Beschluss vom Schleswig Holsteinisches Oberverwaltungsgericht (1. Senat) - 1 LA 56/11

Tenor

Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 2. Kammer, Einzelrichterin - vom 15.06.2011 wird abgelehnt.

Die Kläger tragen die Kosten des Antragsverfahrens.

Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Antragsverfahren auf

15.000,-- Euro

festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Kläger wenden sich gegen Vorbescheide bzw. Baugenehmigungen, die den Beigeladenen am 11. Januar 2002, 17. April, 31. Mai, 05. und 12. Juni 2007 und am 15. April und 30. Mai 2008 für die Errichtung eines Heizöllagers, einer Bewegungshalle für Pferde, von Pferdeställen (mit Boxen) und Unterständen, eines Reitplatzes, eines Heu- und Strohlagers und für die Erweiterung eines Einfamilienhauses mit Anbau (Büro- und Wirtschaftsräume) erteilt worden sind. Die Kläger sind Eigentümer des im Außenbereich gelegenen, mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks …in … (Flurstück … der Flur ..). Die Beigeladenen sind Eigentümer des im Außenbereich gelegenen Grundstücks … in … (Flurstück … der Flur …), das benachbarte Flurstück … (am …) gehört dem Sohn der Beigeladenen. Der Beigeladene zu 1) ist hauptberuflich als geschäftsführender Gesellschafter von Windenergieparks und als Vorstand des Wirtschaftsverbandes Windkraftwerke e. V. tätig; die Bauvorhaben sind vom Beklagten im Rahmen einer als „landwirtschaftlicher Nebenerwerbsbetrieb“ bezeichneten Pferdehaltungs- und Reitsportanlage genehmigt worden.

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Die Grundstücke und die Lage der Baulichkeiten sind aus dem Lageplan ersichtlich:

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Die (Untätigkeits-)Klage der Kläger hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 15. Juni 2011 abgewiesen, weil die Kläger ihr materielles Abwehrrecht in Bezug auf die 2002 genehmigte Heizöllagerung, die 2007 genehmigte Erweiterung des Einfamilienhauses, den Neubau eines Pferdestalles mit Bewegungshalle und die Errichtung eines Pferdestalles mit 12 Boxen verwirkt hätten. Soweit die Klage gegen die Genehmigung des Lagergebäudes für Heu- und Strohballen gerichtet sei, würden Nachbarrechte der Kläger nicht verletzt. Das Gleiche gelte für den Reitplatz. Auch gegen das Gebot der Rücksichtnahme werde nicht verstoßen.

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Gegen das am 28. Juli 2011 zugestellte Urteil richtet sich der am 08. August 2011 eingegangene Antrag auf Zulassung der Berufung. Die Kläger halten die Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils für zweifelhaft (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Eine Verwirkung sei nicht anzunehmen, weil die Beigeladenen niemals darauf vertraut hätten, dass sie - die Kläger - ihr Abwehrrecht nicht wahrnähmen. Im Hinblick auf die „offensichtlich mangelnde“ Privilegierung i. S. d. § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB müsse der Bauherr, der davon wisse, jederzeit mit einem Angriff auf die Baugenehmigung rechnen. In Bezug auf den Pferdestall sei der Nachbarwiderspruch schon vor Ablauf der Jahresfrist erhoben worden; es sei unrichtig, dass nach Vollendung des Bauwerks Verwirkung eintrete. Das genehmigte Heulager erfordere einen Brandschutzabstand von 25 m zur Grundstücksgrenze, was nicht berücksichtigt worden sei. Bei der Abwägung der beiderseitigen Interessen sei die fehlende Privilegierung der Hofanlage zu berücksichtigen; bei einer Investitionssumme zwischen 600.000 und 1 Mio. Euro würde ein „vernünftiger Landwirt“ im Außenbereich so etwas nicht bauen, da es sich nie amortisieren könne. Die Gebäudefront aus Reithalle, Stall und Zwischenbau mit einer Gesamtlänge von mehr als 63 m habe eine extrem beeinträchtigende und erdrückende Wirkung für das in etwa mittig dazu liegende Grundstück der Kläger. Aus dem Garten sei nur noch die Sicht nach Osten möglich; dort befinde sich der Paddock. Im Hinblick auf die für die Abwägung relevante Privilegierung habe das Verwaltungsgericht auch die Pflicht zur Sachaufklärung verletzt.

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Die Rechtssache enthalte im Hinblick auf die Voraussetzungen der Verwirkung, das Erfordernis, die Voraussetzungen der Privilegierung zu prüfen, und den Begründungsaufwand im erstinstanzlichen Urteil auch besondere Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).

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Grundsätzlich bedeutsam seien die Fragen, ob ein Nachbar, der (erst) nach Baufertigstellung Abwehrrechte geltend mache, seine Abwehrrechte verwirke und ob im Zusammenhang mit einer „erdrückenden Wirkung“ die Frage der Privilegierung offen gelassen werden dürfe. Da das Verwaltungsgericht die Voraussetzungen der Verwirkung verkannt und die Frage der Privilegierung des Vorhabens der Beigeladenen „offen“ gelassen habe, sei auch der Zulassungsgrund der Divergenz gegeben.

II.

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Der fristgerecht eingegangene und begründete Zulassungsantrag bleibt ohne Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 Nr. 1, 2, 3 und 4 VwGO liegen nicht vor.

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1. Die Zulassungsgründe gehen - im Sinne eines gemeinsamen Grundgedankens - davon aus, dass das „Gesamtensemble“ der Vorhaben der Beigeladenen nicht die Privilegierungsvoraussetzungen des § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB erfülle. Dazu hat der Senat in seinem Beschluss vom 17. Juni 2009 - 1 MB 13/09 - ausgeführt:

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„1) Es mag sein, dass für die Vorhaben des Beigeladenen die Privilegierungsvoraussetzungen des § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB („landwirtschaftlicher Betrieb“) nicht vorliegen und der Beigeladene bei zutreffender Erfassung der Betriebsstruktur und Flächengrundlage auf seinen Grundstücken einen Gewerbebetrieb realisiert hat. Eine damit begründete objektive Rechtswidrigkeit der früher (nachträglich, nach der Verwirklichung der Bauten) erteilten Genehmigungen bzw. der jetzt angefochtenen Genehmigung ... würde aber nicht „automatisch“ zu einer Verletzung geschützter nachbarlicher Rechte der Antragsteller führen. Das Gleiche gilt für den – von den Antragstellern angenommenen – Fall, dass der Beigeladene die Privilegierungsvoraussetzungen auf unzutreffende tatsächliche Angaben gestützt hat und die dazu erteilte Stellungnahme der Landwirtschaftskammer nicht tragfähig ist. Auch wenn man darauf abstellt, dass die Antragsteller, deren Grundstück ebenso wie das des Beigeladenen im Außenbereich liegt, „nur“ mit einer heranrückenden privilegierten (also i. d. R. landwirtschaftlichen) baulichen Nutzung zu rechnen brauchen, nicht aber auch mit einer gewerblichen Nutzung, würde sich daraus für ihre – hier allein maßgeblichen – nachbarlichen Rechte kein anderer Ansatzpunkt ergeben. Das – im Rahmen des § 35 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 BauGB - für die Antragsteller streitende Gebot der Rücksichtnahme (vgl. dazu Söfker, in: Ernst/Zinkahn u. a., BauGB, Stand Okt. 2008, § 35 Rn. 185) vermittelt den Antragstellern keinen allgemeinen Abwehranspruch gegen objektiv rechtswidrige Außenbereichsvorhaben, sondern nur gegen unzumutbare Immissionen oder sonstige – hinreichend konkretisierte – Belästigungen.“

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An diesen Ausführungen ist festzuhalten. Es mag sein, dass die „Hofanlage“ bei zutreffender Veranschlagung der Investitionskosten (statt 250.000 Euro zwischen 600.000 und 1 Mio. Euro [nach Schätzung der Kläger - Anlage BK 2]) keinen wirtschaftlich tragfähigen (privilegierten) landwirtschaftlichen Nebenerwerbsbetrieb mehr darstellt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 10.01.1995, 4 B 2.95, BRS 57 Nr. 98). Für den Rechtsschutz ist indes nicht entscheidend, ob die Bauvorhaben der Beigeladenen privilegiert bzw. objektiv (bau-) rechtswidrig sind, sondern allein, ob die Kläger eine schutzwürdige Abwehrposition anführen können, die sie diesen Vorhaben aus eigenem Recht entgegensetzen können. Eine fehlende Privilegierung der Vorhaben der Beigeladenen führt dazu, dass diese nach § 35 Abs. 2 BauGB (nur) zugelassen werden können, wenn ihre Ausführung oder Benutzung öffentliche Belange nicht beeinträchtigt und die Erschließung gesichert ist. Allein dadurch, dass die auf dem Grundstück der Beigeladenen genehmigten Vorhaben wegen einer Beeinträchtigung öffentlicher Belange unzulässig sind, erlangen die Kläger keine „einklagbare“ Abwehrposition (BVerwG, Urt. v. 28.10.1993, 4 C 5.93, NVwZ 1994, 686). Solche öffentlichen Belange dienen nicht dem Schutz privater Dritter, so dass sich eigene - private - Belange und Abwehrrechte der Kläger sich nur aus anderen Normen ergeben können.

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Das auch für Außenbereichsvorhaben geltende Gebot der Rücksichtnahme (§ 35 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 BauGB) knüpft nicht „abstrakt“ an eine Verletzung objektiven Baurechts an, sondern an den - auch die Nachbarschaft einbeziehenden - Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen i. S. d. § 3 BImSchG (vgl. Söfker, in: Spannowsky/Uechtritz, BauGB, 2009, § 35 Rn. 79). Folglich kann weder eine objektiv rechtswidrige Annahme der Privilegierungsvoraussetzungen des § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB noch die (daraus resultierende) unterlassene Prüfung der Beeinträchtigung öffentlicher Belange i. S. d. § 35 Abs. 2 BauGB zu einer Verletzung schutzfähiger Nachbarrechte führen. Auch im Rahmen des Rücksichtnahmegebots ist eine wehrfähig Position des Nachbarn gegenüber dem Vorhaben erforderlich, weil nur auf solche Interessen des Nachbarn Rücksicht zu nehmen ist, die materiell-rechtlich schützenswert sind. Fehlen „in diesem Sinn schutzwürdige“ Interessen des Nachbarn, greift das Rücksichtnahmegebot nicht; dabei kommt es nicht darauf an, ob die vom Nachbarn angefochtene Baugenehmigung - objektivrechtlich - rechtswidrig ist. Dem § 35 BauGB kommt ... also gerade nicht die Funktion einer allgemein nachbarschützenden Norm zu“ (so ausdrücklich BVerwG, Beschl. v. 03.04.1995, 4 B 47.95, BRS 57 Nr. 224 [bei Juris Tn. 2], mit Hinweis auf BVerwG, Urt. v. 28.10.1993, a.a.O.).

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An diesen - allgemeinen und gefestigter Rechtsprechung entsprechenden - Vorgaben sind die einzelnen Argumente des Zulassungsantrags zu messen.

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2. Die Richtigkeit des klagabweisenden Urteils des Verwaltungsgerichts wird weder durch die Kritik der Kläger an den vom Verwaltungsgericht angenommen Gründen zur Verwirkung ihrer materiellen Abwehrrechte noch zur - fehlenden - Rücksichtslosigkeit der angegriffenen Bauvorhaben in Frage gestellt.

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a) Ob die materiellen Abwehrrechte der Kläger gegen die 2002 genehmigten Heizöltanks, die 2007 genehmigte Erweiterung des Einfamilienhauses, den Neubau eines Pferdestalles, einer Bewegungshalle und eines weiteren Pferdestalles mit 12 Boxen verwirkt sind, ist nur relevant, wenn durch die diesbezüglichen Genehmigungen nachbarschützende Bestimmungen des Bauplanungs- oder Bauordnungsrechts betroffen sind. Das ist in Bezug auf die Heizöltanks, das Einfamilienhaus und den Pferdestall mit 12 Boxen nicht dargelegt. Soweit die Kläger kritisieren, dass das Verwaltungsgericht es sich „viel zu einfach“ gemacht habe, weil die 2002 und 2007 entstandenen Bauwerke der Beigeladenen 150 m bis 200 m von ihrem Grundstück entfernt seien und keinen Anlass zur Überprüfung gegeben hätten, wird das Fehlen nachbarschützender Belange dadurch geradezu belegt.

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b) Hinsichtlich der Reithalle (Bewegungshalle) nebst angebautem Pferdestall werden (im Zulassungsverfahren) nachbarbezogene Einwände geltend gemacht (Behinderung der freien Aussicht). Das am 05.06.2007 genehmigte Vorhaben ist nach Aktenlage i. w. bis Herbst 2007 errichtet worden (Baubeginn 16.07.2007; Hochbauarbeiten bis ca. Okt. 2007 [Bl. 156, 163-195 Beiakte D]). Die Kläger haben sich dagegen erstmals am 28.04.2008 - also mehr als 9 Monate nach Baubeginn - gewandt. Unter diesen Umständen hat das Verwaltungsgericht die Verwirkung des diesbezüglichen Abwehrrechts der Kläger zutreffend angenommen. Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden, dass zu der Frage, welche (genaue) Dauer der Nichtausübung eines - ausübbaren - Rechts zu dessen Verwirkung führt, keine allgemein geltenden Bemessungskriterien angegeben werden können; dies sei von den Umständen des Einzelfalls abhängig. Grundsätzlich gelte allerdings ein „Mindestzeitraum“, der sich „nach oben hin deutlich von der jeweils in Betracht kommenden regelmäßigen Rechtsbehelfsfrist“ unterscheide; eine Verwirkung des materiellen Abwehrrechts komme „erst dann in Betracht, wenn der Berechtigte deutlich länger als einen Monat untätig geblieben ist“ (BVerwG, Urt. v. 16.05.1991, 4 C 4.89, NVwZ 1991, 1182 [bei Juris Tn. 22]). Dies entspricht auch der Rechtsprechung des Senats: Danach ist eine Verwirkung des nachbarlichen Abwehrrechts unabhängig von der Erteilung einer Baugenehmigung und sogar gegenüber einem ungenehmigten Bauvorhaben sowie deutlich vor Ablauf einer einjährigen Frist möglich (Urt. v. 26.03.1997, 1 L 322/97, Juris; vgl. auch Beschl. des Senats vom 11.08.2003, 1 LA 137/02, NordÖR 2004, 244).

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Soweit die Kläger annehmen, die Beigeladenen hätten niemals darauf vertraut, dass die Nachbarn ihr Abwehrrecht nicht wahrnähmen, ist dem nicht zu folgen. Die Beigeladenen haben den genehmigten Stall und die Bewegungshalle „hochgezogen“ und dadurch ihr Vertrauen in den Bestand der erteilten Baugenehmigung (nicht in das Verhalten der Nachbarn) betätigt. Ein (unterstelltes) Wissen der Bauherrn um die „offensichtlich mangelnde“ Privilegierung i. S. d. § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB ist unerheblich. Entscheidend ist vielmehr die „kausale Verknüpfung des von dem untätigen Nachbarn hervorgerufenen Vertrauenstatbestandes mit der Vermögensaufwendung des Bauherrn“ (Urt. des Senats vom 26.03.1997, a.a.O., [Tn. 20]). Die Kläger haben den Neubau „sehenden Auges“ wachsen sehen, ohne tätig geworden zu sein. Die Verwirkung ist unter diesen Umständen begründet. Auf die (allgemeine) Frage, ob (stets) nach Vollendung des Bauwerks Verwirkung eintritt, kommt es unter den hier gegebenen Umständen nicht an.

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c) Das Verwaltungsgericht hat auch zutreffend entschieden, dass die genehmigten Bauten gegenüber den Klägern nicht „rücksichtslos“ sind.

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Der - allgemeine - Gesichtspunkt der „objektiven Baurechtswidrigkeit“ vermag eine Rücksichtslosigkeit aller oder einzelner Bauvorhaben der Beigeladenen nicht zu begründen (s. o. 1.). Wenn es - wie das Bundesverwaltungsgericht entschieden hat (Beschl. v. 03.04.1995, a.a.O.) - im Rahmen des Rücksichtnahmegebots nicht darauf ankommt, ob die erteilte Baugenehmigung objektiv rechtswidrig ist, bedarf es zur Aufklärung der Privilegierungsvoraussetzungen des § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB auch keiner weiteren Sachaufklärung durch das Verwaltungsgericht. Das lässt sich auch nicht aus der für das Rücksichtnahmegebot - seit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 25.02.1977 (IV C 22.75, BVerwGE 52, 122 [bei Juris Tn. 22]) allgemein verwendeten - Formel ableiten, dass der Vorhabenträger umso weniger Rücksicht zu nehmen braucht, je „verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen“ sind. Diese „Interessen“ sind nicht - wie die Kläger (wohl) annehmen - gleichzusetzen mit der (rechtmäßigen) Annahme oder Inanspruchnahme eines Privilegierungstatbestandes gem. § 35 Abs. 1 BauGB. Das Maß der im nachbarlichen Verhältnis zu verlangenden oder zu erbringenden Rücksichtnahme unterscheidet sich grundsätzlich nicht danach, ob ein Vorhaben im Außenbereich die Privilegierungsvoraussetzungen nach § 35 Abs. 1 BauGB erfüllt oder als „sonstiges Vorhaben“ zugelassen wird, weil es keine öffentlichen Belange beeinträchtigt.

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Eine Verletzung der nachbarlichen Rücksichtnahme kann danach nur aus konkreten Ansatzpunkten abgeleitet werden, die sich - im Ansatz - allenfalls für die „grenznahen“ Bauvorhaben der Beigeladenen, also die Bewegungshalle mit Pferdestall, das Heu- und Strohlager und den Paddock mit Unterstand ergeben können. Für die Bewegungshalle mit Pferdestall bedarf es insoweit keiner näheren Prüfung, da die nachbarlichen Abwehrrechte insoweit - wie ausgeführt (oben 2.a) - verwirkt sind. Für das am 15.04.2008 genehmigte Heu- und Strohlager hat das Verwaltungsgericht eine Verletzung des Rücksicht-nahmegebots zutreffend verneint; der Senat schließt sich den überzeugenden Urteilsgründen (S. 23 des Urt.-Abdr.) an, die der bereits im Senatsbeschluss vom 18.06.2008 - 1 MB 6/08 - (S. 4 f.) niedergelegten Beurteilung entsprechen.

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Soweit die Kläger aus der (addierten) Gesamtlänge der Gebäudefront aus Reithalle, Stall und Zwischenbau von mehr als 63 m eine erdrückende Wirkung für ihr in etwa mittig dazu liegendes Grundstück abzuleiten versuchen, hat das Verwaltungsgericht dem bereits entgegengesetzt, dass in Anbetracht der Abstände zwischen den genannten Gebäuden und der Grundstücksgrenze bzw. dem Wohnhaus der Kläger auch „in Zusammenschau“ von einer „Riegelwirkung“ keine Rede sein kann (S. 25 des Urt.-Abdr.). Das und die verbleibenden Aussichtsmöglichkeiten nach Westen, Süden und Osten führen dazu, dass eine „optisch bedrängende Wirkung“ ernsthaft nicht angenommen werden kann.

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Aus dem für erforderlich erachteten „Brandschutzabstand“ des Heu- und Strohlagers von 25 m zur Grundstücksgrenze lässt sich ebenfalls kein Einwand gegen das klagabweisende Urteil ableiten. Der Abstand bis zum Wohnhaus der Kläger beträgt 50 m, so dass der von den Feuerwehren geforderte Abstand hier gewahrt ist.

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3. Die Berufungszulassung kann auch nicht wegen Vorliegens besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten beansprucht werden (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).

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Allein aus dem „Begründungsaufwand im erstinstanzlichen Urteil“ ist der Zulassungsgrund nicht abzuleiten (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 05.11.2009, 14 A 2816/07 [bei Juris Tn. 8]; VGH München, Beschl. v. 02.10.2001, 10 ZS 01.862 [bei Juris Tn. 7]). Bestimmte tatsächliche Schwierigkeiten sind im Zulassungsantrag nicht benannt; die mit den „Voraussetzungen der Verwirkung“ und der Prüfung der Privilegierung in Verbindung gebrachten (rechtlichen) Schwierigkeiten bestehen nicht. Die - allgemeinen - Voraussetzungen der Verwirkung nachbarlicher Abwehransprüche sind in der Rechtsprechung geklärt (s. o. 2.b); im vorliegenden Fall sind - spezifische (komplexe oder nur schwer zu überblickende) - Umstände, die „besondere“ Schwierigkeiten begründen könnten, weder dargetan worden noch aus dem Kontext des Antragsvorbringens ersichtlich. Zur Prüfung der Privilegierung können sich - im Ansatz - Schwierigkeiten i. S. d. § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht ergeben, weil diese Prüfung nicht entscheidungserheblich ist.

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4. Die als grundsatzbedeutsam i. S. d. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO angeführten Fragestellungen rechtfertigen eine Berufungszulassung ebenfalls nicht.

25

Die Frage, ob ein Nachbar, der (erst) nach Baufertigstellung Abwehrrechte geltend macht, seine Abwehrrechte verwirkt, würde sich in einem Berufungsverfahren nicht entscheidungserheblich stellen, weil bereits die oben zu 2.b behandelten Umstände die Verwirkung begründen. Abgesehen davon ist die Frage nicht in verallgemeinerungsfähiger Weise zu klären; die Verwirkung nachbarlicher Abwehrrechte setzt wie jede Verwirkung - erstens - das Verstreichen eines längeren Zeitraums seit der Möglichkeit der Geltendmachung eines Rechts und - zweitens - besondere Umstände voraus, die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen (BVerwG, Beschl. vom 16.04.2002, 4 B 8.02, BauR 2003, 1031). Das zeitliche Moment einer Verwirkung ist von den Umständen des Einzelfalls abhängig(BVerwG, Urt. v. 16.05.1991, a.a.O.). Nachbarn sind gehalten, durch „zumutbares aktives Handeln [dabei] mitzuwirken, einen wirtschaftlichen Schaden des Bauherrn zu vermeiden oder den Vermögensverlust möglichst niedrig zu halten; der Nachbar muss dieser Verpflichtung dadurch nachkommen, dass er nach Erkennen der Beeinträchtigung durch Baumaßnahmen ungesäumt seine nachbarlichen Einwendungen geltend macht, wenn ihm nicht der Grundsatz von Treu und Glauben entgegengehalten werden soll, weil er mit seinen Einwendungen länger als notwendig gewartet hat (...). ... Zur Wahrung seiner materiellen Rechte kann je nach den Umständen des Einzelfalles schon ein deutlicher Widerspruch des Nachbarn gegenüber dem Bauherrn genügen; ergänzend kann ferner bei Schwarzbauten gegenüber der Bauaufsichtsbehörde ein Anspruch auf Einschreiten in Betracht kommen. Entscheidend ist allein, ob der Nachbar in Kenntnis der ihn beeinträchtigenden Baumaßnahmen widerspruchslos hinnimmt, dass der Bauherr weitere Investitionen tätigt“ (BVerwG, Beschl. v. 18.03.1988, 4 B 50.88, NVwZ 1988, 730 [bei Juris Tn. 4]). Im Hinblick auf diese - gefestigte - Rechtsprechung zeigt der Zulassungsantrag weiteren (grundsatzbedeutsamen) Klärungsbedarf nicht auf.

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Die - weitere - Frage, ob im Zusammenhang mit einer „erdrückenden Wirkung“ die Frage der Privilegierung offen gelassen werden darf, ist ebenfalls nicht grundsatzbedeutsam. Insoweit wird auf die Ausführungen zu oben 2.c verwiesen.

27

5. Schließlich ist auch der Zulassungsgrund der Divergenz gem. § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO nicht gegeben. Allgemeine Rechtssätze der höchst- oder obergerichtlichen Rechtsprechung, die von einem - konkreten - Rechtssatz im erstinstanzlichen Urteil zur selben Rechtsnorm oder -frage abweichen, haben die Kläger im Zulassungsantrag nicht benannt; damit wird insoweit das Darlegungserfordernis verfehlt (§ 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO). Es wäre i. ü. keine Divergenz, sondern ein Rechtsanwendungsfehler, wenn das Verwaltungsgericht die Voraussetzungen der Verwirkung verkannt hätte (was nicht der Fall ist). Entsprechendes gilt auch für das „Offenlassen“ der Frage der Privilegierung des Vorhabens der Beigeladenen.

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6. Der Zulassungsantrag ist nach alledem anzulehnen. Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist rechtskräftig (§ 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

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7. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

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Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind gemäß § 162 Abs. 3 VwGO nicht erstattungsfähig, weil diese im Antragsverfahren keine Anträge gestellt haben. Ihr Schriftsatz vom 02.09.2011 betraf nur das Mediationsverfahren.

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Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 52 Abs. 1 GKG.

32

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 S. 5, 66 Abs. 3 S. 3 GKG).


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