Beschluss vom Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt (2. Senat) - 2 L 62/09

Gründe

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I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

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Die allein geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen nicht.

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1. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass dem Vorhaben der Klägerin, die Errichtung eines Wohnhauses unter Beibehaltung von Teilen eines alten Gebäudes im Außenbereich, öffentliche Belange entgegenstehen, weil es die Verfestigung der vorhandenen Splittersiedlung befürchten lässt (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB).

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Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Beschl. v. 24.06.2004 – 4 B 23.04 –, ZfBR 2004, 702, m. w. Nachw.) ist die Entstehung, Erweiterung oder Verfestigung einer Splittersiedlung im Sinne von § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB „zu befürchten", wenn das Vorhaben zu einer „unerwünschten“ Splittersiedlung führt. Unerwünscht in diesem Sinne ist eine Splittersiedlung, wenn mit ihr ein Vorgang der Zersiedelung eingeleitet oder gar schon vollzogen wird. Das anzunehmen, rechtfertigt sich in der Regel. Die Berechtigung einer solchen Annahme bedarf allerdings – zumindest in Fällen der Verfestigung – einer konkreten Begründung; sie rechtfertigt sich mithin auch in der Regel nicht einfach aus sich. Als Grund für eine Missbilligung kommt u. a. in Betracht, dass das Vorhaben eine weitreichende oder doch nicht genau übersehbare Vorbildwirkung besitzt und daher seine unabweisbare Konsequenz sein könnte, dass in nicht verlässlich eingrenzbarer Weise noch weitere Bauten hinzutreten werden. Hierfür reicht es aus, dass bei einer Zulassung des Vorhabens weitere ähnliche Vorhaben in der Splittersiedlung nicht verhindert werden könnten und dadurch der Außenbereich zersiedelt werden würde. „Weitreichend" ist die Vorbildwirkung immer dann, wenn sich das Vorhaben und die weiteren Vorhaben, die nicht verhindert werden könnten, zusammen der vorhandenen Splittersiedlung nicht unterordnen, sondern diese erheblich verstärken und dadurch eine weitergehende Zersiedelung des Außenbereichs bewirken würden.

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Das Verwaltungsgericht hat eine solche weitreichende Vorbildwirkung des hier streitigen Vorhabens darin gesehen, dass im Falle seiner Zulassung weitere Bauwillige Interesse an einer Bebauung der westlich des Baugrundstücks gelegenen Flurstücke 199/5, 199/3 und 199/4 sowie des auf der gegenüberliegenden Straßenseite gelegenen Flurstücks 468/202 zeigen und damit den Zersiedelungsvorgang wesentlich vorantreiben würden. Die dann nicht zu verhindernden Vorhaben würden den in diesem Gebiet vorhandenen Baubestand der Splittersiedlung um mehr als die Hälfte vergrößern in infolge dessen die Splittersiedlung in erheblichem Maße verstärken. Eine Auffüllung des Baubestands liege trotz der vormals vorhandenen Bebauung vor, weil die durchgeführten Baumaßnahmen einer Neuerrichtung des alten Wohnhauses gleichkämen.

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Dem hält die Klägerin ohne Erfolg entgegen, eine Bebauung der genannten Grundstücke sei aufgrund des Außenbereichscharakters des Gebiets nur mit nach § 35 Abs. 1 BauGB privilegierte Vorhaben möglich, da diese Grundstücke – im Gegensatz zu ihrem Grundstück – unbebaut seien.

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Der Tatbestand des Befürchtens der Verfestigung einer Splittersiedlung setzt nicht voraus, dass – als Folge der Zulassung des insoweit öffentliche Belange beeinträchtigenden Vorhabens – ein uneingeschränkter Rechtsanspruch auf Zulassung weiterer Vorhaben entsteht. Es genügt, dass die Gründe, die weiteren Vorhaben entgegengehalten werden könnten, an Überzeugungskraft einbüßen würden, wenn das jetzt beantragte Vorhaben nicht aus eben den Gründen (Verfestigung einer Splittersiedlung) versagt würde, mit der Genehmigung also ein sog. Berufungsfall geschaffen würde (BVerwG, Beschl. v. 02.09.1999 – 4 B 27.99 –, ZfBR 2000, 278).

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Eine nicht genau übersehbare Vorbildwirkung ist auch nicht deshalb auszuschließen, weil das Baugrundstück bereits früher mit einem Wohnhaus bebaut war. Für die Beantwortung der Frage, ob ein Vorhaben eine Splittersiedlung verfestigt, kann auch die Qualität der durch das Vorhaben innerhalb der Splittersiedlung bewirkten baulichen Veränderung von ausschlaggebender Bedeutung sein (OVG NW, Urt. v. 14.07.2004 – 10 A 4471/01 –, BauR 2005, 696). Auch wenn ein Vergleich des Baubestandes vor und nach der beabsichtigten Baumaßnahme im Hinblick auf die jeweils vorhandene Baumasse keine spürbare Veränderung oder sogar eine Verringerung erkennen lässt, kann gleichwohl eine Verfestigung des städtebaulich unerwünschten Siedlungsansatzes zu verzeichnen sein, weil mit der Baumaßnahme eine erhebliche qualitative Veränderung des verbliebenen Bestandes verbunden ist und diese Qualitätsänderung die außenbereichsfremde Nutzung auf unabsehbare Zeit festschreibt. Ob und wie stark der Außenbereich durch außenbereichsfremde bauliche Anlagen beeinträchtigt wird, hängt nicht nur von der Zahl und dem Volumen der Baukörper ab, sondern auch von der Art der Nutzung, der diese baulichen Anlagen dienen sollen (vgl. OVG NW, Urt. v. 14.07.2004, a. a. O.). Das alte, seit dem Jahr 1997 leerstehende Wohngebäude war nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Verwaltungsgerichts bis zum Beginn der Bauarbeiten im Jahr 2004 infolge von Witterungseinflüssen in einem derart desolaten Zustand, dass Einsturzgefahr bestand. Von der alten Bausubstanz waren lediglich der westliche Giebel, etwa zwei Drittel der nördlichen Außenlängswand, drei bis vier kurze Innenwände sowie ein kleinerer Teil der Kellergeschossdecke und ein Teil des Kellers erhalten. Angesichts dieser Umstände war damit zu rechnen, dass die Wohnnutzung über kurz oder lang aufgegeben werden würde. Die Neuerrichtung eines Wohnhauses anstelle des völlig desolaten alten Gebäudes hätte eine qualitative Veränderung des vorhandenen Baubestands zur Folge.

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2. Da mithin keine ernstlichen Zweifel daran bestehen, dass das Vorhaben der Klägerin die Verfestigung einer Splittersiedlung befürchten lässt, kann offen bleiben, ob dem Vorhaben weitere öffentliche Belange im Sinne des § 35 Abs. 3 BauGB entgegenstehen, insbesondere ob es wegen der Belegenheit im Landschaftsschutzgebiet „Saale“ die natürliche Eigenart der Landschaft beeinträchtigen würde (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB).

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3. Dem Verwaltungsgericht ist auch darin zu folgen, dass der öffentliche Belang des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB nicht nach § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauGB unbeachtlich ist.

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Nach dieser Vorschrift kann der Neuerrichtung eines gleichartigen Wohngebäudes an gleicher Stelle u. a. nicht entgegengehalten werden, dass dieses Vorhaben die Entstehung, Verfestigung oder Erweiterung einer Splittersiedlung befürchten lässt, wenn a) das vorhandene Gebäude zulässigerweise errichtet worden ist, b) das vorhandene Gebäude Missstände oder Mängel aufweist, c) das vorhandene Gebäude seit längerer Zeit vom Eigentümer selbst genutzt wird und d) Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass das neu errichtete Gebäude für den Eigenbedarf des bisherigen Eigentümers oder seiner Familie genutzt wird; hat der Eigentümer das vorhandene Gebäude im Wege der Erbfolge von einem Voreigentümer erworben, der es seit längerer Zeit selbst genutzt hat, reicht es aus, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass das neu errichtete Gebäude für den Eigenbedarf des Eigentümers oder seiner Familie genutzt wird. Ferner muss das Vorhaben im Übrigen außenbereichsverträglich im Sinne des Absatzes 3 sein.

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Zutreffend hat das Verwaltungsgericht angenommen, dass sich die Klägerin auf diese Regelung jedenfalls deshalb nicht berufen kann, weil der Eigentümer des alten Wohngebäudes, der Vater der Klägerin, dieses nicht über längere Zeit ununterbrochen selbst nutzte. Vielmehr war es bis zum Jahr 1997 vermietet und stand danach leer. Für eine von der Klägerin offenbar geforderte (erweiterte) Anwendung der Vorschrift auf alle Fälle, in denen abgängige Gebäude nicht von Dritten zu spekulativen Zwecken aufgekauft wurden, kommt nicht in Betracht. Entgegen der Auffassung der Klägerin will § 35 Abs. 4 Satz 1 BauGB nicht ausschließlich Spekulationen mit sanierungsbedürftigen Gebäuden im Außenbereich verhindern. Vielmehr soll die Erleichterung denjenigen zugute kommen, die sich „längere Zeit" mit den beengten Wohnverhältnissen abgefunden und damit unter Beweis gestellt haben, dass dieses Wohnhaus für sie im Familienleben eine bedeutende Rolle spielt. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht in der von der Klägerin selbst zitierten Entscheidung (BVerwG, Beschl. v. 10.10.2005 – 10 B 60.05 –, ZfBR 2006, 160) ausdrücklich klargestellt. Ohne Bedeutung ist es hiernach auch, dass der Klägerin eine Eigennutzung des Gebäudes wegen der Baufälligkeit unmöglich war. Da die Voraussetzung des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe c) BauGB nicht erfüllt ist, kommt entgegen der Ansicht der Klägerin auch eine Auflage des Inhalts, dass das neu errichtete Wohngebäude ausschließlich für den Eigenbedarf des bisherigen Eigentümers und seiner Familie genutzt werden darf, nicht in Betracht. Mit einer solchen Auflage könnte nur erreicht werden, dass die Vorgaben des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe d) künftig erfüllt werden. Aus der von der Klägerin zitierten Entscheidung des OVG NW (Beschl. v. 17.09.2008 – 10 A 2634/07 –, BauR 2009, 80) ergibt sich nichts anderes.

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4. Ohne Erfolg wendet die Klägerin schließlich ein, die Beseitigungsverfügung sei ermessensfehlerhaft, weil ihr aufgegeben worden sei, das neu errichtete Gebäude bis etwa 30 cm unter der Geländeoberfläche zurückzubauen, was nicht nur ein Abtragen der errichteten Gebäudesubstanz, sondern zugleich ein weiteres – aus Sicherheitsaspekten verbotenes – Ausschachten einer Baugrube zur Folge habe.

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Die Baubehörden sind regelmäßig gehalten, den vollständigen Abriss eines insgesamt formell und materiell baurechtswidrigen Gebäudes anzuordnen, sofern dieses weder bautechnisch noch nach den Vorstellungen des Bauherrn teilbar ist (OVG NW, Urt. v. 04.12.2009 – 10 A 1671/09 – Juris, m. w. Nachw.). Eine Beschränkung der Anordnung auf die neuen Bauelemente verbietet sich grundsätzlich schon deshalb, weil ein solches Teilabbruchsverlangen regelmäßig zur Entstehung eines funktionslosen, zu keinem zulässigen Zweck verwendbaren Gebäudetorsos führen würde (vgl. SaarlOVG, Urt. v. 20.10.1989 – 2 R 391/86 –, Juris). Dies bedeutet, dass grundsätzlich auch die Beseitigung des Fundaments eines illegal errichteten Gebäudes verlangt werden kann, weil ein Fundament allein regelmäßig einen nicht genehmigungsfähigen Torso darstellt. Die Forderung der Beklagten, das Wohnhaus „bis ca. 30 cm unter Geländehöhe“ zurückzubauen, dient ersichtlich dem Zweck sicherzustellen, dass auch das vorhandene (alte) Fundament beseitigt wird. Dies hat die Beklagte in ihrer Klageerwiderung vom 22.06.2007 (Seite 5) klargestellt und insoweit einen möglicherweise vorliegenden Begründungsmangel gemäß § 1 VwVfG LSA i. V. m. §§ 45 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 VwVfG geheilt. Soweit durch die Beseitigung des Fundaments eine „Baugrube“ entsteht, obliegt es dem Bauherrn bzw. Eigentümer, diese zu verfüllen oder anderweitig abzusichern.

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II. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2 VwGO.

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III. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 1 GKG. Die sich aus dem Antrag der Klägerin für sie ergebende Bedeutung der Sache bestimmt der Senat in Anlehnung an die Empfehlung in Nr. 9.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung vom Juli 2004 (NVwZ 2004, 1327 [1328]) nach dem Wert der zu beseitigenden Bausubstanz zuzüglich Abrisskosten. Diese Beträge schätzt der Senat auf insgesamt etwa 20.000,00 €.


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