Beschluss vom Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt (2. Senat) - 2 O 128/12
Gründe
I.
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Der Kläger zu 1 reiste im Februar 1996 unter der Angabe, irakischer Staatsangehöriger zu sein, mit seiner libanesischen Ehefrau, der Klägerin zu 2, und ihren am (…)1994 und (…)1995 geborenen Kindern, den Klägerinnen zu 3 und 4, in das Bundesgebiet ein. Die von ihnen gestellten Asylanträge lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge mit Bescheid vom 12.04.1996 ab. Die hiergegen erhobene Klage blieb ohne Erfolg. Die Asylanträge, die für die in Deutschland geborenen Klägerinnen zu 5 bis 7 gestellten wurden, lehnte das Bundesamt ebenfalls ab. Anträge der Kläger auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen lehnte der frühere Landkreis A-Stadt mit Bescheid vom 28.03.2007 ab. Nach Stellung erneuter Anträge auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen am 18.08.2008 eröffnete der der Kläger zu 1 dem Beklagten, dass er syrischer Staatangehöriger sei. Mit Bescheid vom 10.12.2009 lehnte der Beklagte die Anträge erneut ab. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies das Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt mit Widerspruchsbescheid vom 27.10.2010 zurück.
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Am 29.11.2010 haben die Kläger hiergegen Klage erhoben und zugleich Prozesskostenhilfe beantragt. Mit Beschluss vom 28.07.2011 hat das Verwaltungsgericht den Klägerinnen zu 3 und 4 Prozesskostenhilfe bewilligt, den Antrag für die Kläger zu 1, 2, 5, 6 und 7 aber abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, es sei nicht auszuschließen, dass die Klägerinnen zu 3 und 4 die Voraussetzungen des § 25a AufenthG erfüllen. Den übrigen Klägern stehe indes ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht zu. Ihre Ausreise sei weder tatsächlich noch rechtlich unmöglich. Bei ihnen handele es sich insbesondere nicht um sog. faktische Inländer. Den Klägerinnen zu 3 und 4 erteilte der Beklagte am 16.08.2011 Aufenthaltserlaubnisse nach § 25a AufenthG. Daraufhin erklärten die Beteiligten hinsichtlich der Klägerinnen zu 3 und 4 den Rechtsstreit mit Schriftsätzen vom 02.09.2011 und 20.09.2011 übereinstimmend für erledigt.
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Nach Wiederaufgreifen des Asylverfahrens des Klägers zu 1 und der Klägerinnen zu 3 bis 7 stellte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 18.05.2012 fest, dass für sie ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG für Syrien vorliegt. Unter Datum vom 18.05.2012 erteilte der Beklagte dem Kläger zu 1 sowie den Klägerinnen zu 5 bis 7 Aufenthaltserlaubnisse nach § 25 Abs. 3 AufenthG. Mit Schriftsatz vom 25.05.2012 teilte der Beklagte dem Prozessbevollmächtigten der Kläger mit, dass aufgrund der Entscheidung des Bundesamts für den Kläger zu 1 und die Klägerinnen zu 3 bis 7 die Möglichkeit bestehe, eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG zu bekommen. Mit Schriftsatz vom 11.06.2012 teilte der Beklagte dem Verwaltungsgericht mit, dass er dem Kläger zu 1 und den Klägerinnen zu 3 bis 7 Aufenthaltserlaubnisse nach § 25 Abs. 3 AufenthG erteilen werde. Die Klägerin zu 2 werde zur Führung der ehelichen und familiären Lebensgemeinschaft eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG erhalten. Am 20.06.2012 hat der Prozessbevollmächtigte der Kläger beantragt, nunmehr auch den Klägern zu 1, 2, 5, 6 und 7 Prozesskostenhilfe zu gewähren, und den Rechtsstreit für alle Kläger für erledigt erklärt. Am 06.07.2012 hat sich der Beklagte der Erledigungserklärung angeschlossen.
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Mit Beschluss vom 10.07.2012 hat das Verwaltungsgericht das Verfahren eingestellt und die Kosten anteilig den Beteiligten auferlegt. Den erneuten Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Kläger zu 1, 2, 5, 6 und 7 hat es abgelehnt und insoweit zur Begründung ausgeführt: Eine Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache stehe einer Bewilligung von Prozesskostenhilfe prinzipiell entgegen. Zudem handele es sich um einen wiederholten Antrag. Erst nachdem der Beklagte aufgrund der Entscheidung des Bundesamts die Aufenthaltserlaubnisse in Aussicht gestellt habe, seien die Kläger mit der Hauptsacheerledigung „auf diesen Zug aufgesprungen“.
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Unter Datum vom 24.07.2012 erteile der Beklagte der Klägerin zu 2 eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG.
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Gegen die erneute Versagung der Prozesskostenhilfe haben die Kläger am 27.07.2012 Beschwerde eingelegt. Sie machen geltend, es bestehe sogar ein Anspruch auf rückwirkende Erteilung der Aufenthaltserlaubnis, da die Voraussetzungen für die Feststellung des zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung vorgelegen hätten. Im Übrigen habe für den Kläger zu 1 aufgrund seiner – seit Langem bestehenden – Krankheit auch unabhängig von der Lage in Syrien ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot asylrechtlich und das inlandsbezogene Ausreisehindernis der krankheitsbedingten Reiseunfähigkeit festgestellt werden können. Aus Art. 6 GG hätten sich Ansprüche für alle anderen Familienmitglieder ergeben. Wäre die Erledigungserklärung nicht abgegeben worden, hätte die Gefahr bestanden, dass die Klage abgewiesen wird. Deshalb habe der erneute Prozesskostenhilfeantrag gleichzeitig mit der Erledigungserklärung gestellt werden müssen.
II.
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Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die erneut beantragte Prozesskostenhilfe für die Kläger zu 1, 2, 5, 6 und 7 zu Recht versagt.
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1. Der wiederholte Prozesskostenhilfeantrag dürfte zwar zulässig gewesen sein. Beschlüsse, mit denen die Prozesskostenhilfe versagt wird, erlangen keine materielle Rechtskraft und schließen einen neuerlichen Antrag nicht aus. Das Rechtsschutzbedürfnis für eine – an sich zulässige – Wiederholung eines Prozesskostenhilfeantrages kann nur dann verneint werden, wenn das Recht zur wiederholten Stellung eines Antrages missbraucht wird, etwa wenn der Antragsteller lediglich auf die bisherige Begründung verweist oder neue Tatsachen ersichtlich nur vorgeschützt sind und eine Änderung der bisherigen Beurteilung deshalb als von vornherein ausgeschlossen erscheint (vgl. BGH, Beschl. v. 16.12.2008 – VIII ZB 78/06 –, NJW 2009, 857, m.w.N.). Dem entsprechend fehlt das Rechtsschutzbedürfnis dann nicht, wenn der Rechtssuchende gegenüber dem ursprünglichen Antrag neue Tatsachen oder neu entstandene rechtliche Gesichtspunkte vorbringt (vgl. BayVGH, Beschl. v. 03.12.2009 – 11 C 08.39 – Juris, m.w.N.). Im Schriftsatz vom 20.06.2012, mit welchem das Prozesskostenhilfegesuch für die Kläger zu 1, 2, 5, 6 und 7 wiederholt worden ist, sind zwar keine neuen Tatsachen oder neu entstandene rechtliche Gesichtspunkte dargelegt. Aus den vorliegenden Schriftsätzen ergab sich aber offensichtlich, dass aufgrund der Entscheidung des Bundesamts vom 18.05.2012 eine neue Sachlage eingetreten ist, aus der sich nunmehr Ansprüche auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach § 25 Abs. 3 und 5 AufenthG ergeben.
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2. Der wiederholte Prozesskostenhilfeantrag hat aber jedenfalls in der Sache keinen Erfolg.
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Nach § 166 VwGO i. V. m. § 114 Satz 1 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt.
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Dabei kann dahinstehen, ob die Bewilligung von Prozesskostenhilfe schon deshalb nicht mehr in Betracht kommt, weil im Zeitpunkt der Entscheidung über den wiederholten Prozesskostenhilfeantrag das verwaltungsgerichtliche Verfahren bereits beendet gewesen ist, so dass von einer „beabsichtigten“ Rechtsverfolgung nicht mehr gesprochen werden kann. Allerdings kann Prozesskostenhilfe nach Abschluss des Verfahrens ausnahmsweise dann rückwirkend zu gewähren sein, wenn die sachlichen Voraussetzungen für die Bewilligung zu einem früheren Zeitpunkt, als die Rechtsverfolgung noch beabsichtigt war, vorgelegen haben und es lediglich in Folge eines Versäumnisses des Gerichts nicht zu einer rechtzeitigen Entscheidung über den Bewilligungsantrag gekommen ist, bzw. wenn der Kläger vor dem Wegfall der Rechtshängigkeit alles ihm Zumutbare getan hat, um eine Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag zu erreichen (vgl. Beschl. d. Senats v. 13.10.2011 – 2 O 108/11 –, NJW 2012, 652, m.w.N.). Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Kläger zu 1, 2, 5, 6 und 7 scheidet hier jedenfalls deshalb aus, weil die Rechtsverfolgung (auch) nach Stellung des wiederholten Prozesskostenhilfeantrags keine hinreichende Aussicht auf Erfolg geboten hat.
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Für die Beurteilung der Erfolgsaussichten einer Klage ist grundsätzlich auf den Zeitpunkt der Bewilligungsreife abzustellen; dies ist derjenige Zeitpunkt, zu dem das Gericht im Fall einer ordnungsgemäßen Behandlung des Antrags über diesen zu entscheiden hat, also zeitnah nach ordnungsgemäßer Antragstellung (vgl. Beschl. d. Senats v. 29.05.2008 – 2 O 76/08 – Juris, m. w. Nachw.). Auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts kann nur dann abgestellt werden, wenn sich die Sach- oder Rechtslage zugunsten des Antragstellers geändert hat (vgl. BayVGH, Beschl. v. 21.12.2009 – 19 C 09.2958 –, Juris, RdNr. 4 f.). Bewilligungsreife setzt u. a. voraus, dass der Kläger das Streitverhältnis (substantiiert) dargestellt hat, das Gericht Einsicht in die betreffenden Aktenvorgänge der beteiligten Behörde nehmen konnte und dem Gegner angemessene Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt worden ist; außerdem ist von diesem Datum ausgehend zusätzlich noch ein angemessener Zeitraum für die gerichtliche Prüfung des Antrags zu berücksichtigen (Beschl. d. Senats v. 29.03.2010 – 2 O 8/10 –, Juris, m. w. Nachw.).
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Es kann hier offen bleiben, ob der wiederholte Prozesskostenhilfeantrag bereits mit der Antragstellung am 20.06.2012 bewilligungsreif war, etwa weil die aufgrund der Entscheidung des Bundesamts geänderte Sach- und Rechtslage sowohl dem Beklagten als auch dem Verwaltungsgericht hinreichend bekannt war. Sowohl im Zeitpunkt der Antragstellung als auch im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts hat die Klage der Kläger zu 1, 2, 5, 6 und 7 keine hinreichende Aussicht auf Erfolg gehabt, weil das Rechtsschutzinteresse für eine Fortführung ihrer Klage bereits weggefallen war.
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Das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis als Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Klage ist unter anderem dann nicht gegeben, wenn der Kläger mit der Klage eine Verbesserung seiner Rechtsstellung nicht erreichen kann, d.h. wenn eine Inanspruchnahme des Gerichts sich als für die subjektive Rechtsstellung des Klägers zurzeit nutzlos darstellt (BVerwG, Beschl. v. 11.03.1992 – 5 B 32.92 –, Buchholz 310 § 40 VwGO Nr. 254). So liegt es hier.
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Dem Kläger 1 und den Klägerinnen zu 5 bis 7 hat der Beklagte bereits unter Datum vom 18.05.2012 Aufenthaltserlaubnisse nach § 25 Abs. 3 AufenthG erteilt, so dass sie ihr Klageziel erreicht haben. Auch wenn diese Aufenthaltserlaubnisse den Klägern erst nach Einreichung des wiederholten Prozesskostenhilfegesuchs oder nach Ergehen der angegriffenen Entscheidung ausgehändigt worden sein sollten und die Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG für die Klägerin zu 2 erst am 24.07.2012 ausgestellt worden ist, ist das Rechtsschutzbedürfnis spätestens dadurch entfallen, dass der Beklagte im Schriftsatz vom 11.06.2012, der dem Prozessbevollmächtigten der Kläger am 14.06.2012 zugestellt worden ist, ohne Vorbehalte irgend welcher Art zugesichert hat, entsprechende Aufenthaltserlaubnisse zu erteilen. Erteilt die Behörde im gerichtlichen Verfahren ohne Vorbehalte die Zusage bzw. Zusicherung, dem Klagebegehren nachzukommen, besteht kein Rechtsschutzinteresse mehr für einen Verpflichtungsausspruch durch das Gericht (vgl. BVerwG, Beschl. v. 13.12.2011 – 1 WB 37.10 –, Juris, RdNr. 44; Urt. v. 09.06.2004 – 9 A 14.03 –, Juris, RdNr. 53; Urt. v. 26.02.1999 – 4 A 47.96 –, NVwZ 2000, 560 [565]; OVG Berlin, Beschl. v. 30.03.2005 – 6 N 17.05 –, Juris). Dem entsprechend haben die Kläger den Rechtsstreit auf diese Zusage des Beklagten hin (insgesamt) für erledigt erklärt.
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Eine andere Beurteilung folgt auch nicht aus dem Vortrag der Kläger, sie hätten einen Anspruch auf rückwirkende Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen gehabt, insbesondere weil beim Kläger zu 1 wegen seiner Erkrankung sowohl ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot als auch ein inlandsbezogenes Ausreisehindernis vorgelegen habe. Ein Ausländer kann die Erteilung eines Aufenthaltstitels für einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum nach der Antragstellung nur beanspruchen, wenn er ein schutzwürdiges Interesse hieran hat, etwa wenn es für die weitere aufenthaltsrechtliche Stellung erheblich sein kann, von welchem Zeitpunkt an der Ausländer den begehrten Aufenthaltstitel besitzt (BVerwG, Urt. v. 09.06.2009 – 1 C 7.08 –, InfAuslR 2009, 378, m.w.N.). Unabhängig davon, dass die Kläger vor Erledigung des Verfahrens die rückwirkende Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen gar nicht beantragt haben, ist ein schutzwürdiges Interesse an der Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen für einen vor dem 18.05.2012 liegenden Zeitpunkt weder dargelegt noch sonst ersichtlich. Im Übrigen ist die Ausländerbehörde nicht befugt, eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG zu erteilen, bevor das Bundesamt festgestellt hat, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG vorliegt. Für die Prüfung dieser Abschiebungsverbote ist allein das Bundesamt zuständig (BVerwG, Urt. v. 09.06.2009 – 1 C 11.08 –, BVerwGE 134, 124 [138], RdNr. 34).
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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Referenzen
- § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG 1x (nicht zugeordnet)
- § 25 Abs. 3 und 5 AufenthG 1x (nicht zugeordnet)
- Beschluss vom Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt (2. Senat) - 2 O 8/10 1x
- § 25 Abs. 5 AufenthG 3x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 166 1x
- VwGO § 154 1x
- 2 O 108/11 1x (nicht zugeordnet)
- 2 O 76/08 1x (nicht zugeordnet)
- VIII ZB 78/06 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 40 1x
- ZPO § 114 Voraussetzungen 1x
- § 60 Abs. 2 AufenthG 1x (nicht zugeordnet)
- § 25a AufenthG 2x (nicht zugeordnet)
- § 25 Abs. 3 AufenthG 5x (nicht zugeordnet)