Beschluss vom Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken (1. Strafsenat) - 1 OLG 2 Ss 1/18


Tenor

Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil der 5. Kleinen Strafkammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 10. Oktober 2017 mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Kleine Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

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Das Amtsgericht - Strafrichter - Bad Dürkheim hat die Angeklagte am 30. Mai 2016 wegen Diebstahls „im besonders schweren Fall“ in Tateinheit mit veruntreuender Unterschlagung und unerlaubten sich Verschaffens von Betäubungsmitteln zu einer Geldstrafe von 140 Tagessätzen zu je 50,-- EUR verurteilt. Die Berufung der Angeklagten hat das Landgericht mit Urteil vom 10. Oktober 2017 mit der Maßgabe verworfen, dass die Angeklagte unter Einbeziehung „der Verurteilung durch das Amtsgericht Ludwigshafen vom 6. Juni 2017“ zu einer Gesamtgeldstrafe von 160 Tagessätzen zu je 50,-- EUR verurteilt worden ist.

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Die hiergegen gerichteten Revision der Angeklagten ist begründet und führt auf die Sachrüge zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidung.

I.

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Nach den Feststellungen des Landgerichts trat die Angeklagte am Abend des 3. Juli 2015 ihre Nachtschicht als Altenpflegerin in einem Alten- und Pflegeheim in Bad Dürkheim an. Zu Dienstbeginn händigte ihr die Pflegefachkraft der Vorgängerschicht einen Schlüsselbund aus, an dem sich unter anderem der Schlüssel für einen im Stationszimmer befindlichen Tresor befand, in welchem unter das Betäubungsmittelgesetz fallende Medikamente aufbewahrt wurden. Wurde ein solches Medikament dem Tresor entnommen und aufgrund ärztlicher Verordnung einem Bewohner ausgehändigt, hatte die Pflegekraft dies am Ende ihrer Schicht unter Verwendung eines Namenskürzels in einer Liste zu dokumentieren; der Medikamentenbestand wurde in regelmäßigen Abständen kontrolliert und mit den Einträgen der Liste abgeglichen. Der Angeklagten war verboten, den Schlüssel dritten Personen, etwa den eingesetzten Pflegehelfern, auszuhändigen, da die Ausgabe von Medikamenten und/oder Betäubungsmitteln allein ihr als einzig für die Schicht zuständige examinierte Fachkraft oblag. Ein weiterer Schlüssel zu dem Tresor existierte nach den Feststellungen des Landgerichts nicht.

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Im Verlaufe ihrer von 22:00 Uhr bis 06:00 Uhr des Folgetages andauernden Schicht öffnete die Angeklagte mit dem ihr übergebenen Schlüssel den Tresor und entnahm diesem einen Blister mit 10 Tabletten des Medikaments Oxycodon (Betäubungsmittel i.S.d. Anlage III zum BtMG), um dieses für sich zu behalten. Den betreffenden Schlüssel „nahm die Angeklagte an sich, um ihn für sich zu behalten“ und auf diese Weise dafür zu sorgen, dass er nicht mehr an die Berechtigten zurückgelangte (UA S. 5). In den frühen Morgenstunden des 4. Juli 2015, „irgendwann nach 04:30 Uhr“ äußerte die Angeklagte gegenüber den Pflegehelfern S. und W., sie habe den Schlüsselbund mit dem Tresorschlüssel verloren. Dieser blieb dauerhaft verschwunden, weshalb der Tresor am darauffolgenden Montag vom Hausmeister aufgeflext werden musste.

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Das Landgericht hat hinsichtlich des Tablettenblisters die Voraussetzungen der §§ 242, 243 Abs. 1 Nr. 2 StGB bejaht. Zwar habe die Angeklagte als examinierte Fachkraft der Nachtschicht den Schlüssel berechtigt in ihrem Besitz gehabt. Die Entnahme von Betäubungsmitteln für eigene Zwecke sei ihr jedoch nicht erlaubt gewesen. Die Strafkammer war ferner der Auffassung, dass die Angeklagte hinsichtlich des Schlüsselbundes die „Voraussetzungen einer Zueignung im Sinne des § 246 Abs. 1 StGB“ erfüllt habe, weil sie diesen bewusst und gewollt sowie dauerhaft nicht mehr an den Eigentümer zurückgereicht habe.

II.

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Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung nicht stand.

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1. Der Schuldspruch wegen eines Diebstahls an den Tabletten hat bereits deshalb keinen Bestand, weil das Landgericht die tatsächlichen Voraussetzungen einer Wegnahme i.S.d. § 242 StGB nicht hinreichend belegt hat.

8

a) In Arbeits- bzw. Dienstverhältnissen hat zwar der Arbeitnehmer bzw. Dienstverpflichtete in der Regel nur Mitgewahrsam an den ihm überlassenen Arbeitsmitteln oder Waren inne, da er diesbezüglichen arbeitsrechtlichen Weisungen unterliegt (Vogel in LK-StGB, 12. Aufl., § 242 Rn. 79). Anderes gilt aber dann, wenn der Dienstverpflichtete einen Bestand selbstständig zu verwalten und dessen Inhalt eigenverantwortlich abzurechnen hat, etwa als Kassierer in einem Supermarkt hinsichtlich des Kasseninhalts (BGH, Urteil vom 07.11.2000 - 1 StR 377/00 und Beschluss vom 03.04.2001 - 1 StR 45/01, jew. zit. n. juris). Das generelle Kontroll- und Weisungsrecht des Dienstherrn gegenüber seinem Bediensteten begründet in einem solchen Fall nicht ohne weiteres den Mitgewahrsam des Dienstherrn (Kretschmer in: Leipold/Tsambikakis/Zöller, Anwaltkommentar StGB, 2. Aufl. 2015, § 242 Rn. 26). Denn dieser kann und darf nicht ohne die Mitwirkung des für den Bestand verantwortlichen Angestellten auf die im Bestand befindlichen Gegenstände zugreifen (Schmitz in MünchKomm-StGB, 3. Aufl. § 242 Rn. 79). Auch derjenige, der eine Sache in Verwahrung gibt und - etwa mangels eines Schlüssels - keinen Zugang zum Verwahrungsgut mehr hat, verliert seinen (Mit-)Gewahrsam an dem Verwahrgut (Vogel aaO. Rn. 81 m.w.N.). Nimmt der Verwahrer das Verwahrgut daher unrechtmäßig an sich, liegt regelmäßig lediglich Unterschlagung und nicht Diebstahl vor.

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b) Nach diesen Maßstäben kann aufgrund der getroffenen Feststellungen nicht ausgeschlossen werden, dass die Angeklagte im Zeitpunkt des Zugriffs auf die Tabletten Alleingewahrsam an diesen hatte und folglich (lediglich) eine Unterschlagung (§ 246 StGB) begangen hat. Die Feststellungen des Landgerichts verdeutlichen nicht, worin es einen Mitgewahrsam der Bewohner, denen das Medikament verordnet worden war und die dieses in die Verwahrung des Pflegeheims gegeben haben, und/oder der der Angeklagten dienstrechtlich vorgesetzten Personen gesehen hat. Angesichts dessen, dass sich die Angeklagte berechtigt im Besitz des (einzigen) Tresorschlüssels befunden hat und Änderungen im Bestand des Tresorinhalts von ihr zu dokumentieren gewesen wären, versteht sich auch nicht von selbst, dass die Angeklagte den Gewahrsam einer anderen Person gebrochen hat. Weil nicht auszuschließen ist, dass entsprechende Feststellungen noch getroffen werden können, bedarf die Sache deshalb erneuter Verhandlung und Entscheidung.

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c) Rechtlichen Bedenken begegnet zudem die Annahme des Landgerichts, die Angeklagte habe das Regelbeispiel des § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 StGB verwirklicht.

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Wer ein verschlossenes Behältnis mit einem (echten) Schlüssel öffnet, den er vom Berechtigten zum Zwecke der Verwendung erhalten und daher befugt in Besitz hat, kann zwar seine Befugnis missbrauchen, „überwindet“ jedoch keine besondere Sicherung gegen Wegnahme (vgl. BGH, Beschluss vom 05.08.2010 - 2 StR 385/10, NJW 2010, 3175; OLG Hamm, Urteil vom 23.09.1981 - 7 Ss 1030/81, NJW 1982, 777; Vogel aaO. § 243 Rn. 32; s.a.: OLG Karlsruhe, Beschluss vom 22.07.2009 - 1 Ss 177/08, NStZ-RR 2010, 48). Der neu zur Entscheidung berufene Tatrichter wird aber ggfs. zu prüfen haben, ob ein unbenannter besonders schwerer Fall (§ 243 Abs. 1 S. 1 StGB) vorliegt.

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2. Das Urteil begegnet auch dahingehend durchgreifenden rechtlichen Bedenken soweit das Landgericht eine Unterschlagung an dem Tresorschlüssel angenommen hat.

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a) Tathandlung der Unterschlagung ist, dass der Täter eine für ihn fremde bewegliche Sache sich oder einem Dritten zueignet, wofür nach ständiger Rechtsprechung (vgl. BGH, Beschluss vom 07.12.1959 - GSSt 1/59, BGHSt 14, 38, 41; Fischer, StGB, 65. Aufl. § 246 Rn. 6a) eine nach außen erkennbar gewordene Manifestation des Zueignungswillens erforderlich ist. Das schlichte Behalten einer überlassenen Sache über den Zeitpunkt des Behaltendürfens hinaus, genügt in der Regel nicht zur Annahme einer Unterschlagung; denn bloßes Unterlassen der geschuldeten Rückgabe kann nicht als Manifestation des Zueignungswillens angesehen werden (Senat, Beschluss vom 21.08.2009 - 1 Ss 57/09, juris Rn. 31). Wie beim Diebstahl (§ 242 StGB) muss der Vorsatz des Täters sich nicht nur auf eine Enteignung des Berechtigten erstrecken. Er muss - quasi spiegelbildlich hierzu - vielmehr auch auf eine (Dritt-)Aneignung gerichtet sein. Der Täter muss den Willen haben, die Sache der Substanz oder dem Sachwert nach dem eigenen Vermögen (bzw. dem eines Dritte) “einzuverleiben”, sie - wenn auch nur für begrenzte Zeit - seinem Sach- oder Substanzwert nach “für sich auszunutzen“ (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 09.01.1987 - 5 Ss 414/86, NJW 1987, 2526). Daher erfüllt eine bloße Preisgabe, Beschädigung oder Zerstörung einer Sache den Begriff der Zueignung i.S.v. § 246 StGB im Regelfall nicht (Vogel aaO. § 246 Rn. 20; Hohmann in MünchKomm-StGB, 3. Aufl., § 246 Rn. 23). Wer eine ihm überlassene Sache lediglich dem Eigentümer entziehen will, etwa indem er sie zerstört, handelt ohne Aneignungswillen (OLG Düsseldorf aaO.). Gleiches gilt für denjenigen, der eine ihm überlassene Sache wegwirft, um sie so auf Dauer dem Zugriff des Eigentümers zu entziehen.

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b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat das Landgericht seine Annahme, die Angeklagte habe den Schlüssel an sich genommen, „um ihn für sich zu behalten“ (UA S. 5) nicht tragfähig begründet. Allein der Verweis auf das Motiv der Angeklagten, dafür Sorge tragen zu wollen, dass dieser nicht mehr an „die Berechtigten zurückgelangte“, genügt dafür nicht. Denn dadurch wird lediglich der Wille zur Enteignung des Berechtigten dokumentiert; ein Grund, weshalb es der Angeklagten zugleich auf eine Aneignung des Schlüssels angekommen sein soll, ergibt sich daraus nicht ohne weiteres. Denn ein Zurückgelangen des Schlüssels hätte die Angeklagte auch dadurch verhindern können, dass sie sich dessen entäußert, etwa indem sie ihn wegwirft.

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c) Zwar kommt in Betracht, dass der Wille zur Aneignung in der den Interessen des Berechtigten zuwiderlaufenden Verwendung des Schlüssels seinen Ausdruck gefunden hat. Dass die Angeklagte zu diesem Zeitpunkt aber bereits den Willen gefasst hatte, den Schlüssel anschließend nicht mehr an den Berechtigten zurückzugeben, kann den Urteilsgründen auch in ihrer Gesamtheit nicht eindeutig entnommen werden. Entsprechende Ausführungen waren angesichts der Feststellungen des Landgerichts zu den zeitlichen Abläufen - zwischen der Entwendung der Tabletten (spätestens 01:00 Uhr) und der Äußerung der Angeklagten, sie habe den Schlüsselbund verloren - lagen ca. dreieinhalb Stunden, jedoch nicht entbehrlich. Es ist nicht ohne weiteres auszuschließen, dass die Angeklagte einen diesbezüglichen Entreicherungswillen erst nach der Verwendung des Schlüssels gefasst hat. Dies stünde einer Zueignung i.S.v. § 246 StGB entgegen.

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d) Mit Blick auf die Schwierigkeiten die mit einer weiteren Sachaufklärung verbunden sein werden, kann sich hinsichtlich dieses Vorwurfs eine Verfahrensweise nach § 154a Abs. 1 und 2 StPO anbieten.

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