Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (6. Senat) - 6 B 11533/19
Tenor
§ 1 der Rechtsverordnung der Antragsgegnerin nach § 10 des Ladenöffnungsgesetztes Rheinland-Pfalz über die Freigabe eines verkaufsoffenen Sonntags in der Stadt Bad Kreuznach vom 4. Oktober 2019 wird bis zu einer Entscheidung über einen Normenkontrollantrag der Antragstellerin außer Vollzug gesetzt.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,00 € festgesetzt.
Gründe
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Der Antrag, § 1 der Rechtsverordnung der Antragsgegnerin vom 4. Oktober 2019 über die Freigabe eines verkaufsoffenen Sonntags in der Stadt Bad Kreuznach am 27. Oktober 2019 im Wege einer einstweiligen Anordnung bis zu einer Entscheidung über einen Normenkontrollantrag der Antragstellerin außer Vollzug zu setzen, ist zulässig (1.) und begründet (2.).
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1. Der Antrag ist gemäß § 47 Abs. 6 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – statthaft. Dem steht nicht entgegen, dass die Antragstellerin bislang in der Hauptsache noch kein Normenkontrollverfahren anhängig gemacht hat. Ein Eilantrag nach § 47 Abs. 6 VwGO kann nämlich bereits zuvor gestellt werden (vgl. OVG RP, Beschluss vom 24. Oktober 2018 – 6 B 11337/18.OVG –, ESOVGRP, Rn. 2 m.w.N.).
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Die Antragstellerin ist auch antragsbefugt. Sie kann geltend machen, als eine Gewerkschaft, die im Dienstleistungsbereich tätige Arbeitnehmer vertritt, durch die mit der angegriffenen Rechtsverordnung geregelte Freigabe eines verkaufsoffenen Sonntags am 27. Oktober 2019 in ihren Rechten verletzt zu sein (vgl. § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO und OVG RP, Beschluss vom 24. Oktober 2018, a.a.O., Rn. 3 m.w.N.).
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2. Der Antrag ist auch begründet.
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Nach § 47 Abs. 6 VwGO kann das Gericht in Normenkontrollverfahren auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist. Prüfungsmaßstab im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO sind zunächst die Erfolgsaussichten eines Normenkontrollantrages im Hauptsacheverfahren, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits absehen lassen. Ergibt diese Prüfung, dass der Normenkontrollantrag voraussichtlich unzulässig oder unbegründet sein wird, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht im Sinne von § 47 Abs. 6 VwGO zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten. Erweist sich dagegen, dass der Antrag voraussichtlich Erfolg haben wird, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache suspendiert werden muss. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn der (weitere) Vollzug vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist. Lassen sich die Erfolgsaussichten des Normenkontrollverfahrens nicht abschätzen, ist über den Erlass einer beantragten einstweiligen Anordnung im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden. Gegenüberzustellen sind die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, der Normenkontrollantrag aber Erfolg hätte, und die Nachteile, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Normenkontrollantrag aber erfolglos bliebe. Die für den Erlass der einstweiligen Anordnung sprechenden Gründe müssen die gegenläufigen Interessen deutlich überwiegen, mithin so schwer wiegen, dass der Erlass der einstweiligen Anordnung – trotz offener Erfolgsaussichten der Hauptsache – dringend geboten ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. Februar 2015 – 4 VR 5.14 u.a. –, juris, Rn. 12 m.w.N.; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30. August 2017 – 1 S 45/17 –, juris, Rn. 17).
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Nach diesen Grundsätzen ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO vorliegend dringend geboten. Denn ein Normenkontrollantrag gegen die angegriffene Rechtsverordnung wird voraussichtlich Erfolg haben (a) und eine vorläufige Regelung erscheint im Hinblick auf die bei einem weiteren Vollzug der Verordnung zu befürchtenden Nachteile unaufschiebbar (b).
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a) § 1 der Rechtsverordnung der Antragsgegnerin über die Freigabe eines verkaufsoffenen Sonntags am 27. Oktober 2019 ist nach der im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen Prüfung unwirksam.
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aa) Rechtsgrundlage der angegriffenen Rechtsverordnung ist § 10 Ladenöffnungsgesetz Rheinland-Pfalz – LadöffnG –. Danach können verbandsfreie Gemeinden, Verbandsgemeinden und kreisfreie und große kreisangehörigen Städte durch Rechtsverordnung bestimmen, dass Verkaufsstellen abweichend von § 3 Satz 1 Nr. 1 LadöffnG allgemein oder in bestimmten Teilen des Gemeindegebiets an höchstens vier Sonntagen pro Gemeinde in einem Kalenderjahr geöffnet sein dürfen und diese Tage sowie die Lage der zugelassenen Ladenöffnungszeiten festsetzen. Hiervon ausgenommen sind die in § 10 Satz 2 LadöffnG aufgeführten, besonders geschützten Sonntage, an denen eine Öffnung nicht zugelassen werden darf. Nach § 10 Satz 3 LadöffnG darf die zugelassene Ladenöffnungszeit fünf Stunden nicht überschreiten; sie darf nicht in der Zeit zwischen 6.00 Uhr und 11.00 Uhr liegen.
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Von dieser gesetzlichen Ermächtigung hat die Antragsgegnerin Gebrauch gemacht und mit der angegriffenen Verordnung einen verkaufsoffenen Sonntag im Jahr 2019 für den 27. Oktober bestimmt, dessen Festsetzung sich in dem genannten gesetzlichen Rahmen hält.
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bb) § 10 LadöffnG ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Hinblick auf den in Art. 140 GG i.V.m. Art. 139 WRV gewährleisteten Sonntagsschutz verfassungskonform dahin auszulegen, dass jede Ladenöffnung an einem Sonntag eines dem Sonntagsschutz gerecht werdenden Sachgrundes bedarf. Als ein solcher Sachgrund zählen weder das bloß wirtschaftliche Umsatzinteresse der Verkaufsstelleninhaber noch das alltägliche Erwerbsinteresse potentieller Kunden (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Mai 2017 – 8 CN 1.16 –, BVerwGE 159, 27, Rn. 16; BVerfG, Urteil vom 1. Dezember 2009 – 1 BvR 2857, 2858/07 –, BVerfGE 125, 39 [87 ff.]). Bei Sonntagsöffnungen aus besonderem Anlass muss die anlassgebende Veranstaltung – und nicht die Ladenöffnung – das öffentliche Bild des betreffenden Sonntags prägen. Dies setzt voraus, dass die öffentliche Wirkung der Veranstaltung gegenüber der durch die Ladenöffnung ausgelösten, typisch werktäglichen Geschäftigkeit im Vordergrund steht, so dass die Ladenöffnung nur als Annex zur Veranstaltung erscheint (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. November 2015 – 8 CN 12.14 –, BVerwGE 153, 183, Rn. 23 f.; BVerwG, Urteil vom 12. Dezember 2018 – 8 CN 1.17 –, NVwZ 2019, 964, Rn. 19).
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Dazu muss die Sonntagsöffnung regelmäßig auf das räumliche Umfeld der anlassgebenden Veranstaltung begrenzt werden, damit ihr Bezug zum Marktgeschehen erkennbar bleibt (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. November 2015, a.a.O., Rn. 25 und Urteil vom 12. Dezember 2018, a.a.O., Rn. 20).
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Darüber hinaus ist notwendige Bedingung der prägenden Wirkung der Anlassveranstaltung, dass die Veranstaltung nach einer bei Erlass der Norm anzustellenden Prognose für sich genommen – ohne die Ladenöffnung – einen erheblichen Besucherstrom anzieht, der die bei einer alleinigen Ladenöffnung – ohne die Veranstaltung – zu erwartende Besucherzahl übersteigt (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. November 2015, Rn. 25 und Urteil vom 12. Dezember 2018, a.a.O., Rn. 21). Erforderlich ist demnach ein prognostischer Vergleich der von der Veranstaltung und der von einer bloßen Ladenöffnung angezogenen Besucherzahlen. Der Vergleich der jeweils zu erwartenden Besucherzahlen ist der Prüfstein, an dem sich der Annexcharakter entscheidet. Wäre bei alleiniger Ladenöffnung – ohne die Veranstaltung – mit mehr Besuchern zu rechnen, als die Veranstaltung selbst – ohne gleichzeitige Ladenöffnung – anzöge, könnte die Veranstaltung das öffentliche Bild des Sonntags nicht mehr prägen (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Dezember 2018, a.a.O., Rn. 21).
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Die Anforderungen an die gemeindliche Vergleichsprognose und die ihr zugrunde gelegten Daten dürfen allerdings nicht überspannt werden. Es genügt eine grobe Abschätzung der zu erwartenden Besucherzahlen auf der Grundlage der für die Gemeinde verfügbaren Daten. Gerichtlich ist die Prognose des kommunalen Normgebers wegen des gesetzlich an ihn delegierten Einschätzungsspielraums nur auf ihre Schlüssigkeit und Vertretbarkeit zu überprüfen. Beides ist anhand der Umstände zu beurteilen, die der Normgeber dem Erlass der Öffnungsregelung zugrunde gelegt hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Dezember 2018, a.a.O., Rn. 22).
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Sind die Unterlagen unvollständig oder gar unergiebig und lässt sich deshalb auch bei Berücksichtigung der sonstigen Umstände der Beschlussfassung nicht feststellen, ob dem Erlass der Öffnungsregelung eine schlüssige und vertretbare Prognose zugrunde lag, geht dies zu Lasten des Normgebers. Die erforderliche Prognose kann weder im gerichtlichen Verfahren nachgeholt noch durch das Gericht selbst vorgenommen werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Dezember 2018, a.a.O., Rn. 24 m.w.N.).
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Aus dem Bundesrecht – ebenso wie aus dem Landesrecht – ergeben sich für die Besucherzahlenprognose jedoch keine selbstständigen Verfahrenspflichten des Normgebers, deren Missachtung selbst bei offenkundiger Ergebnisrichtigkeit der Prognose stets zur Rechtswidrigkeit der Öffnungsregelung führen würde. Danach kann sich die Schlüssigkeit und Vertretbarkeit der Prognose, auch wenn die Zahl der bei einer bloßen Ladenöffnung zu erwartenden Besucher in den Unterlagen nicht enthalten ist, aus der außerordentlich hohen Gesamtzahl der von der Anlassveranstaltung angezogenen Besucher ergeben (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Dezember 2018, a.a.O., Rn. 24 und 27).
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Diese aus dem verfassungsrechtlich gewährleisteten Sonntagsschutz folgenden Anforderungen an das Vorliegen eines hinreichenden Sachgrundes für jede Ladenöffnung an einem Sonntag sind jedenfalls für das Ladenöffnungsgesetz von Rheinland-Pfalz – möglicherweise anders als in anderen Bundesländern (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 25. April 2019 – 4 B 517/19.NE –, juris, Rn. 34 ff.; VGH BW, Urteil vom 20. März 2019 – 6 S 325/17 –, juris, Rn. 48 ff.) – höchstrichterlich geklärt, nachdem die genannte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch zum rheinland-pfälzischen Ladenöffnungsgesetz ergangen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Mai 2017, a.a.O.). Dementsprechend ist ihr der Senat in seiner jüngeren Rechtsprechung gefolgt (vgl. OVG RP, Beschluss vom 24. Oktober 2018, a.a.O., Rn 9 und Urteil vom 19. September 2019 – 6 C 11131/18.OVG –, ESOVGRP, Rn. 24 ff.).
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Von den genannten Grundsätzen ausgehend steht die von der Antragsgegnerin festgesetzte sonntägliche Ladenöffnung am 27. Oktober 2019 aus Anlass des „Herbstmarkts“ mit dem verfassungsrechtlich gebotenen Sonntagsschutz nicht in Einklang. Für die Sonntagsöffnung aus Anlass des „Herbstmarkts“ besteht kein hinreichender Sachgrund, weil die öffentliche Wirkung der anlassgebenden Veranstaltung gegenüber der durch die Ladenöffnung ausgelösten Geschäftigkeit nicht im Vordergrund steht und daher die Anlassveranstaltung das öffentliche Bild des betreffenden Sonntags nicht prägt. Denn den bei Erlass der Öffnungsregelung vorliegenden Unterlagen der Antragsgegnerin ist keine schlüssige und vertretbare Prognose der Besucherzahlen zu entnehmen, welche die Annahme rechtfertigen, dass der von dem „Herbstmarkt“ allein – ohne die Ladenöffnung – angezogene Besucherstrom die bei einer alleinigen Ladenöffnung zu erwartende Besucherzahl übersteigt.
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In der Begründung der angegriffenen Rechtsverordnung der Antragsgegnerin (vgl. Bl. 53 ff. der vorgelegten Akte) findet sich hierzu lediglich, eine Gewichtung der Veranstaltung durch die zu erwartenden Besucherzahlen gestalte sich schwierig. Die eindeutige Zuordnung der Besucherströme könne tatsächlich nur mit erheblichem Aufwand erfolgen. Es sei daher eine grobe Abschätzung des zu erwartenden Besucherverhaltens auf der Grundlage der für die Gemeinde verfügbaren Daten zugrunde gelegt worden. Dazu seien die vom Veranstalter ProCity zur Verfügung gestellten Erhebungen des letztjährigen Marktsonntages, aber auch die Auswertung der Besucherströme zum diesjährigen Stoffmarkt im Mai 2019, der in weiten Teilen auch Bestandteil des diesjährigen Herbstmarkts sein werde, ausgewertet worden. Welche Daten zu den Besucherströmen für den verkaufsoffenen Sonntag aus Anlass des „Herbstmarkts“ im Vorjahr – oder für den Stoffmarkt im Mai 2019 – erhoben und vom Veranstalter ProCity zur Verfügung gestellt wurden, ist der Begründung der angegriffenen Rechtsverordnung selbst nicht zu entnehmen. Die Antragsgegnerin hat indes ihren Angaben in der Antragserwiderung zufolge die vom Veranstalter ProCity Bad Kreuznach e.V. in seinem Antrag auf sonntägliche Ladenöffnung am 27. Oktober 2019 aus Anlass des „Herbstmarkts“ zur Verfügung gestellten Daten zu den Besucherzahlen seiner Entscheidung über die Sonntagsöffnung zugrunde gelegt, wie auch aus dem diesbezüglichen Verweis in der Begründung der angegriffenen Rechtsverordnung ersichtlich ist.
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Die von der Antragsgegnerin danach zugrunde gelegte Prognose der Besucherzahlen aus dem Antrag von ProCity Bad Kreuznach e.V. enthält folgende Angaben (vgl. Bl. 9 f. der vorgelegten Akte): Es sei von einer Gesamtbesucherzahl von rund 30.000 Personen auszugehen. Diese Erwartung fuße auf den Marketingmaßnahmen rund um den „Herbstmarkt“. Auch von den lokalen Medien werde der „Herbstmarkt“ mit verkaufsoffenem Sonntag mit großem Interesse verfolgt werden. Mit den Maßnahmen würden ca. 900.000 Kontakte erreicht, wobei von einer Besucherquote zum „Herbstmarkt“ mit ca. 3 bis 4 % (d.h. 27 bis 36.000 Personen) ausgegangen werde. Diesen rund 30.000 zu erwartenden Besuchern des „Herbstmarkts“ seien rund 19.000 Kaufvorgänge beim verkaufsoffenen Sonntag anlässlich des „Herbstmarkts“ im Vorjahr gegenüberzustellen, die aus den von fünf ausgewählten Einzelhändlern vorgelegten Kassenbons errechnet worden seien. Dabei sei zu beachten, dass die Anzahl an Kaufvorgängen im Vorjahr nicht gleichzusetzen sei mit der Anzahl an Kunden bzw. Käufern. Deren Zahl werde geringer sein.
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Aus diesen Angaben ergibt sich keine schlüssige und vertretbare Prognose der Besucherzahlen, welche die Annahme rechtfertigen, dass der durch den „Herbstmarkt“ allein angezogene Besucherstrom die bei einer alleinigen Ladenöffnung zu erwartende Besucherzahl übersteigt.
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Bezüglich der von der Antragsgegnerin erwartenden Gesamtbesucherzahl von rund 30.000 Personen ist keine schlüssige Erklärung dafür dargetan oder ersichtlich, dass sich diese Prognose auf den allein vom „Herbstmarkt“ – ohne die Ladenöffnung – angezogenen Besucherstrom bezieht. Da die Besucherzahl von rund 30.000 Personen aus den durch die Marketingmaßnahmen erzielten Kontakten von rund 900.000 errechnet wurde, kann es sich vielmehr nur um die erwartete Zahl von Besuchern handeln, die insgesamt wegen des „Herbstmarktes“ und wegen der Ladenöffnung nach Bad Kreuznach kommen. Denn die Marketingmaßnahmen haben ersichtlich nicht allein den „Herbstmarkt“ ohne die sonntägliche Ladenöffnung beworben, sondern beide zugleich, wie insbesondere das von der Antragsgegnerin mit der Antragserwiderung vorgelegte Programm und das Werbeplakat von ProCity Bad Kreuznach e.V. erkennen lassen. Auf dem Plakat wird für den „Herbstmarkt“ am 27. Oktober 2019 zugleich mit dem verkaufsoffenen Mantelsonntag am selben Tag geworben. Die Programmübersicht für den „Herbstmarkt“ enthält als ersten Punkt den verkaufsoffenen Mantelsonntag. Schließlich spricht auch der Hinweis in der Prognose auf die Berichterstattung durch die lokalen Medien über den „Herbstmarkt mit verkaufsoffenem Sonntag“ dafür, dass die Anlassveranstaltung und die Ladenöffnung gemeinsam beworben wurden. Vor diesem Hintergrund kann sich die aus den Kontakten, die durch die Marketingmaßnahmen erzielt wurden, errechnete Zahl von erwarteten Besuchern nicht lediglich auf den durch den „Herbstmarkt“ allein – ohne die Ladenöffnung – angezogenen Besucherstrom beziehen, sondern nur auf die Besucherzahl für die Anlassveranstaltung und die Ladenöffnung insgesamt.
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Von dieser Gesamtbesucherzahl von rund 30.000 Personen ausgehend lässt die von der Antragsgegnerin zugrunde gelegte Anzahl an Kaufvorgängen am verkaufsoffenen Sonntag aus Anlass des „Herbstmarkts“ im Vorjahr von 19.000 die Prognose, nach der die durch den Herbstmarkt allein ausgelöste Besucherzahl überwiegt, nicht als schlüssig und vertretbar erscheinen. Dies käme allenfalls in Betracht, wenn die Zahl der Käufer beim letztjährigen verkaufsoffenen Sonntag aus Anlass des „Herbstmarkts“ weniger als die Hälfte der erwarteten Gesamtbesucherzahl von rund 30.000 Personen ausmachte. Bei rund 19.000 Kaufvorgängen erscheint eine solche Annahme jedoch nicht vertretbar.
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Zwar ist der Antragsgegnerin einzuräumen, dass von rund 19.000 Kaufvorgängen nicht auf 19.000 Käufer geschlossen werden kann, weil ein Teil der Käufer erfahrungsgemäß an diesem verkaufsoffenen Sonntag mehr als eine Sache gekauft haben wird, so dass von weniger als 19.000 Käufern auszugehen ist. Auf der anderen Seite ist aber zu berücksichtigen, dass nicht alle Besucher, die im Vorjahr wegen der Ladenöffnung am verkaufsoffenen Sonntag nach Bad Kreuznach gekommen sind, auch tatsächlich etwas gekauft haben werden. Vielmehr wird ein nicht unerheblicher Teil dieser Besucher erfahrungsgemäß nichts eingekauft haben, sei es, dass sie gesucht, aber nichts Passendes gefunden haben, sei es, dass sie sich von Anfang an ohne Kaufabsicht nur in den Läden umsehen oder informieren wollten. Aus diesem Grund ist die Zahl der allein wegen der Ladenöffnung zu erwartenden Besucher jedenfalls deutlich höher als die Zahl der Käufer.
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Vor diesem Hintergrund lässt sich aus der Zahl der Kaufvorgänge im Vorjahr von rund 19.000 nicht schlüssig und vertretbar die Prognose herleiten, mehr als die Hälfte der insgesamt erwarteten Besucher von rund 30.000 käme allein wegen des „Herbstmarkts“ und nicht wegen der Ladenöffnung nach Bad Kreuznach. Diese Zahl der Kaufvorgänge würde im Gegenteil die Prognose rechtfertigen, dass der bei einer alleinigen Ladenöffnung zu erwartende Besucherstrom die vom „Herbstmarkt“ allein angezogene Besucherzahl übersteigt.
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Andere bei Erlass der Rechtsverordnung vorliegende Umstände, welche die der Regelung zugrundeliegende Prognose der Besucherzahlen als schlüssig und vertretbar erscheinen ließen, sind nicht ersichtlich. Das Fehlen einer schlüssigen und vertretbaren Prognose geht, wie oben dargelegt, zulasten der Antragsgegnerin als Normgeber.
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b) Hat nach alledem ein Normenkontrollantrag gegen die angegriffene Rechtsverordnung voraussichtlich Erfolg, so ist dies, wie oben dargelegt, ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache suspendiert werden muss. Auch unter Berücksichtigung der Belange der Antragsgegnerin und der Einzelhändler der Innenstadt von Bad Kreuznach ist hier die Außervollzugsetzung von § 1 der angegriffenen Rechtsverordnung der Antragsgegnerin über die Freigabe eines verkaufsoffenen Sonntags am 27. Oktober 2019 dringend geboten, da die Verletzung der schutzwürdigen Rechte der Antragstellerin durch die unwirksame Verordnung ohne Erlass der einstweiligen Anordnung im Hauptsacheverfahren nicht mehr rückgängig gemacht werden könnte. Denn mit Ablauf des 27. Oktober 2019 und der Durchführung des verkaufsoffenen Sonntags an diesem Tag in der Innenstadt der Antragsgegnerin ließen sich die damit verbundenen tatsächlichen Konsequenzen nicht mehr ungeschehen machen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 53 Abs. 2, 52 Abs. 1 und 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (LKRZ 2014, 169), wobei im Hinblick auf die Vorwegnahme der Hauptsache im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes der für das Hauptsacheverfahren anzunehmende Streitwert zugrunde gelegt wird.
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Referenzen
- §§ 53 Abs. 2, 52 Abs. 1 und 2 GKG 3x (nicht zugeordnet)
- § 10 LadöffnG 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 47 6x
- § 3 Satz 1 Nr. 1 LadöffnG 1x (nicht zugeordnet)
- § 10 Satz 2 LadöffnG 1x (nicht zugeordnet)
- § 10 Satz 3 LadöffnG 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 154 1x
- Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (6. Senat) - 6 B 11337/18 1x
- 1 S 45/17 1x (nicht zugeordnet)
- 4 B 517/19 1x (nicht zugeordnet)
- 6 S 325/17 1x (nicht zugeordnet)
- 6 C 11131/18 1x (nicht zugeordnet)