Rolle eines unabhängigen Sachwalters steht, der die widerstreitenden Interessen der in einem Wettbewerbsverhältnis zueinander stehenden übrigen Verfahrensbeteiligten angemessen zu berücksichtigen hat, macht der Beklagte in seiner Doppelrolle als Behörde und Konkurrent von Verfahrensbeteiligten ein eigenes Geheimhaltungsinteresse diesen gegenüber in Bezug auf eigene Geschäftsgeheimnisse geltend.
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Soweit der Beklagte in dem Schriftsatz vom 26. März 2014 daneben auch eine „analoge Anwendung der Verfahrensordnung“ des Europäischen Gerichts im Rahmen des Verfahrens nach § 99 Abs. 2 VwGO angeregt hat, ist sein Vorbringen völlig unsubstantiiert: Der Beklagte hat weder konkrete Verfahrensvorschriften des für den EuG geltenden Prozessrechts benannt, deren analoge Anwendung aus seiner Sicht in Betracht kommt, noch macht er Ausführungen dazu, inwiefern sich aus solchen Vorschriften für ihn ein Recht zur Geheimhaltung von Inhalten eines Schriftsatzes gegenüber anderen Verfahrensbeteiligten ergeben könnte. Der bloße Hinweis darauf, dass das Europäischen Gerichts im noch anhängigen Nichtigkeitsklageverfahren von ihm in der Klageschrift vorgenommene Schwärzungen bestimmter Angaben nicht beanstandet habe, genügt nicht, weil schon nicht erkennbar ist, welchen Grund dieses Verhalten des Europäischen Gerichts hatte.
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Auch eine verfassungskonforme Auslegung des § 99 Abs. 2 VwGO zu Gunsten des Beklagten scheidet aus. Der Beklagte hält eine verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift dahingehend, dass ihm gestattet werden kann, über den Wortlaut der Vorschrift hinaus den Beigeladenen bestimmte Informationen in der Berufungsbegründung vorzuenthalten, deshalb für geboten, weil ihm ein aus Art. 12 und 14 Abs. 1 des Grundgesetzes – GG – abzuleitender Anspruch auf Schutz bestimmter Geschäftsgeheimnisse zustehe, der anderenfalls in verfassungswidriger Weise zu Gunsten der mit ihm im Wettbewerb stehenden Beigeladenen beeinträchtigt würde. Eine solche auf Art. 12 und 14 GG gestützte verfassungskonforme Auslegung kommt vorliegend indessen schon mangels Grundrechtsträgerschaft des Beklagten grundsätzlich nicht in Betracht.
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Zwar wird in der Fachliteratur im Anschluss an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 14. März 2006 (a.a.O., S. 234 f.) diskutiert, ob § 99 Abs. 2 VwGO einer verfassungskonformen Auslegung bedarf (und zugänglich ist), um in multipolaren Rechtsverhältnissen praktische Konkordanz zwischen den kollidierenden Grundrechtspositionen – einerseits effektiver Rechtsschutz, andererseits durch Art. 12 und 14 GG geschützte Geheimhaltungsinteressen – herstellen zu können (vgl. dazu insbesondere Gärditz, a.a.O., Rn. 10 ff., und Schemmer, a.a.O., S. 330 f., jeweils m.w.N.). Doch wird dies nur in Bezug auf solche mehrpoligen Rechtsverhältnisse erörtert, an denen neben dem Kläger und dem beklagten staatlichen Rechtsträger auch noch in ihren (prinzipiell gleichrangigen) Geheimhaltungsinteressen betroffene private Dritte beteiligt sind (vgl. etwa Gärditz, a.a.O., Rn. 10, m.w.N.). Typische Beispiele hierfür sind die regulierungsrechtlichen Streitigkeiten um post- und telekommunikationsrechtliche Entgeltgenehmigungen, bei denen häufig Wettbewerbsverhältnisse zwischen Kläger und Beigeladenen bestehen, zwischen denen die Behörde als neutraler Sachwalter steht, der die gleichrangigen Rechtsgüter der anderen Verfahrensbeteiligten angemessen zu berücksichtigen hat (vgl. Schemmer, a.a.O., S. 330). Die vorliegende Fallkonstellation unterscheidet sich hiervon wesentlich: Neben dem klagenden Landkreis ist auch der Beklagte aufgrund des beherrschenden Einflusses der ihn als Mitglieder tragenden Gebietskörperschaften sowie aufgrund seiner Grundrechtsverpflichtung als Hoheitsträger selbst kein Grundrechtsträger; er kann sich daher gegenüber den Beigeladenen, denen als Privatunternehmen außer dem Anspruch auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG auch die Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1 und 14 Abs. 1 GG zustehen, nicht auf einen grundrechtlichen Schutz seiner „Geschäftsgeheimnisse“ durch Art. 12 und 14 GG berufen (vgl. zur fehlenden Grundrechtsberechtigung juristischer Personen des öffentlichen Rechts grundlegend BVerfG, Beschluss vom 8. Juli 1982 - 2 BvR 1187/80 -, BVerfGE 61, 82, und juris, Rn. 55 ff.); dies gilt selbst für den Fall, dass für eine Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts nicht mehr deren öffentliche Daseinsvorsorgeaufgaben, sondern die privatwirtschaftliche Unternehmenstätigkeit bestimmend wäre (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. April 1987 - 1 BvR 775/84 -, BVerfGE 75, 192, und juris, Rn. 13 ff.). Dabei kann es auch keinen Unterschied machen, dass der Beklagte seinen Betrieb durch eine – von ihm beherrschte – GmbH führen lässt. Für eine verfassungskonforme Auslegung des § 99 Abs. 2 VwGO im Lichte der Art. 12 und 14 GG zu Gunsten des Beklagten ist daher hier von vornherein kein Raum.
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Nichts anderes gilt im Ergebnis für die vom Beklagten des Weiteren ins Feld geführte unionsrechtskonforme Auslegung von § 99 Abs. 2 VwGO „im Lichte des Art. 16 (Unternehmensfreiheit) der Charta der Grundrechte der Europäischen Union“. Nach wohl überwiegender Meinung, der sich der Senat anschließt, fallen juristische Personen, hinter denen mitgliedsstaatliche Hoheitsgewalt steht – nach deutschem Recht: juristische Personen des öffentlichen Rechts –, nicht in den persönlichen Schutzbereich des Art. 16 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union – GRCh –. Sie werden nicht als grundrechtsberechtigt angesehen, weil auch nach dem unionsrechtlichen Grundrechtsschutz Grundrechtsträgerschaft und Grundrechtsverpflichtung nicht in einer Person zusammenfallen können (vgl. z.B. Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV, AEUV, 4. Aufl. 2011, Art. 16 GRCh, Rn. 3, m.w.N.).
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Danach ist der Antrag nach § 99 Abs. 2 VwGO bereits unstatthaft.
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2. Unabhängig davon erweist sich der Antrag auch deshalb als unzulässig, weil es an der erforderlichen förmlichen Verlautbarung des Hauptsachegerichts über die Entscheidungserheblichkeit der als geheimhaltungsbedürftig zurückgehaltenen Informationen fehlt.
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Nach allgemeiner Meinung setzt die Zulässigkeit des Antrags nach § 99 Abs. 2 VwGO – als ungeschriebene Sachentscheidungsvoraussetzung – eine förmliche Äußerung des Hauptsachegerichts über die Entscheidungserheblichkeit der als geheimhaltungsbedürftig bezeichneten Informationen voraus (vgl. z.B. BVerwG, Beschluss vom 31. August 2009 - 20 F 10.08 -, NVwZ 2010, 194, und juris, Rn. 3, sowie Beschluss vom 5. Oktober 2011 - 20 F 24.10 -, juris, Rn. 6; OVG NRW, Beschluss vom 7. März 2013 - 13 aF 7/13 -, juris, Rn. 2; s. auch Gärditz, a.a.O., Rn. 21 ff., m.w.N.). Eine solche Äußerung des 6. Senats als Hauptsachegericht fehlt bisher; sie wurde vom Beklagten vor Stellung des vorliegenden Antrags auch nicht ausdrücklich begehrt. Gründe für eine ausnahmsweise Entbehrlichkeit einer förmlichen Verlautbarung des Hauptsachegerichts zur Entscheidungserheblichkeit sind weder vom Beklagten geltend gemacht worden noch sonst ersichtlich. Insbesondere kann der Fachsenat nicht feststellen, dass die vom Beklagten zurückgehaltenen Informationen zweifelsfrei rechtserheblich sind (vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 2. November 2010 - 20 F 2.10 -, NVwZ 2011, S. 233, und juris, Rn. 11, m.w.N.).
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Damit war der Antrag als unzulässig abzulehnen.
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Einer eigenständigen Kostenentscheidung bedarf es in dem Verfahren vor dem Fachsenat nach § 99 Abs. 2 VwGO nicht. Denn es handelt sich im Verhältnis zum Hauptsacheverfahren um einen unselbständigen Zwischenstreit (vgl. BVerwG, Beschluss vom 16. Dezember 2010 - 20 F 15.10 -, juris, Rn. 11).
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Eine Streitwertfestsetzung erübrigt sich ebenfalls, da Gerichtsgebühren mangels Gebührentatbestands in Verfahren vor dem Fachsenat nicht anfallen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 16. Dezember 2010, a.a.O., Rn. 12).
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