Beschluss vom Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt (2. Senat) - 2 L 159/12

Gründe

I.

1

Die Kläger wenden sich gegen einen Planfeststellungsbeschluss des Beklagten für die geplanten Hochwasserschutzmaßnahmen im Flussgebiet der Bode, im Bereich der Stadt A., Ortsteil K. (Landkreis Börde).

2

Die Kläger sind Eigentümer des mit einem Wohnhaus nebst Garage und Geräteschuppen bebauten Grundstücks Gemarkung K., Flur A, Flurstück 884/395, mit der Lagebezeichnung A-Straße. Das Grundstück grenzt unmittelbar an die Bode und liegt im Plangebiet.

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Gegenstand der durch den Beigeladenen als Vorhabenträger geplanten Hochwasserschutzmaßnahmen ist u.a. die Herstellung einer rechtsseitigen Hochwasserflutberme von 7 m Breite an der Bode zwischen Flusskilometer 60,600 und 61,350 zur Verbesserung des Abflusses der Bode. Die Reliefveränderung im Bereich der geplanten Flutberme führt zu einem Geländeabtrag auf dem Grundstück der Kläger auf einer Fläche von 164,71 m². Zusätzlich wird eine Fläche von 201,55 m² zeitweise als Arbeitsbereich in Anspruch genommen (BA G, Anlage 29a/3, Grunderwerbsplan Karte 11 Blatt Bode 4). Die Oberkante der Böschung ist hiernach nur noch ca. 4,50 m von dem Wohnhaus und ca. 0,60 m von der Garage der Kläger entfernt.

4

In der Zeit vom 03.02.2006 bis zum 05.03.2006 wurde das Vorhaben durch Aushang einer Bekanntmachung in den Schaukästen der Stadt A. gemäß deren Hauptsatzung vom 27.08.2001 bekannt gemacht (BA B Bl. 37 sowie BA I Bl. 155 ff.). In dieser Bekanntmachung wurde darauf hingewiesen, dass der Plan in der Zeit vom 06.02.2006 bis zum 05.03.2006 während der üblichen Dienststunden im Verwaltungsamt der Verwaltungsgemeinschaft Westliche Börde zur allgemeinen Einsichtnahme ausliege. Jeder, dessen Belange durch das Bauvorhaben berührt würden, könne bis spätestens zwei Wochen nach Ablauf der Auslegungsfrist, bis zum 20.03.2006, bei der Verwaltungsgemeinschaft oder beim Landesverwaltungsamt Einwendungen erheben. Nach Ablauf dieser Frist seien alle Einwendungen ausgeschlossen, die nicht auf besonderen privatrechtlichen Titeln beruhten.

5

Mit Beschluss vom 01.03.2006 beschloss der Stadtrat der Stadt A. eine Stellungnahme zu den Hochwasserschutzmaßnahmen (BA E Bl. 508). Hierin hieß es u.a., durch die vorgesehene Anordnung der Hochwasserflutberme sei das Wohngrundstück A-Straße betroffen. Der Abstand zwischen Wohnhaus und östlicher Grenze der Berme betrage nur 4 m. Zum Schutz des Wohngrundstücks und zur Beibehaltung des befestigten östlichen Bodeufers sei die Planung nochmals zu überdenken. Es werde um Überprüfung gebeten, die Hochwasserflutberme westlich der Bode anzuordnen. Die Stellungnahme wurde dem Beklagten mit Schreiben der Verwaltungsgemeinschaft Westliche Börde vom 02.03.2006 übersandt und ging dort am 07.03.2006 ein.

6

Die Kläger erhoben gegen das Vorhaben keine Einwendungen.

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Mit Planfeststellungsbeschluss vom 08.12.2009 stellte der Beklagte den Plan für die geplanten Hochwasserschutzmaßnahmen im Flussgebiet der Bode, im Bereich der Stadt A., Ortsteil K. (Landkreis Börde), fest. Hierin wurde die Forderung der Stadt A. als unbegründet zurückgewiesen (Seite 118 f.). Zur Begründung wurde ausgeführt, der Stadt A. fehle die Einwendungsbefugnis für dritte Personen. Es könnten nur eigene Belange geltend gemacht werden. In der Sache wurde hierzu ausgeführt, um das gleiche Schutzziel mit der Anlegung einer Flutberme am westlichen Ufer zu erreichen, seien größere Eingriffe nötig, was auch zu einem höheren Kostenaufwand führe. Dem Änderungsvorschlag sei daher nicht zu folgen.

8

Mit ihrer am 15.02.2020 erhobenen Klage haben die Kläger die Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses begehrt und zur Begründung im Wesentlichen vorgetragen, es sei nicht hinreichend nach Planungsvarianten gesucht worden, mit denen das Schutzziel ebenso gut erreicht werden könne, ihr Eigentum aber geschont würde. Insbesondere hätte die Anlegung einer Flutberme auf der Ost- oder Westseite der Bode weiter nördlich in Betracht gezogen werden müssen. Zudem sei ihr Grundstück nach Durchführung der Maßnahme nicht mehr hinreichend hochwassergeschützt. Präklusion sei nicht eingetreten, da die Stadt A. für sie - die Kläger - in Vertretung Einwendungen erhoben habe. Auch habe der Beklagte zu den Einwendungen inhaltlich - wenn auch fehlerhaft - Stellung genommen. Zudem sei die Auslegung der Planunterlagen nicht ordnungsgemäß bekanntgemacht worden.

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Mit Urteil vom 12. Juli 2012 - 9 A 14/11 MD - hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, es komme nicht darauf an, ob die Kläger mit der Geltendmachung ihrer Einwendungen im Klageverfahren ausgeschlossen seien, denn unabhängig von einer Präklusion sei die Planbehörde nicht von ihrem Amtsermittlungsgrundsatz entbunden. Zumindest unter diesem Aspekt seien nachträglich vorgebrachte Einwendungen der Kläger zu berücksichtigen. Wenn es - wie hier - zu massiven Eingriffen in die Eigentumsrechte der Kläger aus Art. 14 GG komme, müsse dies unabhängig von der rechtzeitigen Erhebung der Einwendungen von der Planbehörde von Amts wegen gesehen und geprüft werden. Das sei hier auch beanstandungsfrei geschehen. Es seien keine Planungsfehler hinsichtlich eines Nicht- oder Fehlgebrauchs des Planungsermessens erkennbar. Die Planbehörde habe die Betroffenheit des klägerischen Grundstücks gesehen und abgewogen. Bei der Errichtung der Flutberme nicht im Bereich des klägerischen Grundstücks, sondern weiter stromauf- oder -abwärts oder auf der gegenüberliegenden Flussseite handele es sich um ungeeignete Maßnahmen, die zu einer Verschärfung der Hochwassersituation auf einer Länge von 30 m innerhalb der Ortslage von K. führten.

10

Mit Antrag vom 04.10.2012 haben die Kläger beantragt, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 12.07.2012 zuzulassen.

II.

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Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist zulässig, aber nicht begründet.

12

1. Die Berufung ist nicht wegen der geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegen nicht vor, wenn zwar einzelne Rechtssätze oder tatsächliche Feststellungen, welche das Urteil tragen, zu Zweifeln Anlass bieten, das Urteil aber im Ergebnis aus anderen Gründen offensichtlich richtig ist (BVerwG, Beschl. v. 10.03.2004 - BVerwG 7 AV 4.03 -, Juris; Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl. 2013, § 124 RdNr. 7a). Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs ist das Vorbringen der Kläger nicht geeignet, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung zu begründen.

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Das Verwaltungsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Die Kläger sind mit ihrem Vorbringen gemäß § 31 Abs. 2 Satz 2 WHG, §§ 131 Abs. 1 Satz 1, 120 Abs. 1 Satz 1, 128 WG LSA i.V.m. § 1, 7 VwVfG LSA, § 73 Abs. 4 Satz 3 VwVfG präkludiert.

14

Die Präklusionsvorschrift des § 73 Abs. 4 Satz 3 VwVfG ist anwendbar. Gemäß § 31 Abs. 2 Satz 2 des Wasserhaushaltsgesetzes (WHG) in der hier maßgeblichen Fassung der Bekanntmachung vom 19.08.2002 (BGBl. I S. 3245) in Verbindung mit §§ 131 Abs. 1 Satz 1, 120 Abs. 1 Satz 2 des Wassergesetzes für das Land Sachsen-Anhalt (WG LSA) in der hier einschlägigen Fassung der Bekanntmachung vom 12.04.2006 (GVBl. S. 248) bedürfen Deich- und Dammbauten, die - wie hier - den Hochwasserabfluss beeinflussen, der Planfeststellung durch die zuständige Behörde. Die Zuständigkeit des Beklagten als obere Wasserbehörde folgt aus § 172 Abs. 1 Satz 2 WG LSA i.V.m. § 1 Nr. 11 Buchst. a der Verordnung über abweichende Zuständigkeiten auf dem Gebiet des Wasserrechts (Wasser-ZustVO) vom 16. September 1997 (GVBl. S. 847). Gemäß § 128 WG LSA i.V.m. §§ 1, 7 des Verwaltungsverfahrensgesetzes Sachsen-Anhalt (VwVfG LSA) vom 18.11.2005 (GVBl. S. 698) gelten für die Planfeststellung die Vorschriften des VwVfG. Gemäß § 73 Abs. 3 Satz 1 VwVfG haben die Gemeinden, in denen sich das Vorhaben auswirkt, den Plan innerhalb von drei Wochen nach Zugang für die Dauer eines Monats zur Einsicht auszulegen. Gemäß § 73 Abs. 4 Satz 1 VwVfG kann jeder, dessen Belange durch das Vorhaben berührt werden, bis zwei Wochen nach Ablauf der Auslegungsfrist schriftlich oder zur Niederschrift bei der Anhörungsbehörde oder bei der Gemeinde Einwendungen gegen den Plan erheben. Mit Ablauf der Einwendungsfrist sind gemäß § 73 Abs. 4 Satz 3 VwVfG alle Einwendungen ausgeschlossen, die nicht auf besonderen privatrechtlichen Titeln beruhen.

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Der Einwendungsausschluss nach § 73 Abs. 4 Satz 3 VwVfG bewirkt eine materielle Präklusion (Verwirkungspräklusion). Der Gesetzgeber spricht von einem „Ausschluss“ von Einwendungen, wenn ein endgültiger Rechtsverlust, also eine auch für das verwaltungsgerichtliche Verfahren zu beachtende Präklusion gemeint ist. Der Einwendungsausschluss ist damit auch für ein dem Planfeststellungsverfahren nachfolgendes gerichtliches Verfahren maßgeblich. Zu den Gesichtspunkten, die von dem Einwendungsausschluss erfasst werden, kann eine inhaltliche Prüfung des Planfeststellungsbeschlusses nicht mehr stattfinden. Die Präklusion beschränkt die sachliche Überprüfung des Planfeststellungsbeschlusses durch das Gericht (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.07.1980 - BVerwG 7 C 101.78 - BVerwGE 60, 297 <301 f.>; VGH BW, Urt. v. 22.03.1996 - 8 S 3060/95 -, Juris RdNr. 33; OVG RP, Urt. v. 05.08.2004 - 1 A 11787/03 -, Juris RdNr. 31; Neumann, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 73 RdNr. 88).

16

Die Voraussetzungen der materiellen Präklusion des Vorbringens der Kläger gemäß § 73 Abs. 4 Satz 3 VwVfG liegen vor. Die Planunterlagen wurden vom 06.02.2006 bis zum 05.03.2006 in der Verwaltungsgemeinschaft Westliche Börde ausgelegt. Die Kläger haben bis zum Ablauf der Einwendungsfrist am 20.03.2006 keine Einwendungen gegen das Vorhaben erhoben. Damit sind sie gemäß § 73 Abs. 4 Satz 3 VwVfG mit sämtlichen Einwendungen präkludiert. Verfahrensfehler bei der Öffentlichkeitsbeteiligung, die dem Eintritt der Präklusion entgegenstehen könnten, sind nicht ersichtlich. Insbesondere wurde die Auslegung der Planunterlagen gemäß § 73 Abs. 5 Satz 1 VwVfG ortsüblich bekanntgemacht. Welche Form der Bekanntmachung „ortsüblich“ ist, richtet sich regelmäßig nach der Hauptsatzung der Gemeinde, sofern sie Regelungen über die Veröffentlichung von amtlichen Bekanntmachungen enthält, andernfalls ist die tatsächliche Praxis maßgebend (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 13. Aufl. 2012, § 73 RdNr. 57). Danach liegt hier eine ortsübliche Bekanntmachung der Planunterlagen im Sinne des § 73 Abs. 5 Satz 1 VwVfG vor. Das Vorhaben wurde in der Zeit vom 03.02.2006 bis zum 05.03.2006 durch Aushang einer Bekanntmachung in den Schaukästen der Stadt A. gemäß deren Hauptsatzung vom 27.08.2001 bekannt gemacht. Ohne Erfolg machen die Kläger geltend, es sei nicht nachgewiesen, dass die Hauptsatzung der Stadt A., insbesondere in der erst zum 01.01.2001 eingegliederten Gemeinde K., ordnungsgemäß bekanntgemacht wurde. Selbst wenn dies nicht der Fall gewesen sein sollte, indiziert die Bekanntmachung des Vorhabens gemäß den Bekanntmachungsvorschriften dieser Hauptsatzung eine Übereinstimmung mit der tatsächlichen Praxis.

17

Die Stellungnahme der Stadt A. vom 01.03.2006 hindert den Eintritt der Präklusion gegenüber den Klägern nicht. Die materielle Präklusionsregelung wirkt gegenüber jedem einzelnen Einwender individuell. Wer nicht selbst Einwendungen erhebt, kann sich nicht darauf berufen, dass ein Dritter rechtzeitig Einwendungen mit ähnlicher Zielsetzung erhoben hat, so dass sich die Planfeststellungsbehörde im Hinblick auf diese Einwendungen ohnehin mit denselben oder vergleichbaren Anliegen auseinandersetzen musste (vgl. BVerwG, Urt. v. 09.11.2006 - BVerwG 4 A 2001.06 -, Juris RdNr. 124; VGH BW, Urt. v. 22.03.1996 - 8 S 3060/95 -, a.a.O. RdNr. 34; Neumann, in: Stelkens/Bonk/Sachs, a.a.O., § 73 RdNr. 92). Nach diesen Grundsätzen können die Kläger aus der Stellungnahme der Stadt A. vom 01.03.2006 nichts für sich herleiten. Es gibt in dieser Stellungnahme keinen Hinweis darauf, dass die Stadt A. die hierin enthaltenen Einwendungen nicht im eigenen Namen, sondern als (vollmachtlose) Vertreterin der Kläger abgeben wollte. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Bemerkung auf Seite 118 des Planfeststellungsbeschlusses, der Stadt A. fehle die Einwendungsbefugnis „für dritte Personen“. Damit hat der Beklagte lediglich zum Ausdruck gebracht, dass die Stadt G. durch die in der Stellungnahme angesprochene Betroffenheit des Grundstücks A-Straße nicht in eigenen Rechten verletzt sein könne. Dass diese Stellungnahme als für die Kläger abgegeben zu verstehen war, ergibt sich hieraus nicht. Das war auch nicht der Fall. Vielmehr hätten die Kläger, wenn sie ihre Rechte für ein nachfolgendes verwaltungsgerichtliches Verfahren hätten wahren wollen, selbst Einwendungen erheben müssen.

18

Dem Eintritt der Präklusion steht auch nicht entgegen, dass der Beklagte die zunächst im Planfeststellungsverfahren von der Stadt A. und danach im verwaltungsgerichtlichen Verfahren von den Klägern vorgebrachten Gesichtspunkte von Amts wegen zu berücksichtigen hatte. Zwar trifft es zu, dass verspätet vorgebrachte und damit präkludierte Einwendungen den Umfang der Amtsermittlungspflicht unberührt lassen. Jedoch kann der Dritte diese Berücksichtigung nicht mehr erzwingen. Der Eintritt der Präklusion erstreckt sich auch auf solche rechtlichen oder tatsächlichen Umstände, die die Planfeststellungsbehörde unabhängig von etwaigen Einwendungen Betroffener von Amts wegen zu berücksichtigen hatte. Denn § 73 Abs. 4 Satz 3 VwVfG schränkt zwar nicht die objektivrechtliche Verpflichtung der Behörde zur Ermittlung des Sachverhaltes und zu ordnungsgemäßer Abwägung ein. Die Vorschrift will aber gerade das Recht des Betroffenen ausschließen, diesbezügliche Mängel im Klagewege geltend zu machen (BVerwG, Urt. v. 17.07.1980 - BVerwG 7 C 101.78 - a.a.O. S. 309 f. und Beschl. v. 01.04.2005 - BVerwG 9 VR 5.05 -, Juris RdNr. 5; OVG NW, Urt. v. 15.03.2011 - 20 A 2148/09 -, Juris RdNr. 88).

19

2. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO. Hinsichtlich der Streitwertfestsetzung folgt der Senat der Festsetzung des Verwaltungsgerichts.


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