Beschluss vom Oberverwaltungsgericht des Saarlandes - 2 A 158/19

Tenor

Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 22. März 2019 – 3 K 633/18 – wird zurückgewiesen.

Die Kosten des gerichtskostenfreien Zulassungsverfahrens trägt die Beklagte.

Gründe

I.

Der 1979 in D.../Syrien geborene Kläger ist syrischer Staatsangehöriger kurdischer Volks- sowie islamischer Religionszugehörigkeit. Er reiste nach eigenen Angaben am 28.2.2018 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 28.3.2018 einen Asylantrag.

Bei seiner persönlichen Anhörung durch das Bundesamt am 3.4.2018 gab er an, er habe sich von Oktober 2015 bis Januar 2018 in Bulgarien aufgehalten. Er habe Bulgarien wegen der schlechten Lebensbedingungen und des schlechten Integrationsprozesses verlassen. Er habe dort als Textilverkäufer gearbeitet und beherrsche etwas die bulgarische Sprache. Des Weiteren trug er vor, er leide unter Panikattacken und müsse täglich Seratralin 50mg und bei Bedarf Diazepam einnehmen. Derzeit befinde er sich aber nicht in ärztlicher Behandlung.

Mit Bescheid vom 16.4.2018 lehnte die Beklagte den Asylantrag des Klägers wegen des ihm bereits in Bulgarien gewährten internationalen Schutzes als unzulässig ab (Ziffer 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach §§ 60 Abs. 5 und 7 Seite 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 2), forderte den Kläger zur Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland auf, drohte die ihm Abschiebung nach Bulgarien an (Ziffer 3) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 4). In dem Bescheid heißt es unter anderem, die derzeitigen humanitären Bedingungen in Bulgarien begründeten auch unter Berücksichtigung der individuellen Umstände im Falle des Klägers keine beachtliche Wahrscheinlichkeit der Verletzung des Art. 3 EMRK durch die Abschiebung. Die Lebensbedingungen für die Personen mit anerkanntem Schutzstatus seien ausreichend. Der Lebensstandard in Bulgarien und die wirtschaftliche Situation auch der einheimischen Bevölkerung unterschieden sich von den Verhältnissen in Deutschland. Bulgarien zähle zu den ärmsten Ländern der Europäischen Union. Für aus dem Ausland zurückkehrende Schutzberechtigte sei die Inanspruchnahme von landesweit insgesamt zwölf „Zentren für temporäre Unterbringung“ möglich. Nach einem Erlass vom August 2018 erhielten die bulgarischen Kommunen bei Anzeige eines entsprechenden Interesses Geldmittel für die Integration anerkannter Schutzberechtigter. Ein neues Integrationskonzept, das den Erlass ersetzen solle, sei bereits ausgehandelt und solle bisher existierende Schwierigkeiten beseitigen. Dass die praktische Ausführung gesetzlicher Integrationsangebote faktischen und finanziellen Schwierigkeiten begegne, könne allein eine menschenunwürdige Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK nicht begründen. Die Wohnungssituation sei nicht mehr bedenklich. Zusätzlich sei zu berücksichtigen, dass mehrere Nichtregierungsorganisationen, beispielsweise das bulgarische Rote Kreuz, das Bulgarian Helsinki Committee (BHC) oder die Caritas, Programme anböten und in einzelnen Projekten Integrationsarbeit leisteten. Es lägen unter Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse des Klägers keine Anhaltspunkte dafür vor, dass sich seine Lebensverhältnisse bei einer Rückkehr nach Bulgarien unmenschlich oder erniedrigend darstellen würden und er nicht in der Lage wäre, sich selbst seinen Lebensunterhalt zu sichern.

Am 23.4.2018 hat der Kläger dagegen Klage, beschränkt auf die Feststellung nationaler Abschiebungsverbote (§ 60 Abs. 5, 7 AufenthG) bezüglich Bulgariens, erhoben und auf die Rechtsprechung des Senats zur schwierigen Lage der Flüchtlinge in dem Land verwiesen.

Das Verwaltungsgericht hat der Klage mit Urteil vom 22.3.2019 entsprochen und die Beklagte unter Verweis auf ein textlich ausführlich wiedergegebenes Urteil des Senats vom November 2018(vgl. OVG des Saarlandes, Urteil vom 26.11.2018 – 2 A 155/18 –) verpflichtet, im Falle des Klägers ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Bulgariens festzustellen. In den Entscheidungsgründen heißt es, der vorliegende Fall biete keine Anhaltspunkte, die Situation des Klägers anders zu beurteilen. Insbesondere lasse der Umstand, dass der Kläger mehr als zwei Jahre in Bulgarien gelebt habe, keine belastbare Prognose darüber zu, dass er im Falle einer Rückführung nach Bulgarien nicht von der in der zitierten Entscheidung des Senats dargelegten Problematik betroffen sei.

Die Beklagte begehrt die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil.

II.

Dem nach § 78 Abs. 2 Satz 1 AsylG statthaften Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 22.3.2019 – 3 K 633/18 –, mit dem sie unter teilweiser Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 16.4.2018 verpflichtet wurde (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO), im Falle des Klägers das Vorliegen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Verbindung mit Art. 3 EMRK hinsichtlich Bulgariens festzustellen, kann nicht entsprochen werden.

Das den Prüfungsumfang im Zulassungsverfahren begrenzende umfangreiche Vorbringen in der Begründung des Antrags (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG) gebietet die von der Beklagten begehrte Zulassung des Rechtsmittels wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) nicht. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Das ist allgemein nur dann der Fall, wenn sie eine im angestrebten Berufungsverfahren klärungsbedürftige und für die Entscheidung dieses Verfahrens erhebliche Rechts- oder Tatsachenfrage aufwirft, deren Beantwortung über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder Weiterentwicklung des Rechts hat. Zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes ist die Frage auszuformulieren und substantiiert auszuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich gehalten und aus welchen Gründen ihr eine Bedeutung über den Einzelfall hinaus zugemessen wird.

Nach diesen Maßstäben lässt sich dem Antragsvorbringen der Beklagten keine in dem angestrebten Berufungsverfahren weiter klärungsfähige Grundsatzfrage entnehmen. Insoweit hält sie eine obergerichtliche Klärung für erforderlich,

„ob (weiterhin) generell allen nach Bulgarien zurückkehrenden dort Schutzberechtigten derart schwere Nachteile drohen, dass eine Abschiebung dorthin ausgeschlossen ist.“

Der Senat hat zwar in mehreren Urteilen entschieden, dass einer Abschiebung anerkannt Schutzberechtigter nach Bulgarien in der Regel mit Blick auf die dortige Situation das von den jeweiligen Klägerinnen und Klägern geltend gemachte nationale Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG entgegensteht und dass die Betroffenen dann einen Anspruch gegen die Beklagte (Bundesamt) auf entsprechende Feststellung haben.(vgl. dazu OVG des Saarlandes, Urteile vom 19.4.2018 – 2 A 737/17 –, AuAS 2018, 131, und 2 A 741/17 –, bei juris) Die Entscheidungen des Senats gehen im Grundsatz davon aus, dass die Abschiebung dort anerkannter Schutzberechtigter nach Bulgarien gegenwärtig regelmäßig eine sehr ernstzunehmende Möglichkeit der Verelendung wegen Obdachlosigkeit, Arbeitslosigkeit und fehlender staatlicher Unterstützung zur Folge hat, und dass der bulgarische Staat dieser Situation abgesehen von rein legislativen Vorgaben gleichgültig gegenübersteht. Des ungeachtet ist nach der Rechtsprechung des Senats immer der Einzelfall in den Blick zu nehmen und gegebenenfalls im Ergebnis anders zu beurteilen. Das kann beispielsweise dann der Fall sein, wenn ein anerkannter Schutzberechtigter einzelfallbezogen auf besondere Umstände und Möglichkeiten für seine Integration in Bulgarien zurückgreifen kann. Die Frage, ob für einen in Bulgarien anerkannten Schutzberechtigen bei der Rückkehr eine Situation besteht, in der der Schutzbereich des Art 3 EMRK in einem generell nicht mehr zumutbaren Ausmaß beeinträchtigt ist, ist einer grundsätzlichen Klärung in einem Berufungsverfahren nicht zugänglich, weil die Bewertung, ob die einem Ausländer im Abschiebezielstaat, hier in Bulgarien, drohenden Gefahren ein "Mindestmaß an Schwere" erreichen, von einer Vielzahl individueller Umstände und Faktoren wie etwa dem Alter, dem Geschlecht, dem Gesundheitszustand, der Volkszugehörigkeit, der Ausbildung, dem Vermögen und familiären oder freundschaftlichen Verbindungen abhängig ist.(vgl. entsprechend zu Griechenland OVG des Saarlandes, Beschluss vom 15.4.2019 – 2 A 80/18 –, juris) Insoweit bedarf es stets einer Würdigung des Einzelfalls.(vgl. ebenso auch BVerwG, Beschluss vom 8.8.2018 – 1 B 25.18 –, NVwZ 2019, 61, wonach ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG, Art. 3 EMRK voraussetzt, dass im Zielstaat der Abschiebung das für eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung erforderliche Mindestmaß an Schwere erreicht wird und diese Frage einer weitergehenden abstrakten Konkretisierung nicht zugänglich ist, es vielmehr insoweit der Würdigung aller Umstände des Einzelfalls bedarf) Daher lässt sich die von der Beklagten angestrebte Klärung nicht abstrakt und allgemein „für alle nach Bulgarien zurückkehrenden“ international Schutzberechtigten losgelöst von den tatsächlichen Umständen des konkreten Einzelfalls mit der Durchführung eines weiteren Berufungsverfahrens erreichen.

Dementsprechend hat der Senat zum Beispiel die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Abschiebungsverbots hinsichtlich Bulgariens in einem Fall abgelehnt, in dem drei Brüder des – dortigen – Klägers seit 2015 in Sofia/Bulgarien lebten, von denen zwei in einem Restaurant und einer bei einer „Game-Firma“ Arbeit gefunden hatten. Von daher war aus Sicht des Senats davon auszugehen, dass der betreffende Kläger, der selbst als Koch arbeiten wollte, bei einer Überstellung nach Bulgarien von den erwähnten Schwierigkeiten nicht in gleicher Weise wie andere Schutzberechtigte betroffen war und er bei einer Rückführung dorthin auf familiäre Kontakte, Hilfen oder Anknüpfungspunkte zurückgreifen konnte, um dort Fuß zu fassen. In diesem Fall hat der Senat die Abschiebungsandrohung daher als rechtmäßig beurteilt.(vgl. dazu im Einzelnen OVG des Saarlandes, Urteil vom 19.4.2018 – 2 A 784/17 –, nicht veröffentlicht) Dies zeigt, dass die von der Beklagten im Zulassungsantrag ausformulierte Grundsatzfrage von der unzutreffenden Prämisse ausgeht, dass nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes anzunehmen sei, dass „generell allen“ nach Bulgarien zurückkehrenden beziehungsweise zurückgeführten Personen Nachteile solchen Ausmaßes drohten, dass ihre Abschiebung „dorthin ausgeschlossen“ wäre. Das trifft – nach dem zuvor Gesagten – in dieser Allgemeinheit schon nicht zu.

Soweit die Beklagte in ihrem Schriftsatz vom 4.6.2019 des Weiteren als grundsätzlich erachtet

„Tatsachenfrage: Kann gemessen an den Urteilen des EuGH vom 19.3.2019 (C-163/17, C-297/17 u.a.) bezüglich Bulgarien eine generelle Gefährdung im Sinne von Art. 3 EMRK / Art. 4 GRC angenommen werden.“,

muss darauf bereits deshalb nicht weiter eingegangen werden, da diese Frage und das darauf bezogene Vorbringen erst nach Ablauf der für die Begründung des Zulassungsantrags geltenden Monatsfrist (§ 78 Abs. 4 AsylG) beim Gericht eingegangen sind. Abgesehen davon ändern auch das angeblich aus der Rechtsprechung des EuGH abzuleitende Regel-Ausnahme-Prinzip und die diesbezüglich von der Beklagten vertretene Ansicht, es sei „im Einzelfall zugunsten des Betroffenen darzulegen, dass ein konkretes Risiko in Abweichung von der Regelvermutung tatsächlich vorliegt“, nichts daran, dass es für die Beantwortung der Frage, ob die einem Ausländer im Abschiebezielstaat drohenden Gefahren ein Mindestmaß an Schwere erreichen, maßgeblich auf die Umstände des Einzelfalls ankommt.

Durch den Einzelfall aufgeworfene und insoweit individuell zu beantwortende Fragen rechtfertigen keine Zulassung des Rechtsmittels wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG).(vgl. dazu auch OVG des Saarlandes, Beschlüsse vom 22.3.2018 – 2 A 113/18 –, vom 4.4.2018 – 2 A 123/18 – und vom 5.4.2018 – 2 A 133/18 – (alle Bulgarien), vom 4.4.2018 – 2 A 93/18 und 2 A 95/18 – sowie vom 5.4.2018 – 2 A 128/18 – (alle Rumänien), vom 16.4.2018 – 2 A 59/18 – (Griechenland)) Die im gerichtlichen Asylverfahren geltenden, stark eingeschränkten Zulassungsgründe sind abschließend der Sonderregelung des § 78 Abs. 3 AsylG zu entnehmen. Die dem § 124 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 VwGO zugrundeliegende Frage einer Ergebnisrichtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung beziehungsweise einer „Einzelfallgerechtigkeit“ stellt danach im asylrechtlichen Zulassungsverfahren kein Kriterium dar. Das gilt nicht nur für Rechtsbehelfe von Asylbewerbern, sondern auch für solche der Beklagten.

Von einer weiteren Begründung des Nichtzulassungsbeschlusses wird abgesehen (§ 78 Abs. 5 Satz 1 AsylG).

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2 VwGO, 83b AsylG. Der Gegenstandswert des Verfahrens ergibt sich aus dem § 30 Abs. 1 RVG.

Der Beschluss ist unanfechtbar.

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