Beschluss vom Schleswig Holsteinisches Oberverwaltungsgericht (1. Senat) - 1 LA 75/10
Tenor
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - Einzelrichter der 8. Kammer - vom 12. Juli 2010 wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Antragsverfahrens. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Antragsverfahren auf
15.000,-- Euro
festgesetzt.
Gründe
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Der Antrag hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.
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1. Es bestehen keine ernstlichen Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts.
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Das gilt auch dann, wenn man – wie es das Verwaltungsgericht (zulässigerweise) getan hat – zugunsten des Klägers unterstellte, dass sich das Vorhaben des Beigeladenen, die Errichtung eines Hauses mit 6 Wohneinheiten (als Seniorenwohnanlage), hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung nicht in die Eigenart der näheren Umgebung im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB einfügte; denn das Nicht-Einfügen hinsichtlich dieses Merkmals ist nicht stets gleichzeitig als Nachbarrechtsverletzung zu werten, sondern nur und erst dann, wenn sich die Umstände, auf denen das Nicht-Einfügen beruht, auf dem in Rede stehenden Nachbargrundstück in tatsächlicher Weise rücksichtslos auswirken. Dafür gibt es hier keine hinreichenden Anhaltspunkte.
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Der Senat teilt insbesondere die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass „nicht ernsthaft in Betracht zu ziehen“ sei, dass von dem Vorhaben des Beigeladenen aufgrund seiner Höhe und seiner Baumasse eine erdrückende und damit rücksichtslose Wirkung ausgehen könnte. Der Kläger hat nichts vorgetragen, was die Richtigkeit dieser Auffassung hätte ernsthaft in Zweifel ziehen können. Sein Hinweis, dass auch bei Einhaltung der der nachbarlichen Belange ausreichender Belichtung, Besonnung und Belüftung sowie eines ausreichenden Sozialabstandes dienenden bauordnungsrechtlichen Abstandsvorschriften eine Verletzung des bauplanungsrechtlichen Rücksichtnahmegebots nicht ausgeschlossen sei, mag rechtsdogmatisch richtig sein (BVerwG, Beschl. v. 11.01.1999 – 4 B 128.98 –, BRS 62 Nr. 102 m.w.N.). Das Bundesverwaltungsgericht hat in dieser Entscheidung jedoch auch betont, dass „zumindestens aus tatsächlichen Gründen“ das Rücksichtnahmegebot im Regelfall nicht verletzt sein wird, wenn die Abstandsvorschriften eingehalten sind.
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Warum hier kein Regel-, sondern ein Ausnahmefall vorliegen sollte, ist auch bei der vom Kläger geforderten „Gesamtschau“ nicht erkennbar:
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Daran ändert auch der in anderem Zusammenhang (mit den Darlegungen zum Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) erfolgte Hinweis des Klägers, dass das Gelände abschüssig sei und sein Haus unterhalb des Gebäudes des Beigeladenen liegen werde, nichts. Zum einen hat der Kläger nicht – wie nach § 124 a Abs. 4 S. 4 VwGO vorgeschrieben – dargelegt, in welchem Umfang das Gelände in Richtung auf sein Grundstück und Haus hin abfällt und wie sich dieser Geländeabfall – zusätzlich – auf die Beschattung seines Grundstücks auswirken wird. Zum anderen ist das Grundstück des Klägers mit dem sich aus dem Geländeabfall ergebenden Lagenachteil und den sich daraus weiter ergebenden Konsequenzen „vorbelastet“. Es mag zwar in solchen Fällen die Grenze, ab der eine erdrückende Wirkung und damit eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme anzunehmen ist, eher erreicht bzw. überschritten sein, wenn sich das Vorhaben auf dem Nachbargrundstück nach dem Maß der baulichen Nutzung objektiv nicht in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt. Dass die Grenze hier – auch bei Berücksichtigung der „Vorbelastung“ seines Grundstücks durch den (naturgegebenen) Lagenachteil – überschritten wäre, hat der Kläger jedoch, wie bereits erwähnt, nicht dargelegt. Dafür, dass der Geländeabfall nicht erheblich ist oder sich jedenfalls nicht gravierend auswirkt, spricht im Übrigen, dass dieser weder im Verwaltungsverfahren noch im erstinstanzlichen Verfahren überhaupt erwähnt worden ist und ihn der Kläger in seiner Antragsbegründung auch lediglich als „Geländeunebenheit“ beschreibt.
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An dem Ergebnis der „Gesamtschau“ – keine erdrückende Wirkung – ändert auch die Rüge des Klägers, das Verwaltungsgericht sei fälschlicherweise davon ausgegangen, dass das Vorhaben des Beigeladenen durchgängig einen Abstand von 9 m zur Grundstücksgrenze einhalten werde, nichts. Diese Rüge ist bereits in tatsächlicher Hinsicht falsch: Das Verwaltungsgericht ist von einem solchen Abstand nur für den „insbesondere beanstandeten rückwärtigen Bereich“ des geplanten Vorhabens ausgegangen (S. 8, 3. Abs., der UA). Zwar hält der vordere Teil des Vorhabens nur den Mindestabstand von 3 m zur Grundstücksgrenze ein. Von einem „unmittelbaren Nebeneinander“ zwischen dem Haus des Klägers und diesem Teil des künftigen Gebäudes des Beigeladenen kann trotzdem ebenfalls keine Rede sein, weil das Haus des Klägers von der gemeinsamen Grundstücksgrenze ca. 8 m entfernt ist und noch ein Nebengebäude, vermutlich die Garage des Klägers, dazwischen liegt.
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Soweit der Kläger geltend macht, das Vorhaben des Beigeladenen überschreite die faktische hintere Baugrenze (und füge sich auch deshalb nicht in die Eigenart der näheren Umgebung im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB ein) – mit der Folge, dass ihm künftig „die Nachbarn auf den eigenen Kaffeetisch blicken würden“ –, kann er auch damit nicht durchdringen. Zum einen vermittelte eine Überschreitung einer festgesetzten oder faktischen rückwärtigen Baugrenze per se noch keinen Nachbarschutz (OVG Berlin, Urt. v. 23.09.1988 – 2 B 144.86 –, BRS 48 Nr. 177). Zum anderen gibt es auf den Grundstücken südlich der Straße „…“ keine einheitliche rückwärtige Baugrenze, die bewirkte, dass die Grundstücke – wie es beispielsweise bei Reihenhausgrundstücken der Fall sein kann – insoweit eine „Schicksalsgemeinschaft“ bildeten. Schließlich beträgt der Unterschied zwischen den Bebauungstiefen auf dem Grundstück des Klägers und dem Grundstück des Beigeladenen nur ca. 1 m. Dem Kläger kommt der Unterschied nur deshalb größer vor, weil die Straße „…“ in einer leichten Kurve verläuft, d.h. die vordere Grenze des Grundstücks des Beigeladenen gegenüber der entsprechenden Grenze des Grundstücks des Klägers etwas in Richtung Südwesten verschwenkt. Dieser geringe Unterschied bezüglich der Bebauungstiefen sowie der Umstand, dass der rückwärtige Teil des Gebäudes des Beigeladenen zur Grenze einen Abstand von ca. 9 m einhält, also weit mehr als nach den hier noch maßgeblichen (strengeren) Abstandsvorschriften der LBO 2000 vorgeschrieben war, lassen die Auffassung des Klägers, er werde durch die vom Gebäude des Beigeladenen gegebenen Einsichtsmöglichkeiten in rücksichtsloser Weise in seiner Grundstücksnutzung beeinträchtigt werden, als fernliegend erscheinen. Daran änderte auch nichts, wenn im rückwärtigen Teil des Gebäudes des Beigeladenen auch Wohnzimmer zum Grundstück des Klägers hin angeordnet würden.
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Die weitere Rüge des Klägers, das Verwaltungsgericht habe nicht berücksichtigt, dass im Gebäude des Beigeladenen nur 3 Garagen vorgesehen seien und durch das Abstellen der 9 zusätzlichen Kfz, die aufgrund des Vorhabens des Beigeladenen zu erwarten seien (2 Kfz je Wohneinheit), im öffentlichen Verkehrsraum „chaotische Verkehrsverhältnisse“ verursacht würden und sein Grundstück von „Chaos-Parkern“ zugeparkt werde, geht schon in tatsächlicher Hinsicht an der Realität vorbei. Es ist nicht zu erwarten, dass die Bewohner der „Seniorenwohnungen“, falls sie angesichts ihrer relativ geringen Größe nicht ohnehin überwiegend von Einzelpersonen bewohnt werden werden, jeweils 2 Kfz/Wohnung vorhalten werden. Vor allem aber – darauf haben bereits die Beklagte und das Verwaltungsgericht hingewiesen – ist die Stellplatzfrage nicht Gegenstand des hier angefochtenen Vorbescheids. Mit diesem ist lediglich die planungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens bejaht worden. Die Frage, wie viele Stellplätze erforderlich und wo sie anzulegen sind – grundsätzlich hat dies auf dem Baugrundstück zu geschehen (§ 50 Abs. 5 S. 1 LBO 2009) – ist dagegen eine bauordnungsrechtliche Frage. Sie ist in der noch zu erteilenden Baugenehmigung zu regeln.
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2. Die Berufung ist auch nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO – wegen eines Verfahrensfehlers im Sinne dieser Vorschrift – zuzulassen. Zwar hat das Verwaltungsgericht, obwohl es „vor Ort“ verhandelt hat, keine Ortsbesichtigung durchgeführt. Das ist angesichts dessen, dass der im Verhandlungstermin durch seinen Prozessbevollmächtigten vertretene Kläger keinen förmlichen Beweisantrag gestellt hat und sich die Durchführung einer Ortsbesichtigung angesichts des seinerzeitigen Sach- und Streitstandes für das Gericht nicht aufdringen musste (zu letzterem, vgl. o.), nicht als Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht und damit als Verfahrensfehler zu werten.
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Die Kosten des Antragsverfahrens hat der Kläger zu tragen, weil sein Antrag keinen Erfolg gehabt hat (§ 154 Abs. 1 VwGO).
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Anlass, die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen aus Billigkeitsgründen für erstattungsfähig zu erklären, besteht nicht; denn der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt und sich damit nicht am Kostenrisiko des Verfahrens beteiligt (vgl. §§ 162 Abs. 3, 154 Abs. 3 VwGO).
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Der Wert des Streitgegenstandes für das Antragsverfahren ist gem. §§ 47 Abs. 3, Abs. 1, 52 Abs. 1 GKG festgesetzt worden.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 S. 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 S. 3 GKG) und damit das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124 a Abs. 5 S. 4 VwGO).
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Referenzen
- § 50 Abs. 5 S. 1 LBO 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 154 2x
- VwGO § 124 3x
- VwGO § 152 1x
- § 66 Abs. 3 S. 3 GKG 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 124a 2x
- VwGO § 162 1x
- § 34 Abs. 1 BauGB 2x (nicht zugeordnet)
- §§ 47 Abs. 3, Abs. 1, 52 Abs. 1 GKG 2x (nicht zugeordnet)