Beschluss vom Schleswig Holsteinisches Oberverwaltungsgericht (5. Senat) - 5 MB 9/22
Tenor
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts – 6. Kammer – vom 23. Februar 2022 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 7.500 Euro festgesetzt.
Gründe
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Die Beschwerde hat nach Prüfung der dargelegten Gründe keinen Erfolg (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO).
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1. Das Verwaltungsgericht ist auf der Grundlage der von der Beigeladenen im Genehmigungsverfahren vorgelegten Schallimmissionsprognose der Dörries Schalltechnische Beratung GmbH vom 24. Juni 2020 zu der Einschätzung gelangt, es seien keine durch die genehmigten Windenergieanlagen verursachten unzulässigen Lärmimmissionen zu befürchten. Die hiergegen erhobenen Einwendungen greifen nicht durch.
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a) Das Verwaltungsgericht hat im Einzelnen ausgeführt und begründet, warum sich die Genehmigung zu Recht an den Richtwerten der TA Lärm orientiert, während im Gegensatz dazu die Empfehlungen der WHO weder Standards setzen noch für den Antragsgegner rechtsverbindlich sind. Hiermit setzt sich die Beschwerde nicht hinreichend auseinander (§ 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO). Auch der Hinweis auf „Artikel 1 und insbesondere 2 des Grundgesetzes“ hilft darüber nicht hinweg. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG enthält eine allgemeine staatliche Schutzpflicht für das Leben und die körperliche Unversehrtheit. Das Grundrecht schützt nicht nur als subjektives Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe. Es schließt auch die staatliche Pflicht ein, sich schützend und fördernd vor die Rechtsgüter Leben und körperliche Unversehrtheit zu stellen und sie vor rechtswidrigen Eingriffen von Seiten anderer zu bewahren (BVerfG, Beschluss vom 24. März 2021 – 1 BvR 2656/18 –, juris Rn. 145). Warum jedoch diese Schutzpflicht durch die TA Lärm verletzt sein soll, legt die Beschwerde nicht dar.
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b) Die Vorbelastung wird im Dörries-Gutachten (Nr. 4.21 sowie Anlage 3 und 4) nachvollziehbar anhand der vom Antragsgegner zur Verfügung gestellten Schallleistungspegel berechnet. Die Beschwerde weist darauf hin, dass die Vorbelastung gemäß der TA Lärm grundsätzlich zu messen ist. Dieser Einwand blendet aus, dass die TA Lärm an Stelle einer Messung auch die Möglichkeit vorsieht, die Vorbelastung zu berechnen, insbesondere durch Verknüpfung der Schallleistungspegel mit Schallausbreitungsrechnungen (Anlage A.1.2 Abs. 3 i.V.m. A.3.1 Abs. 2). Wie die Beschwerde durch Bezugnahme einräumt, ist diese Methode „durchaus üblich“. Dass durch die Ermittlung der Vorbelastung im Wege der Berechnung drittschützende Normen verletzt werden, wird mit der Beschwerde nicht aufgezeigt. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass Vorbelastungsanlagen nur mit den Auswirkungen ihres rechtmäßigen Betriebs – also den in ihrer Genehmigung gegebenenfalls festgelegten Schallleistungspegeln – in die Ermittlung der Gesamtbelastung einzustellen sind. Wird der genehmigte Schallleistungspegel tatsächlich überschritten, geht dies nicht zu Lasten eines nachfolgenden Anlagenbetreibers (OVG Münster, Urteil vom 5. Oktober 2020 – 8 A 894/17 –, juris Rn. 168). Dies schließt es aus, die berücksichtigungsfähige Vorbelastung im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren allein anhand von Messungen an den Immissionsorten zur ermitteln, wenn damit die Überschreitung von Immissionsrichtwerten belegt werden soll.
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c) Das Dörries-Gutachten hat der Berechnung der Beurteilungspegel das Interimsverfahren zu Grunde gelegt. Die Beschwerde hält dem entgegen, dass das Interimsverfahren „zu geringen Werten führt“. Was damit gemeint sein und welche rechtliche Bedeutung dies haben soll, bleibt unklar. Bei Windenergieanlagen liegt eine Schallprognose regelmäßig dann auf der sicheren Seite, wenn eine den Beurteilungspegel senkende Bodendämpfung in der Berechnung unberücksichtigt bleibt (OVG Münster, Urteil vom 5. Oktober 2020 – 8 A 894/17 –, juris Rn. 200 ff.). Das ist beim Interimsverfahren der Fall (Agatz, Windenergie-Handbuch, 18. Ausgabe 2021, S. 112).
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d) Das Dörries-Gutachten (Nr. 4.2.4) legt für die Schallausbreitung die Mitwindsituation (Wind weht von den Geräuschquellen zum Immissionsort) zu Grunde. Dies führt aus der Sicht der betroffenen Nachbarn zu den für sie günstigsten Berechnungsergebnissen. Warum die Beschwerde dies – unter dem Aspekt des Drittschutzes – angreift, ist unerfindlich.
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e) Die weiteren Ausführungen der Beschwerde zur Schallausbreitungsrechnung sind in ihrer Relevanz für den vorliegenden Fall nicht nachvollziehbar.
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f) Zu den Unsicherheiten der Emissionsdaten und des Prognosemodells äußert sich das Dörries-Gutachten (Nr. 3.3) ausführlich und berücksichtigt für die Unsicherheit der Typvermessung den Standardwert von 0,5 dB und für die Prognoseunsicherheit den Standardwert von 1,0 dB (zur Absenkung des Standardwerts für die Prognoseunsicherheit von 1,5 dB auf 1,0 dB im Vergleich zwischen dem alternativen und dem Interimsverfahren vgl. OVG Münster, Beschluss vom 15. März 2018 – 8 B 736/17 –, juris Rn. 73; Agatz, a.a.O. S. 120 f.). Im Ergebnis setzt das Gutachten einen Zuschlag von 1,43 dB sowohl bei der Vor- als auch bei der Zusatzbelastung an. Auf all dies geht die Beschwerde nicht konkret ein.
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2. Ohne Erfolg macht die Beschwerde schädliche Umwelteinwirkungen in Form von tieffrequenten Geräuschen bzw. Infraschall geltend.
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Nach dem Dörries-Gutachten (Nr. 5.2) kann davon ausgegangen werden, dass die Infraschallerzeugung von Windenergieanlagen auch im Nahbereich bei Abständen zwischen 150 m und 300 m deutlich unterhalb der Wahrnehmungsschwelle des Menschen liegt. Damit seien Gesundheitsschäden und erhebliche Belästigungen nach derzeitigem Erkenntnisstand nicht zu erwarten. Das decke sich mit den Aussagen des Windenergie-Handbuches, dem Bericht der Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg und den eigenen Kenntnissen und Erfahrungen.
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Diese Einschätzung stimmt mit der Rechtsprechung des Senats überein (Beschluss vom 23. März 2020 – 5 LA 2/19 –, juris Rn. 15; Beschluss vom 1. Dezember 2020 – 5 MB 11/20 –, juris Rn. 35; Beschluss vom 27. August 2021 – 5 MR 8/21 –, juris Rn. 34; Beschluss vom 10. Februar 2022 – 5 MR 2/21 –, zur Veröffentlichung in juris vorgesehen). Es gibt keinen wissenschaftlich gesicherten Hinweis darauf, dass von dem durch Windenergieanlagen verursachten Infraschall eine Gesundheitsgefahr oder eine erhebliche Belästigung ausgeht. Dies gilt auf jeden Fall dann, wenn – wie hier – der Abstand zum Immissionsort 500 m übersteigt.
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Der Hinweis der Beschwerde auf die Äußerung eines Sachverständigen in einem zivilgerichtlichen Verfahren führt in diesem Zusammenhang nicht weiter.
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3. Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, die Beeinträchtigung durch einen Diskoeffekt sei infolge der matten Beschichtung der Windenergieanlagen nicht zu befürchten. Dies wird von der Beschwerde nicht substanziiert in Frage gestellt und entspricht im Übrigen der Rechtsprechung des Senats (Beschluss vom 10. Februar 2022, a.a.O.).
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4. Etwaige Kampfmittelbelastungen stehen den Genehmigungen nach Maßgabe des Beschwerdevorbringens nicht entgegen. Die Kampfmittelverordnung des Landes Schleswig-Holstein statuiert für die Errichtung und den Betrieb baulicher Anlagen keine vorherige behördliche Zulassung. Die Beigeladene als Nutzungsberechtigte ist auch nicht verpflichtet, vor der Errichtung der Windenergieanlagen gemäß § 2 Abs. 3 Satz 1 der Kampfmittelverordnung eine Auskunft über mögliche Kampfmittelbelastungen einzuholen, da die Gemeinde Neufeld, in der die Anlagenstandorte liegen, nicht zu den normativ festgelegten „Gemeinden mit bekannten Bombenabwürfen“ gehört (§ 2 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. der Anlage zur Kampfmittelverordnung).
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Eine Gefahr für die Nachbarschaft im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG, die im Genehmigungsverfahren gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG beachtlich wäre, wird mit der Beschwerde nicht dargelegt. Hierfür wäre eine konkrete Gefahr im Sinne einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit erforderlich (Dietlein, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand 2021, BImSchG § 5 Rn. 126; Jarass, BImSchG, 13. Auflage 2020, § 5 Rn. 30 f.; Schmidt-Kötters, in: Giesberts/Reinhardt, BeckOK Umweltrecht, Stand 2019, BImSchG § 5 Rn. 64). Indes handelt es sich nach Auskunft des Kampfmittelräumdienstes vom 19. April 2021 bei den Standorten der geplanten Windenenergieanlagen nach Auswertung der 25 hierzu vorliegenden Kriegsluftbilder und ggf. zusätzlicher historischer Daten (Gemeinderecherchen, Fachliteratur, Schadenskarten u.a.) nicht um eine Kampfmittelverdachtsfläche. Die pauschale Bezugnahme der Beschwerde auf erstinstanzliches Vorbringen gibt an dieser Stelle keine Veranlassung zu weiteren Ausführungen. Lediglich ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die mit „Zeuge Kruse“ bezeichneten geografischen Punkte auch dann, wenn sie ehemalige Bombentrichter wären und deshalb entsprechend der Vorgabe des Kampfmittelräumdienstes mit einem Sicherheitspuffer von 25 m versehen würden, keinen erkennbaren Bezug zu den hier streitigen Windenergieanlagen hätten.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2, § 52 Abs. 1 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
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Referenzen
- 5 MR 2/21 1x (nicht zugeordnet)
- § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 152 1x
- 5 LA 2/19 1x (nicht zugeordnet)
- 8 A 894/17 2x (nicht zugeordnet)
- 8 B 736/17 1x (nicht zugeordnet)
- 1 BvR 2656/18 1x (nicht zugeordnet)
- BImSchG § 5 Pflichten der Betreiber genehmigungsbedürftiger Anlagen 1x
- 5 MB 11/20 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 146 2x
- § 52 Abs. 1 GKG 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 162 1x
- 5 MR 8/21 1x (nicht zugeordnet)
- BImSchG § 6 Genehmigungsvoraussetzungen 1x