Beschluss vom Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt (1. Senat) - 1 L 124/14
Gründe
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Der Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichtes Halle - 5. Kammer - vom 10. September 2014 hat keinen Erfolg.
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Die vom Beklagten geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO rechtfertigen die Zulassung der Berufung nicht.
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„Ernstliche Zweifel“ an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung bestehen nur dann, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 2000 - 1 BvR 830/00 -, DVBl. 2000, 1458). Da gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO der Zulassungsgrund zudem in der gebotenen Weise darzulegen ist, erfordert dies, dass sich der Zulassungsantrag substantiiert inhaltlich mit den Gründen der angegriffenen Entscheidung auseinandersetzt und unter anderem konkret ausgeführt wird, dass die erhobenen Einwände entscheidungserheblich sind (OVG LSA in ständiger Rechtsprechung, etwa Beschluss vom 3. Januar 2007 - 1 L 245/06 -, juris Rn. 3 m. w. N.). Dabei reicht es nicht aus, wenn Zweifel lediglich an der Richtigkeit einzelner Rechtssätze oder tatsächlicher Feststellungen bestehen, auf welche das Urteil gestützt ist. Diese müssen vielmehr zugleich Zweifel an der Richtigkeit des Ergebnisses begründen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. März 2004 - 7 AV 4.03 -, Buchholz 310 § 124 VwGO Nr. 33).
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Das Antragsvorbringen begründet im vorbezeichneten Sinne keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Ergebnisses der angefochtenen Entscheidung.
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Soweit sich der Beklagte gegen die Feststellung des Verwaltungsgerichtes im angefochtenen Urteil wendet, dass die Rücknahme des Bescheides vom 1. Februar 2004 (richtigerweise: 17. Februar 2004, vgl. Bl. 16 der GA) ab 1. September 2011 im (streitgegenständlichen) Widerspruchsbescheid vom 10. April 2013 zwar mangels Ermessensentscheidung rechtswidrig sei, die Rücknahme indes ins Leere gehe, weil der aufgehobene Bescheid bereits im Jahre 2005 aufgrund einer auflösenden Bedingung unwirksam geworden sei, wird diese mit den Ausführungen unter Pkt. I A der Antragsbegründungsschrift zum Pflichtenhinweis im Bescheid vom 17. Februar 2004 und in den Anfragen der Bezügestelle aus den Jahren 2005, 2006 und 2007 sowie zur Erkennbarkeit und Berechenbarkeit der eine Rückerstattungspflicht auslösenden „schädlichen Grenze“ nicht schlüssig in Frage gestellt. Dass eine Aufhebung der Regelung in Ziff. 2 des Widerspruchsbescheides vom 10. April 2013 rechtlich nicht veranlasst war, das angefochtene Urteil insoweit jedenfalls teilweise ergebnisunrichtig ist, ergibt sich aus dem Antragsvorbringen nicht.
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Die weiteren Ausführungen der Antragsbegründungsschrift unter Pkt. I A zur verschärften Haftung der Klägerin und der fehlenden Möglichkeit, sich hinsichtlich der Überzahlung auf den Wegfall der Bereicherung berufen zu können, beziehen sich auf die Entscheidung nicht tragende Begründungselemente des angefochtenen Urteils (vgl. S. 6 Abs. 3 der UA: „Es kann hier offen bleiben, ob … (dazu nachstehend 1.)“, S. 7 der UA). Zweifel an deren Richtigkeit vermögen nicht auf die für den Zulassungsgrund gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO maßgebliche Ergebnisrichtigkeit des Urteils durchzuschlagen, weil das Urteil nicht entscheidungserheblich auf den vermeintlich fehlerhaften Begründungselementen beruht. Der Sache nach handelt es sich vorliegend lediglich um rechtlich unverbindliche Hinweise des Gerichts, sogenannte obiter dicta.
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Das Vorbringen unter Pkt. I B der Antragsbegründungsschrift, wonach jedenfalls im Widerspruchsbescheid vom 10. April 2013 eine ordnungsgemäße Ermessensausübung im Rahmen der Billigkeitsentscheidung erfolgt sei, das Verwaltungsgericht zu Unrecht von einem überwiegenden Verschulden des Beklagten ausgehe und wegen der Bösgläubigkeit der Klägerin die Überzahlung auch zu Recht komplett zurück gefordert worden sei, legt eine Ergebnisunrichtigkeit des angefochtenen Urteils ebenfalls nicht schlüssig dar.
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Ist ein Urteil - wie hier - auf mehrere selbständig tragende Entscheidungsgründe gestützt, muss für jeden Begründungsteil ein Zulassungsgrund geltend gemacht werden und vorliegen, da anderenfalls das Urteil mit der nicht in zulassungsbegründender Weise angefochtenen Begründung Bestand haben könnte (vgl. OVG LSA, Beschluss vom 15. März 2012 - 1 L 10/12; Beschluss vom 24. April 2012 - 1 L 31/12 -, juris; BVerwG, Beschluss vom 3. Juli 1973 - IV B 92.73 -, juris zur Revisionszulassung). Dies ist hier nicht der Fall. Denn die Ausführungen zu Pkt. I B der Antragsbegründungsschrift stellen nicht zugleich auch die selbständig tragende Begründung des Verwaltungsgerichtes schlüssig in Frage, wonach die angebotene Zahlung in zwei Monatsraten nicht den Rückzahlungsmodalitäten im Regelfall entspreche (vgl. S. 10 Abs. 3 der UA). Der die Rückzahlungsmodalitäten betreffende Begründungsteil des angefochtenen Urteils wird auch durch die weiter geltend gemachten Zulassungsgründe der besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache gemäß
§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO (Pkt. II der Antragsbegründungsschrift) sowie der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (Pkt. III der Antragsbegründungsschrift) nicht in zulassungsbegründender Weise in Frage gestellt, so dass es eines weiteren Eingehens auf die unter Pkt. I B der Antragsbegründungsschrift genannten Gründe für die Rechtmäßigkeit der Ermessensausübung bei der Billigkeitsentscheidung nicht bedarf.
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Die Zulassung der Berufung rechtfertigt sich nicht wegen der geltend gemachten besonderen tatsächlichen wie rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO.
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„Besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten“ der Rechtssache im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO bestehen dann, wenn die Rechtssache wegen einer erheblich über dem Durchschnitt liegenden Komplexität des Verfahrens oder aufgrund der zugrunde liegenden Rechtsmaterie in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht größere, also das normale Maß nicht unerheblich überschreitende Schwierigkeiten verursacht, mithin signifikant vom Spektrum der in verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu entscheidenden Streitsachen abweicht (OVG LSA in ständiger Rechtsprechung, etwa: Beschluss vom 6. Juni 2006 - Az.: 1 L 35/06 -, JMBl. LSA 2006, 386 [m. w. N.]). Im Hinblick auf die Darlegungsanforderungen gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO ist es erforderlich, im Einzelnen darzulegen, hinsichtlich welcher Fragen und aus welchen Gründen aus der Sicht des Rechtsschutzsuchenden die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist (OVG LSA, a. a. O. [m. w. N.]), denn der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO soll eine allgemeine Fehlerkontrolle nur in solchen Fällen ermöglichen, die dazu besonderen Anlass geben (vgl.: BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des 1. Senates vom 23. Juni 2000 - Az.: 1 BvR 830/00 -, NVwZ 2000, 1163). Außerdem bedarf es Darlegungen dazu, dass die aufgeworfenen Fragen für den zu entscheidenden Rechtsstreit entscheidungserheblich sind (vgl.: BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des 1. Senates vom 8. März 2001 - Az.: 1 BvR 1653/99 -, NVwZ 2001, 552). Nur wenn sich schon aus dem Begründungsaufwand des erstinstanzlichen Urteiles ergibt, dass eine Sache in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht schwierig ist, genügt ein Antragsteller der ihm gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO obliegenden Darlegungslast bereits regelmäßig mit erläuternden Hinweisen auf die einschlägigen Passagen des Urteiles (vgl.: BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des 1. Senates vom 23. Juni 2000, a. a. O.). Soweit der Antragsteller hingegen die Schwierigkeiten des Falles darin erblickt, dass das Gericht auf bestimmte tatsächliche Aspekte nicht eingegangen ist oder notwendige Rechtsfragen nicht oder unzutreffend beantwortet hat, hat er diese Gesichtspunkte in nachvollziehbarer Weise darzustellen und ihren Schwierigkeitsgrad plausibel zu machen (BVerfG, a. a. O.).
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Den vorstehenden Anforderungen wird das Vorbringen in der Antragsbegründungsschrift zum Vorliegen besonderer tatsächlicher bzw. rechtlicher Schwierigkeiten der Rechtssache nicht gerecht. Die Antragsbegründungsschrift wirft die Frage auf, „ob nach vorherigem Anerkenntnis (vgl. Bl. 149 ff; Bl. 154 der Bezügeakte) der Rückforderung noch die Möglichkeit der Heranziehung des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 26.04.2014, Az.: 2 C 15.10, besteht, sodass überhaupt erst eine Billigkeitsentscheidung ermöglicht und erforderlich wird“, und macht geltend, das Verwaltungsgericht habe sich mit dieser Frage nicht auseinander gesetzt. Mit diesem Vorbringen wird indes nicht - wie es erforderlich gewesen wäre - auch der Schwierigkeitsgrad der aufgeworfenen Frage plausibel gemacht. Soweit die Fragestellung im Übrigen für den Fall eines Schuldanerkenntnisses die Notwendigkeit einer Billigkeitsentscheidung an sich bezweifelt, mangelt es an jeglicher Auseinandersetzung mit den entsprechenden Feststellungen des Verwaltungsgerichtes hierzu auf S. 10 Abs. 4 bis S. 11 Abs. 1 der Urteilsausfertigung und der Darlegung, aus welchen Gründen sich angesichts der vom Verwaltungsgericht vertretenen Rechtsauffassung zu der von der Rückforderungsentscheidung nicht abtrennbaren Billigkeitsentscheidung die Frage nach dem Vorliegen eines nach Erlass des Ausgangsbescheides vom 19. November 2012 vermeintlich ergangenen Schuldanerkenntnisses in entscheidungserheblicher Weise stellt und trotz des erstinstanzlichen Rechtsstandpunktes weiterhin oder erstmalig besonders schwierig zu beantworten ist.
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Die Zulassung der Berufung rechtfertigt sich ebenso wenig wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.
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Die von der Antragsbegründungsschrift unter Pkt. III als grundsätzlich klärungsbedürftig aufgeworfenen Rechtsfragen
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- „Bietet die Anzeige eines lohnsteuerpflichtigen Sachverhaltes ausreichenden Anlass dafür, dass der Bearbeiter der Bezügestelle den Zahlfall einer umfassenden Sachverhaltsprüfung unterziehen muss?“
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- „Hat ein Bediensteter auch einen längere Zeit (ca. 4 - 6 Jahre) zurückliegenden Bewilligungsbescheid bei Änderung von Bewilligungsvoraussetzungen (Änderung der persönlichen Verhältnisse) zu beachten?“
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sind nicht entscheidungserheblich, weil sie einen der vom Verwaltungsgericht genannten Gründe für die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bescheide, nämlich die fehlerhafte Behandlung der Rückzahlungsmodalitäten im Rahmen der Billigkeitsentscheidung, nicht betreffen und dieser Grund auch nicht in anderer Weise zulassungsbegründend angefochten wird. Im Übrigen sind sie, unbeschadet der Frage, ob sie überhaupt als hinreichend konkretisiert angesehen werden können, jedenfalls entgegen der nicht weiter begründeten Behauptung in der Antragsbegründungsschrift einer allgemeinen, fallübergreifenden Beantwortung nicht zugänglich, sondern von den Besonderheiten des Einzelfalles abhängig.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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Die Entscheidung über die Festsetzung der Höhe des Streitwertes für das Zulassungsverfahren beruht auf den §§ 40, 47, 52 Abs. 3 GKG und folgt der erstinstanzlichen Wertfestsetzung. Die Rücknahme des Bescheides vom 17. Februar 2004 wirkt sich wegen wirtschaftlicher Identität mit der Rückforderung der Überzahlung nicht werterhöhend aus.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 124a Abs. 5 Satz 4, 152 Abs. 1 VwGO i. V. m. §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
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Referenzen
- §§ 40, 47, 52 Abs. 3 GKG 3x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 124 9x
- VwGO § 152 1x
- 1 BvR 830/00 2x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 154 1x
- §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG 2x (nicht zugeordnet)
- 1 L 31/12 1x (nicht zugeordnet)
- 1 L 245/06 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 124a 4x
- 1 BvR 1653/99 1x (nicht zugeordnet)
- 1 L 10/12 1x (nicht zugeordnet)
- 1 L 35/06 1x (nicht zugeordnet)