Beschluss vom Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt (3. Senat) - 3 M 229/13
Gründe
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Die Beschwerde hat nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
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Das Verwaltungsgericht hat zu Recht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom 11. April 2013 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 9. April 2013 hinsichtlich der Ziffer 1. wiederhergestellt und zu Ziffer 2. angeordnet, soweit die Hunde mit den Transpondernummern 276096900347212 und 276098102896107 betroffen sind.
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Nach § 45 Nr. 1 SOG LSA können Sicherheitsbehörden und die Polizei eine Sache sicherstellen, um eine gegenwärtige Gefahr abzuwehren. Eine gegenwärtige Gefahr im Sinne des § 45 Nr. 1 SOG LSA liegt nach § 3 Nr. 3 Buchst. b SOG LSA dann vor, wenn ein schädigendes Ereignis bereits begonnen hat oder unmittelbar oder in allernächster Zeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bevorsteht. Eine solche gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Sicherheit kann auch dann vorliegen, wenn ein Hundehalter einen sog. Listenhund i. S. d. § 3 Abs. 2 GefHundG hält, ohne dass gemäß § 4 Abs. 1 GefHundG durch Vorlage eines Wesenstests i. S. d. § 10 Abs. 2 GefHundG binnen sechs Monaten nach Beginn der Haltung des Hundes gegenüber der zuständigen Behörde die Fähigkeit des Hundes zu sozialverträglichem Verhalten nachgewiesen worden ist.
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Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass nach der nur gebotenen summarischen Prüfung die Voraussetzungen für die Sicherstellung und Verwahrung der beiden vorgenannten Hunde der Antragstellerin nach § 45 SOG LSA nicht vorliegen, da diese von der Antragstellerin gehaltenen Miniatur Bullterrier nicht zu den in § 2 Abs. 1 des Gesetzes zur Beschränkung des Verbringens oder der Einfuhr gefährlicher Hunde in das Inland vom 12. April 2001 (Hundeverbringungs- und -einfuhrbeschränkungsgesetz - HundVerbrEinfG -, BGBl. I S. 530) genannten Hunden zählen, deren Gefährlichkeit gemäß § 3 Abs. 2 GefHundG vermutet und deren Haltung nur unter den in § 4 Abs. 1 GefHundG genannten Voraussetzungen erlaubt ist.
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Hinsichtlich des Hundes mit der Transpondernummer 939000010111355 wird sich der angefochtene Bescheid nach summarischer Prüfung hingegen voraussichtlich als rechtmäßig erweisen, da dieser Hund nicht dem Rassestandard eines Miniatur Bullterriers, sondern aufgrund der Widerristhöhe von 38,5 cm den Merkmalen eines Standard-Bullterriers entspricht, welcher zu den in § 2 Abs. 1 HundVerbrEinfG aufgeführten Rassen zählt, auf welche § 3 Abs. 2 GefHundG verweist. Nach § 2 Abs. 1 HundVerbrEinfG dürfen Hunde der Rassen Pitbull Terrier, American Staffordshire-Terrier, Staffordshire-Bullterrier und Bullterrier sowie deren Kreuzung untereinander oder mit anderen Hunden nicht in das Inland eingeführt oder verbracht werden. Eine landesrechtliche Regelung, die die listenmäßige „Gefährlichkeit“ der Hunde durch weitere Rassen ergänzt, existiert in Sachsen-Anhalt nicht.
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Es ist dem Gesetzgeber im Rahmen seines Gestaltungsspielraums grundsätzlich unbenommen, bei der Bestimmung des Begriffs „Rasse“ auf Kriterien zurückzugreifen, die von anerkannten Fachverbänden entwickelt worden sind. Der größte Hundefachverband ist die Fédération Cynologique Internationale (FCI) mit Sitz in Thuin/Belgien. Dieser Verband umfasst z. Zt. 87 Mitglieds- und Partnerländer (nur ein Verband pro Land). Die FCI garantiert innerhalb ihrer Organisation die gegenseitige Anerkennung der Abstammungsurkunden (Pedigrees) der Länder. Derzeit erkennt die FCI derzeit 343 verschiedene Rassen an. Jede von ihnen ist das „Eigentum“ eines bestimmten Landes, welches als Ursprungsland der Rasse bezeichnet wird. Diese Ursprungsländer erstellen in Zusammenarbeit mit der Standard- und der Wissenschaftlichen Kommission der FCI die Standards für ihre Rassen (veröffentlicht unter www.fci.be). In diesen Standards wird eine Rasse anhand phänotypischer, also äußerlich beobachtbarer und messbarer Merkmale beschrieben und damit zugleich eine Zuordnung eines einzelnen Hundes zu dieser Rasse vorgenommen. Die Rasse ist auch nach den von der FCI angewandten Kriterien eine Gruppe von Individuen, die gemeinsame Merkmale aufweisen, die sie von anderen Vertretern ihrer Spezies unterscheiden, und die durch Vererbung übertragbar sind. Die Gruppe wird wie folgt definiert: „Verschiedene Rassen, die eine Reihe von eindeutig zu unterscheidenden, durch Vererbung übertragbaren, gemeinsamen Merkmalen aufweisen“. Die Varietät hingegen stellt eine Untergruppe innerhalb einer Rasse dar, deren Vertreter sich alle durch ein gemeinsames, vererbbares Merkmal von den anderen Vertretern ihrer Rasse unterscheiden. Die Rassestandards werden als Grundlage bei der Zuchteignungsprüfung herangezogen, um die Übereinstimmung des Hundes mit den äußerlichen Merkmalen und Wesenseigenschaften seiner Rasse zu bewerten(vgl. zum Vorgehenden: de.wikipedia.org/wiki/Hunderasse).
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Von dieser Definition von Hunderassen ist offenbar auch der Bundesgesetzgeber bei der Beschlussfassung über das Hundeverbringungs- und -einfuhrbeschränkungsgesetzes ausgegangen: In der Stellungnahme des Bundesrates zum Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung gefährlicher Hunde heißt es (BT-Drs. 14/4451, S. 13): „Im Entwurf des Gesetzes zur Beschränkung des Verbringens gefährlicher Hunde in das Inland werden in § 1 Abs. 1 drei Hunderassen genannt. Aus hiesiger Sicht fehlt der Bullterrier. Das Fehlen des Bullterriers stellt einen Wertungswiderspruch dar, da dieser wie auch die aufgeführten Rassen zur gleichen Gruppe gehören (vgl. FCI - Gruppe III - der bullartigen Terrier). Der Bullterrier unterscheidet sich weder in Größe, Gewicht oder Art noch Abstammung wesentlich von den dort aufgeführten Hunderassen, so dass die Aufzählung um den Bullterrier ergänzt werden müsste, ohne den Staffordshire-Bullterrier zu streichen.“
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Sowohl der für den Bullterrier geltende Standard Nr. 11 als auch der für den Miniatur Bullterrier nach seiner Anerkennung am 9. Juli 2011 ab dem 1. Januar 2012 geltende Standard Nr. 359 (veröffentlicht unter www.fci.be) orientieren sich an mehreren äußerlichen Merkmalen (Kopf, Hals, Körper, Rute, Gangwerk, Haarkleid, Größe). Die Rassestandards für den Bullterrier und den Miniatur Bullterrier unterscheiden sich nur hinsichtlich der Größe, insofern als bei einem Miniatur Bullterrier eine Widerristhöhe von 35,5 cm nicht überschreiten „soll“. Für den Bullterrier sieht der Rassestandard weder eine Mindest- noch eine Höchstgröße vor.
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Soweit die Antragsgegnerin in diesem Zusammenhang beanstandet, dass die auch vom Verwaltungsgericht vorgenommene Auslegung des Begriffs „Rasse“ unter Hinweis auf Regelwerke von privaten (ausländischen) Zuchtvereinigungen im Ergebnis dazu führen könnte, dass juristische Personen des Privatrechts Entscheidungen des Gesetzgebers abändern oder umgehen könnten, greift dieser Einwand im Ergebnis nicht durch.
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Bei der Auslegung des § 2 HundVerbrEinfG bzw. § 3 Abs. 2 GefHundG ist der verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgrundsatz zu beachten. Das aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitende Gebot der hinreichenden Bestimmtheit und Klarheit der Norm fordert vom Normgeber, seine Regelungen grundsätzlich so genau zu fassen, dass der Betroffene die Rechtslage, d.h. Inhalt und Grenzen von Gebots- oder Verbotsnormen in zumutbarer Weise erkennen und sein Verhalten danach ausrichten kann. Der Normgeber darf dabei grundsätzlich auch auf unbestimmte Rechtsbegriffe zurückgreifen, wenn die Kennzeichnung der Normtatbestände mit beschreibenden Merkmalen nicht möglich ist. Die Auslegungsbedürftigkeit einer Norm steht ihrer Bestimmtheit grundsätzlich nicht entgegen; allerdings müssen sich aus Wortlaut, Zweck und Zusammenhang der Regelung objektive Kriterien gewinnen lassen, die einen verlässlichen, an begrenzende Handlungsmaßstäbe gebundenen Vollzug der Norm gewährleisten (vgl. BVerfG, Urt. v. 27.07.2005 - 1 BvR 668/04 -, juris). Wenn - wie hier - eine bußgeldbewehrte Verbotsvorschrift (§ 16 Abs. 1 Nr. 5 GefHundG) betroffen ist, muss sich diese zudem an den strengeren Anforderungen des Art. 103 Abs. 2 GG bzw. Art. 7 EMRK messen lassen. Art. 103 Abs. 2 GG enthält ein besonderes Bestimmtheitsgebot. Der Gesetzgeber ist danach verpflichtet, die Voraussetzungen der Strafbarkeit oder Bußgeldbewehrung so konkret zu umschreiben, dass Anwendungsbereich und Tragweite der Straf- oder Ordnungswidrigkeitentatbestände zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln lassen. Diese Verpflichtung soll einerseits sicherstellen, dass die Normadressaten vorhersehen können, welches Verhalten verboten und mit Strafe bedroht ist. Sie soll andererseits gewährleisten, dass der Gesetzgeber über die Strafbarkeit oder die Bußgeldvoraussetzungen selbst entscheidet. Insoweit enthält Art. 103 Abs. 2 GG einen strengen Gesetzesvorbehalt, der es der vollziehenden und der rechtsprechenden Gewalt verwehrt, die normativen Voraussetzungen einer Bestrafung oder einer Verhängung von Geldbußen festzulegen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 15.09.2011 - 1 BvR 519/10 -, juris und v. 17.11.2009 - 1 BvR 2717/08 -, juris, jeweils m. w. N.). Der Gesetzgeber hat weder selbst Rassebeschreibungen im HundVerbrEinfG bzw. GefHundG aufgenommen noch geregelt, welche privaten Verbände nach welchen formellen und materiellen Maßgaben Rassestandards bestimmen dürfen. Es ist dem Gesetzgeber zwar nicht grundsätzlich untersagt, hinsichtlich der Definition bestimmter Rechtsbegriffe auf seine eigene Rechtssetzungsbefugnis zu verzichten und - der Sache nach - auf Regelungen privater Verbände zu verweisen. Eine solche Praxis ist jedoch nur unter engen Voraussetzungen zulässig (vgl. Bundesministerium der Justiz, Handbuch der Rechtsförmlichkeit, 3. Aufl. Teil B, Ziffer 4.3. Rdnr. 242 f.). Private Regelungen - z. B. Zuchtregelungen von privaten Züchtervereinigungen - dürfen dann nicht zur Grundlage staatlicher Maßnahmen mit grundrechtsbeschränkender Wirkung gemacht werden, wenn sie gemäß den rechtsstaatlichen Anforderungen nicht hinreichend bestimmt sind (vgl. BVerfG, Beschl. v. 30.12.1993 - 1 BvR 1368/90 -, juris und Beschl. v. 25.05.1993 - 1 BvR 345/83 -, juris, jeweils zu Formulierungen in Satzungen von Zuchtverbänden über das Zuchtziel von Pferderassen). Auch darf eine Verweisung von staatlichen Gesetzen auf private Regelungen nicht dazu führen, dass der Bürger schrankenlos der normsetzenden Gewalt eines privaten Verbandes ausgeliefert wird, der ihm gegenüber weder staatlich-demokratisch noch mitgliedschaftlich legitimiert sind. Nur soweit der Inhalt der privaten Regelungen, auf die staatliche Rechtsnormen verweisen, im Wesentlichen feststeht, kann von einem unzulässigen Verzicht des Gesetzgebers auf seine Rechtsetzungsbefugnisse nicht die Rede sein (vgl. BVerfG, Urt. v. 14.06.1983 - 2 BvR 488/80 -, juris; BVerwG, Urt. v. 27.06.2013 - 3 C 21.12 -, juris).
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Gemessen an diesen Maßstäben stellt die Antragsgegnerin mit dem Hinweis auf die Definition des Begriffs „Hunderasse“ durch private Züchterverbände allenfalls die Verfassungsmäßigkeit der von ihr herangezogenen Ermächtigungsgrundlage, nicht aber die Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung in Frage.
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Für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes geht der Senat davon aus, dass § 2 Abs. 1 HundVerbrEinfG, § 3 Abs. 2 GefHundG i. V. m. den von der FCI bestimmten Rassestandards für Bullterrier und Miniatur Bullterrier verfassungskonform so ausgelegt werden kann, dass die „Soll-Bestimmung“ für die maximale Widerristhöhe eines Miniatur Bullterriers den Regelfall darstellt, welcher die Abgrenzung zwischen den beiden Hunderassen ermöglicht.
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Soweit die Antragsgegnerin mit der Beschwerdebegründung weiter ausführt, dass für die Zuordnung der hier streitgegenständlichen Hunde zu den in § 2 HundVerbrEinfG genannten Rassen der Zeitpunkt der Geburt der Hunde in den Jahren 2007 und 2010 maßgeblich sei und zu diesem Zeitpunkt der Miniatur Bullterrier keine von der FCI als eigenständig anerkannte Rasse darstellte, greift dieser Einwand nicht durch. Es lässt sich weder dem Wortlaut noch der Gesetzgebungsgeschichte hinreichend eindeutig entnehmen, dass der Gesetzgeber in § 2 HundVerbrEinfG statisch auf die bei Inkrafttreten des Gesetzes geltenden Rassestandards der FCI Bezug genommen hat und zudem das Geburtsdatum eines Hundes als maßgeblich für die Rassezuordnung angesehen hat. Der Wortlaut der Vorschrift lässt ohne weiteres auch eine Auslegung dahingehend zu, dass die im Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung geltenden (und veröffentlichten) Rassestandards maßgeblich sind. Auch der Gesetzgebungsgeschichte lässt sich nicht zweifelsfrei entnehmen, dass der Gesetzgeber im Jahr 2001 für die Zuordnung von Hunden zu den in § 2 HundVerbrEinfG aufgeführten Rassen statisch auf einen vorgefundenen Bestand an Hunderassen verwiesen hat und nicht dynamisch auch nach Inkrafttreten des Gesetzes eintretende Veränderungen bei den Rassestandards berücksichtigt wissen wollte. Wie oben bereits ausgeführt, hat der Gesetzgeber zwar auf die Rassestandards der Gruppe III der FCI (Bullartige Terrier) verwiesen und zur Begründung der Aufnahme des Bullterriers in die Rasseliste die phänotypische Vergleichbarkeit dieser Rasse mit den anderen in der Liste aufgeführten Rassen angeführt. Dieser Verweis erfasst jedoch bereits nicht alle in § 2 HundVerbrEinfG aufgeführten Hunderassen, da die FCI bislang nur den für American Staffordshire Terrier (Standard Nr. 286) und Staffordshire Bull Terrier (Standard Nr. 76) einen Rassestandard definiert hat, welcher seit 2001 unverändert geblieben ist. Im Übrigen wird nach dem FCI-Standard für den American Staffordshire Terrier für diesen eine Schulterhöhe von 43 bis 48 cm „bevorzugt“. Ein „Sollgewicht“ wird nicht angegeben. Bei einem Staffordshire Bull Terrier (FCI-Standard Nr. 76) wird als „erwünschte“ Widerristhöhe eine Spanne 35,5 bis 40,5 cm angegeben. Hinsichtlich des Gewichts wird je nach Geschlecht des Hundes eine Spanne von 12,7 bis 17 kg angegeben. Für den ebenfalls in § 2 HundVerbrEinfG genannten Pit Bull Terrier fehlte zum Inkrafttreten des Gesetzes und fehlt auch aktuell ein Rassestandard der FCI. Insofern geht für den Pit Bull Terrier der Verweis in der Stellungnahme des Bundesrates auf die Standards der FCI fehl. Nur für den (American) Pit Bull Terrier hat der in den USA ansässige United Kennel Club, welcher nicht der FCI angehört, einen Rassestandard festgelegt. In diesem Rassestandard ist z. B. eine Mindestwiderristhöhe nicht bestimmt worden. Hinsichtlich des Gewichts wird je nach Geschlecht des Hundes eine Spanne von 13,5 bis 27 kg angegeben. (vgl. de.wikipedia.org/wiki/American_Pit_Bull_Terrier). In Ansehung der in den vorgenannten FCI-Standards für den American Staffordshire Terrier und Staffordshire Bull Terrier aufgeführten Mindestgrößen und –gewichte legt die Antragsgegnerin nicht dar, ob der Gesetzgeber auch Hunde der Rasse Miniatur Bullterrier, welche phänotypisch nach Größe und Gewicht deutlich von den Mindestgrößen und –gewichte nach unten hin abweichen, in den Kreis der von § 2 Abs. 1 Satz 1 HundVerbrEinfG erfassten Hunde einbezogen wissen wollte.
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Auch der Einwand der Antragsgegnerin, dass es sich jedenfalls bei den hier in Rede stehenden Miniatur Bullterriern um Kreuzungen der in § 2 Abs. 1 Satz 1 HundVerbrEinfG aufgeführten Rassen handele, bei denen gemäß § 3 Abs. 2 GefHundG ebenfalls die Vermutung der Gefährlichkeit besteht, greift nicht durch. Die Argumentation der Antragsgegnerin, dass es sich bei dem Miniatur Bullterrier jedenfalls bis 2011 auch nach Auffassung der FCI nur um eine Varietät des (Standard-) Bullterrier gehandelt habe und daher die Elterntiere der hier in Rede stehenden Miniatur Bullterrier jedenfalls im Zeitpunkt der Geburt der Hunde ausschließlich als (Standard) Bullterrier anzusehen gewesen seien, was zur Folge habe, dass die streitgegenständlichen Hunde als ein aus einer Kreuzung mit zumindest einem (Standard-) Bullterrier hervorgegangener Hund anzusehen seien, stellt die erstinstanzliche Entscheidung nicht in Frage. Die Antragsgegnerin legt mit der Beschwerdebegründung nicht dar, dass erst mit der Anerkennung durch die FCI eine neue Hunderasse gleichsam „konstitutiv“ entsteht. Nach den Statuten der FCI können Hunde von Rassen, die von der FCI und den in der FCI zusammengeschlossenen Verbänden (noch) nicht anerkannt sind, an Ausstellungen und Zuchtschauen, die von der FCI und den ihr angeschlossenen Verbände ausgerichtet werden, nicht teilnehmen. Ferner ist mit der Anerkennung der Hunderasse durch die FCI die gegenseitige Anerkennung der Zuchtbücher der Mitglieds- und Partnerverbände verbunden. Insofern hat die Anerkennung einer Hunderasse durch die FCI zwar Auswirkungen im Bereich der Zucht und des Haltens eines Hundes. Sie hat aber nicht aber die zwingende Folge, dass eine nach gemeinsamen phänotypischen Merkmalen gegenüber anderen Hunden abgrenzbare Gruppe von Hunden vor der Anerkennung durch die FCI nicht als eigenständige Hunderasse angesehen werden kann.
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Hinzu kommt, dass auch schon vor 2011 in der veterinärmedizinischen Praxis (vgl. Steinfeldt: „Kampfhunde“. Geschichte, Einsatz, Haltungsprobleme von „Bull-Rassen“. Diss. med. vet. Hannover 2002, S. 67) und in der behördlichen Praxis in anderen Bundesländern zwischen den Rassen Bullterrier und Miniatur Bullterrier unterschieden wurde (sog. Hundebericht Nordrhein-Westfalen vom 17.05.2011 für das Berichtsjahr 2010, S. 8: seit dem Jahr 2009 Einstufung der Rasse Miniatur Bullterrier als sog. kleiner Hund: www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMV14-2232.pdf). Auch in der o. g. Dissertation von Steinfeldt wird ausgeführt: „Der Miniatur Bull Terrier hat seinen Ursprung in den kleinen, zur Rattenbekämpfung eingesetzten frühen Bull-Rassen. Erste Exemplare wurden bereits um das Jahr 1900 in Amerika auf Ausstellungen gezeigt, dennoch konnte sich die Rasse anfangs nicht recht durchsetzen. Nach der Gründung des Miniature Bull Terrier Clubs durch den Engländer Colonel Glyn im Jahre 1938 gewann die kleine Variante des Bull Terriers allmählich eine größere Anhängerschaft, ohne jedoch bis heute dessen jährlich registrierte Welpenzahlen zu erreichen.“ Nach der in der Hundezucht seit Jahren bestehenden Abgrenzung zwischen (Standard-) Bullterrier und Miniatur-Bullterrier ist der Miniatur-Bullterrier daher nicht lediglich als kleine Variante des Standard-Bullterriers zu verstehen, sondern wird seit der Wiederbelebung der Züchtung im 20. Jahrhundert in seinem Ursprungsland Großbritannien als eigenständige Rasse geführt.
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Gemessen an den vorgenannten Maßstäben erfüllt der Hund mit der Transpondernummer 939000010111355, welcher nach der von der Antragsgegnerin am 10. April 2013 durchgeführten und von der Antragstellerin nicht in Frage gestellten Messung eine Widerristhöhe von 38,5 cm aufweist, nicht den Rassestandard eines Miniatur Bullterriers, sondern entspricht vielmehr dem Standard eines Bullterriers. Soweit die Antragstellerin unter Verweis auf ein Urteil des Verwaltungsgerichts Aachen vom 27. Dezember 2006 (Az.: 6 K 903/05, juris) darauf verweist, dass die Rassebestimmung nicht durch eindeutig und unverrückbar festgelegte Größen- und Gewichtsparameter erfolgt, sondern anhand einer wertenden Betrachtung des gesamten äußeren Erscheinungsbildes des Hundes vorzunehmen ist, ist festzustellen, dass dieses Urteil sich noch nicht mit den von der FCI definierten Rassestandards für den Bullterrier und den Miniatur Bullterrier auseinandersetzen konnte, welche sich nur hinsichtlich der Größe der Hunde unterscheiden.
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Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist die Sicherstellung des Hundes mit der Transpondernummer 939000010111355 nicht deshalb ermessensfehlerhaft, weil eine andere Ordnungsbehörde in einem anderen beim Senat anhängigen Verfahren (3 M 255/13) bei einem sog. Listenhund von einer Sicherstellung nach § 45 Abs. 1 SOG LSA abgesehen und stattdessen bei Nichtvorlage des Wesenstests innerhalb der gesetzlichen Frist des § 4 Abs. 1 Satz 2 GefHundG einen Leinen- und Maulkorbzwang verfügt hat. Die Antragstellerin setzt sich bereits nicht mit der vom Gesetzgeber vorgesehenen unterschiedlichen Vorgehensweise bei einem im Einzelfall gefährlichen Hund i. S. d. § 3 Abs. 3 GefHundG und einem vermutet gefährlichen Hund i. S. d. § 3 Abs. 2 GefHundG auseinander. Ein sog. Listenhund i. S. d. § 3 Abs. 2 GefHundG darf gehalten werden, wenn die Hundehalterin oder der Hundehalter durch einen Wesenstest nach § 10 GefHundG gegenüber der zuständigen Behörde nachgewiesen hat, dass der Hund zu sozialverträglichem Verhalten in der Lage ist, so dass von dem Hund keine Gefahren für die öffentliche Sicherheit ausgehen. Erhöhte Anforderungen an den Halter des Hundes entsprechend den für gefährliche Hunde gemäß § 3 Abs. 3 GefHundG geltenden Vorschriften (Erlaubnispflicht nach § 4 Abs. 2 und §§ 5 f. GefHundG, insbesondere der grundsätzliche Leinen- und Maulkorbzwang nach Erteilung der Erlaubnis gemäß § 11 GefHundG) ergeben sich aus den Vorschriften des GefHundG nicht. Auch die nach den Vorschriften des § 3 Abs. 3 GefHundG für im Einzelfall gefährliche Hunde geltende erheblich absenkte Eingriffsschwelle genügt im Falle sog. Listenhunde weder für Maßnahmen gegenüber dem Hund noch für solche gegenüber dem Halter oder Hundeführer. Denn zum Ausgleich der hier schon an die Rasse des Hundes anknüpfenden vermuteten Gefährlichkeit des Hundes, die nur durch einen erfolgreich abgelegten Wesenstest widerlegt werden kann, hat der Gesetzgeber bewusst auf weitere Einschränkungen der Hundehaltung verzichtet. Ein erfolgreicher Wesenstest indiziert in diesen Fällen abschließend, dass von dem Hund und seiner Haltung und Führung keine Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehen (vgl. Beschl. d. Senates v. 21.01.2013 - 3 M 591/12 -, juris). Mithin stellt bereits das Halten eines sog. Listenhundes ohne Vorlage eines Wesenstestes innerhalb der gesetzlichen Frist eine Störung der öffentlichen Sicherheit i. S. d. § 3 Nr. 1 SOG LSA dar, welche mit einer Sicherstellung des Hundes in verhältnismäßiger, d. h. in geeigneter und zumutbarer Weise begegnet werden kann. Auf eine möglicherweise abweichende Ermessenspraxis einer anderen Behörde kann sich die Antragstellerin gegenüber der Antragsgegnerin nicht berufen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren folgt der erstinstanzlichen Wertfestsetzung.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 152 Abs. 1 VwGO; §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG.
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