Urteil vom Sozialgericht Düsseldorf - S 23 AS 3731/12
Tenor
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 2.846,25 EUR zu zahlen. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Der Streitwert wird auf 2.846,25 EUR festgesetzt.
1
Tatbestand:
2Die Beteiligten streiten um die Übernahme von Kosten, welche durch den Aufenthalt einer Zuflucht suchenden Frau mit ihren drei Kindern in einem Frauenhaus entstanden sind.
3Die Klägerin ist Kostenträgerin des betroffenen Frauenhauses in M, die Beklagte ist der zuständige Träger für soziale Leistungen am ursprünglichen Wohnort der in das Frauenhaus geflohenen Frau. Die Beteiligten streiten konkret um die Frage, ob die im vorliegenden Fall in Rechnung gestellten Betreuungsleistungen erstattungsfähige Leistungen nach § 16a SGB II darstellen und somit über § 36a SGB II seitens der Beklagten an die Klägerin zu erstatten sind.
4Die Hilfebedürftige, Frau T C, lebte mit ihren drei Kindern zum streitgegenständlichen Zeitpunkt gemeinsam mit ihrem Ehemann in N und somit bezüglich Grundsicherungsleistungen im örtlichen Zuständigkeitsbereich der Beklagten. Am 4.1.11 floh sie gemeinsam mit ihren Kindern in das Frauenhaus in M, wo die vier Personen sich sodann vom 4.1.11 bis 28.4.11 aufhielten. Beginnend mit dem 4.1.11 erhielt die Familie nach einem entsprechenden Antrag gegenüber dem zuständigen Leistungsträger Leistungen nach dem SGB II.
5Zwischen dem das Frauenhaus tragenden Verein "frauen helfen frauen e.V." und der Klägerin besteht eine unter dem 30.10.09 geschlossene Vereinbarung über den Betrieb und die Finanzierung des Frauenhauses, bezüglich weiterer Einzelheiten wird auf Bl. 35 ff. der Verwaltungsakte der Klägerin verwiesen.
6Unter dem 5.1.11 verfasste die Mitarbeiterin des Frauenhauses, Frau S, ein Schriftstück an die Klägerin, in welchem sie ausführte: "Am 4.1.11 wurde Frau T C in das Frauenhaus M aufgenommen. Aufgrund der aktuellen Bedrohungssituation und der daraus folgenden starken Belastung ist Frau C auf die umfassende psychosoziale Betreuung, die durch ein Frauenhaus geleistet werden kann, unbedingt angewiesen. Nur so können bei Frau C die Voraussetzungen geschaffen werden, die eine Eingliederung in eine Erwerbstätigkeit in der Zukunft ermöglichen."
7Die Klägerin meldete unter dem 12.1.11 einen Erstattungsanspruch bei der Beklagten an, welchen sie nach Beendigung des Aufenthaltes von Frau C mit Schreiben vom 18.5.11 auf insgesamt 9.292,71 EUR bezifferte. Die Klägerin schlüsselte den vorgenannten Gesamtbetrag dabei in eine Teilposition für "Kosten der Unterkunft" sowie eine weitere Teilposition "Betreuungskosten" auf. Die Beklagte leistete auf die seitens der Klägerin übermittelte Rechnung unter dem 13.10.11 eine Teilzahlung in Höhe von 6.446,46 EUR, was den für die Position "Kosten der Unterkunft" in Ansatz gebrachten Betrag darstellt.
8Die Beklagte zahlte die verbliebenen 2.846,25 EUR mit dem Argument, es handele sich dabei um nicht erstattungsfähige Kosten, nicht.
9Dagegen hat die Klägerin ursprünglich am 23.12.11 Klage erhoben, welche durch zwischenzeitliches Ruhen am 5.11.12 unter neuem Aktenzeichen wieder aufgenommen worden ist.
10Mit ihrer Klage verfolgt die Klägerin das Ziel, die noch offenen 2.846,25 EUR erstattet zu bekommen.
11Die Klägerin ist der Ansicht, dass sämtliche psychosoziale Betreuungskosten über § 36a SGB II erstattungsfähig seien. Entscheidend sei allein, dass es sich um Leistungen handele, welche mindestens auch dazu dienten, die Eingliederung in das Erwerbsleben zu fördern. Insbesondere seien auch Kinderbetreuungskosten zu übernehmen, da die dauerhafte Eingliederung einer alleinerziehenden Mutter gar nicht ohne Betreuung und ggf. psychische und soziale Stabilisierung der Kinder erfolgen könne.
12Die Klägerin beantragt,
131. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 2.846,25 EUR zu zahlen, 2. die Beklagte zu verurteilen, die Kosten des Verfahrens zu tragen.
14Die Beklagte beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16Ihrer Ansicht nach erfolgte die Ablehnung einer weiteren Zahlung zu Recht. Sie trägt vor, es sei im vorliegenden Fall gerade nicht erwiesen, dass erstattungsfähige Betreuungsleistungen an die Betroffene erbracht worden sind. Vielmehr sei davon auszugehen, dass es sich bei dem täglichen Leistungssatz von 24,75 EUR um eine Pauschale handele, welche insbesondere einen Zuschuss zu den allgemeinen Personalkosten des Frauenhauses darstelle und somit zu den institutionellen Kosten gehöre. Dies ergebe sich auch aus der Vereinbarung zwischen dem Verein "Frauen helfen Frauen e.V. M" und der Klägerin vom 30.10.09.
17Das Gericht hat im laufenden Verfahren eine Stellungnahme des Vereins "Frauen helfen Frauen e.V." eingeholt, welche sich zum Aufenthalt der hilfebedürftigen Frau C im Frauenhaus verhält. Frau S aus dem Vorstand des Vereins legt in der Stellungnahme dar, dass mit der Aufnahme von Frauen und Kindern ein pauschaler Tagessatz fällig werde, welcher sich aus Betreuungskosten (Pauschalen für Personalkosten) sowie Unterkunftskosten zusammensetze. Das Frauenhaus verfüge sodann über ein breites Spektrum an Angeboten, welches von niederschwelligen Angeboten wie der Präsenz einer Fachkraft im Büro über diverse Beratungsangebote bis hin zu begleiteten Behördengängen reiche. Die Unterstützung bei der (Wieder-) Aufnahme von Erwerbstätigkeit sei ein Teil des Angebotes. Nach Aussage von Frau S sei Frau C sehr gut in der Lage gewesen, ihren und den Alltag der Kinder zu organisieren. Sie habe das Beratungs- und Hilfsangebot regelmäßig angenommen, sei jedoch immer darauf bedacht gewesen, ihre Selbstständigkeit und Unabhängigkeit zu behalten. Beratungsschwerpunkt sei die Klärung der Umstände von Umgangskontakten in Kooperation mit dem Jugendamt M gewesen, da der Kindesvater sehr schnell den Aufenthaltsort von Frau C und den Kindern erfahren habe und das Gericht eingeschaltet habe. Darüber hinaus habe Frau C eine umfassende Unterstützung bei Erziehungsfragen und zu Verhaltensauffälligkeiten der Kinder erhalten. Frau C habe dann vorgehabt, in M sesshaft zu werden und habe sich bei der Wohnungssuche und weiteren Planung bewusst von den Hilfsangeboten des Frauenhauses, Perspektiven und Ziele für die Zeit nach dem Frauenhausaufenthalt zu entwickeln, distanziert.
18Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der für die betroffene Hilfebedürftige bei der Klägerin und der Beklagten jeweils geführten Verwaltungsvorgänge verwiesen.
19Entscheidungsgründe:
20Die Klage hat Erfolg.
21Die zulässige Klage ist begründet.
22Die Klägerin hat einen Anspruch auf Erstattung der Kosten für psychosoziale Betreuungsleistungen nach § 36a SGB II.
23I. Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft. Aufgrund des Umstandes einer Erstattungsstreitigkeit zwischen Sozialleistungsträgern, waren weder ein Vorverfahren durchzuführen noch eine Klagefrist einzuhalten, da aufgrund des Gleichordnungsverhältnisses bereits kein Verwaltungsakt vorliegt bzw. überhaupt vorliegen kann (so auch Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 54 Rn 41 ff mwN). Die Klägerin ist durch ihre Trägerschaft für die erbrachten Leistungen auch diejenige, die den Kostenerstattungsanspruch durchzusetzen hat und somit auch im hiesigen Prozess aktivlegitimiert und prozessführungsbefugt ist. Eine Übertragung der Erbringung der kommunalen Eingliederungsleistungen nach § 16a SGB II über § 44b SGB II hat nicht stattgefunden (so im Ergebnis auch BSG, Urteil vom 23.5.12, B 14 AS 156/11 R,; BSG, Urteil vom 23.5.12, B 14 AS 190/11 R).
24II. Rechtsgrundlage für den seitens der Klägerin geltend gemachten Erstattungsanspruch ist § 36a SGB II. Dieser stellt eine spezialgesetzliche Kostenerstattungsregelung des SGB II dar.
251. Die Beklagte ist der Klägerin gegenüber dem Grunde nach erstattungspflichtig.
26Die Erstattungsnorm des § 36a SGB II ist für solche Fälle geschaffen worden, in denen das Frauenhaus, in welchem die Betroffene Zuflucht sucht, nicht im selben örtlichen Zuständigkeitsbereich für Grundsicherungsleistungen wie der ursprüngliche Wohnort der Zufluchtsuchenden liegt. Nach dem Wortlaut der vorgenannten Vorschrift ist der kommunale Träger am bisherigen gewöhnlichen Aufenthaltsort der Zufluchtsuchenden (Herkunftskommune) verpflichtet, dem durch die Aufnahme im Frauenhaus zuständigen kommunalen Träger am Ort des Frauenhauses (aufnehmende Kommune) die Kosten für die Zeit des Aufenthaltes im Frauenhaus zu erstatten. § 36a SGB II soll nach dem Willen des Gesetzgebers insbesondere einer einseitigen Kostenbelastung solcher Kommunen, die Frauenhäuser unterhalten und unterstützen, entgegenwirken (BT-Drucks 15/5607, S.6). Die Beklagte ist als Herkunftskommune der Klägerin als aufnehmender Kommune gegenüber zur Erstattung der im Zusammenhang mit dem Aufenthalt im Frauenhaus entstandenen Kosten erstattungspflichtig.
272. Nach Ansicht des erkennenden Gerichts ist die Beklagte der Klägerin auch in der durch die Klägerin geltend gemachten Höhe erstattungspflichtig. Die Beklagte hat der Klägerin über den bereits ausgeglichenen Betrag für Kosten der Unterkunft hinaus auch die Kosten der psychosozialen Betreuungsleistungen zu erstatten.
28Der Wortlaut des § 36a SGB II selbst sieht hinsichtlich der Höhe bzw. des Umfangs der Erstattungspflicht zunächst keine Begrenzung oder Beschränkung vor, dort ist lediglich festgehalten dass "die Kosten für die Zeit des Aufenthaltes" zu erstatten sind. Da es sich aber um eine im Bereich des SGB II angesiedelte Kostenerstattungspflicht handelt, kann naturgemäß nicht "mehr" über den Erstattungsanspruch ausgeglichen werden, als rechtmäßiger Weise nach den Vorschriften des SGB II an die hilfebedürftige Person erbracht werden durfte (im Ergebnis so auch Link in Eicher.; SGB II, 3. Auflage 2013, § 36a Rn 21). Nach § 36a SGB II sind unter anderem solche Leistungen von der Erstattungspflicht umfasst, die vom kommunalen Träger nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II an die leistungsberechtigte Frau und die mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebenden Kinder für die Zeit des Aufenthaltes im Frauenhaus rechtmäßig erbracht werden. Dies umfasst auch Ermessensleistungen (BSG, Urteil vom 23.5.12, B 14 AS 190/11 R).
29Als weitere Rechtsgrundlage für die Erstattung der psychosozialen Betreuungsleistungen war hier also § 16 Abs. 2 SGB II a.F. bzw. § 16a SGB II heranzuziehen, da es sich bei den in der Einrichtung Frauenhaus entstandenen Kosten nicht um die klassischen über das SGB II zu erbringenden Regelsätze (§ 20 SGB II) bzw. Kosten der Unterkunft (§ 22 SGB II) handelt. Nach § 16 Abs. 2 SGB II a.F. bzw. § 16a SGB II können über die in § 16 Abs. 1 SGB II genannten Eingliederungsleistungen hinaus weitere Leistungen erbracht werden, die für die Eingliederung des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in das Erwerbsleben erforderlich sind. § 16a SGB II erweitert dabei den sich in § 16 Abs. 1 SGB II befindlichen (im Übrigen der Bundesagentur für Arbeit zugeteilten) Leistungskatalog. Die in vier Varianten vorgenommene Aufzählung diverser Betreuungs- und Beratungsleistungen sieht dabei in Nr. 3 die - hier einschlägige - psychosoziale Betreuung als eine seitens des kommunalen Trägers innerhalb des Leistungssystems des SGB II zu erbringende Leistung vor. Bei den vorgenannten Leistungen nach § 16 Abs. 2 SGB II a. F. bzw. § 16a SGB II handelt es sich dem Wortlaut nach um so genannte "Kann-Leistungen" und mithin um Ermessensleistungen, deren Erbringung zweierlei Erfordernisse birgt: neben der grundsätzlichen Leistungsberechtigung der betroffenen Frau nach dem SGB II (§ 7 SGB II) ist es zugleich nötig, dass die Leistungen für die Eingliederung in das Erwerbsleben erforderlich sind. Das Tatbestandsmoment der Erforderlichkeit ist in diesem Kontext anhand der grundsätzlichen Zielvorgaben der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende und mithin anhand der §§ 1, 3 SGB II zu beurteilen. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 SGB II können Leistungen zur Eingliederung in Arbeit erbracht werden, soweit sie zur Vermeidung oder Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung der Hilfebedürftigkeit erforderlich sind. § 16a SGB II präzisiert, dass zur Verwirklichung einer ganzheitlichen und umfassenden Betreuung und Unterstützung bei der Eingliederung in Arbeit (können) die folgenden Leistungen, die für die Eingliederung der oder des erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in das Erwerbsleben erforderlich sind, erbracht werden können.
30Entgegen der Argumentation der Beklagten, es handele sich bei den geltend gemachten Betreuungskosten lediglich um Zuschüsse zu den allgemeinen Personalkosten, was eine Erstattungsfähigkeit vermeide, ist die Kammer der Ansicht, dass die vorstehend definierten Voraussetzungen vorliegen.
31a) Die betroffene Hilfebedürftige, Frau C, ist unstreitig dem Grunde nach leistungsberechtigt nach dem SGB II.
32b) Die psychosozialen Betreuungsleistungen waren auch erforderlich für die Wiedereingliederung in Arbeit. Nach Auffassung der Kammer stellt es sich als eine unabdingbare Voraussetzung dar bzw. ist gar Teil der "Erwerbsfähigkeit", dass eine Person das Privat- und Familienleben soweit geregelt haben muss, dass es ihr möglich ist, eine Arbeitsstelle regelmäßig, pünktlich und zuverlässig aufzusuchen.
33Durch die Unterstützungsleistungen des Frauenhauses M bezüglich der Auseinandersetzung mit dem Ehemann und Vater der Kinder, durch die Unterstützung bei der Durchführung von Kontakten zwischen Vater und Kindern, durch die Begleitung nach der seitens des Vaters erfolgten Einschaltung des Gerichts sowie durch Beratung und Betreuung im Umgang mit den Kindern, konnte die Betroffene, Frau C, den Alltag weitestgehend allein organisieren. Frau C konnte psychisch und sozial stabilisiert werden und hatte bei Auszug aus dem Frauenhaus zunächst vor, in M sesshaft zu werden.
34Es ist dabei auch nicht schädlich, dass keine Eingliederungsvereinbarung vorliegt bzw. zu Beginn der Leistungserbringung vorlag. Es ist hingegen vollkommen lebensfremd, dass mit einer frisch in ein Frauenhaus aufgenommenen und demgemäß Zuflucht suchenden Frau zunächst einmal über berufliche Perspektiven bzw. ihren Anteil ("Fördern und Fordern") an der Eingliederung in das Erwerbsleben gesprochen wird. Die Frau entflieht einer von Gewalt geprägten Situation, lässt Besitztümer, Freunde und Alltag hinter sich und flieht zu fremden Menschen. Es ist selbstverständlich, dass vorrangiger Ansatzpunkt die Verarbeitung des Erlebten, die Bewältigung des Traumas sein muss. Bedenken bezüglich des Fehlens einer Eingliederungsvereinbarung hat die Kammer, insbesondere auch nach der höchstgerichtlichen Entscheidungspraxis (BSG, Urteil vom 23.5.12, B 14 AS 190/11 R) somit nicht.
35Gleichzeitig ist es nach Auffassung der Kammer ohne die psychische Stabilisierung von Mutter (und in dem hiesigen Fall auch der Kinder) nicht möglich, an (Wieder-) Eingliederung in Arbeit zu denken. Solange der Fokus auf der Verarbeitung des Erlebten bleibt bzw. eine Verarbeitung nicht stattfindet und die betroffene Frau psychisch vollkommen ungefestigt ist, kann die Zielvorgabe des Leistungssystems des SGB II (Aufnahme einer Arbeitstätigkeit, was zwangsläufig einen geregelten Lebensrhythmus voraussetzt) nicht erreicht werden. Psychosoziale Betreuungsleistungen, wie sie auch in dem hier zu entscheidenden Fall vom Frauenhaus M erbracht worden sind, sind unumgehbare Voraussetzung für die Eingliederung in das Erwerbsleben (so auch Aubel in jurisPK-SGB II, § 36a, Rn 13; LSG NRW, 23.2.10, L 1 AS 36/09). Sie hatten die psychische, soziale und rechtliche Stabilisierung der hilfebedürftigen Frau und ihrer Kinder zum Ziel und dienten damit mittelbar auch dem Ziel der Integration in das Erwerbstätigenleben.
36Bestärkt wird die vorstehend aufgeführte Entscheidung der Kammer, wenn man sich den Kontext der Ziffer 3 des § 16 Abs. 2 SGB II a.F. bzw. § 16a SGB II ansieht. Allen vier in § 16 Abs. 2 SGB II a.F. bzw. § 16a SGB II aufgezählten Unterstützungsleistungen ist gemein, dass sie gerade nicht primär auf die Eingliederung in Arbeit (wie etwa Bewerbungstraining, Umschulungen, Weiterbildungen, Hilfen bei der Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit etc.) ausgerichtet sind bzw. dieses Ziel nicht gleich erkennbar scheint. Alle aufgezählten Leistungen dienen (zunächst) dazu, die betroffene Person so in ihrer Lebensführung zu stärken bzw. in vorhandenen Problembereichen soweit unterstützend einzugreifen, dass diese nicht mehr den alleinigen Fokus im Leben der betroffenen Person darstellen. So findet eine hilfebedürftige Person zwar nicht durch die Inanspruchnahme einer Schuldnerberatung Arbeit, jedoch kann die Unterstützung durch eine Schuldnerberatung unabdingbare Voraussetzung dafür sein, dass überhaupt wieder an die Aufnahme einer Tätigkeit gedacht werden kann. Genauso verhält es sich in puncto Suchtberatung bzw. Unterstützung bei der Betreuung von behinderten Kindern oder pflegebedürftigen Verwandten. Aus diesem Kontext ist dann aber eindeutig zu schließen, dass unter psychosozialen Betreuungsleistungen genau das zu verstehen ist, was im vorliegenden Fall auch tatsächlich erbracht worden ist und solcherlei Leistungen auch gar nicht anders erbracht werden können. Kernpunkt aller in § 16 Abs. 2 SGB II a.F. bzw. § 16a SGB II aufgezählten Leistungen ist, dass solchen "Schwierigkeiten, die in der allgemeinen Lebensführung ihren Grund haben und daher eine Eingliederung ins Erwerbsleben scheitert" (Thie in LPK-SGB II, 4. Auflage 2011, § 16a Rn 8; BSG, Urteil vom 23.5.12, B 14 AS 190/11 R) mit geeigneten Maßnahmen begegnet werden kann. Allen dergestalt erbrachten Leistungen ist also immanent, dass sie eine Art "Vorstufe" zur tatsächlichen Wiedereingliederung ins Erwerbsleben darstellen. Verwehrte man an dieser Stelle einen Erstattungsanspruch mit dem Argument, die Betreuungsleistungen seien für die Eingliederung in Arbeit nicht erforderlich, so entleerte man § 16 Abs. 2 Nr. 3 (bzw. auch die übrigen Varianten) SGB II a.F. bzw. § 16a SGB II ihres Sinnes.
37Es ist nach Ansicht der Kammer im Übrigen darüber hinaus lebensfremd, wenn im Nachhinein detailliertere Informationen zu der Frage, was genau mit der Zielrichtung Eingliederung in das Erwerbsleben als Leistung erbracht worden sei, verlangt werden. Eine tatsächliche Aufsplittung zwischen einzelnen Gesprächen etwa, von denen eines auf die Eingliederung in Arbeit gerichtet gewesen sein könnte und ein anderes nicht, ist nicht möglich. Es stellte auch rein praktisch einen unmöglich hohen und wohl kaum praktizierbaren bürokratischen Aufwand seitens des Frauenhauses dar, noch mehr als bereits erfolgt, zu dokumentieren. Das Gericht sieht kein Problem in dem Umstand, dass bereits bei Aufnahme in das Frauenhaus der Tagessatz feststeht und eine entsprechende Vereinbarung unterschrieben wird. Naturgemäß nimmt die eine Frau mehr und die andere Frau etwas weniger Angebote in Anspruch. Unterschiedliche Lebensumstände und Ereignisse erfordern ein jeweils unterschiedliches Unterstützungsangebot durch das aufnehmende Frauenhaus. Dies hat zur Folge, dass möglicherweise in der einen Woche mehr und in der anderen Woche weniger psychosoziale Leistungen in Anspruch genommen werden. Dies ist der Situation immanent und trifft auf jede Frau zu. Gerade die Durchmischung von niederschwelligen Angeboten einerseits und speziellen Gesprächen andererseits bis hin zu den bereits erwähnten Hilfestellungen bei Behördengängen bzw. gerichtlichen Auseinandersetzungen, führt dazu, dass jede Frau mit ihrer eigenen Geschichte aufgefangen werden kann. Die konstanten Kosten während des Aufenthaltes kommen nicht nur durch die tatsächliche Nutzung der Angebote zustande, sondern insbesondere dadurch dass die Einrichtung diese Angebote auch bereithält bzw. bereithalten kann.
38c) Hinsichtlich des konkret geltend gemachten Tagessatzes hat die Kammer ebenso keine Bedenken. Der Betreuungsaufwand der der häuslichen Gewalt entflohenen Frau C und ihrer drei Kinder sowie der anschließend verursachten Probleme durch die zügige Kenntnis des Ehemannes über den Aufenthaltsort der Familie rechtfertigen zweifelsohne die Geltendmachung des (Betreuungs-)Tagessatzes von 24,75 EUR und bilden den Betreuungsaufwand der vier Personen realitätsgerecht ab.
39d) Zwischen der Klägerin und dem das Frauenhaus unterhaltenden Verein besteht auch eine den Voraussetzungen des § 17 Abs. 2 SGB II entsprechende Vereinbarung.
40Nach § 17 Abs. 2 SGB II sind, soweit die Leistung von einem Dritten erbracht und im dritten Buch keine Anforderungen geregelt sind, denen die Leistung entsprechen muss, die Träger der Leistungen nach diesem Buch zur Vergütung für die Leistung nur verpflichtet, wenn mit dem Dritten oder seinem Verband eine Vereinbarung insbesondere über 1. Inhalt, Umfang und Qualität der Leistungen, 2. die Vergütung, die sich aus Pauschalen und Beträgen für einzelne Leistungsbereiche zusammensetzen kann, und 3. die Prüfung der Wirtschaftlichkeit und Qualität der Leistungen besteht. Nach Satz 2 der Vorschrift müssen die Vereinbarungen den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit und Leistungsfähigkeit entsprechen.
41Nach Auffassung der Kammer erfüllt die zwischen der Klägerin und dem Verein "frauen helfen frauen e.V." getroffene Vereinbarung vom 30.10.09 die seitens der vorgenannten Vorschrift aufgeführten Kriterien.
42e) Die Vorschriften der für die vorliegende Konstellation geltenden §§ 111 und 113 SGB X sind ebenfalls eingehalten.
43III. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 193, 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
44IV. Die endgültige Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 63 Abs. 2 Satz 1 und § 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG).
45V. Die Berufung war hier nach § 144 Abs. 2 Nr.1 SGG zuzulassen.
46Die Kammer ist der Auffassung, dass die Berufung hier wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen war. Das Bundessozialgericht hat in seiner Entscheidung vom 23.5.12 zu dem Aktenzeichen B 14 AS 190/11 R die Wertung des LSG hinsichtlich der Erforderlichkeit nicht überprüft, da die damalige Beklagte die entsprechenden Feststellungen nicht mit zulässigen Rügen angegriffen hatte. Eine endgültige Positionierung des BSG zu diesem Punkt steht somit nach Auffassung der Kammer noch aus.
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Referenzen
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- SGG § 144 1x
- §§ 111 und 113 SGB X 2x (nicht zugeordnet)
- § 16 Abs. 1 SGB II 2x (nicht zugeordnet)
- SGG § 197a 2x
- § 17 Abs. 2 SGB II 2x (nicht zugeordnet)
- 1 AS 36/09 1x (nicht zugeordnet)
- §§ 1, 3 SGB II 2x (nicht zugeordnet)
- § 16a SGB II 11x (nicht zugeordnet)
- § 22 SGB II 1x (nicht zugeordnet)
- § 7 SGB II 1x (nicht zugeordnet)
- § 44b SGB II 1x (nicht zugeordnet)
- § 20 SGB II 1x (nicht zugeordnet)
- SGG § 193 1x
- § 16 Abs. 2 SGB II 6x (nicht zugeordnet)
- § 36a SGB II 8x (nicht zugeordnet)
- § 3 Abs. 1 Satz 1 SGB II 1x (nicht zugeordnet)
- 14 AS 190/11 5x (nicht zugeordnet)
- § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II 1x (nicht zugeordnet)