Beschluss vom Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt (2. Senat) - 2 L 33/16
Gründe
I.
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Der Kläger wendet sich gegen eine vom Beklagten durchgeführte Grenzfeststellung und Abmarkung.
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Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks Gemarkung (J.), Flur A, Flurstück 139, mit der Lagebezeichnung (J.) 3. Die Beigeladene ist Eigentümerin des westlich angrenzenden Flurstücks 138 mit der Lagebezeichnung D-Straße. Die genaue Lage der zwischen diesen Flurstücken verlaufenden Grenze ist zwischen den Beteiligten streitig.
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Am 03.06.2013 beantragte die Beigeladene eine Grenzfeststellung. Der Beklagte führte daraufhin am 25.11.2013 eine Grenzermittlung und am 17.12.2013 einen Grenztermin durch. In der Niederschrift über den Grenztermin führte der Beklagte aus, für die festzustellende Grenze bestünden Unterschiede zwischen deren Nachweisen im Katasterzahlenwerk und deren Darstellung in der Liegenschaftskarte sowie dem örtlichen Verlauf. Für die Darstellung der Grenze in der Liegenschaftskarte liege keine Grundlage mit ausreichender Aussagekraft vor. An der in der beigefügten Skizze mit "1" gekennzeichneten Position stimmten die Grenze laut Katasterzahlenwerk und der örtliche Grenzverlauf überein. Für den Grenzpunkt "2" wichen örtlicher Grenzverlauf und die Grenze laut Katasterzahlenwerk voneinander ab. Den örtlichen Grenzverlauf bilde ein Zaun, der in der Messung vom 03. bzw. 04.10.1946 bereits dokumentiert sei. Eine Aussage zur Abmarkung des Punktes "2" treffe diese Messung nicht. Die Katastergrenze sei durch den Nachweis vom 08.10.1867 dokumentiert. Sie weise einen Grenzstein im Punkt "2" mit einem Abstand von 14,2 Ruthen (entspricht ca. 53,48 m) von dem mit "3" gekennzeichneten und vorgefundenen Grenzstein nach. Aufgrund der langen Zeitdauer zwischen 1867 und 1946 könne nicht ausgeschlossen werden, dass die örtliche Grenze auf Grund einer willkürlichen Änderung von der Katastergrenze abweiche. Daher werde der Katasterzahlennachweis vom 08.10.1867 der Grenzermittlung zu Grund gelegt.
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Auf dieser Grundlage nahm der Beklagte eine Grenzfeststellung für den Grenzabschnitt von Grenzpunkt "1" zu Grenzpunkt "2" sowie eine Abmarkung der Grenzpunkte "1" und "2" vor. Die Lage des nördlichen Grenzpunktes "1" an der Straße ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Die Bestimmung der Lage des südlichen Grenzpunktes "2" erfolgte durch eine von dem am Grenzpunkt "3" vorgefundenen Grenzstein ausgehende Messung, da der Beklagte am Grenzpunkt "2" keinen Grenzstein finden konnte. Der Grenzpunkt "3" liegt am südlichen Ende der Grenze zwischen den Flurstücken 129 und 136/1. Im Ergebnis ergab sich eine von der Darstellung in der Liegenschaftskarte abweichende Lage der Grundstücksgrenze zu Lasten des Flurstücks des Klägers, wobei die Grenze durch den rückwärtigen Bereich des auf dem klägerischen Grundstück befindlichen Gebäudes verläuft.
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Der gegen die Grenzfeststellung und Abmarkung des Beklagten vom 17.12.2013 eingelegte Widerspruch des Klägers wurde mit Widerspruchsbescheid des Landesamtes für Vermessung und Geoinformation Sachsen-Anhalt vom 20.01.2015 zurückgewiesen. Zur Begründung wurde hierin ausgeführt, der Beklagte habe die festzustellende gemeinsame Flurstücksgrenze zwischen den Flurstücken 138 und 139 richtig in die Örtlichkeit übertragen und die fehlenden Grenzsteine durch ein Rohr (zum Straßenbereich) und einen Grenzstein (im Garten) sachgerecht ersetzt. Die Prüfung der Grenzermittlung habe ergeben, dass der Beklagte diese ohne Mängel nach den im Liegenschaftskataster nachgewiesenen maßgeblichen Vermessungsunterlagen – hier die Vermessungszahlen – ausgeführt habe. Der Zahlennachweis vom 08.10.1867 sei als maßgebliche Unterlage des Liegenschaftskatasters für die Grenzermittlung zu Grunde zu legen. Eine Grenzermittlung auf der Grundlage der aktuellen Liegenschaftskarte sei nicht sachgerecht, da diese bzgl. der festzustellenden Grundstücksgrenzen aufgrund des vorhandenen Zahlenwerks ein "Sekundärprodukt" sei. Die Darstellung in der aktuellen Liegenschaftskarte zeige einen fehlerhaften Grenzverlauf bzgl. der festzustellenden Flurstücksgrenze. Sie entspreche nicht den maßgeblichen Unterlagen des Liegenschaftskatasters.
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Das Verwaltungsgericht hat die hiergegen erhobene Klage mit Urteil vom 23.02.2016 – 2 A 43/15 HAL – abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Grenzfeststellung und die Abmarkung der Grenzpunkte "1" und "2" durch den Beklagten sei rechtlich nicht zu beanstanden. Es sei nicht geboten, die Liegenschaftskarte als alleinige Grundlage für die Grenzfeststellung heranzuziehen. Die festzustellende Grenze habe aus dem übrigen Vermessungswerk zweifelsfrei bestimmt werden können. Aus dem Fortführungsriss aus dem Jahr 1947 (Separationskarte) habe sich der Beklagte keine weitere Klarheit über den Grenzverlauf verschaffen können, da nicht ersichtlich sei, dass dort Grenzpunkte aufgesucht worden seien. In diesem Dokument sei lediglich ein Grenzzaun dargestellt worden. In der Bodenreform habe sich hinsichtlich des Grenzverlaufs keine Änderung ergeben. Die aktuelle Liegenschaftskarte stelle den Grenzverlauf nicht richtig dar und habe in dem öffentlichen Zahlenwerk keine Bestätigung gefunden. Die Grenzermittlung sei dem Beklagten durch zahlreiche Zahlenangaben in den Altunterlagen und wegen vorgefundener Grenzsteine möglich gewesen. Die (fehlerhafte) Liegenschaftskarte dürfe sich trotz heutiger technischer Genauigkeit bei nicht festgestellten Grenzen nicht maßgeblich gegen die übrigen im Liegenschaftskataster vorhandenen (Zahlen-)Angaben durchsetzen. Es habe auch nicht der Einholung eines (weiteren) Sachverständigengutachtens bedurft, denn die Widerspruchsbehörde und der Beklagte vermittelten das maßgebliche Fachwissen.
II.
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Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
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1. Die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegen nicht vor. Solche Zweifel bestehen nur dann, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt worden sind (vgl. BVerfG, Beschl. v. 16.07.2013 – 1 BvR 3057/11 –, juris RdNr. 36). Dies ist hier nicht der Fall.
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a) Ohne Erfolg macht der Kläger geltend, es sei nicht nachvollziehbar, warum der Beklagte bei der Grenzermittlung nicht von dem Grenzpunkt östlich des Flurstücks 136/1 an der Grenze zu dem Flurstück 138 oder von dem Grenzpunkt zwischen dem Flurstück 138 und dem Flurstück 85/2 oder von dem Grenzpunkt zwischen dem Flurstück 139 und dem südlich davon gelegenen Straßengrundstück ausgegangen sei, die ausweislich der Darstellung in der Liegenschaftskarte abgemarkt seien. Von den an diesen Grenzpunkten vorhandenen Grenzsteinen hätte der Beklagte die Einmessung ohne weiteres vornehmen können. Stattdessen sei er von dem Grenzpunkt zwischen den Flurstücken 129 und 136/1 ausgegangen, der nach den Angaben in der Liegenschaftskarte nicht abgemarkt sei. Es sei auch nicht nachvollziehbar, wie der Beklagte an dieser Stelle einen Grenzstein gefunden haben will.
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Diese Einwände begründen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Grenzfeststellung des Beklagten sei rechtlich nicht zu beanstanden, wird hierdurch nicht schlüssig in Frage gestellt. Der Beklagte hat an dem Eckpunkt der Flurstücke 129 und 136/1, den er als Ausgangspunkt seiner Grenzermittlung gewählt hat, einen alten Grenzstein vorgefunden. Dass dieser Grenzpunkt in der Liegenschaftskarte als "ohne Abmarkung" oder mit dem Zusatz "Abmarkung unbekannt" gekennzeichnet ist, hat in diesem Zusammenhang keine Bedeutung. Es ist auch ohne weiteres nachvollziehbar, warum der Beklagte die Grenzermittlung von diesem Grenzpunkt aus vorgenommen hat, denn die von ihm herangezogene Längenangabe von 14,2 Ruthen aus dem Vermessungsriss vom 08.10.1867 (BA A Bl. 120) bezog sich auf die Entfernung von diesem als Grenzpunkt "3" bezeichneten Punkt zu dem als Grenzpunkt "2" bezeichneten Punkt am südlichen Ende der Grenze zwischen den Flurstücken 138 und 139, dessen Lage zu bestimmen war. Dass sich aus dem im Liegenschaftskataster vorhandenen Katasterzahlenwerk auch Maße für die Abstände zwischen den vom Kläger benannten weiteren Grenzpunkten und dem Grenzpunkt "2" entnehmen lassen, die bei der Bestimmung der Lage dieses Grenzpunktes zu einem anderen Ergebnis geführt hätten, trägt der Kläger nicht vor. Dies ist auch nicht ersichtlich.
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b) Nicht stichhaltig ist der Einwand des Klägers, der Beklagte hätte sich bei der Grenzfeststellung an dem in der Grenzanerkennungsliste vom 08.10.1946 (BA A Bl. 129) von allen Grundstückseigentümern als rechtsverbindlich anerkannten (neuen) Grenzverlauf orientieren müssen. Hiergegen wendet der Beklagte ein, die Grenzanerkennungsliste vom 08.10.1946 habe die streitbefangene Grenze zwischen den (heutigen) Flurstücken 138 und 139 nicht mit umfasst. Diese Flurstücke seien seinerzeit noch unter den Flurstücksnummern 292/108 und 107 geführt worden, die nicht Gegenstand der Grenzanerkennungsliste gewesen seien. Diese habe nur die Flurstücke des 1946 im Rahmen der Bodenreform aufgelösten ehemaligen Rittergutes (J.) umfasst, zu denen die Flurstücke 292/108 und 107 nicht gehört hätten. Diese Angaben des Beklagten sind plausibel. Sie werden bestätigt durch den Fortführungsriss aus dem Jahr 1949 (BA A Bl. 133), in dem die hier maßgeblichen Flurstücke noch unter den Flurstücksnummern 292/108 und 107 verzeichnet waren. Dem steht nicht entgegen, dass in der Grenzanerkennungsliste vom 08.10.1946 die Flurstücke 138 und 139 der Flur A der Gemarkung (J.) ausdrücklich aufgeführt sind, denn hiermit können vor dem Hintergrund des Fortführungsrisses aus dem Jahr 1949 nur andere, mit den im vorliegenden Verfahren maßgeblichen Flurstücken 138 und 139 nicht identische Flurstücke bezeichnet gewesen sein.
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c) Nicht durchgreifend ist die Rüge des Klägers, das Verwaltungsgericht habe das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 02.12.2005 – V ZR 11/05 – verkannt, wonach sich die Richtigkeitsvermutung des Grundbuchs auch auf den sich aus dem Liegenschaftskataster ergebenden Grenzverlauf erstrecke. Der Kläger meint, die Vermessung im Jahr 1946 sei auch dann Grundlage des Inhalts des Grundbuchs geworden, wenn die Grundstückseigentümer die Feststellung der neuen Grenzen nicht anerkannt hätten. Da hier zusätzlich ein positives Anerkenntnis der Grenzfeststellung aus dem Jahr 1946 vorliege, sei der Inhalt des Grundbuchs und damit seines Grundstücks einschließlich des Grenzverlaufs dadurch definiert. Hiermit verkennt er, dass sich die Grenzanerkennungsliste vom 08.10.1946 nicht auf die Grenze zwischen den (heutigen) Flurstücken 138 und 139 bzw. den damaligen Flurstücken 292/108 und 107 bezieht. Sie kann daher auch nicht den Inhalt des Grundbuchs und damit den Grenzverlauf seines Grundstücks definieren. Im Übrigen legt auch das Verwaltungsgericht den sich aus dem Liegenschaftskataster ergebenden Grenzverlauf seiner Entscheidung zu Grunde. Es entnimmt dem Liegenschaftskataster nur nicht den vom Kläger für richtig gehaltenen Grenzverlauf, sondern den vom Beklagten festgestellten.
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d) Ernstliche Zweifel ergeben sich entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht daraus, dass die vom Beklagten angeführten Maßangaben in der Skizze zur Niederschrift über den Grenztermin vom 17.12.2013 ein glattes Dezimalende haben, obwohl es bei einer GPS-Einmessung mit einer Genauigkeit von 1 cm und einer zulässigen Toleranz von 6 cm unwahrscheinlich sei, dass es keine Zentimeterwerte gebe. Hierzu hat der Beklagte nachvollziehbar erläutert, dass die Grenzlängen zwischen vermarkten Grenzpunkten in Sachsen-Anhalt im Regelfall nicht in der Niederschrift über den Grenztermin eingetragen würden. Es würden nur Abstandsmaße zu topografischen Gegebenheiten, wie z.B. Zäunen, angegeben, um die Auffindbarkeit aufgrund der skizzenhaften Gesamtdarstellung zu erleichtern und die Lage der Grenzpunkte für die Beteiligten zu verdeutlichen. Danach ist ohne weiteres verständlich, weshalb auf der vom Beklagten als Bestandteil der Niederschrift über den Grenztermin angefertigten Skizze keine Zentimetermaße enthalten sind. Die Entfernung zwischen den Grenzpunkten „1“ und „2“ wird hierin nicht angegeben. Soweit die Abstände zwischen dem Grenzzaun und der festgestellten Grundstücksgrenze im Bereich der südlichen Hausecke des Wohnhauses des Klägers mit 0,7 m und am südlichen Ende des Zauns mit 1,8 m angegeben werden, dient dies der groben Orientierung über den Verlauf der Grenze in der Örtlichkeit und lässt Rückschlüsse auf die Genauigkeit der Messung nicht zu.
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e) Nicht ohne Weiteres nachvollziehbar ist der Einwand des Klägers, da die Nord-Süd-Länge des Hauses D-Straße auf dem Flurstück 138 etwa 10 bis 11 Meter betrage und sich der Abstand zur Grenze um 40 cm verändere, könne der Abstand zur Grenze am ca. 30 bis 35 Meter entfernten Grenzpunkt „2“, der 3 x so weit entfernt sei, nicht 1,80 m betragen, sondern müsse rein rechnerisch 1,20 m groß sein. Der Beklagte hat hierzu mit Recht erwidert, dass die „Berechnung“ des südlichen Grenzpunktes durch den Kläger einer mathematisch nachvollziehbaren Grundlage entbehre. Das Maß von 1,80 m sei ausschließlich durch eine Messung und nicht durch eine „Berechnung“ ableitbar oder überprüfbar. Unabhängig davon habe ein Abstandsmaß zu einem Element, das nicht festgestellt werde, hier der Zaun, keine rechtliche Relevanz. Hiernach ergeben sich auch aus den in der Skizze zur Niederschrift über den Grenztermin angegebenen Abständen von Zaun und Grenze von 0,7 m und 1,8 m keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Grenzfeststellung bzw. des Urteils.
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f) Nicht durchgreifend ist der Einwand des Klägers, die Grenzfeststellung sei wegen eines Verfahrensfehlers, der sich auf das Ergebnis ausgewirkt haben könne, rechtswidrig. Der Beklagte habe im vorliegenden Grenzfeststellungsverfahren gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 VwVfG nicht tätig werden dürfen, da er außerhalb seiner amtlichen Eigenschaft in der Angelegenheit ein Gutachten abgegeben habe oder sonst tätig geworden sei. Der Beklagte habe, bevor die Beigeladene einen Antrag auf öffentlich-rechtliche Grenzfeststellung gestellt habe, im Auftrag der Beigeladenen als privatrechtlicher Vermessungsingenieur eine Grenzermittlung in Bezug auf die hier streitige Grundstücksgrenze durchgeführt. Da eine Grenzfeststellung von Wertungen und Interpretationen getragen sei, verbleibe dem Vermessungsingenieur ein Wertungsspielraum, so dass nicht auszuschließen sei, dass die Wertungen des Beklagten durch die vorhergehende zivilrechtliche Beauftragung durch die an der Grenzfeststellung beteiligten Grundstückseigentümer beeinflusst worden sei.
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Auch diese Rüge begründet keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils. Es kann offen bleiben, ob der Beklagte wegen seiner der Grenzfeststellung vorangegangenen Tätigkeit für die Beigeladene als privatrechtlicher Vermessungsingenieur gemäß § 1 Abs. 1 VwVfG LSA i.V.m. § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 VwVfG nicht hätte tätig werden dürfen, wofür allerdings einiges spricht. Es bedarf auch keiner Vertiefung, ob im Hinblick auf diesen Ausschlussgrund eine Obliegenheit zur unverzüglichen Rüge besteht, die der Kläger versäumt haben könnte (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 17. Aufl., § 20 RdNr. 57). Ein etwaiger Verfahrensfehler wäre jedenfalls gemäß § 46 VwVfG unbeachtlich. Der Mangel der Mitwirkung eines befangenen Amtsträgers ist unbeachtlich, wenn die Widerspruchsbehörde die verfahrensfehlerhaft zustande gekommene Ausgangsentscheidung nach einer Neubewertung des Sachverhalts im Ergebnis bestätigt und der mögliche Einfluss des befangenen Amtsträgers auf diese Widerspruchsentscheidung ausgeräumt ist. Ob die Widerspruchsbehörde Kenntnis vom Mangel der Ausgangsentscheidung hatte oder nicht, ist danach letztlich unerheblich. Maßgeblich ist allein, dass der befangene Amtsträger ohne Einfluss auf die nach einer Neubewertung des Sachverhalts getroffene Entscheidung der Widerspruchsbehörde geblieben ist und insoweit auch nicht der "böse Schein" einer Einflussnahme besteht (vgl. BVerwG, Beschl. v. 05.06.1992 – BVerwG 7 B 81.92 –, juris RdNr. 3). Nach diesen Grundsätzen wäre eine Tätigkeit des Beklagten trotz Vorliegens des Ausschlussgrundes des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 VwVfG unbeachtlich, da die Widerspruchsbehörde die Grenzfeststellung nach eigener Sachprüfung bestätigt hat, ohne dass der Beklagte hierauf Einfluss genommen hat. Das Landesamt für Vermessung und Geoinformation hat im Widerspruchsbescheid vom 20.01.2015 eine eigenständige Prüfung der Grenzermittlung vorgenommen und im Ergebnis die Heranziehung des Zahlennachweises vom 08.10.1867 als maßgebliche Grundlage durch den Beklagten bestätigt. Ohne Belang ist, dass die Widerspruchsbehörde die Einmessung nicht vor Ort noch einmal vorgenommen hat, denn streitig war im Widerspruchsverfahren nicht die Genauigkeit der durch den Beklagten vorgenommenen Messung, sondern die Heranziehung des Zahlennachweises aus dem Jahr 1867 anstatt der Liegenschaftskarte als maßgeblich.
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2. Die Berufung ist auch nicht wegen des vom Kläger geltend gemachten Verfahrensmangels (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) zuzulassen. Das Verwaltungsgericht hat durch den Verzicht auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Überprüfung der Messergebnisse des Beklagten nicht gegen den Amtsermittlungsgrundsatz des § 86 Abs. 1 VwGO verstoßen. Nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO erforscht das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen. Der Untersuchungsgrundsatz verpflichtet das Gericht, alle vernünftigerweise zu Gebote stehenden Aufklärungsmöglichkeiten bis zur Grenze der Zumutbarkeit zu nutzen; dies schließt eine Bindung an die im vorangegangenen Verwaltungsverfahren ermittelten tatsächlichen Feststellungen grundsätzlich aus. Das Gericht muss daher alle Aufklärungsbemühungen unternehmen, auf die die Beteiligten – insbesondere durch begründete Beweisanträge – hinwirken oder die sich hiervon unabhängig aufdrängen. Eine weitere Sachverhaltsaufklärung drängt sich auch ohne ausdrücklichen Beweisantrag dann auf, wenn das Gericht auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung Anlass zu weiterer Aufklärung sehen muss, wenn also die bisherigen Tatsachenfeststellungen eine Entscheidung noch nicht sicher tragen. Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn ein Verfahrensbeteiligter gegen das bisherige Ergebnis der Beweisaufnahme begründete Einwände erhebt (vgl. BVerwG, Urt. v. 28.07.2011 – BVerwG 2 C 28.10 –, juris RdNr. 24 ff.; Beschl. d. Senats v. 15.09.2017 – 2 L 23/16 – juris RdNr. 18).
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Nach diesen Grundsätzen konnte das Verwaltungsgericht von der Einholung eines Sachverständigengutachtens absehen. Der Kläger hat keinen Beweisantrag gestellt. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens drängte sich auch nicht auf. Begründete Einwände gegen die Grenzermittlung durch den Beklagten hat der Kläger nicht erhoben. Soweit er gegen die Plausibilität des vom Beklagten gefundenen Ergebnisses einwendet, dass dieser Grenzpunkte, die sich eindeutig aus der Liegenschaftskarte ergäben, bei der Einmessung der Grenze nicht berücksichtigt, die Grenzanerkennungsliste aus dem Jahr 1946 unberücksichtigt gelassen, Messergebnisse im Dezimeterbereich und nicht im Zentimeterbereich angegeben sowie einen Grenzabstand von 1,80 m und nicht von 1,20 m ermittelt habe, stellt dies, wie bei der Prüfung ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bereits begründet, die Richtigkeit der Grenzfeststellung nicht in Frage.
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3. Die weiteren, vom Kläger mit Schriftsatz vom 15.12.2016 vorgebrachten Gesichtspunkte sind im vorliegenden Verfahren nicht (mehr) zu berücksichtigen. Nach § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO sind innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Dies bedeutet, dass nach Fristablauf eingereichter Vortrag unbeachtlich ist. Etwas anderes gilt nur dann, wenn es sich lediglich um eine Erläuterung oder Verdeutlichung der fristgerecht dargelegten Zulassungsgründe handelt. Mit den Begriffen "Erläuterung" und "Verdeutlichung" wird vorausgesetzt, dass die Umstände, die Gegenstand einer Erläuterung oder Verdeutlichung sein sollen, schon in dem vorhergehenden (fristgerechten) Vorbringen zumindest in den wesentlichen Grundzügen und in einer solchen Weise Erwähnung gefunden haben, dass das nachträgliche Vorbringen sich nicht als eine Erweiterung des Vorbringens darstellt. Der Vortrag neuer, selbstständiger Zulassungsgründe nach Ablauf der Frist – und seien es auch nur weitere als die bereits dargelegten Gründe für ernstliche Zweifel – ist damit ausgeschlossen (vgl. OVG NW, Beschl. v. 29.09.2017 – 6 A 1660/17 –, juris RdNr. 4 ff.; Rudisile, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 124a RdNr. 116). Nach diesen Grundsätzen muss der im Schriftsatz vom 15.12.2016 enthaltene neue Vortrag des Klägers unberücksichtigt bleiben, denn dieser ist erst nach Ablauf der Frist zur Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung beim Oberverwaltungsgericht eingegangen. Die Begründungsfrist beträgt gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO zwei Monate und beginnt mit der Zustellung des erstinstanzlichen Urteils. Dieses ist dem Kläger am 09.03.2016 zugestellt worden, so dass die Frist mit Ablauf des 09.05.2016 ablief. Der erst am 15.12.2016 bei dem Oberverwaltungsgericht eingegangene Schriftsatz wahrt diese Frist nicht. Die hierin vorgebrachten Gesichtspunkte sind auch nicht bereits in dem fristgerecht eingegangenen Schriftsatz vom 09.05.2016 angesprochen worden.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 2 GKG.
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Referenzen
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- V ZR 11/05 1x (nicht zugeordnet)
- 2 L 23/16 1x (nicht zugeordnet)
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