Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (7. Senat) - 7 B 10201/16

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 1. Februar 2016 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstands wird, zugleich unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 1. Februar 2016, für beide Rechtszüge auf 3.750,00 € festgesetzt.

Gründe

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1. Die Beschwerde ist unbegründet.

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Aus dem Vorbringen des Antragstellers im Beschwerdeverfahren, auf welches sich die Prüfung des Senats nach § 146 Abs. 4 Satz 6 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – beschränkt, ergeben sich keine Gründe, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO). Zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen verweist der Senat gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO auf die zutreffenden Ausführungen in dem angefochtenen Beschluss. Im Hinblick auf das Beschwerdevorbringen ist lediglich Folgendes zu ergänzen:

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a. Der Einwand des Antragstellers, die für ihn nachteilige Berücksichtigung seiner beinahe 14 Jahre andauernden, jedoch nicht mehr gegenwärtigen Täuschung über seine Identität und Staatsangehörigkeit sei nicht überzeugend, stehe in Widerspruch zum Wortlaut des Gesetzes und sei bislang höchstrichterlich nicht geklärt, verhilft der Beschwerde nicht zum Erfolg.

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Zutreffend weist der Antragsteller darauf hin, dass der zwingende Versagungsgrund gemäß § 25b Abs. 2 Nr. 1 Aufenthaltsgesetz – AufenthG – für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b Abs. 1 AufenthG nach der Gesetzesbegründung nur greift, wenn der Ausländer durch eine gegenwärtige Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit oder durch die Nichterfüllung zumutbarer Anforderungen an die Mitwirkung die Beseitigung von Ausreisehindernissen verhindert oder verzögert (vgl. dazu BT-Drucks. 18/4097, S. 44: „Diese Regelung knüpft nur an aktuelle Mitwirkungsleistungen des Ausländers an, […].“). Unabhängig davon, ob dieses enge Verständnis des Versagungsgrundes nach § 25b Abs. 2 Nr. 1 AufenthG zwingend ist, hat das Verwaltungsgericht ausgehend von diesem durch die Gesetzesbegründung geprägten Norminhalt sodann auch keinen zwingenden Versagungsgrund zulasten des Antragstellers nach § 25b Abs. 2 Nr. 1 AufenthG angenommen, sondern vielmehr die zurückliegende, beinahe 14 Jahre andauernde, indes nicht mehr gegenwärtige Täuschung des Antragstellers über seine Identität und Staatsangehörigkeit als Ausnahmefall innerhalb der nach § 25b Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu treffenden Ermessensentscheidung berücksichtigt. Ob ein Ausnahmefall von der regelmäßig anzunehmenden Integration vorliegt, sobald die in § 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 5 AufenthG genannten Voraussetzungen gegeben sind, beurteilt sich allein danach, ob besondere, atypische Umstände vorliegen, die obschon des Eingreifens der Regelvermutung nach § 25b Abs. 1 Satz 2 AufenthG eine nachhaltige Integration widerlegen, weil im Einzelfall Integrationsdefizite festzustellen sind, die dazu führen, dass den erzielten Integrationsleistungen bei wertender Gesamtbetrachtung ein geringeres Gewicht zukommt (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 21. Juli 2015 – 18 B 486/14 –, juris, Rn. 10).

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Ein Widerspruch zum Wortlaut des Gesetzes besteht insoweit nicht. Insbesondere ist das Verwaltungsgericht unter Einbeziehung der einschlägigen Gesetzesbegründung, der zufolge trotz der Beschränkung in § 25b Abs. 2 Nr. 1 AufenthG auf aktuelle Mitwirkungspflichten „keine Amnestie für jedes Fehlverhalten in den vorangegangenen Verfahren“ erteilt wird (vgl. BT-Drucks. 18/4097, S. 44), und der bisher hierzu ergangenen obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 21. Juli 2015 – 18 B 486/14 –, juris, Rn. 11 ff.; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 23. September 2015 – 2 M 121/15 –, juris, Rn. 10) zu Recht davon ausgegangen, dass die Regelung eines zwingenden Versagungsgrundes bei gegenwärtiger Täuschung (§ 25 b Abs. 2 Nr. 1 AufenthG) keine Sperrwirkung für eine Berücksichtigung zurückliegender Täuschungen bei der nach § 25b Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu treffenden Ermessensentscheidung nach sich zieht. Mithin kann – wie das Verwaltungsgericht zutreffend folgert – ein schwerwiegendes Fehlverhalten in dieser Hinsicht deshalb, auch wenn es nicht aufrechterhalten wird, die Annahme einer nachhaltigen Integration im Sinne von § 25b Abs. 1 Satz 1 AufenthG ausschließen (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 21. Juli 2015 – 18 B 486/14 – juris, Rn. 8 ff; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 23. September 2015 – 2 M 121/15 –, juris, Rn. 10; Zühlcke, HTK-AuslR/§ 25 b AufenthG/zu Abs. 2, Stand: 23.09.2016, Rn. 2; vgl. ferner: OVG RP, Beschluss vom 15. Juli 2015 – 7 B 10592/15.OVG –, n. v.).

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Dass bislang keine höchstrichterliche Rechtsprechung zur Berücksichtigung nicht gegenwärtiger Täuschungen bei § 25b AufenthG vorliegt, steht der Belastbarkeit des zugrunde gelegten Normverständnisses auch im Eilverfahren angesichts der insoweit eindeutigen Gesetzesbegründung, die ausdrücklich keine Amnestie für jedes Fehlverhalten in den vorangegangenen Verfahren einräumt, und der übereinstimmenden obergerichtlichen Rechtsprechung hierzu nicht entgegen.

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Auch die inhaltliche Würdigung des Verwaltungsgerichts, dass durch die langjährige Täuschung über seine wahre Identität und Staatsangehörigkeit vorliegend ein schwerwiegendes Fehlverhalten des Antragstellers vorliege, das einer nachhaltigen Integration entgegenstehe, ist nicht zu beanstanden. Vor allem hat das Verwaltungsgericht hinsichtlich des Gewichts des Verstoßes gegen die Mitwirkungspflichten nicht allein darauf abgestellt, dass der Antragsteller seit seiner nach eigenen Angaben am 27. März 2000 erfolgten Einreise bis zum 3. März 2014 – mithin über annähernd 14 Jahre hinweg – falsche Angaben zu seiner Person und seiner Staatsangehörigkeit gemacht hat, sondern auch noch durch die Vorlage eines gefälschten irakischen Personalausweises versucht hat, die Behörden durch eine weitere Täuschungshandlung in die Irre zu führen. Und noch im Januar 2014, als er erstmals eingeräumt hat, seine Identität und Staatsangehörigkeit verschleiert zu haben, hat der Antragsteller einen unzutreffenden Familiennamen angegeben und hierfür trotz Aufforderung der Antragsgegnerin keinen Grund benannt.

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b. Auch die weitere Folgerung des Verwaltungsgerichts, die lange Aufenthaltsdauer des Antragstellers und die in dieser Zeit erfolgte Einfügung in die hiesigen Lebensverhältnisse bis zur Preisgabe seiner wahren Identität und Staatsangehörigkeit seien allein auf sein Täuschungsverhalten zurückzuführen, ist nicht zu beanstanden. Der hierzu mit der Beschwerdebegründung vorgebrachte Einwand, die Täuschung über seine Identität und seine Staatsangehörigkeit sei nicht allein kausal für die nicht erfolgte Ausreise gewesen, vielmehr seien hierfür gleichermaßen sein Gesundheitszustand und die politischen Verhältnisse sowohl im Irak als auch im Iran mitursächlich gewesen, greift nicht durch.

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Hinsichtlich des Gesundheitszustandes ergibt sich aus den Verwaltungsakten (im Folgenden: VA), dass der Antragsteller in den ersten Jahren seines Aufenthalts in seinen Anträgen auf Verlängerung der Duldung das Vorliegen von Erkrankungen zwar in einzelnen Jahren bejaht hat (vgl. Bl. 219 VA [09/2005]; Bl. 236 VA [02/2006]), in anderen Anträgen die Frage nach Erkrankungen aber auch mit nein beantwortet wurde (vgl. bspw. Bl. 197 VA [03/2005]; Bl. 251 VA [08/2006]; Bl. 358 VA [09/2007]; Bl. 365 VA [09/2007]; Bl. 403 VA [11/2007]; Bl. 444 VA [01/2008], usw.) bzw. überhaupt keine Angaben mehr zu Erkrankungen gemacht wurden (vgl. bspw. Bl. 282 VA [11/2006], Bl. 305 VA [01/2007]; Bl. 319 VA [05/2007]; Bl. 334 VA [05/2007]; Bl. 343 VA [07/2007]; Bl. 504 VA [04/2008], usw.). Unabhängig von den einzelnen Angaben des Antragstellers ergibt sich aus den Verwaltungsakten weiter, dass der Antragsteller seit 2001 in unterschiedlichem Umfang und in unterschiedlichen Bereichen kontinuierlich erwerbstätig gewesen ist und über mehr als 10 Jahre keine Anhaltspunkte für eine Reiseunfähigkeit oder Erkrankungen, die einer Rückkehr in das Herkunftsland entgegen stehen könnten, auch nur ansatzweise ersichtlich waren. Erst ab November 2012 seien zunehmend die Symptome aufgetreten, die letztlich zur Diagnose einer zervikalen Myelopathie bei Spinalkanalstenose zwischen HWK 4 bis 7 geführt hätten (vgl. Dr. med. K., Ärztliches Attest vom 17. Dezember 2013, Bl. 869 VA). Ungeachtet der Frage, ob und, wenn ja, für welchen sich anschließenden Zeitraum unter Umständen eine vorübergehende Reiseunfähigkeit vorgelegen haben könnte, scheidet danach eine Mitursächlichkeit gesundheitlicher Gründe für die nicht erfolgte Ausreise jedenfalls für einen Zeitraum von ca. 12 Jahren aus. Vorsorglich wird darauf hingewiesen, dass das Verwaltungsgericht den aktuellen Gesundheitszustand des Antragstellers bei der Prüfung von Ausreisehindernissen geprüft hat und die Ablehnung eines darauf gründenden Ausreisehindernisses mit der Beschwerde nicht angegriffen wird.

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Soweit der Antragsteller darüber hinaus die „politischen Verhältnisse“ im Irak und im Iran als mitursächlich benennt, gilt hinsichtlich des Iraks, dass das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge seinerzeit entsprechende zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse nicht festgestellt hat und die Ausländerbehörden hieran ebenso gebunden sind, wie die die Entscheidung der Ausländerbehörde überprüfenden Verwaltungsgerichte. Hinsichtlich des Irans ist nicht einmal ansatzweise erkennbar, welche „politischen Verhältnisse“ einer Rückkehr konkret des Antragstellers hätten entgegenstehen können.

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c. Der weitere Einwand des Antragstellers, aufgrund seiner gesundheitlichen Situation können von dem Erfordernis der Sicherung des Lebensunterhalts abgesehen werden, geht an den Gründen der angefochtenen Entscheidung vorbei. Dort wurde zugunsten des Antragstellers gerade unterstellt, dass die die Regelvermutung auslösenden Voraussetzungen des § 25b Abs. 1 Satz 2 AufenthG vollständig erfüllt sind bzw. von ihrer Erfüllung gemäß § 25b Abs. 3 AufenthG abzusehen ist.

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d. Soweit der Antragsteller – auch hinsichtlich seines geltend gemachten Anspruchs nach § 25 Abs. 5 AufenthG – eine unzureichende Berücksichtigung des durch Art. 8 EMRK gewährten Schutzes rügt, bleibt auch diesem Einwand der Erfolg versagt. Der Antragsteller beruft sich darauf, mittlerweile ein Drittel seines Lebens, nämlich 15 Jahre, in Deutschland verbracht zu haben. Richtig ist, dass Art. 8 EMRK die Achtung des Privatlebens umfasst und die Summe der persönlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, schützt, denen angesichts der zentralen Bedeutung dieser Bindungen für die Entfaltung der Persönlichkeit eines Menschen bei fortschreitender Dauer des Aufenthalts wachsende Bedeutung zukommt (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Januar 2009 – 1 C 40/07 –, juris, Rn. 21 = BVerwGE 133, 72). Auch wenn danach die Dauer des Aufenthalts grundsätzlich von erheblicher Bedeutung ist, kommt ihr vorliegend kein besonderes Gewicht zu, da der Aufenthalt des Antragstellers durch dessen Täuschung über seine Identität und Staatsangehörigkeit in seiner Legitimität gravierend belastet ist (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 27. Januar 2009 – 1 C 40/07 –, juris, Rn. 22 = BVerwGE 133, 72). Dies hat das Verwaltungsgericht neben anderen Aspekten bei der Prüfung, ob der Antragsteller derart in Deutschland verwurzelt ist, dass eine Beendigung seines Aufenthalts unverhältnismäßig erschiene, zutreffend berücksichtigt und eine Unverhältnismäßigkeit verneint.

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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

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3. Die Entscheidung über die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstands für das Beschwerdeverfahren folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1, § 63 Abs. 2 GKG i.V.m. Nrn. 1.5 und 8.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (LKRZ 2014, 169) und beträgt, da der Antragsteller in der Hauptsache die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis begehrt, drei Viertel des hierfür heranzuziehenden Streitwertes der Hauptsache von 5.000,00 €, mithin 3.750,00 €. Soweit das Verwaltungsgericht demgegenüber von einem Hauptsachestreitwert von 2.500,00 € ausgegangen ist (Nr. 8.3 des Streitwertkatalogs) und hiervon drei Viertel für das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes herangezogen hat, wird die Festsetzung des Streitwerts gemäß § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG von Amts wegen geändert.

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