Beschluss vom Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken (3. Zivilsenat) - 3 W 195/08

I. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Landgerichts Frankenthal vom 26. September 2008 aufgehoben und festgestellt, dass die Verwendung von Verkehrsdaten der Antragsgegnerin zur Auskunft über die Namen und Adressen derjenigen Anschlussinhaber, denen die aus der Anlage A 1 zur Antragsschrift vom 15. September 2008 ersichtlichen IP–Adressen zu den darin genannten Zeitpunkten zugeordnet waren, zulässig ist.

II. Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 4 000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Antragstellerin ist ein in Österreich ansässiges Unternehmen. Bei der Antragsgegnerin handelt es sich um einen Internet–Provider.

2

Die Antragstellerin macht geltend, die Verwertungsrechte an dem seit Jahren auf dem Markt erhältlichen Computerprogramm „...“ vom Hersteller, einer A. GmbH & Co.KG, erworben zu haben bzw. von diesem Hersteller zur Geltendmachung von Unterlassungs- und Auskunftsansprüchen ermächtigt worden zu sein. Das Unternehmen E., F. und K. GbR hat im Auftrag der Antragstellerin festgestellt, dass am 12. September 2008 verschiedene Internetnutzer unter im Einzelnen in einem vorgelegten Protokoll dieser GbR vom 15. September 2008 (Bl. 16 d.A.) angeführten, über die Antragsgegnerin als Provider zur Verfügung gestellten IP–Adressen eine als „A.“ bezeichnete Datei über eine sogenannte Tauschbörse anderen Nutzern zum Herunterladen angeboten und damit öffentlich zugänglich gemacht zu haben. Die angebotene Software ist seit 2002 auf dem Markt erhältlich und hat in der aktuellen Verkaufsversion einen Marktwert von über 400,- Euro. Die herunter geladene Version stammt aus dem Jahr 2004.

3

Die Antragstellerin hat erstinstanzlich beantragt, festzustellen, dass die Verwendung von Verkehrsdaten der Antragsgegnerin zur Auskunft über die Namen und Adressen derjenigen Anschlussinhaber, den die aus der Anlage A 1 ersichtlichen IP–Adressen zu den darin genannten Zeitpunkten zugeordnet waren, zulässig ist.

4

Das Landgericht hat den Antrag mit Beschluss vom 26. September 2008 als unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, es lägen keine Anhaltspunkte für eine urheberrechtliche Verletzung in „gewerblichem Ausmaß“ vor.

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Gegen diesen Beschluss hat die Antragstellerin „sofortige Beschwerde“ eingelegt, mit der sie begehrt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und entsprechend ihrem erstinstanzlichen Antrag zu entscheiden.

II.

6

1. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist in verfahrensrechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden (§ 101 Abs. 9 Satz 6 UrhG, § 22 FGG).

7

Die sofortige Beschwerde ist auch begründet.

8

Die Entscheidung des Landgerichts beruht auf einer Verletzung des Rechts (§§ 27 FGG, 546 ZPO).

9

Zutreffend ist das Landgericht von der Statthaftigkeit des Antrags nach § 101 Abs. 9 UrhG ausgegangen. Bei den zur Ermittlung von Namen und Anschriften der jeweiligen Internetnutzer notwendigen dynamischen IP–Adressen handelt es sich um Verkehrsdaten im Sinne des § 101 Abs. 9 Satz 1 UrhG. Nach § 3 Nr. 30 TKG sind Verkehrsdaten solche Daten, die bei der Erbringung eines Telekommunikationsdienstes erhoben, verarbeitet oder genutzt werden. Der Name des Nutzers und seine Anschrift sowie die Tarifoption sind daher Bestandsdaten. Die dynamischen IP-Adressen werden bei der Erbringung der Telekommunikationsleistungen genutzt und sind damit Verkehrsdaten. Diese Verkehrsdaten dürfen nur mit richterlicher Anordnung erhoben werden. Durch die Namensauskunft werden die IP-Adresse mit einer Person und diese somit mit einem konkreten Nutzungsvorgang und -zeitpunkt verknüpft. Die Zuordnung zur dynamischen IP-Adresse ist eine Verwendung der IP-Adresse, durch die Umstände eines Telekommunikationsvorgangs berührt und offenbart werden (vgl. Senat, GRUR-RR 2009, 12 f = MMR 2009, 43 ff = ZUM-RD 2008, 605 ff; Begr. z. RegE, BT-Drs. 16/5048, S. 59 zu § 101 Abs. 2 UrhG; Kitz, NJW 2008, 2374, 2376; Hoeren, NJW 2008, 3099, 3100; LG Darmstadt, K&R 2006, 290 ff = MMR 2006, 330 ff = GRUR-RR 2006, 173, 174; a.A. LG Offenburg, Beschluss vom 17. April 2008 – 3 Qs 83/07).

10

Aufgrund der Glaubhaftmachung der Antragstellerin durch Vorlage des Vertragszusatzes vom 23. März 2008 (Anlage K 5, Bl. 14 d.A.) ist auch davon auszugehen, dass diese Inhaberin der Urheberrechte an der in Rede stehenden Software ist.

11

Der Anordnung steht nicht entgegen, dass die IP–Adressen möglicherweise Internet–Anschlüssen zugeordnet waren, deren Inhaber nicht Selbststörer im Sinne des Urheberrechts sind.

12

Diese Möglichkeit besteht zunächst im Hinblick auf öffentlich zugängliche Internetanschlüsse. Das Gesetz setzt allerdings lediglich voraus, dass eine offensichtliche Rechtsverletzung vorliegt, und nicht auch, dass diese Rechtsverletzung offensichtlich von einer bestimmten Person begangen worden ist. Das Anliegen des Gesetzgebers würde leerlaufen, wenn die Gestattung der Auskunft aufgrund dieser Möglichkeit, die nie auszuschließen ist, solange die Auskunft nicht erteilt ist, abzulehnen wäre. Schließlich ergeben sich hieraus auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken im Hinblick auf das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Person, der diese IP–Adresse zugeordnet war. Denn zum einen ist der Eingriff in die geschützten Rechte durch die Mitteilung der IP–Adresse, die zu einem bestimmten Zeitpunkt einem Anschlussinhaber zugewiesen war, gering. Weil diese Adresse dem Anschlussinhaber dynamisch zugewiesen worden ist, sind die Verwendungsmöglichkeiten für diese Information beschränkt. Zum anderen macht derjenige, der seinen Anschluss der Öffentlichkeit zugänglich macht, auch die ihm für diesen Zeitraum zugewiesene IP–Adresse öffentlich, so dass sein Schutzbedürfnis ohnehin nicht erheblich ist (vgl. hierzu OLG Köln, Beschluss vom 21. Oktober 2008, Az. 6 Wx 2/08).

13

Auch die Möglichkeit der unbefugten Benutzung eines (nicht öffentlich zugänglichen) Internetanschlusses durch den Rechtsverletzer steht der Anordnung nicht entgegen. Auch in diesem Fall ist der Anschlussinhaber zwar möglicherweise nicht Störer im Sinne des Urheberrechts. Auch hier gilt, dass der gesetzliche Zweck, die Verfolgung von Rechtsverletzungen zu ermöglichen, nicht erreicht würde, wenn bereits in diesem Verfahrensstadium geprüft werden müsste, ob der bislang unbekannte Anschlussinhaber selbst für die Rechtsverletzung verantwortlich ist. Dieses Anliegen des Gesetzgebers, das dem Bedürfnis nach einer effektiven Verfolgung der massenhaft begangenen, auch strafrechtlich relevanten Rechtsverletzungen Rechnung trägt, die durch die hierzu zuförderst berufenen Strafverfolgungsbehörden nicht mehr gewährleistet werden kann, rechtfertigt es, dass in Ausnahmefällen ein Anschlussinhaber in Anspruch genommen wird, der nicht Störer im Sinne des Urheberrechts ist. Auch insofern ist zu bedenken, dass für die von der Antragstellerin begehrten Daten i.V.m. der zugeteilten IP–Adresse, nur wenige Verwendungsmöglichkeiten bestehen und diese Adresse keinen Einblick in die persönlichen Verhältnisse des Anschlussinhabers erlaubt. Dass der Anschlussinhaber sich in einem solchen Fall gegen eine unberechtigte Inanspruchnahme wegen einer Rechtsverletzung zur Wehr setzen muss, ist seinem Verantwortungsbereich zuzurechnen. Es ist daher gerechtfertigt, dass sein Interesse, gegen diese Inanspruchnahme geschützt zu werden, hinter das Interesse des Rechtsinhabers an einer effektiven Rechtsverfolgung zurücktreten muss.

14

Die Rechtsverletzung ist in einem "gewerblichen Ausmaß" erfolgt.

15

Auch der Drittauskunftsanspruch setzt neben der Erbringung der Dienstleistung in „gewerblichem Ausmaß“ durch den Dritten voraus, dass die Rechtsverletzung selbst in „gewerblichem Ausmaß“ begangen worden ist. Dies belegen die Gesetzgebungsmaterialien. Bereits im Erwägungsgrund (14) der Richtlinie 2004/48/EG vom 29. April 2004 wird auf dieses Erfordernis hingewiesen. Auch wenn der Wortlaut des § 101 Abs. 2 UrhG grundsätzlich beide Auslegungen zulässt, wurde in dem Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 20. April 2007 (BT–Drucksache 16, 5048; S. 49) ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Drittauskunftsanspruch seine Verletzungshandlung in „gewerblichem Ausmaß“ voraussetze (so auch Senat, a.a.O.; Landgericht Frankfurt, Beschluss vom 18. September 2008, Az. 2–060534/06).

16

Das Merkmal „gewerbliches Ausmaß“ unterscheidet sich vom bisher nach § 101 a UrhG a. F. erforderlichen Handeln im geschäftlichen Verkehr (vgl. hierzu Kitz aaO, S. 2375 m.w.N.). Der Gesetzgeber hat diesen Begriff wortwörtlich aus Art. 8 Abs. 1 lit. c) der Richtlinie 2004/48/EG entnommen. Der Begriff findet weder in der Richtlinie noch in der Gesetzesbegründung eine nähere Präzisierung, obwohl das Problem im Gesetzgebungsverfahren bekannt und heftig umstritten war (vgl. hierzu Braun, juris PR-ITR 17/2008). Im Erwägungsgrund (14) der Richtlinie wird der Begriff im Zusammenhang mit den vorgenommenen Rechtsverletzungen durch den unmittelbaren Verletzer näher erläutert. Demnach zeichnen sich in "gewerblichem Ausmaß" vorgenommene Rechtsverletzungen dadurch aus, dass sie zwecks Erlangung eines unmittelbaren oder mittelbaren wirtschaftlichen oder kommerziellen Vorteils vorgenommen werden. In Anlehnung an den Erwägungsgrund (14) der Richtlinie 2004/48/EG geht die Begründung davon aus, dass Handlungen, die in gutem Glauben von Endverbrauchern vorgenommen werden, hiernach in der Regel nicht erfasst werden. Der Begriff des "gewerblichen Ausmaßes" ist deshalb einschränkend dahin auszulegen, dass eine Rechtsverletzung von erheblicher Qualität vorliegen muss. Durch diese Einschränkung ist zumindest klargestellt, dass bei illegalen Kopien und Verbreitungen im Internet (z.B. über Tauschbörsen) ein Umfang erreicht werden muss, der über das hinausgeht, was einer Nutzung zum privaten oder sonstigen eigenen Gebrauch entsprechen würde. Entgegen der Empfehlung des Bundesrates (BT-Drs. 16/5048, S. 59/60) hat der Gesetzgeber deshalb gerade nicht auf das einschränkende Merkmal verzichtet. Angesichts der häufig unklaren Urheberrechtslage im Internet, in dem sich auch eine Vielzahl nicht geschützter Werke (z.B. Computerspiele, Musikstücke und andere Software) befinden, wäre sonst zu befürchten, dass gutgläubige Nutzer sich dem Generalverdacht einer strafbaren Handlung ausgesetzt sähen oder zu Unrecht mit erheblichen finanziellen Schadenersatzforderungen von Rechtsinhabern bedroht würden.

17

Für den Fall der Rechtsverletzung stellt § 101 Abs. 1 S. 2 UrhG klar, dass für das Merkmal des "gewerblichen Ausmaßes" nicht nur die Anzahl der Rechtsverletzungen entscheidend sein soll, sondern auch die Schwere der Rechtsverletzungen das Vorliegen eines „gewerblichen Ausmaßes“ begründen kann. Letzteres könne nach der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses des Bundestages vom 9. April 2008 (BT-Drs. 16, 8783, S. 50) insbesondere dann der Fall sein, wenn etwa ein vollständiges Musikalbum vor oder unmittelbar nach der Veröffentlichung in Deutschland dem Internet zugänglich gemacht würde.

18

Das Landgericht hat unter Beachtung dieser Grundsätze zu Unrecht das Merkmal des „gewerblichen Ausmaßes“ verneint. Zwar hat die Antragstellerin keine große Anzahl der „Down“– und „Uploads“ behauptet. Ein einmaliges Herunter– und/oder Hochladen von Dateien kann für sich alleine kein „gewerbliches Ausmaß“ begründen, und zwar auch dann nicht, wenn dies in einer Internettauschbörse geschieht (vgl. Senat, a.a.O.). Vorliegend reicht aber die Schwere der Rechtsverletzung aus, um ein „gewerbliches Ausmaß“ anzunehmen. Die Software hat nach dem unstreitigen Vortrag der Beteiligten jedenfalls in der aktuellen Verkaufsversion einen erheblichen Marktwert in Höhe von über 400,00 € und wird, was ebenfalls unstreitig ist, durch die Antragstellerin massenhaft vertrieben. Daraus ist zu schließen, dass es sich um ein am Markt gut positioniertes Produkt handelt, was die Annahme eines „gewerblichen Ausmaßes“ ohne weiteres rechtfertigt. Der Senat geht unter Berücksichtigung des Wertes der aktuellen Verkaufsversion davon aus, dass der Wert der herunter geladenen Software immer noch deutlich über dem Wert des in der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses des Bundestages angegebenen Beispiels liegt. Denn es handelt sich um eine besonders umfangreiche Datei, die in der aktuellen Version den vielfachen Wert eines als Anhaltspunkt in der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses des Bundestages angegebenen Musikalbums hat, weshalb die Tatsachen, dass die Software bereits seit 2002 erhältlich ist und die herunter geladene Version aus dem Jahr 2004 stammt, der Annahme einer schweren Rechtsverletzung hier nicht entgegen stehen.

19

2. Für die Auferlegung der außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin auf die Antragsgegnerin liegen die Voraussetzungen gem. § 13 a Abs. 1 Satz 2 FGG nicht vor.

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3. Den Gegenstandswert hat der Senat auf der Grundlage des § 23 Abs. 3 RVG bestimmt.

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