Beschluss vom Schleswig Holsteinisches Oberverwaltungsgericht (1. Senat) - 1 LA 65/11

Tenor

Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 2. Kammer, Einzelrichterin - vom 20.09.2011 wird abgelehnt.

Die Klägerin trägt die Kosten des Antragsverfahrens.

Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Antragsverfahren auf

15.000,00 Euro

festgesetzt.

Gründe

1

Der auf den Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Zulassungsantrag bleibt ohne Erfolg. Die Richtigkeit des klagabweisenden Urteils des Verwaltungsgerichts unterliegt keinen ernstlichen Zweifeln, so dass ein Erfolg der angestrebten Berufung weniger wahrscheinlich als deren Misserfolg ist.

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Die Klägerin leitet ihre Einwände gegen die erstinstanzliche Entscheidung - im Wesentlichen - aus der Annahme ab, das genehmigte Bauvorhaben verletzte durch seine "bedrängende" Wirkung, durch die Einsichtsmöglichkeiten auf ihr Grundstück, die möglichen Lichtimmissionen und durch die "Zusammenschau" dieser Aspekte das Rücksichtnahmegebot. Das Verwaltungsgericht hat sich damit in seinem Urteil umfassend und mit überzeugenden Gründen auseinandergesetzt.

3

Das Bauvorhaben des Beigeladenen ist gemäß § 6 Abs. 12 LBO 2000 in einem Abstand von 2,57 m zur Grundstücksgrenze der Klägerin bzw. - ab 7 m Abstand von der … - grenzständig errichtet worden. In gewachsenen Altstadtbereichen - wie hier - dürfen geringere Tiefen der Abstandsflächen, als sie nach § 6 Abs. 4 bis 6 LBO 2000 erforderlich wären, nach § 6 Abs. 12 LBO 2000 zugelassen werden, wenn die Gestaltung des Ortsbildes dies erfordert. Dies gilt auch dann, wenn dadurch nachbarliche Interessen an Belichtung und Belüftung beeinträchtigt werden (vgl. Beschl. des Senats vom 01.02.2000, 1 M 132/99; VGH Mannheim, Urt. v. 13.02.1998, 5 S 3202/96, BRS 60 Nr. 86 [zu der entspr. Vorschrift in § 6 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 LBO 1995 Bad.-Württ.]). Eine durch grenzständige Bebauung oder durch verringerte Abstandsfläche entstehende Bebauung ist nicht rücksichtslos, sondern die situationsbedingte Folge der gewachsenen Bebauungsstruktur. Das zeigt ein Blick auf den Katasterplan: Das "Dreieck" zwischen H Straße, Ö und T…straße ist in geschlossener oder verdichteter Bauweise bebaut. In kaum einem Fall ist Freiraum für die Regelabstände des § 6 Abs. 5 LBO 2000 vorhanden.

4

Das Verwaltungsgericht hat auch in Bezug auf die sog. ""Lichtlaterne"" eine "bedrängend"- rücksichtslose Wirkung zu Recht verneint. Weder deren (First-)Höhe noch die das Grundstück der Klägerin betreffenden Einsichtsmöglichkeiten noch etwaige Lichtimmissionen führen zu einer solchen Wirkung.

5

Zur Frage des - nicht drittschützenden - Einfügens hat das Verwaltungsgericht in seinem Urteil das Erforderliche zutreffend ausgeführt (S. 14/15 des Urt.-Abdr.).

6

Zutreffend ist auch der Hinweis, dass Einsichtsmöglichkeiten in Gärten oder auf einen Balkon "gerade unter den Bedingungen der notwendigerweise verdichteten Bebauung in einem historisch gewachsenen Innenstadtbereich ... nicht zu vermeiden" sind (a.a.O., S. 15). In der Regel sind Nachbarn vor unerwünschten Einsichtsmöglichkeiten von benachbarten Häusern aus durch das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme nicht geschützt. Die im Rahmen der "Rundumsicht" liegenden Einsichtsmöglichkeiten sind von Nachbarn grundsätzlich hinzunehmen (Beschl. des Senats vom 11.11.2010, 1 MB 16/10, NordÖR 2011, 87). Etwas anderes kann gelten, wenn der Schutz vor Einsicht in konkreten planerischen Festsetzungen zum Ausdruck kommt oder eine verfestigte Bebauungsstruktur ein diesbezügliches Vertrauen - deutlich - rechtfertigt; dies bleibt (besonders) in innerstädtischen Lagen auf absolute Ausnahmefälle beschränkt (BVerwG, Beschl. v. 03.01.1983, 4 B 224.82, BRS 40 Nr. 192 [bei Juris Tn. 5]; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 29.09.2010, 10 S 21.10, BRS 76 Nr. 182 [bei Juris Tn. 13]). Im Hinblick auf die - vom Verwaltungsgericht (S. 16 des Urt.-Abdr.) angesprochenen - auch schon vor Verwirklichung des Vorhabens gegebenen und die auch auf den auf anderen (benachbarten) Grundstücken gegebenen "altstadttypischen" wechselseitigen Einsichtsmöglichkeiten fehlen für einen Ausnahmefall jegliche Anhaltspunkte. Allein die "erhöhte" Ebene, von der aus die Beigeladenen "Aussicht" auf benachbarte Grundstücke nehmen können, begründet keine andere Beurteilung. Auch wenn die "Lichtlaterne" eine "deutlich größere ... Aussichtsmöglichkeit als ein ... Fenster" (S. 12 der Antragsbegründung) bieten mag, ist diese gegenüber der Klägerin noch nicht als rücksichtslos zu verwerfen; sie ist nicht "zielgerichtet" oder im Sinne einer (in dem vom OVG Hamburg [Urt. v. 17.01.2001, 2 Bf 359/98, NordÖR 2002, 454] entschiedenen Fall so bezeichneten) "Aussichtskanzel" auf den Balkon oder den Garten der Klägerin gerichtet. Das hat das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt (S. 16 des Urt.-Abdr.). Die Ansicht der Klägerin, es habe Anlass bestanden, die genannte Problematik unter Berücksichtigung des Urteils des OVG Hamburg vom 17.01.2002 (a.a.O.) "eingehender zu würdigen", vermag demgegenüber Richtigkeitszweifel i. S. d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht zu begründen. Das Gleiche gilt auch für den Aspekt einer subjektiven "Besorgnis der Beobachtung", die nicht der baulichen Anlage als solcher, sondern eher dem persönlichen Verhältnis der Nachbarn zueinander entspringt. Eine nicht (mehr) zumutbare Einsichtsmöglichkeit ist in der Rechtsprechung angenommen worden für eine Aussichtsplattform, die dem Nachbarn kein Mindestmaß an Privatsphäre mehr beließ, einen Balkonanbau an einem Reihenhaus ein Meter neben dem Schlafzimmerfenster des Nachbarn (OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 29.09.2010, a.a.O., m. w. N.; OVG Weimar, Urt. v. 11.05.1995, 1 EO 486/94, BRS 57 Nr. 221 [bei Juris Tn. 51]) oder eine Dachterrasse, die aus kurzer Entfernung Einblickmöglichkeiten (auch) in die Fenster eines Nachbargebäudes eröffnet (OVG Weimar, Urt. v. 26.02.2002, 1 KO 305/99, BRS 65 Nr. 130). Von Fallgestaltungen dieser Art ist die "Lichtlaterne" auf dem Gebäude der Beigeladenen weit entfernt. Sie ist nicht dazu konzipiert worden, um Aussichtsmöglichkeiten (gerade) auf das Grundstück der Klägerin zu bieten. Unbeschadet der (im Rahmen des § 6 Abs. 12 LBO 2000 zugelassenen) "verdichteten Bebauung ist die Entfernung zwischen der "Lichtlaterne" und dem einsehbaren Bereichen des Grundstücks (Gartens) und des Balkons groß genug, um unzumutbare, die Privatsphäre "bedrängende" Auswirkungen auszuschließen.

7

Nach dem angegriffenen Urteil "spricht nichts" für unzumutbare Lichtimmissionen zu Lasten der Klägerin. Zweifel an der Richtigkeit sind insoweit nicht begründet.

8

Aus der Begründung des Zulassungsantrags ist nicht zu entnehmen, inwieweit überhaupt Lichtquellen aus den südseitigen Fenstern des Nachbarhauses bzw. aus der "Lichtlaterne"- auf das Grundstück der Klägerin bzw. ihre nordseitigen Fenster wirken können. Aus den bei den Akten befindlichen Fotos und Pläne ist nicht "abzulesen", ob eine den Lichtquellen des Beigeladenen zurechenbare Aufhellung des Wohnbereiches der Klägerin eintreten und auch schutzbedürftige Räume (Schlafzimmer) betreffen kann. Soweit die Lichtquellen höher liegen als die potentiell "betroffenen" Fenster der Klägerin, kann das einfallende Licht schon seinem Einfallswinkel nach keine spürbare Raumaufhellung erzeugen. Unzumutbare Einwirkungen aus elektrischer Beleuchtung sind in der Rechtsprechung bisher nur für direkt wirkende und lichtstarke Flutlicht-, Gebäudeanstrahl- und Werbeanlagen erwogen worden (vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 18.11.2010, 5 S 2112/09, BauR 2011, 1157; VG Düsseldorf, Urt. v. 12.02.2010, 25 K 4079/09, Juris; OVG Münster, Urt. v. 15.03.2007, 10 A 998/06, BRS 71 Nr. 70; OVG Lüneburg, Urt. v. 26.02.2003, 1 LC 75/02, NordÖR 2003, 242). In Bezug auf Lichtquellen im Wohnbereich wird - allgemein - davon ausgegangen, dass diese "durch geeignete Abdunklungsmaßnahmen (Rollos, Jalousien ö. ä.) verhindert werden" können (s. Ziff. 6.5 der "Hinweise zur Messung und Beurteilung von Lichtimmissionen" des Länderausschusses für Immissionsschutz vom 10.05.2000). Indem das Verwaltungsgericht - nach der Feststellung, dass für unzumutbare Lichtimmissionen "nichts spricht" - als zusätzliches Argument angeführt hat, es sei nicht ersichtlich, dass "verdunkelnde Rollos oder Gardinen" im Bereich der nördlichen Gebäudefront unzumutbar seien, hat es nicht, wie die Klägerin meint (S. 16 der Antragsbegründung), den "grundsätzlichen Vorrang" aktiven Immissionsschutzes verkannt, sondern nur auf die - wechselseitige - Pflicht zur Rücksichtnahme sowohl des Lichtemittenten (Beigeladener) als auch des Lichtbetroffenen (Klägerin) hingewiesen. Das aus der Sicht des Senats ist - jedenfalls - für Lichtwirkungen aus oder auf Wohnräume(n) überzeugend.

9

Auch eine "Zusammenschau" der von der Klägerin angeführten Aspekte stellt die Richtigkeit der erstinstanzlichen Klagabweisung nicht in Frage. Eine "erdrückende Wirkung" ist schon im Ansatz in eine solche "Zusammenschau" nicht einzustellen, weil sie nicht vorliegt. Die Einsichtsmöglichkeiten und die Lichtimmissionen liegen weit "auf der sicheren Seite" des Zumutbaren. Die Betroffenheit der Klägerin ist - insgesamt - in dem Rahmen geblieben, der auch schon vor der Neubebauung des Grundstücks des Beigeladenen vorhanden war.

10

Der Zulassungsantrag ist nach alledem abzulehnen. Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist rechtskräftig (§ 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

11

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind gemäß § 162 Abs. 3 VwGO nicht erstattungsfähig, weil er im Zulassungsverfahren keinen Antrag gestellt hat.

12

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 52 Abs. 1 GKG.

13

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 S. 5, 66 Abs. 3 S. 3 GKG).


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