Beschluss vom Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken (2. Strafsenat) - 2 Ausl A 19/18, 2 Ausl A 19/18 - 1 AR 14/18 A

Tenor

1. Gegen den Verfolgten wird zum Zwecke der Auslieferung an die Niederlande zur Strafvollstreckung die Auslieferungshaft angeordnet.

2. Der nächste Haftprüfungstermin findet am 3. August 2018 statt.

Gründe

1

Die Anordnung der Auslieferungshaft beruht auf § 15 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 IRG.

1.

2

Das Pfälzische Oberlandesgericht Zweibrücken ist für die Entscheidung gem. § 13 Abs. 1 Satz 1 IRG sachlich und gem. § 14 Abs. 1 IRG örtlich zuständig. Der Verfolgte wurde in Ludwigshafen am Rhein zum Zwecke der Auslieferung ergriffen.

2.

3

Die Auslieferung des Verfolgten erscheint nicht von vornherein unzulässig.

4

Gegen den Verfolgten hat die Staatsanwaltschaft in Zwolle am 2. März 2018 einen Europäischen Haftbefehl erlassen (Az. 18-930214-16). Dem Europäischen Haftbefehl liegt das Urteil des Gerichts der Nördlichen Niederlande vom 16. November 2017 (Az. 18-930214-16) zugrunde. Der Verfolgte ist wegen Diebstählen zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt worden, von der er noch 165 Tage zu verbüßen hat. Das rechtskräftige Urteil beruht auf einer am 2. November 2016 in Abwesenheit des Verfolgten durchgeführten Hauptverhandlung. In dem Urteil sind folgende Feststellungen getroffen worden:

5

Der Verfolgte entwendete am 11. oder am 12. Juli 2016 mit Komplizen in M. aus zwei Scheunen Gartengeräte und Werkzeuge, wobei an der einen Scheune ein Türpfosten beschädigt und an der anderen das Torschloss mittels eines Schraubenziehers aufgebrochen wurden, um sie betreten zu können. Im Zeitraum vom 18. bis zum 20. Juli 2016 entwendete er in V. von einem Grundstück und aus zwei Scheunen mit Komplizen erneut Werkzeuge und Wäsche, wobei die Tore der Scheunen aufgebrochen wurden.

6

Die Taten sind nach Art. 311 Abs. 3 Nr. 4 und Nr. 5 des niederländischen Strafgesetzbuchs mit Strafe bedroht.

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Der Europäischen Haftbefehl enthält die gem. § 83a Abs. 1 IRG erforderlichen Angaben.

8

Die Auslieferung zur Strafvollstreckung ist gem. §§ 3, 81 Nr. 2 IRG zulässig. Die insoweit maßgebliche ausgesprochene Freiheitsstrafe beträgt 6 Monate. Nach deutschem Recht wären die Taten ebenfalls als Diebstahl gem. §§ 242 Abs. 1, 243 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 StGB strafbar. Es ist davon auszugehen, dass die Vollstreckung noch nicht verjährt ist.

9

Die Zulässigkeit der Auslieferung lässt sich derzeit allerdings noch nicht abschließend beurteilen. Ob - wie von der Staatsanwaltschaft in Zwolle angenommen - die Voraussetzungen des Artikel 4a Absatz 1 Buchstabe b Rb EuHb (neu), der durch § 83 Abs. 2 Nr. 3 IRG in deutsches Recht umgesetzt worden ist, vorliegen, ist dem Europäischen Haftbefehl nicht sicher zu entnehmen.

10

Nach § 83 Abs. 2 Nr. 3 IRG ist das ausländische Abwesenheitsurteil anzuerkennen, wenn ein Verteidiger die angeklagte Person auf deren Anweisung in der Verhandlung allein vertreten hat. Entscheidend ist, dass der Rechtsbeistand mit dem Wissen und dem Willen der angeklagten Person den Verhandlungstermin wahrgenommen und sie verteidigt hat. Durch die Einführung des Erfordernisses, dass die angeklagte Person dem Rechtsbeistand in Kenntnis der anberaumten Verhandlung ein Mandat erteilt bzw. ihn bevollmächtigt hat, wird sichergestellt, dass die betroffene Person sich bewusst dazu entschieden haben muss, in der konkreten Verhandlungssituation vor Gericht von einem Rechtsbeistand vertreten zu werden, statt persönlich zu der konkreten Verhandlung zu erscheinen. Das Erfordernis folgt der Rechtsprechung des EGMR, wonach der Person trotz ihrer Abwesenheit das Recht auf Beistand eines Verteidigers zusteht und sie selbst bei Vertretung durch einen Rechtsbeistand Ort und Termin der Verhandlung kennen muss. Der durch die vorgeschriebene Erteilung eines Mandats notwendige Kontakt und dadurch ermöglichte Informationsaustausch zwischen der betroffenen Person und dem Rechtsbeistand gewährleistet eine wirksame Verteidigung der betroffenen Person (BT-Drs. 18/3562, S. 81 f.).

11

Art. 279 Abs. 1 Satz 1 der Niederländischen Strafprozessordnung bestimmt, dass der Angeklagte, der nicht erschienen ist, sich während der Hauptverhandlung von einem Rechtsanwalt verteidigen lassen kann, der erklärt, dazu ausdrücklich bevollmächtigt worden zu sein.

12

Aus dem Europäischen Haftbefehl ergibt sich dazu Folgendes: Die Vorladung zu der Hauptverhandlung vom 2. November 2017 ist dem Verfolgten mit rumänischer Übersetzung an seine dort bekannte rumänische Adresse geschickt worden. In der Hauptverhandlung war der Rechtsbeistand des Verfolgten anwesend und erklärte, von dem Verfolgten ausdrücklich bevollmächtigt worden zu sein, in seinem Namen das Wort der Verteidigung zu führen.

13

Der Verfolgte hat in seiner richterlichen Anhörung dazu erklärt, von der Verurteilung nichts zu wissen, zu der Verhandlung nicht vorgeladen worden und in der Verhandlung nicht anwesend gewesen zu sein.

14

Damit bleibt offen, ob der Verfolgte den in der Verhandlung erschienenen Rechtsanwalt in Kenntnis der anberaumten Verhandlung mit seiner Vertretung beauftragt hat. Der Verfolgte räumt zwar ein, sich im November 2017 möglicherweise in Rumänien aufgehalten zu haben, bestreitet aber, die Ladung zur Hauptverhandlung erhalten zu haben. Der Europäische Haftbefehl verhält sich nicht dazu, wann der Rechtsanwalt von dem Verfolgten bevollmächtigt worden ist oder von wem er über den Verhandlungstermin unterrichtet worden ist. Der zitierten Vorschrift der niederländischen Strafprozessordnung lässt sich nicht entnehmen, dass die Bevollmächtigung des Rechtsanwalts in Kenntnis des Verhandlungstermins erfolgen muss. Dass dies der Fall war, versteht sich auch nicht von selbst. Der Umstand, dass nur noch ein Teil der ausgesprochenen Freiheitsstrafe zu vollstrecken ist, lässt vermuten, dass sich der Verfolgte in der Sache in Untersuchungshaft befunden hat. Der Verfolgte hat auch in seiner richterlichen Anhörung angegeben, in der Strafsache zwei Wochen in Haft gewesen zu sein. Dies eröffnet die Möglichkeit, dass der Verfolgte schon damals einen Verteidiger beauftragt hat, der dann selbst zur Hauptverhandlung geladen wurde.

15

Dass die Voraussetzungen des § 83 Abs. 3 IRG vorliegen, hat die zuständige niederländische Staatsanwaltschaft nicht vorgebracht. Dazu hätte sowohl das Urteil als auch die in § 83 Abs. 3 Satz 2 IRG vorgesehene Belehrung dem Verfolgten in einer ihm verständlichen Sprache zugestellt werden müssen (BT-Drs. 18/3562, S. 82).

16

Die Generalstaatsanwaltschaft wird den niederländischen Behörden deshalb Gelegenheit geben müssen, sich dazu zu äußern, ob der Verfolgte den in der Verhandlung erschienenen Rechtsanwalt in Kenntnis der anberaumten Verhandlung mit seiner Vertretung beauftragt hatte.

3.

17

Es besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr. Es ist anzunehmen, dass sich der Verfolgte, sollte er auf freien Fuß gesetzt werden, dem Auslieferungsverfahren entzieht. Die noch zu vollstreckende Freiheitsstrafe ist zwar überschaubar. Auch verfügt der Verfolgte in Deutschland wohl über einen festen Wohnsitz; dass am Klingelbrett des Mehrfamilienhauses in Dortmund sein Name nicht verzeichnet ist, belegt noch nicht, dass er unter der angegebenen Anschrift nicht wohnt, zumal nicht alle Klingelschilder beschriftet sind. Der Verfolgte wendet sich aber gegen seine Auslieferung, weil er lieber weiter seiner Berufstätigkeit nachgehen möchte. Über persönliche Bindungen verfügt er in Deutschland nicht. Seine Familie lebt in Rumänien. Die Arbeitsstelle bei dem Bauunternehmen, dessen Name er nicht kennt, hat der Verfolgte erst seit Jahresbeginn. Er kann jederzeit anderenorts im In- oder Ausland als Bauarbeiter tätig werden und damit die ihm unerwünschte Unterbrechung seiner Erwerbstätigkeit verhindern.

4.

18

Die Bestimmung eines Haftprüfungstermins beruht auf 26 Abs. 1 IRG. Der Verfolgte ist am 19. Juni 2018 ergriffen worden. Im Hinblick darauf, dass die zu verbüßende Haft lediglich noch gut 5 Monate beträgt, sollte innerhalb von 6 Wochen eine Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung möglich sein.

5.

19

Für den Vollzug der Auslieferungshaft wird gem. §§ 27 IRG, 119 StPO angeordnet:

20

a) Besuch:

21

Der Empfang von Besuchen bedarf der Erlaubnis.

22

Besuche sind zu überwachen.

23

b) Telekommunikation:

24

Die Telekommunikation bedarf der Erlaubnis.

25

Die Telekommunikation ist zu überwachen.

26

c) Schriftverkehr:

27

Der Schrift- und Paketverkehr ist zu überwachen.

28

d) Übergabe von Gegenständen:

29

Die Übergabe von Gegenständen mit Ausnahme von Zigaretten und Schokolade bedarf der Erlaubnis.

30

Die Ausführung der Anordnungen wird gemäß § 119 Abs. 2 Satz 2 StPO widerruflich auf die Generalstaatsanwaltschaft übertragen.

31

Auch unter Berücksichtigung der schutzwürdigen Interessen des Verfolgten sind die angeordneten Beschränkungen zur Abwehr des Haftgrundes erforderlich und zumutbar. Die Anordnungen sind angesichts der Höhe der zu vollstreckenden Strafe auch nicht unverhältnismäßig. Der Verkehr des Verfolgten mit dem Personenkreis gemäß § 119 Abs. 4 StPO (insbesondere Verteidiger) bleibt unberührt.

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