Beschluss vom Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken (1. Strafsenat) - 1 Ws 179/18

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Angeklagten wird der Beschluss der 4. Strafkammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 27. Juni 2018 aufgehoben.

2. Der Angeklagten wird ein Pflichtverteidiger beigeordnet. Die Benennung des Pflichtverteidigers bleibt dem Vorsitzenden der 4. Strafkammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vorbehalten.

3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die der Angeklagten darin entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Landeskasse zur Last.

Gründe

I.

1

Die bereits erheblich, auch einschlägig, strafrechtlich in Erscheinung getretene Beschwerdeführerin ist durch Urteil des Amtsgerichts Speyer vom 15. März 2018, gegen das sie Berufung eingelegt hat, wegen Unterschlagung, Betruges sowie Diebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 8 Monaten verurteilt worden. Zum Urteilszeitpunkt stand die Angeklagte aufgrund eines nachträglichen Gesamtstrafenbeschlusses des Amtsgerichts Kleve vom 4. November 2015, 307 Js 899/14 12 Ds 565/14, in dem eine Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Monaten festgesetzt worden ist, unter laufender Bewährung. Durch den angegriffenen Beschluss hat das Landgericht die Beiordnung eines Pflichtverteidigers abgelehnt. Gegen diese Entscheidung wendet sich die Beschwerdeführerin.

II.

2

Die Beschwerde ist zulässig und begründet.

3

Die Voraussetzungen zur Beiordnung eines Pflichtverteidigers wegen der Schwere der Tat gemäß § 140 Abs. 2 S. 1 StPO liegen vor. Dieser Beiordnungsgrund ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus der Schwere der verfahrensgegenständlichen Taten. Die Angeklagte ist wegen der unter Ziffer I. aufgeführten Delikte erstinstanzlich zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 8 Monaten verurteilt worden.Die Grenze zur schweren Tat wird mittlerweile einhellig bei um einem Jahr Freiheitsstrafe gezogen, wobei die überwiegende Rechtsprechung der Oberlandesgerichte, der sich der Senat anschließt, die Mitwirkung eines Verteidigers in der Regel als notwendig ansieht, wenn Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber ohne Strafaussetzung zur Bewährung droht.Einigkeit besteht darin, dass es sich bei der Straferwartung von einem Jahr nicht um eine starre Grenze handelt. Demgemäß kann unter besonderen Umständen auch schon bei einer Straferwartung von weniger als einem Jahr die Mitwirkung eines Verteidigers geboten sein. Es ist insoweit ebenfalls allgemein anerkannt, dass neben der Rechtsfolge für die verfahrensgegenständlichen Taten auch sonstige schwerwiegende unmittelbare oder mittelbare Nachteile zu berücksichtigen sind, die die Angeklagte infolge der Verurteilung zu gewärtigen hat. Hierzu gehört insbesondere auch ein drohender Bewährungswiderruf (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 16. Januar 2014 - 2 OLG 8 Ss 259/13, juris Rn 10, 11 und 14 m. w. N.). Denn mit einer Entscheidung über die Strafaussetzung im anhängigen Verfahren wird zugleich eine wesentliche Vorentscheidung darüber getroffen, ob die früher zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe zu widerrufen ist (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 4. März 1991 - 3 Ss 201/90, juris Rn. 9). So liegt der Fall hier. Infolge der Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 8 Monaten wegen der verfahrensgegenständlichen Taten muss die Beschwerdeführerin mit dem Widerruf der Bewährung hinsichtlich der noch nicht erlassenen Gesamtfreiheitsstrafe aus dem Beschluss des Amtsgerichts Kleve vom 4. November 2015 rechnen. Die ihr somit summarisch drohende Gesamtstrafvollstreckung beträgt 1 Jahr und 2 Monate und kennzeichnet die verfahrensgegenständlichen Taten als schwer, da ihr ein Freiheitsentzug von mehr als 1 Jahr Freiheitsstrafe droht.

4

Soweit teilweise von der Rechtsprechung zusätzlich verlangt wird, dass im Falle der Schwere der Tat die Verteidigungsfähigkeit des Angeklagten berücksichtigt werden müsse, kann dieser Ansicht nach Auffassung des Senats nicht gefolgt werden. Dagegen sprechen sowohl der eindeutige Wortlaut des § 140 Abs. 2 StPO, der drei alternative Möglichkeiten für eine Pflichtverteidigerbestellung vorsieht, als auch systematische Erwägungen. Denn nach § 140 Abs. 2 StPO soll das Fehlen der Fähigkeit, sich zu verteidigen, nur dann Berücksichtigung finden, wenn entsprechende Defizite vorliegen. Dann kann aber das Nichtvorliegen solcher Defizite nicht zum Ausschluss der Beiordnung nach einem der anderen in Abs. 2 erwähnten Anordnungsgründen führen (vgl. Lüderssen/Jahn in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 140 Rn. 60).

5

Der Senat hat eine Bestellung des Wahlverteidigers zum Pflichtverteidiger nicht vorgenommen, da aus der Akte nicht ersichtlich ist, ob dieser den anberaumten Hauptverhandlungstermin am 13. September 2018 wahrnehmen kann.

III.

6

Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 Abs. 1 StPO analog.

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