Beschluss vom Schleswig Holsteinisches Oberverwaltungsgericht (4. Senat) - 4 LA 4/17

Tenor

Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 3. Kammer, Einzelrichter - vom 8. März 2016 wird abgelehnt.

Die Beklagte trägt die Kosten des Antragsverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Antragsverfahren auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der 1997 geborenen Klägerin wurde auf ihren Antrag hin die Fahrerlaubnis der Klasse B am 29. Mai 2015 erteilt. Mit ihrem Antrag hatte sie das ärztliche Attest einer Fachärztin für Innere Medizin vom 5. Dezember 2014 eingereicht, wonach sie unter einer Multiplen Sklerose (im Folgenden: MS) leide und regelmäßig neurologisch untersucht werde. Es seien keine neurologischen Ausfallerscheinungen bekannt und das Reaktionsvermögen sei nicht eingeschränkt. Die letzte ophthalmologische Untersuchung sei unauffällig. Es bestünden keine Bedenken beim Führen eines Kraftfahrzeugs im Straßenverkehr. Eine regelmäßige neurologische Kontrolluntersuchung sei notwendig und werde zurzeit in halbjährlichen Abständen durchgeführt. Hieraus schloss die Beklagte, dass die Klägerin nur bedingt geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen sei und ordnete mit Bescheid vom 12. Juni 2015 gemäß § 46 Abs. 2 FeV die halbjährliche Beibringung ärztlicher Bescheinigungen zu der Frage an, ob aus ärztlicher Sicht Bedenken gegen das Führen von Kraftfahrzeugen der Klasse B bestünden. Im Widerspruchsverfahren wies die Klägerin darauf hin, dass ihre Fahreignung nach dem ärztlichen Attest uneingeschränkt bestehe und legte ein aktuelles und gleichlautendes Attest vom 6. Juli 2015 vor. Im Widerspruchsbescheid vom 13. Oktober 2015 führte die Beklagte aus, dass die Anforderungen an die Kraftfahreignung gemäß Anlage 4 und 5 zur FeV zwar erreicht seien, eine regelmäßige Untersuchung jedoch nach ärztlichem Attest erforderlich sei, um die Überprüfung zu gewährleisten, dass die Fahreignung weiterhin bestehe.

2

Mit der gegen die Auflage erhobenen Anfechtungsklage hat die Klägerin ein weiteres ärztliches Attest vorgelegt. Danach waren weiterhin keine neurologischen Ausfallserscheinungen bekannt geworden. Auch das Reaktionsvermögen sei nicht eingeschränkt. Seit 2013 sei es zu keinem erneuten Schub der bekannten MS gekommen, weshalb keine Bedenken beim Führen eines Fahrzeugs im Straßenverkehr bestünden. Eine regelmäßige neurologische Verlaufsuntersuchung werde durchgeführt. In einer ärztlichen Stellungnahme der Klinik für Kinder und Jugendmedizin, Abteilung Neuropädiatrie der Universitätsmedizin Göttingen vom 28. Oktober 2015 heißt es unter anderem, dass bei der Patientin nur eine sehr milde MS vorliege, die unter der derzeitigen Therapie so gut kontrolliert sei, dass außer dem ersten Schub seit 2012 keine weiteren Auffälligkeiten aufgetreten seien. Erfahrungsgemäß behielten Patienten, die am Anfang einen sehr milden Verlauf hätten, diesen auch lebenslang bei. Es sei daher nicht zu erwarten, dass in den nächsten Jahren bei der Patientin Behinderungen auftreten würden, die ihre Fahrtüchtigkeit beeinträchtigten. Das halbjährliche Einholen eines ärztlichen Attestes erscheine daher aus medizinischer Sicht als eine unnötige Härte, die für die Patienten zu erheblichen zeitlichen aber auch finanziellen Aufwendungen führe.

3

Das Verwaltungsgericht hat die angefochtenen Bescheide durch Urteil vom 8. März 2016 aufgehoben, weil sich eine nur bedingte Fahreignung i.S.d. § 46 Abs. 2 FeV nicht allein aus der Diagnose einer MS begründen lasse. Vielmehr sei die Frage der Eignung oder bedingten Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen u.a. der Klasse B entsprechend Nr. 6.1 der Anlage 4 FeV und Ziffer 3.9.1 der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung in Abhängigkeit von der Symptomatik zu beurteilen. Aus den vorliegenden ärztlichen Attesten und Stellungnahmen ergäben sich keine Anhaltspunkte für eine nur bedingte Fahreignung der Klägerin.

II.

4

Der dagegen gerichtete Antrag auf Zulassung der Berufung der Beklagten ist zulässig, aber unbegründet. Es bestehen weder ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) noch kommt der Rechtssache die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung zu (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Jedenfalls hat die Beklagte solche Gründe nicht ausreichend dargelegt, § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO.

1.

5

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils bestehen nicht. Die Beklagte meint, dass es sich bei der MS um eine Erkrankung mit fortschreitendem Verlauf handele, weshalb eine Überwachung des Krankheitsverlaufs nach einer entsprechenden Diagnose auf jeden Fall geboten sei. Ziffer 3.9.1 der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung sehe bei fortschreitenden Erkrankungen in angemessenen Zeitabständen eine Untersuchung vor. Dies müsse auch bei einer MS mit mildem Verlauf gelten, wie sie für die Klägerin prognostiziert worden sei. Studien hätten ergeben, dass es auch hier langfristig zu schweren Ausfallerscheinungen und im fortschreitenden Verlauf zu schweren Störungen kommen könne. Unabhängig von der Frage der angemessenen Zeitabstände sei die Vorlage künftiger ärztlicher Bescheinigungen im Hinblick auf die Fahreignung der Klägerin jedenfalls grundsätzlich geboten.

6

Diese Darlegungen stellen die Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils nicht ernstlich in Frage. Der Senat folgt vielmehr der Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass allein die Diagnose einer milden MS ohne die zeitgleiche Feststellung weiterer Auffälligkeiten und ohne die Erwartung von Auffälligkeiten in den nächsten Jahren die Annahme einer nur bedingten Fahreignung und damit die Anordnung regelmäßiger Nachuntersuchungen nicht rechtfertigt.

7

Zutreffend und von der Beklagten unbeanstandet geht das Verwaltungsgericht davon aus, dass § 46 Abs. 2 Satz 1 FeV tatbestandlich eine nur bedingte Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen voraussetzt und dass die bedingte Eignung – ebenso wie die Ungeeignetheit – einen Eignungsmangel i.S.d. § 3 Abs. 1 StVG, § 11 Abs. 1 StVG voraussetzt, insbesondere eine Krankheit oder einen Mangel nach Anlage 4 oder 5 zur FeV, aufgrund derer die Eignung nur unter Einschränkungen angenommen werden kann (vgl. Hentschel/König/ Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl., § 2 StVG Rn. 42, 70; § 23 FeV Rn. 11; für Inhaber einer Fahrerlaubnis: § 46 FeV Rn. 12). Neben den dort aufgeführten körperlichen oder geistigen Mängeln können Krankheiten generell eine Nichteignung / nur bedingte Eignung bewirken, wenn sie die Fahrtüchtigkeit entweder ständig unter das erforderliche Maß herabsetzen oder auch nur die erhebliche Gefahr einer plötzlich und überraschend eintretenden Fahruntüchtigkeit bilden (Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 21. Aufl., § 2 StVG Rn. 8a).

8

Die Erkrankung MS ist in der Aufstellung der Anlage 4 FeV nicht aufgeführt. Die Aufstellung ist allerdings nicht abschließend (Hentschel/König/Dauer, a.a.O., § 11 FeV Rn. 19). Sie betrifft Erkrankungen und Mängel, die typischerweise die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen längere Zeit beeinträchtigen oder aufheben können. Nicht aufgenommen sind Erkrankungen, die seltener vorkommen oder nur kurzzeitig andauern (Vorbemerkung 1 zur Anlage 4). Während die Erkrankungen und Mängel nach der Anlage 4 FeV die Vermutung der Fahreignungsrelevanz in sich tragen, ist bei sonstigen Erkrankungen neben der Frage des Vorliegens bzw. des Ausprägungsgrades auch zu fragen, ob ein hinreichend enger Zusammenhang mit den spezifischen Anforderungen der Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr gegeben ist. Das bedeutet, dass zu klären ist, ob das Krankheitsbild geeignet ist, sich im Straßenverkehr gefahrerhöhend auszuwirken (OVG Lüneburg, Urt. v. 18.04.2016 - 12 LB 178/15 -, Juris Rn. 34 m.w.N.). In Bezug auf die motorischen Fähigkeiten wird die MS wie eine Erkrankung / Verletzung des Rückenmarks und deren Folgen gemäß Anlage 4 FeV Nr. 6.1 behandelt (vgl. Stein/Dettmers in: Dettmers/Weiler [Hrsg.], Fahreignung bei neurologischen Erkrankungen, 2004, S. 59; Küst/Dettmers, Fahreignung bei Multipler Sklerose, Der Nervenarzt 7/2014, S. 829) und insoweit als fahreignungsrelevant betrachtet. Auf dieser von der Beklagten nicht beanstandeten Grundlage kommt das Verwaltungsgericht allerdings zu dem Schluss, dass die Auflage zu Nachuntersuchungen allein aufgrund der Diagnose der MS-Erkrankung im Falle der Klägerin nicht in Betracht kommt, weil eine nur bedingte Eignung für die Fahrerlaubnis der Klasse B gemäß Nr. 6.1 (nur) in Abhängigkeit von der Symptomatik angenommen werden könne (Spalte 1) und erst dann „bei fortschreitendem Verlauf“ Beschränkungen/Auflagen in Form von Nachuntersuchungen in Frage kämen (Spalte 3). Da es bei der Klägerin ausweislich der vorliegenden ärztlichen Erkenntnisse jedoch bereits an einer entsprechenden Symptomatik als maßgeblicher Anknüpfungstatsache fehlt und mit solchen in den nächsten Jahren auch nicht zu rechnen ist – dies stellt auch die Beklagte nicht in Frage –, konnte auch eine nur bedingte Fahreignung nicht angenommen werden.

9

Dieses Ergebnis unterliegt aus den dargelegten gesetzessystematischen Gründen keinen rechtlichen Zweifeln. Auflagen nach § 46 Abs. 2 Satz 1 FeV dienen nicht allein der Vorsorge (vgl. VG München, Beschl. v. 26.09.2007 - M 1 S 07.3224 -, Juris Rn. 18 ff.). Vielmehr ist zu berücksichtigen, dass unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten ein gewisses Restrisiko in Kauf zu nehmen ist, da jeder Verkehrsteilnehmer zumindest potentiell das Risiko in sich trägt, plötzlich am Steuer eine gravierende Gesundheitsstörung zu erleiden, die die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigt (vgl. BayVGH, Beschl. v. 27.09.2006 - 11 CS 05.2301 -, Juris Rn. 37). Wenn – wie hier – zum Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung trotz Diagnose einer Grunderkrankung noch eine volle Eignung besteht und die Erkrankung unter den gegebenen Umständen nur theoretisch zu fahreignungsrelevanten Mängeln führen kann, damit aber in den nächsten Jahren nicht zu rechnen ist, kommt ein Eingreifen auf der Grundlage des § 46 Abs. 2 Satz 1 FeV nicht in Betracht. Vielmehr muss die Fahrerlaubnisbehörde entsprechend dem erwartbaren Krankheitsverlauf zu gegebener Zeit wieder in eine Eignungsprüfung eintreten (vgl. Kirchner, Die neue Fahrerlaubnisverordnung, 2002, § 23 Rn. 11 und 14).

10

Nichts anderes ergibt sich aus den von der BASt herausgegebenen Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahreignung vom 27.01.2014 (als Anlage 4a FeV, Hentschel/König/Dauer, a.a.O., § 11 FeV Rn. 20), die die Beklagte anführt. Auch Ziffer 3.9.1 macht die Frage der Fahreignung in der Gruppe 1 von der Ausprägung der Symptomatik abhängig und sieht bei fortschreitenden Erkrankungen eine Untersuchung in angemessenen Zeitabständen vor. Allerdings heißt es in der Begründung auch, dass die Vielfalt der Symptome bei Erkrankungen und Verletzungen des Rückenmarks eine Normierung im Einzelnen nicht zulasse und dass die Empfehlung auch Ausnahmen berücksichtige, zum Beispiel abortive Fälle von Multipler Sklerose. Im Einzelfall mögen darum die Voraussetzungen zum Führen von Kraftfahrzeugen – selbst in der hier nicht maßgeblichen Gruppe 2 – gegeben sein.

11

Nach den vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen muss von einer solchen Ausnahme ausgegangen werden. Sie verneinen jegliche, durch die MS bedingten fahreignungsrelevanten Symptome oder Ausfälle. Sie enthalten auch keine Anhaltspunkte dafür, dass bei der Klägerin mit einem Krankheitsverlauf zu rechnen ist, der jedenfalls in absehbarer Zeit zu fahreignungsrelevanten körperlichen oder geistigen Mängeln führt, der die Fahrtüchtigkeit ständig unter das erforderliche Maß herabsetzen oder auch nur die erhebliche Gefahr einer plötzlich und überraschend eintretenden Fahruntüchtigkeit bilden könnte. Sie erheben deshalb – nachvollziehbar – keine Bedenken gegen das Führen eines Kraftfahrzeugs im Straßenverkehr.

12

Trotz des nachvollziehbaren Anliegens der Beklagten, den Krankheitsverlauf unter Kontrolle halten zu wollen, findet ihre Rechtsauffassung im Gesetz deshalb keine Stütze. Die Möglichkeit, dass es trotz sorgfältiger Abwägung aller Umstände einmal zu einem Schädigungsereignis kommen kann, ist auch nach den Begutachtungsleitlinien (Ziffer 2.1) für die Fälle der empfohlenen positiven oder bedingt positiven Begutachtung hinzunehmen, weil sie niemals völlig auszuschließen ist. Allein die Diagnose einer milde verlaufenden MS ohne weitere Auffälligkeiten kann deshalb als Anknüpfungstatsache nicht ausreichen. Wie bei Rückenmarkserkrankungen gilt auch für die MS, dass für die Fahreignung eine symptomorientierte Beurteilung zu erfolgen hat (Stein/Dettmers, a.a.O.; Fries/Wilkes/Lössl, Fahreignung, 2. Aufl., 2008, S. 146 f.) und dass allein die Diagnose noch kein Ausschlusskriterium ist. Vielmehr kommt es auf das individuelle Defizit sowie die Selbst- und Störungseinsicht an (Stein/Dettmers, a.a.O. S. 62; Küst/Dettmers, a.a.O.). Für die bei der MS ebenfalls auftretenden Beeinträchtigungen im Bereich der psychischen Leistungsfähigkeit sind zudem die optische Orientierung, die Konzentrationsfähigkeit, die Aufmerksamkeits- und die Reaktionsfähigkeit zu beurteilen. Auch diese erfolgt rein symptombezogen (Stein/Dettmers, a.a.O. S. 60, Küst/Dettmers, a.a.O.; vgl. insoweit auch Ziffer 2.5 der o.g. Leitlinien). Auf die Verlaufsform – schubweise oder schleichend – kommt es für die Frage der Fahreignung nur nachrangig an. Bei einem Schub kann wie bei anderen Akuterkrankungen die Befindlichkeit zwar deutlich beeinträchtigt werden, doch fällt dies üblicherweise unter den Begriff der Fahrtüchtigkeit (Küst/Dettmers, a.a.O. S. 831 f.) im Sinne der persönlichen Fahrfähigkeit, wie sie etwa § 2 FeV u.a. mit spezifischen Krankheitsfolgen erfasst (Hentschel/König/Dauer, a.a.O., § 2 FeV Rn. 2 ff.), nicht aber unter den Begriff der Fahreignung.

13

Lediglich ergänzend sei angemerkt, dass sich auch aus dem ärztlichen Attest vom 5. Dezember 2014 nichts anderes ergibt. Die am Ende für notwendig befundene regelmäßige neurologische Kontrolluntersuchung dürfte lediglich als unverbindliche ärztliche Empfehlung im Zusammenhang mit der Grunderkrankung und nicht als Auflagenvorschlag an die Fahrerlaubnisbehörde zu verstehen sein. Selbst wenn man dies anders sehen wollte, würde es für eine entsprechende Auflage dennoch an einer Rechtsgrundlage fehlen, solange weder fahrerlaubnisrelevante (körperliche oder geistige) Mängel noch Anzeichen für ein Fortschreiten der MS mit der Gefahr fahrerlaubnisrelevanter Ausfallerscheinungen festgestellt worden sind.

2.

14

Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich zugleich, dass auch der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nicht gegeben ist. Die Beklagte hält es für grundsätzlich klärungsbedürftig,

15

ob bei Erkrankungen des Rückenmarks, die einen fortschreitenden Verlauf im Sinne einer – gegebenenfalls auch erst mittel- oder langfristig – zu erwartenden eignungsrelevanten Verschlechterung des Gesundheitszustandes haben – z.B. Multiple Sklerose – bei Fahrerlaubnissen in der Klasse A, A1, A2, B, BE, AM, L, T (Spalte 1 und 3 Anlage 4 FeV) unabhängig von der Symptomatik im Einzelfall eine bedingte Eignung angenommen und eine ärztliche Nachuntersuchung angeordnet werden könne oder ob auch in Fällen mit fortschreitendem Verlauf immer die jeweilige Symptomatik im Ergebnis zu betrachten sei, so dass bei aktuell fehlenden gesundheitlichen Einschränkungen der Fahreignung und prognostizierten milden Verlauf der Erkrankung – der dennoch langfristig gesehen zu schwerwiegenden Einschränkungen des Gesundheitszustandes führen könne – keine Nachuntersuchung angeordnet werden dürfe.

16

Grundsätzliche Bedeutung weist eine Rechtsstreitigkeit dann auf, wenn sie eine rechtliche oder tatsächliche Frage aufwirft, die für die Berufungsinstanz entscheidungserheblich – klärungsfähig – ist und im Sinne der Rechtseinheit einer Klärung bedarf (Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl., 2015, § 124 Rn. 10). An diesen Voraussetzungen fehlt es hier. Die von der Beklagten aufgeworfene Rechtsfrage würde sich in einem durchzuführenden Berufungsverfahren in der formulierten allgemeinen Art nicht stellen. Abgesehen davon, dass nur über die Fahreignung bei vorliegender MS und nicht allgemein bei Erkrankungen des Rückenmarks zu entscheiden wäre, schränkt die Beklagte die Fragestellung im ersten Teil selbst dahingehend ein, ob „unabhängig von der Symptomatik im Einzelfall eine bedingte Eignung angenommen…“ werden könnte. Wie die Ausführungen zu 1. zeigen, kommt es bei der MS nicht allein auf die Diagnose, sondern vorrangig auf die Symptomatik an, weshalb stets die individuelle Befundlage und die konkrete Prognose für den weiteren Verlauf in Betracht gezogen werden muss. Eine verallgemeinerungsfähige Aussage für eine solche Erkrankung wie die MS, die ihrerseits in der Anlage 4 FeV nicht aufgeführt ist und aufgrund ihrer vielschichtigen Symptomatik mit Nr. 6.1 der Anlage 4 FeV allenfalls partiell erfasst ist, wäre daher nicht zu erwarten.

17

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

18

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 52 Abs. 2 GKG.

19

Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist rechtskräftig (§ 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

20

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).


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