Urteil vom Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt (2. Senat) - 2 L 267/08
Tatbestand
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Die Klägerin wendet sich gegen eine bauordnungsrechtliche Anordnung zur Beseitigung einer Zufahrt.
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Die Klägerin ist Eigentümerin des 9.468 qm großen Grundstücks der Gemarkung A-Stadt, Flur A, Flurstück 697/189 T1 (Straßenbezeichnung „A-Straße“ in A-Stadt). Das Grundstück, das vormals für den Betrieb einer Badeanstalt genutzt wurde und das die Klägerin in den Jahren 2001 (südliche Hälfte) und 2002 (nördliche Hälfte) erwarb, grenzt im Süden an die Landesstraße 77 (Straßenbezeichnung: „Am See“) und im Westen an die Straße mit der Bezeichnung „Hinter der Fabrik“. Es liegt ausweislich entsprechender Aussagen des Straßenbauamtes B-Stadt außerhalb der Ortsdurchfahrtsgrenzen dieser Straße.
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Mit Datum vom 03.04.2001 stellte die Klägerin beim Beklagten eine Bauvoranfrage zur Zulässigkeit der Errichtung eines Eigenheims auf ihrem Grundstück. Aus dem eingereichten Lageplan (GA, Bl. 121) selben Datums wird ersichtlich, dass das Wohnhaus auf dem südlichen Bereich des (Gesamt-)Grundstücks errichtet werden und die Zufahrt von der südlich gelegenen Landessstraße 77 (Straßenbezeichnung „Am See“) aus erfolgen sollte.
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Nach einer Anhörung im Mai 2001 nahm die Klägerin ihre Bauvoranfrage zurück und beantragte stattdessen bei der Stadt A-Stadt (seit 01.01.2010: Ortsteil der Stadt W.-Börde) die Einleitung eines Verfahrens zur Aufstellung des vorhabenbezogenen Bebauungsplans „ A.“. Die öffentliche Auslegung des Planes erfolgte vom 09.07. bis zum 10.08.2001.
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Mit Schreiben vom 26.03.2002 äußerte das Straßenbauamt B-Stadt gegenüber der Verwaltungsgemeinschaft Börde, dass es dem Entwurf des Bebauungsplanes nicht zustimmen könne. Die Erschließung des Grundstücks könne nicht über die Landesstraße 77 erfolgen. Anbindemöglichkeiten an das Straßennetz bestünden über den Weg „Hinter der Fabrik“. Im Rahmen des vorhabenbezogenen Bebauungsplans sei keine Badeanstalt mehr vorgesehen. Wegen der erheblichen Nutzungsänderung bestehe für die Zufahrt kein Bestandsschutz mehr.
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Mit Schreiben vom 05.04.2002 äußerte die Verwaltungsgemeinschaft Börde gegenüber dem Straßenbauamt B-Stadt die Auffassung, dass die Zufahrt weiterhin „zur Straßenbenutzung kraft Gemeingebrauch zu rechnen“ sei und bat um nochmalige Überprüfung des Sachverhalts, „gegebenenfalls über eine Ausnahmeregelung mit entsprechenden Auflagen an den Investor“. Das Schreiben übersandte die Verwaltungsgemeinschaft Börde dem Ehemann der Klägerin am 05.04.2002 zur Kenntnis.
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Mit Schreiben vom 03.05.2002 teilte das Straßenbauamt B-Stadt der Verwaltungsgemeinschaft Börde mit, dass sein Standpunkt betreffs der Nutzungsveränderung der Zufahrt unverändert bleibe. Das Vorhaben liege außerhalb der Ortsdurchfahrtsgrenzen der Landesstraße 77. Außerhalb der Ortsdurchfahrtsgrenzen müsse eine Straße frei von Zufahrten gehalten werden.
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Mit Beschluss Nr. 034-III-2002 vom 06.06.2002 beschloss der Stadtrat der Stadt A-Stadt den vorhabenbezogenen Bebauungsplan „ A.“ in der Fassung vom April 2002 als Satzung (Beiakte B, Bl. 15). In einer „Beschlusserläuterung“ zum Beschluss heißt es:
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„Entsprechend Abwägungsbeschluss Nr. 004-III/2002 vom 24.01.2002 wurden zur Abwägung vom Bördekreis mit Schreiben vom 18.02.2002 Bedenken geäußert. Durch den Investor erfolgte eine Überplanung des Entwurfes, der dann nochmals eingereicht wurde. Die Stellungnahme des Bördekreises vom 21.05.2002 zum Planungsstand April 2002 ist Bestandteil der vorliegenden Abwägung gem. Anlage 1.“
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Der Beschluss wurde im Börde-Kurier (Ausgabe vom 05.07.2002, S. 3) bekannt gemacht. Gleichzeitig wurde darauf hingewiesen, dass jedermann den Bebauungsplan im Bauamt der Verwaltungsgemeinschaft Börde während der Dienstzeit einsehen könne.
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Im Teil A des vorhabenbezogenen Bebauungsplans sind für das klägerische Grundstück zwei Einfahrten (Planzeichen 6.4 Alt. 1 der Planzeichenverordnung) festgesetzt, und zwar eine als „Zufahrt“ bezeichnete an der Westgrenze von der Straße „Hinter der Fabrik“ aus und eine als „gewerbliche Zufahrt“ bezeichnete an der Nordgrenze. In einer „Begründung zum Vorhaben“ heißt es: „Eine Erschließung am Standort ist gegeben. Das Grundstück ist über den ‚Weg hinter der Fabrik’ zu erreichen.“
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Am 07.08.2002 legte die Klägerin dem Beklagten zusammen mit einer Erklärung im Baufreistellungsverfahren einen Plan vor, wonach die Zufahrt zu dem geplanten Wohnhaus von der Landesstraße 77 (Straße „Am See“) aus erfolgen soll.
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Mit Schreiben vom 11.12.2003 teilte die Verwaltungsgemeinschaft „Börde“ der Klägerin mit, dass seitens der Stadt A-Stadt keine Bedenken gegen die Einrichtung der Zufahrt zu ihrem Grundstück von der L 77 aus bestünden. Bisher sei auch nicht bekannt, dass das für die Genehmigung zuständige Straßenbauamt B-Stadt Einwände gegen die Zufahrt erhoben habe.
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Mit Schreiben vom 02.09.2002 teilte das Straßenbauamt B-Stadt dem Beklagten mit, dass die Klägerin die von ihr geplante Zufahrt zur L 77 errichtet habe, ohne dass die hierfür erforderliche straßenrechtliche Genehmigung beantragt oder erteilt worden wäre.
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Mit Bescheid vom 20.01.2005 forderte der Beklagte die Klägerin auf, die von ihr angelegte Grundstückszufahrt zur L 77 binnen einer Frist von vier Wochen nach Bestandskraft dieses Bescheides in den Ursprungszustand zurückzubauen. Gleichzeitig drohte es für den Fall der Nichtbefolgung ein Zwangsgeld in Höhe von 2.000,- € an. Zur Begründung führte er aus, die Klägerin habe die Grundstückszufahrt entgegen den Festsetzungen des vorhabenbezogenen Bebauungsplans angelegt. In den zeichnerischen und textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans sei keine Anbindung an die L 77 vorgesehen. Die für eine solche Anbindung erforderliche Genehmigung seitens des Straßenbaulastträgers sei weder beantragt noch erteilt worden. Auf eine Erschließung über die L 77 sei das Grundstück nicht angewiesen, weil es über den „Weg hinter der Fabrik“ erreichbar sei.
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Den gegen diesen Bescheid erhobenen Widerspruch wies das Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt mit Bescheid vom 23.03.2006 unter Wiederholung und Vertiefung der Gründe des Ausgangsbescheides zurück.
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Am 28.04.2006 hat die Klägerin beim Verwaltungsgericht Magdeburg Klage erhoben. Zur Begründung hat sie vorgetragen: Die gesetzlichen Voraussetzungen für den Erlass der angefochtenen Beseitigungsverfügung lägen nicht vor, weil die streitgegenständliche Zufahrt nicht im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften stehe. Mit Scheiben vom 11.12.2003 habe ihr die Verwaltungsgemeinschaft Börde mitgeteilt, dass seitens der Stadt A-Stadt keine Bedenken gegen die Einrichtung einer Zufahrt von der L 77 aus bestünden. Die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs werde durch die Zufahrt nicht beeinträchtigt. Auch der vorhabenbezogene Bebauungsplan stehe der Zufahrt nicht entgegen. Dieser Plan könne auch dahingehend ausgelegt werden, dass eine solche Zufahrt zulässig sei. Die Beseitigungsverfügung sei auch nicht frei von Ermessensfehlern. Der Beklagte habe nicht beachtet, dass die Zufahrt auch früher schon bestanden habe und deshalb Bestandsschutz genieße. Auch verstoße die ihr gegenüber erlassene Anordnung gegen den Gleichheitsgrundsatz, weil auf der gegenüberliegenden Straßenseite eine im Wesentlichen identische Zufahrt errichtet worden sei, gegen die der Beklagte nicht einschreite. Weiterhin hätte der Beklagte beachten müssen, dass sie – die Klägerin – in ihrem Vertrauen auf die Richtigkeit der Äußerungen geschützt sei, die die Verwaltungsgemeinschaft Börde in ihrem Scheiben vom 11.12.2003 getätigt habe.
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Die Klägerin hat beantragt,
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den Bescheid des Beklagten vom 20.01.2005 und den Widerspruchsbescheid des Landesverwaltungsamtes Sachsen-Anhalt vom 23.03.2006 aufzuheben.
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Der Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Mit Urteil vom 01.09.2008 hat das Verwaltungsgericht Magdeburg die Klage abgewiesen. Die streitgegenständliche Zufahrt widerspreche den Festsetzungen des für das klägerische Grundstück aufgestellten vorhabenbezogenen Bebauungsplans. Die angefochtene Beseitigungsverfügung lasse auch keine Ermessensfehler erkennen.
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Der Senat hat die Berufung auf Antrag der Klägerin wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zugelassen. Die Klägerin hat die Berufung fristgemäß begründet.
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Die Klägerin beantragt,
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das Urteil des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 01.09.2008 (Az.: 4 A 106/06 MD) zu ändern und den Bescheid des Beklagten vom 20.01.2005 und den Widerspruchsbescheid des Landesverwaltungsamtes Sachsen-Anhalt vom 23.03.2006 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Er hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des vorgelegten Verwaltungsvorgangs verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
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Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtene Beseitigungsverfügung ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Nach § 79 Satz 1 BauO LSA kann die Bauaufsichtsbehörde in den Fällen, in denen Anlagen im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet oder geändert werden, die teilweise oder vollständige Beseitigung der Anlagen anordnen, wenn nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können. Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Die von der Klägerin errichtete Zufahrt ist bauplanungsrechtlich unzulässig, weil sie im Widerspruch zu § 30 Abs. 2 BauGB steht. Danach ist ein Vorhaben im Geltungsbereich eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans nur zulässig, wenn es dem Bebauungsplan nicht widerspricht und die Erschließung gesichert ist. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Die von der Klägerin errichtete Zufahrt von der L 77 aus widerspricht den Festsetzungen des vorhabenbezogenen Bebauungsplans „ A.“.
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Nach § 9 Abs. 1 Nr. 11 BauGB können in einem Bebauungsplan auch Festsetzungen über den Anschluss anderer Flächen an die Verkehrsflächen getroffen werden. Entsprechende Festsetzungen erfolgen durch Verwendung der in Nr. 6.4 der Anlage zur Planzeichenverordnung vorgesehenen Planzeichen „Einfahrt“, „Einfahrtbereich“ und „Bereich ohne Ein- und Ausfahrt“ (vgl. Gierke, in: Brügelmann, BauGB, § 9 RdNr. 229). Der streitgegenständliche Bebauungsplan setzt zwar keinen „Bereich ohne Ein- und Ausfahrt“ fest, sondern enthält zur Frage des Verkehrsflächenanschlusses lediglich zwei positive Festsetzungen dahingehend, dass im Westen (vom „Weg hinter der Fabrik“ aus) und im Norden eine Einfahrt zulässig ist. Die Wirkung solcher positiver Festsetzungen ist aber nicht auf ihre positive, d.h. zulassende Richtung beschränkt, sondern sie können auch in negativer Richtung, d.h. ausschließend wirken (vgl. Dürr, in: Brügelmann, BauGB, § 30 RdNr. 5). Die vorliegenden Festsetzungen sind dahingehend auszulegen, dass ihnen eine solche ausschließende Wirkung zukommen soll. Die Festsetzungen nahm der Stadtrat der Stadt A-Stadt nämlich gerade deshalb in den vorhabenbezogenen Bebauungsplan auf, weil das Straßenbauamt B-Stadt eine anderweitige Festsetzung beanstandet hatte. Das ergibt sich aus Folgendem:
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Der in der Zeit vom 09.07. bis zum 10.08.2001 ausgelegte vorhabenbezogene Bebauungsplan „ A.“ enthält in seinem Teil A unter der Überschrift „Begründung zum Vorhaben“ folgende Anmerkung: „Eine Erschließung am Standort ist gegeben. Das Grundstück ist über die Straße „Am See“ und über den „Weg hinter der Fabrik“ zu erreichen. In der Planzeichnung selbst ist keine Zufahrt eingezeichnet. Es findet sich lediglich der handschriftliche Vermerk: „vorhandene Zufahrt“, der auf eine Zufahrt von der L 77 („Straße am See“) hindeutet. Mit Abwägungsbeschluss vom 24.01.2002 wog der Stadtrat der Stadt A-Stadt die geäußerten Bedenken und Hinweise zu dem Entwurf des vorhabenbezogenen Bebauungsplanes ab. In der Anlage 1 zu dem Beschluss wird ein Schreiben des Straßenbauamtes B-Stadt vom 22.05.2001 erwähnt und dessen Inhalt wie folgt zusammengefasst: „Die Zufahrt zum Wohngrundstück liegt außerhalb der Ortsdurchfahrtsgrenze an freier Strecke der L 77, daher erfolgt keine Zustimmung.“ Im Beschlusstext des Beschlusses vom 24.01.2002 heißt es hierzu ausdrücklich, dass die Bedenken des Straßenbauamtes B-Stadt nicht berücksichtigt würden. Mit Schreiben vom 18.02.2002 wies der Bördekreis die Stadt A-Stadt darauf hin, dass ihr Abwägungsbeschluss aufgrund dieser Nichtberücksichtigung fehlerhaft sei und dass dieser Hinweis bei der Überarbeitung des Entwurfs zu berücksichtigen sei. In der Beschlusserläuterung zum Beschluss vom 06.06.2002 heißt es, der Investor habe aufgrund der durch den Bördekreis in seinem Schreiben vom 18.02.2002 geäußerten Bedenken den Entwurf überplant. Diese Überplanung besteht also gerade darin, dass in dem am 06.06.2002 beschlossenen Vorhaben- und Erschließungsplan nunmehr zwei Zufahrten von Westen und Norden her eingezeichnet sind und dass es unter der Überschrift „Begründung zum Vorhaben“ nicht mehr – wie ursprünglich – heißt: „Das Grundstück ist über die Straße ‚Am See’ und über den ‚Weg hinter der Fabrik’ zu erreichen“, sondern nur noch: „Das Grundstück ist über den ‚Weg hinter der Fabrik’ zu erreichen“.
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Angesichts des dargelegten Verfahrensverlaufs und der ausdrücklichen Bezugnahme auf das Schreiben des Bördekreises vom 18.02.2002 kann die Beschränkung des Erschließungsvermerks auf den „Weg hinter der Fabrik“ und die Aufnahme von zwei Zufahrtszeichen an anderer Stelle als an der L 77 nicht anders verstanden werden als dahingehend, dass eine Zufahrt von der L 77 aus nach dem Plan nicht mehr vorgesehen ist. Vor diesem Hintergrund ist es auch nicht erforderlich, den Planersteller Dr. R. als Zeugen darüber zu vernehmen, dass die Stadt A-Stadt – wie die Klägerin meint – sowohl im Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses als auch der Bekanntmachung der Satzung die Zufahrt von der L 77 aus als Teil des Vorhaben- und Erschließungsbeschlusses angesehen habe. Diese Frage ist so – wie sie gestellt ist – aus verschiedenen Gründen nicht entscheidungserheblich: Zum einen kommt es für die Auslegung der Festsetzungen des streitgegenständlichen Bebauungsplans nicht auf den Willen der „Stadt A-Stadt“, sondern des Stadtrates als Beschlussorgan und Satzungsgeber an. Zum anderen kann der Wille des Stadtrates nicht durch eine Vernehmung des Planerstellers Dr. R. festgestellt werden. Selbst wenn sich aber herausstellen sollte, dass der Stadtrat der Stadt A-Stadt bei seiner Beschlussfassung davon ausging, dass der Plan eine Zufahrt von der L 77 aus ermöglichen soll, würde ein solcher Wille nicht zu einer anderen Auslegung des Planes führen. Der Wille des Plangebers kann bei der Auslegung des Planes nur insoweit Berücksichtigung finden, als die Festsetzungen des Planes und die Begründung eine entsprechende Auslegung überhaupt zulassen. Das ist hier aber, wie dargelegt, nicht der Fall. Die eingezeichneten Zufahrten können aufgrund der schriftlich auf dem Plan vermerkten „Begründung“ sowie des ausdrücklichen Hinweises auf die Bedenken des Bördekreises vom 18.02.2002 nicht anders als in einem ausschließenden Sinne ausgelegt werden.
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Ein Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften ergibt sich darüber hinaus auch aus einem Verstoß gegen die straßenrechtlichen Vorschriften der §§ 22 Abs. 2 Satz 1, 18 Abs. 1 StrG LSA. Danach gelten Zufahrten zu Landes- oder Kreisstraßen außerhalb der zur Erschließung bestimmten Teile der Ortsdurchfahrten, die neu angelegt oder geändert werden, als erlaubnispflichtige Sondernutzung im Sinne des § 18 StrG LSA. Die streitgegenständliche Zufahrt erfüllt diese Kriterien. Insbesondere ist davon auszugehen, dass sie in einem Bereich der L 77 liegt, der sich außerhalb der zur Erschließung bestimmten Teile der Ortsdurchfahrt befindet. Ortsdurchfahrten sind zwar nach § 5 Abs. 1 StrG LSA an bestimmte materielle Kriterien geknüpft, ihre Grenzen werden aber gemäß § 5 StrG LSA Abs. 2 Satz 1 StrG LSA von der Straßenbaubehörde des Landes im Einvernehmen mit der Gemeinde festgesetzt. Die Festsetzung ist in dem Sinne verbindlich, dass Ortsdurchfahrt nur die festgesetzte Ortsdurchfahrt ist (vgl. Zeitler, Bayerisches Straßen- und Wegegesetz, Art. 4 Rdnr. 28 f.). In seinen Schreiben vom 26.03.2002 und 03.05.2002 wies das Straßenbauamt B-Stadt darauf hin, dass sich die streitgegenständliche Zufahrt außerhalb der Ortsdurchfahrtsgrenzen befindet. Der Senat hat keinen Anlass daran zu zweifeln, dass dieser Hinweis mit der getroffenen Festsetzung der Ortsdurchfahrtsgrenzen übereinstimmt. Die mithin für die Zufahrt nach § 22 Abs. 3 i.V.m. § 18 Abs. 1 StrG erforderliche Erlaubnis ist indessen weder beantragt noch erteilt worden.
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Der Beklagte war auch berechtigt, wegen des Verstoßes gegen die straßenrechtlichen Vorschriften der §§ 22 Abs. 2 Satz 1, 18 Abs. 1 StrG LSA auf der Grundlage des § 79 Satz 1 BauO LSA eine bauaufsichtliche Beseitigungsverfügung zu erlassen. § 79 Satz 1 BauO LSA setzt nicht einen Widerspruch zu baurechtlichen, sondern zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften voraus. Zu diesen öffentlich-rechtlichen Vorschriften zählen auch solche des Straßenrechts. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass das Straßenbauamt B-Stadt nach § 20 Abs. 1 Satz 1 StrG LSA selbst ermächtigt wäre, die erforderlichen Maßnahmen zur Beendigung der Benutzung anzuordnen. Diese Vorschrift schließt § 79 Satz 1 BauO LSA nicht aus, sondern eröffnet eine zusätzliche Ermächtigung mit anderem Regelungsgegenstand. Nach § 20 Abs. 1 Satz 1 StrG LSA kann die für die Erlaubnis zuständige Behörde in den Fällen, in denen eine Straße ohne die erforderliche Erlaubnis benutzt wird, die erforderlichen Maßnahmen zur Beendigung der Benutzung anordnen. Diese straßenrechtliche Spezialermächtigung betrifft die Zufahrt nur insoweit, als sie eine unerlaubte Sondernutzung der Straße darstellt. Sie bezieht sich auf die Straße und ihre Nutzung und nicht auf das Anliegergrundstück und eine darauf errichtete Zufahrtsanlage. Es kommt insoweit also auch nicht darauf an, ob und inwieweit die Schaffung der Zufahrt mit der Errichtung einer entsprechenden baulichen Anlage einherging. Auch wenn dies nicht der Fall ist und eine Zufahrt beispielsweise über einen unbefestigten Feldweg erfolgt, kann dies auf der Grundlage des § 20 Abs. 1 Satz 1 StrG LSA von der zuständigen Straßenbehörde unterbunden werden. Anknüpfungspunkt für § 79 Satz 1 BauO LSA ist demgegenüber nicht die Straße und ihre Benutzung, sondern die auf dem Grundstück errichtete Anlage. Soweit diese oder ein Teil von ihr – wie hier – in straßenrechtswidriger Weise als Zufahrt genutzt werden soll, ist die Bauaufsichtsbehörde nach § 79 Satz 1 BauO LSA zur Anordnung der Beseitigung dieser Anlage befugt.
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Die Beseitigungsanordnung lässt auch keine Ermessensfehler erkennen. Rechtlich zutreffend sind insoweit die Ausführungen im Widerspruchsbescheid (Seite 4), wonach es hier keiner besonderen Abwägung der für und wider das Einschreiten sprechenden Gründe bedarf, weil das bauaufsichtliche Einschreiten in Fällen der vorliegenden Art regelmäßig geboten ist (intendiertes Ermessen). Die angefochtene Anordnung verletzt die Klägerin auch nicht in ihrem Recht auf Gleichbehandlung (Art. 3 GG). Es ist sachlich gerechtfertigt, dass der Beklagte zwar die Beseitigung der streitgegenständlichen Zufahrt anordnete, gegen die in der Nachbarschaft des klägerischen Grundstücks von der L 77 aus vorhandenen Zufahrten der Familien S. und L. hingegen keine entsprechenden Anordnungen verfügte. Nach den nachvollziehbaren und glaubhaften Darlegungen des Beklagten handelt es sich bei der Zufahrt der Familie S. um eine von alters her bestehende Zufahrt, die zudem innerhalb der Ortsdurchfahrt liegt. Die Zufahrt der Familie L. ist als notwendige Zufahrt zu einem landwirtschaftlichen Betrieb mit der streitgegenständlichen Zufahrt nicht vergleichbar.
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Die Klägerin kann sich auch nicht mit Erfolg auf Bestandsschutz berufen. Hierbei kann die von der Klägerin unter Beweis gestellte Tatsache, dass sich auch früher bis 1999 an der streitgegenständlichen Stelle eine Zufahrt befand, als wahr unterstellt werden. Das Vorhandensein dieser früheren Zufahrt vermittelt keinen Bestandsschutz für die nunmehrige Zufahrt. Die frühere Zufahrt diente der Erschließung eines Anliegergrundstücks, das nicht als Wohngrundstück, sondern zum Betrieb einer Badeanstalt genutzt wurde. Ein sich daraus ergebender etwaiger Bestandsschutz erlosch mit der Aufgabe dieser Nutzung und der Schaffung eines Wohngrundstücks. Ein solches Wohngrundstück stellt ersichtlich andere Anforderungen an die straßenmäßige Erschließung. Im vorliegenden Fall gilt das umso mehr, als sich das nunmehrige Grundstück aus einer von der Klägerin im Jahre 2001 erworbenen südlichen und einer im Jahre 2002 erworbenen nördlichen Hälfte zusammensetzt und das solchermaßen neu zugeschnittene Grundstück auch über die im vorhabenbezogenen Bebauungsplan eingezeichneten Zufahrten verfügt.
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Unter Vertrauensschutzgesichtspunkten ist die angefochtene Beseitigungsverfügung auch nicht deshalb rechtlich zu beanstanden, weil die Verwaltungsgemeinschaft „Börde“ A-Stadt/Klein W. der Klägerin mit Schreiben vom 11.12.2003 mitteilte, dass seitens der Stadt A-Stadt keine Bedenken gegen die Einrichtung einer Zufahrt von der L 77 aus bestünden. Aus dem Schreiben geht hervor, dass es sich hierbei nur um die Auffassung der Stadt A-Stadt handelt, für die (erforderliche) straßenrechtliche Genehmigung aber das Land Sachsen-Anhalt als Straßenbaulastträger zuständig ist. Zwar heißt es in dem Schreiben auch, es sei nicht bekannt, dass seitens des Straßenbaulastträgers Einwände gegen die Einrichtung einer Zufahrt bestünden. Diese Äußerung konnte aber für die Klägerin kein schutzwürdiges Vertrauen darauf begründen, dass das Straßenbauamt B-Stadt wie auch der Beklagte die Zufahrt in der Tat als rechtlich zulässig einstufen würden und deshalb mit einem Einschreiten nicht zu rechnen sei. Zum einen war der Klägerin bekannt, dass das Straßenbauamt B-Stadt entgegen der Äußerung der Verwaltungsgemeinschaft „Börde“ A-Stadt/Klein W. im Schreiben vom 11.12.2003 sehr wohl Einwände gegen die Zufahrt erhoben hatte. Hierüber hatte die Verwaltungsgemeinschaft „Börde“ A-Stadt/Klein W. den Ehemann der Klägerin mit Telefax vom 05.04.2002 ausdrücklich in Kenntnis gesetzt. Zum anderen ist im Schreiben vom 11.12.2003 nicht vom Beklagten die Rede, der die angefochtene Beseitigungsanordnung aus bauplanungsrechtlichen und nicht aus straßenrechtlichen Gründen erließ.
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Schließlich kann die Klägerin auch nicht mit Erfolg geltend machen, dass die Zufahrt über den „Weg hinter der Fabrik“ aus tatsächlichen Gründen erheblich erschwert oder zeitweise gar unmöglich sei. Aus den vorgelegten Karten, Plänen und Lichtbildern wird deutlich, dass es sich bei dem „Weg hinter der Fabrik“ um einen Weg handelt, der die rechtlichen Anforderungen einer Sicherung der Erschließung im Sinne des § 30 Abs. 2 BauGB erfüllt. Zwar wurde dieser Weg – wie der Ehemann der Klägerin in der mündlichen Verhandlung am 11. August 2010 erläutert hat – erst in jüngster Zeit und damit nach Erlass der angefochtenen Beseitigungsverfügung mit Pflastersteinen befestigt. Der Weg war aber bereits zuvor befahrbar- und begehbar. Das Verwaltungsgericht hat diesen Weg bei seinem Erörterungstermin am 13.12.2007 in Augenschein genommen. Aus dem entsprechenden Protokoll geht hervor, dass der Weg uneben und nur teilweise asphaltiert war und über keine ausreichende Straßenentwässerung verfügte. Gleichwohl handelte es sich – was die Klägerin nicht bestritten hat – um einen aufgrund seiner Breite und seines Zustandes durchaus befahr- und begehbaren Weg.
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Die Kostenentscheidung beruht auf den § 154 Abs. 2 VwGO.
- 43
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit und über die Abwendungsbefugnis ergeben sich aus § 167 VwGO i. V. m den §§ 708 Nr. 11, 709 S. 1 ZPO.
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Die Revision wird nicht zugelassen, weil keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
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Referenzen
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