Beschluss vom Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt (2. Senat) - 2 M 23/14

Gründe

I.

1

Der am … 1975 geborene Antragsteller ist ukrainischer Staatsangehöriger. Am 09.07.2013 stellte ihm das polnische Generalkonsulat in C. (Ukraine) ein Visum der Kategorie D für Polen aus, welches vom 16.07.2013 bis zum 30.06.2014 gültig ist. Es handelt sich hierbei um ein Visum zur Arbeit in Polen. Der Antragsteller hatte in seinem Visumsantrag angegeben, bei der Firma ... in Polen arbeiten zu wollen.

2

Am 30.07.2013 reiste er mit diesem Visum in den Bereich der Schengen-Staaten ein. Am 10.10.2013 schloss er vor dem Standesamt der A-Stadt mit der am … 1950 geborenen deutschen Staatsangehörigen R. die Ehe, nachdem er dort bereits im August 2013 die Eheschließung angemeldet hatte.

3

Am 05.11.2013 beantragte der Antragsteller bei dem Antragsgegner die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Hierbei legte er u.a. eine Bescheinigung der Firma S. vor, wonach er als Manager für außenwirtschaftliche Beziehungen beschäftigt sei und ein Gehalt von monatlich 4.500,00 Hrywnja (UAH) auch während seines Aufenthalts in den Ländern des Schengen-Raumes vom 25.07.2013 bis zum 25.07.2014 erhalte. Nach einer Bestätigung der Firma ... – Montagen vom 26.10.2013 sei eine Festanstellung des Antragstellers binnen kürzester Zeit möglich.

4

Mit E-Mail vom 06.02.2014 teilte das polnische Generalkonsulat in C. dem Antragsgegner auf Nachfrage mit, dass der Antragsteller bei der Firma ... nicht erschienen sei.

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Mit Bescheid vom 23.01.2014 lehnte der Antragsgegner den Antrag des Antragstellers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ab und führte zur Begründung aus, der Antragsteller sei nicht mit dem erforderlichen Visum in die Bundesrepublik eingereist. Erforderlich sei nach § 6 Abs. 3 AufenthG ein nationales Visum, welches der Antragsteller nicht besitze. Hiervon sei er auch nicht nach § 39 Nr. 6 AufenthV befreit, da er die Aufenthaltserlaubnis entgegen § 41 Abs. 3 AufenthV nicht innerhalb von 3 Monaten nach der Einreise beantragt habe. Maßgeblich sei die Einreise in das Schengen-Gebiet am 30.07.2013. Auch lägen die Voraussetzungen eines Aufenthaltsrechts nach Art. 21 Abs. 1 des Schengener Durchführungsübereinkommens (SDÜ) nicht vor, da der Antragsteller nicht im Besitz eines gültigen Visums im Sinne des Art. 5 Abs. 1 Buchst. b des Schengener Grenzkodex (SGK) sei; denn er habe das polnische nationale Visum aufgrund falscher Angaben erhalten, so dass dieses gemäß Art. 34 Abs. 1 des Visakodex (VK) zu annullieren sei. Auch habe er bei seiner Einreise die Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 1 Buchst. c SGK nicht erfüllt, da er weder über ausreichende Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts verfügt habe noch in der Lage gewesen sei, diese Mittel rechtmäßig zu erwerben. Ein Absehen von der Erteilungsvoraussetzung der Einreise mit dem erforderlichen Visum gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG komme nicht in Betracht, da der Versuch, einen von Anfang an beabsichtigten Daueraufenthalt in Deutschland unter Umgehung der nationalen Visumvorschriften durchzusetzen, nicht honoriert werden dürfe. Das Vorgehen des Antragstellers beeinträchtige auch erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland im Sinne des § 55 Abs. 1 AufenthG. In einem noch durchzuführenden Visumverfahren sei zu prüfen, ob eine gemeinsame Lebensführung ernsthaft beabsichtigt sei. Da auch der Lebensunterhalt ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel nicht gesichert sei und daher nur ein Soll-Anspruch gemäß § 28 Abs. 1 Satz 3 AufenthG vorliege, sei zudem die Atypik zu prüfen.

6

Mit Bescheid vom 28.02.2014 annullierte der Antragsgegner das dem Antragsteller vom polnischen Generalkonsulat in C. (Ukraine) erteilte polnische nationale Visum der Kategorie D vom 09.07.2013 mit Wirkung für die Vergangenheit. Zugleich ordnete er die sofortige Vollziehung der Annullierung des Visums an. Hiergegen legte der Antragsteller mit Schreiben vom 03.03.2014 Widerspruch ein. Mit Beschluss vom 10.03.2014 - 1 B 49/14 HAL - stellte das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung dieses Widerspruchs wieder her. Die hiergegen eingelegte Beschwerde des Antragsgegners ist beim Senat unter dem Aktenzeichen 2 M 34/14 anhängig.

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Mit Widerspruchsbescheid vom 07.04.2014 wies das Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt die gegen die Bescheide des Antragsgegners vom 23.01.2014 und 28.02.2014 eingelegten Widersprüche des Antragstellers zurück. Die Voraussetzungen des § 39 Nr. 6 AufenthV lägen nicht vor, da der Antragsteller keinen Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels habe. Es fehle die Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG, da er nicht mit dem erforderlichen nationalen Visum eingereist sei. § 28 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG sei daher nicht weiter zu prüfen. Der Antragsteller sei zudem gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 2a AufenthG n.F. unerlaubt in das Bundesgebiet eingereist, da das polnische nationale Visum nicht für den angegebenen Zweck der Erwerbstätigkeit in Polen verwendet, sondern mit dieser Behauptung erschlichen worden sei. Das Visum sei daher mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Hiergegen erhob der Antragsteller Klage zum Verwaltungsgericht.

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Bereits mit Beschluss vom 21.02.2014 – 1 B 24/14 HAL – hat das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 27.01.2014 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 23.01.2014 angeordnet und zur Begründung ausgeführt, es sei zwar derzeit nicht sicher festzustellen, ob der Bescheid des Antragsgegners vom 23.01.2014 rechtswidrig sei, jedoch überwögen bei einer Abwägung der beiderseitigen Interessen das Interesse des Antragstellers daran, bis zur Entscheidung in der Hauptsache in der Bundesrepublik verbleiben zu dürfen, das Interesse des Antragsgegners an der Abschiebung.

II.

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A. Die gegen den Beschluss vom 21.02.2014 eingelegte Beschwerde des Antragsgegners hat Erfolg. Die innerhalb der Begründungsfrist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO dargelegten Gründe gebieten die Änderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung.

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1. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist bereits unzulässig. Die Statthaftigkeit eines Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs nach § 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG i. V. m. § 81 Abs. 3 und 4 AufenthG setzt voraus, dass der abgelehnte Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis eine gesetzliche Erlaubnis- oder Duldungsfiktion nach § 81 Abs. 3 AufenthG oder die Fiktion des Fortbestandes des bisherigen Aufenthaltstitels nach § 81 Abs. 4 AufenthG bewirkt hat (vgl. VGH BW, Beschl. v. 08.07.2008 - 11 S 1041/08 -, Juris RdNr. 5). Das ist hier nicht der Fall.

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1.1 Die Vorschrift des § 81 Abs. 4 AufenthG ist hier nicht anwendbar; denn bei dem vom polnischen Generalkonsulat in C. (Ukraine) ausgestellten polnischen nationalen Visum der Kategorie D handelt es sich nicht um einen Aufenthaltstitel im Sinne dieser Vorschrift. Zwar ist anerkannt, dass es sich bei einem von einem anderen Mitgliedstaat erteilten Schengen-Visum im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG um einen Aufenthaltstitel im Sinne des § 81 Abs. 4 AufenthG handelt (vgl. NdsOVG, Beschl. v. 31.10.2011 - 11 ME 315/11 -, Juris RdNr. 5; BayVGH, Beschl. v. 21.02.2013 - 10 CS 12.2679 -, Juris RdNr. 6 m.w.N.). Der Antragsteller besitzt jedoch kein derartiges Schengen-Visum, sondern ein Visum für den längerfristigen Aufenthalt im Sinne des Art. 18 des Schengener Durchführungsübereinkommens (SDÜ) in der Fassung der Verordnung (EU) Nr. 265/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.03.2010 (ABl. L 85 vom 31.03.2010, S. 1), geändert durch Artikel 2 der Verordnung (EU) Nr. 610/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 (ABl. L 182 vom 29.06.2013, S. 1). Ein solches nationales Visum eines anderen Schengen-Mitgliedstaates wird von § 4 Abs. 1 Satz 2 AufenthG nicht als Aufenthaltstitel genannt. Auch kann es - anders als gemäß § 6 Abs. 2 Satz 2 AufenthG ein Schengen-Visum - nicht durch deutsche Behörden verlängert werden, so dass die Anwendung des § 81 Abs. 4 AufenthG auch nicht aus systematischen Gründen geboten ist (vgl. hierzu BayVGH, Beschl. v. 21.02.2013 - 10 CS 12.2679 -, a.a.O. RdNr. 13). Der Besitz eines nationalen Visums eines anderen Schengen-Mitgliedstaates führt vielmehr gemäß § 15 AufenthV zu einer Befreiung vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, sofern die hierfür notwendigen Voraussetzungen vorliegen. Vor diesem Hintergrund ist bei dem Besitz eines solchen nationalen Visums der Anwendungsbereich des § 81 Abs. 3 AufenthG eröffnet (vgl. Samel, in: Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl. 2013, § 81 AufenthG RdNr. 28). Es bedarf daher keiner Vertiefung, welche Konsequenzen die Einfügung des § 81 Abs. 4 Satz 2 AufenthG n.F. durch das Gesetz vom 29.08.2013 (BGBl. I S. 3484) für die Statthaftigkeit eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO durch einen Inhaber eines Schengen-Visums hat (vgl. NdsOVG, Beschl. v. 12.11.2013 - 13 ME 190/13 -, Juris; OVG Bbg, Beschl. v. 03.04.2014 - OVG 3 S 4.14 -, Juris).

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1.2 Die Voraussetzungen des § 81 Abs. 3 AufenthG liegen nicht vor; denn der Antragsteller hielt sich im Zeitpunkt der Stellung seines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis am 05.11.2013 nicht rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Er besaß zu diesem Zeitpunkt nicht das für einen längerfristigen Aufenthalt erforderliche nationale Visum gemäß § 6 Abs. 3 Satz 1 AufenthG. Er war auch nicht gemäß § 15 AufenthV vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels für die Einreise und den Aufenthalt befreit. Insbesondere lagen die Voraussetzungen des Art. 21 Abs. 2a SDÜ für das Recht, sich bis zu 90 Tage je Zeitraum von 180 Tagen frei im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten zu bewegen, nicht vor, obwohl der Antragsteller über ein gültiges polnische Visum der Kategorie D verfügt.

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1.2.1 Das Recht auf freien Personenverkehr gemäß Art. 21 Abs. 2a SDÜ i. V. m. Art. 21 Abs. 1 SDÜ setzt zunächst voraus, dass der Antragsteller Inhaber eines gültigen Visums für den längerfristigen Aufenthalt im Sinne des Art. 18 SDÜ ist. Das war im Zeitpunkt der Stellung des Antrags vom 05.11.2013 und ist auch heute noch der Fall. Dem steht nicht entgegen, dass der Antragsgegner das Visum mit Bescheid vom 28.02.2014 gemäß Art. 34 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.07.2009 über einen Visakodex der Gemeinschaft (Visakodex - VK) (ABl. L 243 vom 15.09.2009, S. 1) mit Wirkung für die Vergangenheit annulliert hat. Insoweit hat das Verwaltungsgericht Halle mit Beschluss vom 10.03.2014 die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers wiederhergestellt. Die hiergegen im Verfahren 2 M 34/14 erhobene Beschwerde des Antragsgegners wird voraussichtlich erfolglos bleiben, weil sich der Bescheid vom 28.02.2014 als rechtswidrig erweist. Der Antragsgegner war für die Annullierung dieses Visums sachlich nicht zuständig. Der Anwendungsbereich der Ermächtigung des Art. 34 Abs. 1 Satz 3 VK zur Annullierung eines Visums durch die zuständigen Behörden eines anderen Mitgliedstaates ist nicht eröffnet. Diese Vorschrift bezieht sich, wie sich aus den Regelungen über den Geltungsbereich des Visakodex in Art. 1 Abs. 1 VK und über den Begriff des „Visums“ in Art. 2 Nr. 2 VK ergibt, nur auf das Schengen-Visum. Der Antragsteller ist aber nicht Inhaber eines Schengen-Visums, sondern eines nationalen Visums für den längeren Aufenthalt im Sinne des Art. 18 SDÜ.

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1.2.2 Das Recht auf freien Personenverkehr nach Art. 21 Abs. 2a SDÜ i. V. m. Art. 21 Abs. 1 SDÜ setzt jedoch auch voraus, dass der jeweilige Drittausländer die in Art. 5 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung (EG) Nr. 562/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15.03.2006 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex - SGK) (ABl. L 105 vom 13.04.2006, S. 1) aufgeführten Einreisevoraussetzungen erfüllt. Daran fehlt es hier.

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a) Zu den Einreisevoraussetzungen für Drittstaatsangehörige gemäß Art. 5 Abs. 1 Buchst. c SGK gehört, dass er über ausreichende Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts sowohl für die Dauer des beabsichtigten Aufenthalts als auch für die Rückreise in den Herkunftsstaat oder für die Durchreise in einen Drittstaat, in dem seine Zulassung gewährleistet ist, verfügt oder in der Lage ist, diese Mittel rechtmäßig zu erwerben. Diese Einreisevoraussetzung erfüllt der Antragsteller nicht. Er verfügt, soweit derzeit ersichtlich, nicht über ausreichende Mittel zur Sicherung seines Lebensunterhalts. Nach eigenen Angaben, insbesondere in seinen Anträgen auf Gewährung von Prozesskostenhilfe in den Verfahren 1 B 24/14 HAL und 1 B 49/14 HAL vor dem Verwaltungsgericht Halle, verfügt er nur über die in der Bescheinigung der Firma S. erwähnten Einnahmen von 4.500 Hrywnja (UAH) monatlich, die bei einem Umrechnungskurs von 1 UHA = 0,06196 € (Stand: 23.06.2014) einen Betrag von ca. 278,82 € ergeben, die zur Sicherung des Lebensunterhalts nicht ausreichen. Zudem bestehen erhebliche Zweifel daran, dass der Antragsteller überhaupt Zahlungen der Firma S. erhält, zumal er bislang keinerlei Zahlungsnachweise vorgelegt hat, die Bescheinigung der Firma S. mit den Angaben des Antragstellers im Visumverfahren vor dem polnischen Generalkonsulat in C. nicht in Einklang zu bringen ist und Zahlungen an den Antragsteller ohne eine erkennbare Gegenleistung wenig plausibel sind.

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b) Zu den Einreisevoraussetzungen für Drittstaatsangehörige gemäß Art. 5 Abs. 1 Buchst. c SGK gehört darüber hinaus, dass er den Zweck und die Umstände des beabsichtigten Aufenthalts belegt. Diese Voraussetzungen liegen jedenfalls dann nicht vor, wenn der Drittstaatsangehörige im Visumverfahren falsche Angaben über den Zweck des von ihm beabsichtigten Aufenthalts im Schengen-Raum macht. Die Regelungen des Art. 21 SDÜ i. V. m. Art. 5 Abs. 1 Buchst. c SKG lassen nur einen Kurzaufenthalt von bis zu 90 Tagen Dauer zu, was auch in der Formulierung des § 15 AufenthV zum Ausdruck kommt. Art. 21 SDÜ berechtigt demgegenüber nicht zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet, der von vornherein auf Dauer angelegt ist (VG Stuttgart, Beschl. v. 07.05.2014 - 5 K 4470/13 -, Juris RdNr. 6). Einen solchen Daueraufenthalt hatte der Antragsteller jedoch - bei summarischer Prüfung - von Anfang an geplant, ohne dies offenzulegen. Das ergibt sich bei verständiger Würdigung daraus, dass er bereits kurze Zeit nach der Erteilung des polnischen nationalen Visums bei der A-Stadt die Eheschließung anmeldete, dort im Oktober 2013 mit Frau R. die Ehe schloss und andererseits zu keinem Zeitpunkt bei der im Visumverfahren angegebenen Firma … in Polen erschien. Dieser Ablauf der Ereignisse lässt den Schluss zu, dass der Antragsteller zu keinem Zeitpunkt beabsichtigte, bei der Firma ... oder bei irgend einer anderen Firma in Polen zu arbeiten, sondern dass es ihm von Anfang an darum ging, ein Visum zu erlangen, mit dem er in den Schengen-Raum und dann weiter in das Bundesgebiet einreisen konnte, um hier die Ehe mit Frau R. zu schließen und so ein Daueraufenthaltsrecht zu erlangen. Damit hat er das polnische Generalkonsulat in C. über seine wahren Absichten getäuscht, so dass die Einreisevoraussetzungen des Art. 5 Abs. 1 Buchst. c SGK und damit die Voraussetzungen für ein Recht auf freien Personenverkehr gemäß Art. 21 Abs. 2a SDÜ nicht vorliegen.

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2. Darüber hinaus wäre der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auch unbegründet. Anders als die Vorinstanz bewertet der Senat die Erfolgsaussichten des vom Antragsteller erhobenen Widerspruchs nicht als offen. Vielmehr wird die nach dem Erlass des Widerspruchsbescheides vom 07.04.2014 erhobene Klage, soweit sie auf Verpflichtung des Antragsgegners zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gerichtet ist, nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO nur möglichen summarischen Prüfung aller Voraussicht nach keinen Erfolg haben.

18

Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Als Anspruchsgrundlage kommt allein § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG in Betracht. Hiernach ist die Aufenthaltserlaubnis dem ausländischen Ehegatten eines Deutschen zu erteilen, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. Es bedarf keiner Vertiefung, ob die Voraussetzungen dieser Vorschrift vorliegen, denn der Antragsteller erfüllt die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 AufenthG nicht.

19

2.1 Der Antragsteller erfüllt zunächst die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG nicht, wonach die Erteilung eines Aufenthaltstitels in der Regel voraussetzt, dass der Lebensunterhalt gesichert ist. Der Lebensunterhalt des Antragstellers ist - wie oben bereits ausgeführt - bei summarischer Prüfung nicht gesichert. Dem Antragsteller steht damit allenfalls ein Regel-Anspruch nach § 28 Abs. 1 Satz 3 AufenthG zu. Nach dieser Vorschrift soll die Aufenthaltserlaubnis in den Fällen des Abs. 1 Nr. 1 in der Regel abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 erteilt werden. Hiernach kommt es im Regelfall auf die Sicherung des Lebensunterhalts nicht an, während es in atypischen Fällen im Ermessen der Behörde liegt, ob sie für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis einen gesicherten Lebensunterhalt voraussetzt. Es kann offen bleiben, ob hier ein atypischer Fall gegeben ist (vgl. hierzu VG Hannover, Beschl. v. 08.05.2012 - 12 B 2321/12 -, Juris RdNr. 23), denn einem Anspruch des Antragstellers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis steht jedenfalls die Nichterfüllung der Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG und des § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG entgegen.

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2.2 Einem Anspruch des Antragstellers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis steht die Vorschrift des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG entgegen, denn in seiner Person liegt ein Ausweisungsgrund vor. Er ist unter Verstoß gegen § 14 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ohne den nach § 4 erforderlichen Aufenthaltstitel und damit unerlaubt in das Bundesgebiet eingereist. Er besaß bei seiner Einreise in das Bundesgebiet nicht das für einen längerfristigen Aufenthalt erforderliche nationale Visum gemäß § 6 Abs. 3 Satz 1 AufenthG. Er war - wie oben bereits ausgeführt - auch nicht gemäß § 15 AufenthV vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels für die Einreise und den Aufenthalt befreit, denn die Voraussetzungen des Rechts auf freien Personenverkehr gemäß Art. 21 SDÜ i. V. m. Art. 18 SDÜ lagen nicht vor. Die illegale Einreise stellt einen nicht geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften im Sinne des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG dar (HambOVG, Beschl. v. 06.03.2002 - 3 Bf 205/01 -, Juris; SächsOVG, Beschl. v. 17.08.2006 - 3 BS 130/06 -, Juris; VG Münster, Urt. v. 08.07.2010 - 8 K 1600/08 -, Juris) und damit einen Ausweisungsgrund.

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2.3 Der Antragsteller kann auch deswegen die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht beanspruchen, weil er entgegen § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG nicht mit dem erforderlichen Visum eingereist ist. Welches Visum im Sinne von § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG als das erforderliche Visum anzusehen ist, bestimmt sich nach dem Aufenthaltszweck, der mit der im Bundesgebiet beantragten Aufenthaltserlaubnis verfolgt wird (BVerwG, Urt. v. 16.11.2010 - BVerwG 1 C 17.09 -, Juris RdNr. 19 und Urt. v. 11.01.2011 - BVerwG 1 C 23.09 -, Juris RdNr. 20). Für einen längerfristigen Aufenthalt - wie hier - ist gemäß § 6 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ein Visum für das Bundesgebiet (nationales Visum) erforderlich, das vor der Einreise erteilt wird und der Zustimmung der zuständigen Ausländerbehörde bedarf (§ 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthV). Ein derartiges Visum besitzt der Antragsteller nicht. Zudem hat er entgegen § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG in seinem Visumsantrag nicht die für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis zum Zweck der Eheschließung und Eheführung erforderlichen Angaben gemacht.

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2.3.1 Die Voraussetzungen eines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ohne vorheriges Visumverfahren nach § 39 Nr. 6 AufenthV liegen nicht vor. Nach dieser Vorschrift kann ein Ausländer über die im Aufenthaltsgesetz geregelten Fälle hinaus einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einholen, wenn er einen von einem anderen Schengen-Staat ausgestellten Aufenthaltstitel besitzt und auf Grund dieses Aufenthaltstitels berechtigt ist, sich im Bundesgebiet aufzuhalten, sofern die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels erfüllt sind; § 41 Abs. 3 findet Anwendung.

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a) Es kann zwar nicht festgestellt werden, dass der Antragsteller die Antragsfrist des § 41 Abs. 3 AufenthV versäumt hat. Nach § 41 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ist ein erforderlicher Aufenthaltstitel innerhalb von drei Monaten nach der Einreise zu beantragen. Maßgeblich ist die (letzte) Einreise in das Bundesgebiet. Dies folgt aus der Stellung der Vorschrift im Vierten Abschnitt der Aufenthaltsverordnung, der nur Ausnahmen vom Visumserfordernis für die Erteilung nationaler Aufenthaltstitel gemäß § 6 Abs. 3 AufenthG betrifft (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.01.2011 - BVerwG 1 C 23.09 -, a.a.O. RdNr. 25). Ob der Antragsteller die Frist von drei Monaten nach der (letzten) Einreise in das Bundesgebiet gewahrt hat, ist nicht feststellbar; denn der genaue Zeitpunkt seiner (letzten) Einreise ist unklar. Nach den Angaben des Antragstellers war dies der 08.10.2013. Hiernach wäre der Antrag vom 05.11.2013 fristgemäß. Dies bedarf keiner Vertiefung, denn es fehlte jedenfalls an der erforderlichen Berechtigung des Antragstellers, sich im Bundesgebiet aufzuhalten.

24

b) Die Voraussetzungen des § 39 Nr. 6 AufenthV liegen jedenfalls deshalb nicht vor, weil der Antragsteller zwar einen von einem anderen Schengen-Staat ausgestellten Aufenthaltstitel - das polnische Visum der Kategorie D - besitzt, auf Grund dieses Aufenthaltstitels jedoch nicht berechtigt war, sich im Bundesgebiet aufzuhalten. Er war - wie oben bereits ausgeführt - nicht gemäß § 15 AufenthV vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels für die Einreise und den Aufenthalt befreit; denn die Voraussetzungen des Rechts auf freien Personenverkehr gemäß Art. 21 SDÜ i. V. m. Art. 18 SDÜ lagen wegen seiner falschen Angaben über den Zweck seiner Einreise und seines Aufenthalts im Visumverfahren nicht vor. Die Vorschrift des § 39 Nr. 6 AufenthG soll - ebenso wie § 39 Nr. 3 AufenthV - nur diejenigen Ausländer begünstigen, die im Visumverfahren zutreffende Angaben gemacht haben und bei denen sich aufgrund nach der Einreise eingetretener neuer Umstände der Aufenthaltszweck geändert hat. Sie soll aber nicht den Versuch honorieren, einen von Anfang an beabsichtigten Daueraufenthalt in Deutschland unter Umgehung der nationalen Visumvorschriften durchzusetzen. Andernfalls würde die bewusste Umgehung des Visumverfahrens folgenlos bleiben und dieses wichtige Steuerungsinstrument der Zuwanderung entwertet (BVerwG, Urt. v. 16.11.2010 - BVerwG 1 C 17.09 -, a.a.O. RdNr. 25 und Urt. v. 11.01.2011 - BVerwG 1 C 23.09 -, a.a.O. RdNr. 25).

25

2.3.2 Ein Absehen von den Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 AufenthG gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG kommt nicht in Betracht. Nach dieser Vorschrift kann von den genannten Erteilungsvoraussetzungen abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind oder es auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen.

26

a) Ein Absehen von den Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 AufenthG setzt einen strikten Rechtsanspruch voraus (BVerwG, Urt. v. 16.11.2010 - BVerwG 1 C 17.09 -, a.a.O. RdNr. 27). Ob hierunter auch der Regelerteilungsanspruch gemäß § 28 Abs. 1 Satz 3 AufenthG fällt, ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung bislang noch nicht geklärt (vgl. SächsOVG, Beschl. v. 30.04.2014 - 3 B 17/14 -, Juris RdNr. 8). Diese Frage bedarf hier keiner abschließenden Klärung; denn die Nachholung des Visumverfahrens ist für den Antragsteller nicht unzumutbar (dazu b) und die Entscheidung des Antragsgegners, von der Regelung des § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG keinen Gebrauch zu machen, ist rechtlich nicht zu beanstanden (dazu c)

27

b) Die Nachholung des Visumverfahrens ist für den Antragsteller nicht unzumutbar. Es läuft dem Zweck der Ermächtigung des § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG nicht zuwider, wenn die Ausländerbehörde sich bei ihrer Ermessensausübung davon leiten lässt, dass es einem nachzugswilligen Ehegatten grundsätzlich zumutbar ist, das Visumverfahren zu durchlaufen. Das Visumverfahren ist ein Steuerungsinstrument der Zuwanderung, dessen Beachtung die Ausländerbehörde auch in Bezug auf den Ehegattennachzug verlangen kann. Der Umstand, dass die Eheleute in diesem Fall eine vorübergehende Trennung für die übliche Dauer des Visumverfahrens hinnehmen müssen, verstößt nicht gegen Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK. Andererseits bildet die normale Dauer des Visumverfahrens die maßgebliche Grenze für die hinzunehmende Trennungszeit (BVerwG, Urt. v. 11.01.2011 - BVerwG 1 C 23/09 - a.a.O. RdNr. 34). Das bedeutet, dass die Ausländerbehörde dessen voraussichtliche Dauer zu berücksichtigen hat. Bestehen Anhaltspunkte dafür, dass die Trennungszeit die normale Dauer eines Visumverfahrens überschreiten würde, ist dies zu Gunsten des Ehegatten zu berücksichtigen (BremOVG, Beschl. v. 21.12.2011 - 1 B 246/11 - Juris RdNr. 28). Nach diesen Grundsätzen ist die Nachholung des Visumsverfahrens zumutbar. Anhaltspunkte dafür, dass etwa die Deutsche Botschaft in Kiew derzeit nicht arbeitsfähig ist, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Auch sonst sind keine Gesichtspunkte dafür ersichtlich, weshalb das Visumverfahren im Fall des Antragstellers länger als in vergleichbaren Fällen üblich dauern sollte. Auch sonst sind keine Umstände erkennbar, die eine Nachholung des Visumverfahrens als unzumutbar erscheinen lassen. Zwar hat die Ehefrau des Antragstellers nach seinen Angaben vor Kurzem einen Unfall erlitten und sich am Sprunggelenk verletzt. Es ist aber nichts dafür ersichtlich, dass sie hierdurch zwingend auf seine Hilfe angewiesen ist.

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c) Die Entscheidung des Antragsgegners, von der Regelung des § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG keinen Gebrauch zu machen, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Seine Erwägung in dem Bescheid vom 23.01.2014, eine geplante Umgehung des Visumverfahrens durch Angabe eines anderen Aufenthaltszwecks nicht durch eine Abweichung im Ermessenswege zu honorieren, ist nicht zu beanstanden. Soll das Visumverfahren als wichtiges Steuerungsinstrument der Zuwanderung seine Funktion wirksam erfüllen können, dürfen in die Ermessensausübung auch generalpräventive Aspekte einfließen (BVerwG, Urt. v. 11.01.2011 - BVerwG 1 C 23.09 -, a.a.O. RdNr. 34).

29

B. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Hinsichtlich der Festsetzung des Streitwertes folgt der Senat der Festsetzung des Verwaltungsgerichts.


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