Beschluss vom Schleswig Holsteinisches Oberverwaltungsgericht (4. Senat) - 4 MB 21/22

Tenor

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts – 1. Kammer – vom 21. April 2022 wird zurückgewiesen.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens zu je ½.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 10.000,– Euro festgesetzt.

Gründe

1

Die gemäß § 146 Abs. 1 VwGO statthafte und auch sonst zulässige Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 21. April 2022 bleibt ohne Erfolg. Die zu ihrer Begründung dargelegten Gründe, die gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO den Prüfumfang des Senats bestimmen, rechtfertigen die mit der Beschwerde erstrebte Abänderung des erstinstanzlichen Beschlusses nicht.

2

Auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens haben die Antragsteller einen Anordnungsanspruch auf Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG nicht glaubhaft gemacht. Gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist die Abschiebung eines Ausländers auszusetzen, solange sie aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Im vorliegenden Verfahren gehen Verwaltungsgericht und Antragsteller übereinstimmend davon aus, dass eine Duldung danach auch dann zu erteilen sei, wenn die Abschiebung zwar möglich ist, die Ausreisepflicht des Ausländers aber nicht ohne Verzögerung durchgeführt werden kann oder der Zeitpunkt der Abschiebung ungewiss ist. Anders als das Verwaltungsgericht meinen die Antragsteller jedoch, dass ein solcher Fall hier vorliege.

3

Nach Auffassung der Antragsteller liege es allein in der Hand des Antragsgegners, die Antragsteller sofort oder mit Verzögerung zu einem späteren Zeitpunkt abzuschieben. Nicht einmal das Gericht könne prognostisch objektiv beurteilen, ob die Abschiebung zeitnah oder mit zeitlicher Verzögerung durchgeführt werde. Die Ausführungen des Antragsgegners in dem Vermerk vom 13. April 2022, nach denen das Verfahren auf Aufenthaltsbeendigung weiter betrieben werde, gäben auch keinen Aufschluss über die zu erwartende zeitliche Verzögerung. Es möge zwar sein, dass die Antragsteller auf einen Charterflug nach Armenien gebucht seien, realistischer Weise finde die Chartermaßnahme aber nicht gerade „morgen“ statt. Der Antragsgegner räume mit dem gescheiterten Abschiebeversuch vom 6. April 2022 auch selbst ein, dass es zu zeitlichen Verzögerungen bei der Abschiebung komme.

4

Dieses Vorbringen verhilft den Antragstellern jedoch im Ergebnis nicht zum Erfolg. Ein Anspruch auf Erteilung einer Duldung wegen einer bloßen Verzögerung der Abschiebung existiert nämlich nicht losgelöst von den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 60a AufenthG. Die Erteilung einer Duldung ist grundsätzlich nur dann zulässig, wenn ein Duldungsgrund nach § 60a AufenthG vorliegt (noch zu § 55 AuslG BVerwG, Urt. v. 25.09.1997 – 1 C 3.97 –, juris Rn. 18). Daher führt, worauf bereits das Verwaltungsgericht hingewiesen hat, das bloße Nichtbetreiben der Vollstreckung der Ausreisepflicht nicht zu einem Rechtsanspruch des Ausländers auf Erteilung einer Duldung (OVG Münster, Beschl. v. 08.10.2021 – 18 B 1370.21 –, juris Rn. 16; vgl. i. E. auch Beschl. des Senats v. 15.11.2016 – 4 MB 47/16 –, n.v.). Liegt hingegen ein Duldungstatbestand vor, beispielsweise, weil die Abschiebung aufgrund ungeklärter Identität eines Ausländers tatsächlich unmöglich ist, ist eine Duldung nicht nur dann zu erteilen, wenn die Unmöglichkeit endgültig ist, sondern auch dann, wenn die die Unmöglichkeit begründenden Umstände zu einer Verzögerung der Abschiebung führen. Die Ausländerbehörde hat dann in Bezug auf die Erteilung einer Duldung nicht nur zu untersuchen, ob die Abschiebung des Ausländers überhaupt durchgeführt werden kann, sondern auch zu prüfen, innerhalb welchen Zeitraums dies möglich ist. Kann die Abschiebung in diesen Fällen nicht ohne Verzögerung durchgeführt werden oder ist der Zeitpunkt der Abschiebung ungewiss, so ist eine Duldung zu erteilen (so BVerwG, Urt. v. 21.03.2000 – 1 C 23.99 –, juris Rn. 20).

5

Anhaltspunkte für eine rechtliche oder tatsächliche Unmöglichkeit der Abschiebung sind von den Antragstellern im Beschwerdeverfahren nicht vorgetragen worden. Die Antragsteller leiten ihren vermeintlichen Anspruch auf Erteilung einer Duldung allein aus dem Umstand ab, dass nicht absehbar sei, ob die Abschiebung zügig durchgeführt werde. Dies allein führt jedoch nicht zur Annahme einer (tatsächlichen) Unmöglichkeit der Abschiebung, die von dem Antragsgegner, der ausweislich der Verfügung vom 13. März 2022 bereits einen Flug gebucht hat, aktiv betrieben wird. Eine tatsächliche Unmöglichkeit der Abschiebung ergibt sich nicht bereits daraus, dass die Durchsetzung der Ausreisepflicht notwendig eine gewisse Vorbereitungszeit, beispielswiese durch Flugbuchungen oder Ähnliches in Anspruch nimmt. Der für die Durchführung der Abschiebung üblicherweise notwendige Zeitraum kann die zeitweise Unmöglichkeit im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG nicht begründen. Anders verhält es sich erst dann, wenn sich Hindernisse ergeben, die eine erhebliche Verzögerung der Abschiebung nach sich ziehen. (vgl. zu § 55 AuslG BVerwG, Urt. v. 25.09.1997 – 1 C 3.97 –, juris Rn. 23; vgl. Beschl. des Senats v. 15.11.2016 – 4 MB 47/16 –, n.v.). Dass solche Hindernisse bestehen, ist jedoch nicht dargelegt.

6

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO.

7

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf den § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2, § 39 Abs. 1 GKG.

8

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).


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