Urteil vom Sozialgericht Düsseldorf - S 2 KA 175/15
Tenor
Der Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 09.03.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.04.2015 wird insoweit aufgehoben, als die Rückforderung einen Betrag von 247.209,61 EUR übersteigt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens zu 5/6, die Beklagte zu 1/6.
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Tatbestand:
2Streitig sind sachlich-rechnerische Berichtigungen.
3Die Klägerin ist ein Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) mit Vertragsarztsitz in E. Diesem gehören zwei Fachärzte für Innere Medizin mit Schwerpunkt Gastroenterologie sowie ein hausärztlich tätiger Facharzt für Innere Medizin an. In den streitbefangenen Quartalen war zudem die Fachärztin für Anästhesie Z-L im MVZ angestellt.
4Unter dem 06.09.2013 wandte sich die Abteilung Qualitätssicherung/Prüfwesen an die Rechtsabteilung der Beklagten und regte die Einleitung einer Plausibilitätsprüfung an: Die Klägerin führe endoskopische Untersuchungen unter Hinzuziehung eines Anästhesisten durch. Die hier in Ansatz gebrachte GOP 05330 EBM werde im Quartal 2/2013 mit einer absoluten Häufigkeit von 317 und einer Häufigkeit von 26,61 auf 100 Behandlungsfälle gegenüber der Vergleichsgruppe von 5,3 auf 100 Behandlungsfälle in Ansatz gebracht. Dies ergebe eine Überschreitung von 420,94 %. Als Begründung für derartige Narkosen würden Diagnosen wie "Panikstörung" oder "Angststörung" angegeben. Soweit in Fällen zulässiger Erbringung von Narkosen die ICD-Codierung mit Begründung anzugeben sei, sei dieses Erfordernis bei den auf den Abrechnungsscheinen vermerkten Diagnosen nicht gegeben.
5Die Beklagte führte sodann am 17.02.2014 mit dem Geschäftsführer der Klägerin ein Plausibilitätsgespräch durch, in welchem sechs Einzelfälle besprochen wurden. Wegen derselben Vorgehensweise und wegen desselben Abrechnungsverhaltens wurde im gegenseitigen Einvernehmen aller Anwesenden auf die Fallbesprechung weiterer 33 Fälle verzichtet.
6Im Anschluss an dieses Gespräch hob die Beklagte mit Bescheid vom 09.03.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.04.2015 die der Klägerin für die Quartale 4/2011 bis 4/2013 erteilten Honorarbescheide teilweise in Höhe von insgesamt 292.078,79 EUR auf und forderte diesen Betrag zurück:
7Die Erbringung von Narkosen im Zusammenhang mit endoskopischen Untersuchungen der Verdauungswege sei gemäß der Präambel zu Kapitel 5.3, 9. Abschnitt EBM nur berechnungsfähig bei Kindern bis zum vollendeten 12. Lebensjahr, bei Patienten mit mangelnder Kooperationsfähigkeit bei geistiger Behinderung und/oder schwerer Dyskinesie. Die ICD-Codierung ist mit Begründung anzugeben. Darüber hinaus seien Narkosen nach der Präambel zu Kapitel 5.3, 10. Abschnitt EBM nur bei Vorliegen einer Kontraindikation gegen die Durchführung der Untersuchung in Analgosedierung (medikamentöse Schmerzausschaltung bei gleichzeitiger Beruhigung) berechnungsfähig. Die Sichtung der von der Klägerin eingereichten Unterlagen und des Protokolls habe ergeben, dass sämtliche durchgeführten Anästhesien nach Nr. 05330 EBM und Nr. 05331 EBM nicht die nach der Präambel zu Kapitel 5.3 EBM erforderlichen Begründungen enthielten. Dies habe einen Rückforderungsbetrag von 224.345,90 EUR ergeben.
8Weiterhin habe die Klägerin mit Schreiben vom 06.05.2014 mitgeteilt, dass sie für die Gastroskopien die Anwesenheit ihrer angestellten Ärztin für Anästhesiologie in Form des Stand by nutze. Zu den von der Bezirksstelle angeforderten Dokumentationen habe sie ausgeführt, dass keine Narkosen gemacht worden seien. Hier sei die Anästhesistin lediglich anwesend gewesen (Stand by), somit immer verfügbar gewesen. Die bloße Anwesenheit des Anästhesisten erfülle nicht den Leistungsinhalt der Nr. 05340 EBM. Die Abrechnung der Nr. 05340 EBM neben einer diagnostischen Gastroskopie sei nicht möglich, da die angegebene Schnitt-Naht-Zeit einen operativen Eingriff voraussetze. Insofern sei ein Honorarrückforderungsbetrag von 67.732,89 EUR errechnet worden.
9Hiergegen richtet sich die am 22.05.2015 erhobene Klage.
10Die Klägerin ist der Ansicht, alle ihre Indikationen zur Anästhesie bei Koloskopie und in Einzelfällen auch bei Gastroskopien seien durch die Präambel zu Kapitel 5.3 EBM erfasst. Die Bestimmungen seien so gefasst, damit sie flexibel angewendet werden könnten und damit gleichzeitig den Entwicklungen und dem Fortschritt der Medizin Rechnung getragen werden könne. Zu Präambel 5.3.9 - Patienten mit mangelnder Kooperationsfähigkeit - seien alle Patienten mit Angst- und Panikstörungen erfasst und mit F41.0 und F 41.9 codiert worden. Die Menschen wünschten sich größtenteils eine Narkose. Im Übrigen seien die Kosten für den Anästhesisten überschaubar. Gemäß Präambel 5.3.10 EBM sei die Anästhesie zudem abrechnungsfähig bei Kontraindikation gegen die Durchführung der Untersuchung in Analgosedierung. Solche Sedierungen (mit Opiaten oder Midazolan) oder in der Mischung aus Analgetika, Sedativa und Opiaten seien nicht ohne Risiken und Gefahren. Eine Verbesserung der Wirkung sei durch das mittlerweile breit verwendete Propofol eingetreten. Dieses dürfe aber, wie auch das Amtsgericht Augsburg erkannt habe, nur von Anästhesisten verwendet werden. Das gehe auch aus einer neuen S3-Leitlinie hervor.
11Die Klägerin beantragt,
12den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 09. März 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. April 2015 aufzuheben.
13Die Beklagte beantragt,
14die Klage abzuweisen.
15Sie verteidigt ihre Bescheide.
16Die in der Präambel 5.1.9 und 5.1.10 genannten Aufzählungen stellten lediglich Ausnahmefälle dar. Aus den verschiedenen Darlegungen der Klägerin sei jedoch zu entnehmen, dass bei ihren Patienten die betreffenden Indikationen grundsätzlich und nicht nur in Ausnahmefällen vorliegen sollten. Weiterführende Erläuterungen, weshalb - in Einzelfällen - diese geforderten Indikationen gegeben sein sollten, würden nicht getroffen und könnten daher nicht plausibel nachvollzogen werden. Aus den Leitlinien ergäben sich keine zwingenden Indikationen, wonach ein Anästhesist hinzuzuziehen sei. Vielmehr würden dort Empfehlungen ausgesprochen. Unabhängig von den Leitlinien müsse sich die Klägerin an die Vorgaben des EBM halten.
17Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
18Entscheidungsgründe:
19Die zulässige Klage ist im Wesentlichen unbegründet.
20Die Klägerin ist durch die angefochtenen Bescheide nicht beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), da diese rechtmäßig sind.
21Rechtsgrundlage der sachlich-rechnerischen Richtigstellung und Rückforderung ist § 106a Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V). Danach stellt die Kassenärztliche Vereinigung die sachliche und rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen der Vertragsärzte fest; dazu gehört auch die arztbezogene Prüfung der Abrechnungen auf Plausibilität sowie die Prüfung der abgerechneten Sachkosten. Die Prüfung auf sachlich-rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen des Vertragsarztes zielt auf die Feststellung, ob die Leistungen rechtmäßig, d.h. im Einklang mit den gesetzlichen, vertraglichen und satzungsrechtlichen Vorschriften des Vertragsarztrechts - mit Ausnahme des Wirtschaftlichkeitsgebotes - erbracht und abgerechnet worden sind (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 02.04.2014 - B 6 KA 20/13 R - m.w.N.).
22Die Befugnis zu Richtigstellungen besteht auch für bereits erlassene Honorarbescheide (nachgehende Richtigstellung). Sie bedeutet dann im Umfang der vorgenommenen Korrekturen eine teilweise Rücknahme des Honorarbescheides. Die genannten Bestimmungen stellen Sonderregelungen dar, die gemäß § 37 Satz 1 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil (SGB I) in ihrem Anwendungsbereich die Regelung des § 45 Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) verdrängen. Eine nach den Bestimmungen zur sachlich-rechnerischen Richtigstellung rechtmäßige (Teil-)Rücknahme des Honorarbescheides mit Wirkung für die Vergangenheit löst nach § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X eine entsprechende Rückzahlungsverpflichtung des Empfängers der Leistung aus (BSG, Urteil vom 28.08.2013 - B 6 KA 50/12 R -).
23Die Tatbestandsvoraussetzungen für eine nachträgliche sachlich-rechnerische Richtigstellung der Abrechnung der Klägerin sind vorliegend erfüllt. Sie hat Leistungen nach den Nrn. 05330 EBM (Anästhesie und/oder Narkose ( )), 05331 EBM (Zuschlag zu 05330 ( )) und 05340 EBM (Überwachung der Vitalfunktionen ( )) zu Unrecht zur Abrechnung gebracht.
24Für die Auslegung vertragsärztlicher Vergütungsbestimmungen ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) (z.B. BSG, Urteil vom 11.02.2015 - B 6 KA 15/14 R – (Rn. 21)) in erster Linie der Wortlaut der Regelungen maßgeblich. Dies gründet sich zum einen darauf, dass das vertragliche Regelwerk dem Ausgleich der unterschiedlichen Interessen von Ärzten und Krankenkassen dient und es vorrangig Aufgabe des Normgebers des EBM - also des Bewertungsausschusses gemäß § 87 Abs. 1 SGB V - ist, Unklarheiten zu beseitigen. Zum anderen folgt die primäre Bindung an den Wortlaut aus dem Gesamtkonzept des EBM als einer abschließenden Regelung, die keine Ergänzung oder Lückenfüllung durch Rückgriff auf andere Leistungsverzeichnisse oder Gebührenordnungen oder durch analoge Anwendung zulässt. Raum für eine systematische Interpretation im Sinne einer Gesamtschau der in innerem Zusammenhang stehenden vergleichbaren oder ähnlichen Leistungstatbestände ist nur dann, wenn der Wortlaut eines Leistungstatbestandes zweifelhaft ist und es einer Klarstellung bedarf. Eine entstehungsgeschichtliche Auslegung kommt bei unklaren oder mehrdeutigen Regelungen ebenfalls in Betracht, kann allerdings nur anhand von Dokumenten erfolgen, in denen die Urheber der Bestimmungen diese in der Zeit ihrer Entstehung selbst erläutert haben.
25Soweit es die Auslegung des Leistungsinhalts der Gebührenordnungspositionen (GOP) 05330, 05331 EBM betrifft, sind darüber hinaus die Regelungen der Präambel zum Kapitel 5.3 des EBM maßgebend. Entgegen den Erwartungen der Klägerin ist das Gericht nicht befugt, seine Auffassungen vom medizinischen Fortschritt bei der Auslegung der EBM-Regelungen zugrunde zu legen und Entscheidungen gegen den Wortlaut der EBM-Bestimmungen einschließlich der Präambel zu treffen. Das vom Bewertungsausschuss erarbeitete System autonomer Leistungsbewertung kann seinen Zweck nur erfüllen, wenn Eingriffe von außen grundsätzlich unterbleiben. Die gerichtliche Überprüfung ist daher im Wesentlichen darauf beschränkt, ob der Bewertungsausschuss den ihm zustehenden Entscheidungsspielraum überschritten oder seine Bewertungskompetenz missbräuchlich ausgenutzt hat (BSG, Urteil vom 17.02.2016 - B 6 KA 47/14 R – (Rn. 23)). Hierfür ist nichts ersichtlich. Unabhängig davon besteht allerdings der gesetzliche Auftrag aus § 87 Abs. 2 Satz 2 SGB V, den EBM in bestimmten Zeitabschnitten auch daraufhin zu überprüfen, ob die Leistungsbeschreibungen und ihre Bewertungen noch dem Stand der medizinischen Wissenschaft und Technik sowie dem Erfordernis der Rationalisierung im Rahmen wirtschaftlicher Leistungserbringung entsprechen. Das mag - unter Einbeziehung des Updates der S3-Leitlinie "Sedierung in der gastrointestinalen Endoskopie" 2014 - zukünftig für Situationen der vorliegenden Art ggf. zu Modifikationen der Präambel führen können.
26Gemäß Präambel 5.1 Nr. 9 EBM ist die Erbringung von Narkosen gemäß Abschnitt 5.3 im Zusammenhang mit endoskopischen Untersuchungen der Verdauungswege nur berechnungsfähig bei Kindern bis zum vollendeten 12. Lebensjahr, bei Patienten mit mangelnder Kooperationsfähigkeit bei geistiger Behinderung und/oder schwerer Dyskinesie. Die ICD-Codierung ist mit Begründung anzugeben. Soweit die Klägerin in den geprüften Fällen jeweils Angst- und Panikstörungen vordruckmäßig angekreuzt und mit F41.0 und F 41.9 codiert hat, reicht das nicht aus. Denn es fehlt an Angaben dahingehend, dass es sich um Patienten mit geistiger Behinderung und/oder schwerer Dyskinesie gehandelt haben soll. In solchen Fällen ist durch den Anästhesisten auf dem Abrechnungsschein neben der ICD-10-Codierung der den Eingriff veranlassenden Diagnose der ICD-10-Code "Z91.1 Nichtbefolgung ärztlicher Anordnungen (non-compliance) in der Eigenanamnese" in der Kombination mit dem ICD-10-Code für die Art der vorliegenden geistigen Behinderung bzw. die Dyskinesie anzugeben. Ebenfalls anzugeben ist die klartextliche Begründung der Narkoseindikation (vgl. Kölner Kommentar zum EBM, 7. Erg.Lfg. Oktober 2013, zur Präambel 5.1). Dahingehende Angaben fehlen hier.
27Außer bei den in der Präambel Nr. 8 und 9 genannten Indikationen können gemäß Nr. 10 Narkosen gemäß Abschnitt 5.3 im Zusammenhang mit endoskopischen Untersuchungen der Verdauungswege nur berechnet werden bei Vorliegen von Kontraindikationen gegen die Durchführung des Eingriffs in Lokalanästhesie oder Analgosedierung. Die ICD-Codierung ist mit Begründung anzugeben.
28Hierdurch wird vermieden, dass die Finanzierung einer medizinisch gerechtfertigten Narkose im Zusammenhang mit der Durchführung der vorgenannten Eingriffe, deren Begründung außerhalb der in der Präambel 5.1 Nrn. 8 und 9 genannten Tatbestände liegt, in Frage gestellt wird. Die Regelung gemäß der Präambel 5.1 Nr. 10 ist auf Patienten aller Altersgruppen anwendbar und unabhängig vom Vorliegen weiterer spezifischer Diagnosen oder einer mangelnden Kooperationsfähigkeit. Als Begründung auf dem Abrechnungsschein des Anästhesisten ist die ICD-10-Codierung der den Eingriff veranlassenden Diagnose sowie des Narkoseanlasses, z.B. über die ICD-l0-Codes: "Z88.4 Allergie gegenüber Anästhetikum in der Eigenanamnese", "T88.2Z Zustand nach Schock durch Anästhesie", "T88.6Z Anaphylaktlscher Schock als unerwünschte Nebenwirkung eines indikationsgerechten Arzneimittels oder einer indikationsgerechten Droge bei ordnungsgemäßer Verabreichung" zuzüglich der klartextlichen Begründung der Narkoseindikation anzugeben (vgl. Kölner Kommentar zum EBM, a.a.O.). Auch an dahingehenden Angaben fehlt es hier.
29Die Beklagte war daher zur Berichtigung der GOPen 05330 und 05331 EBM befugt. Dies gilt grundsätzlich für sämtliche in den streitigen Quartalen 4/2011 bis 4/2013 abgerechneten Leistungen.
30Zwar wurden die Abrechnungen der Klägerin nur beispielhaft in Bezug auf sechs Patienten und auch nicht für alle streitbefangenen Quartalen geprüft. Insofern gibt es grundsätzlich keinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass eine in bestimmten Fällen implausibel oder fehlerhaft abgerechnete Leistung damit automatisch auch in allen anderen Fällen implausibel oder fehlerhaft ist (LSG NRW, Urteil vom 22.06.2005 - L 11 KA 83/04 -). G hat jedoch in dem Plausibilitätsgespräch am 17.02.2014 für die Klägerin erklärt, dass immer nach dem gleichen beschriebenen Narkoseverfahren vorgegangen werde. Da die Ärzte der Klägerin somit ein grundsätzliches Verständnis von der Abrechnungsfähigkeit der Anästhesien deutlich machen, durfte die Beklagte davon ausgehen, dass die aus ihrer Sicht bestehenden Abrechnungsfehler auch in sämtlichen anderen Quartalen und bei allen behandelten Patienten vorhanden waren, und durfte deshalb grundsätzlich rechtsfehlerfrei das aus der Besprechung von sechs Fällen gewonnene Ergebnis auf alle Behandlungsfälle und Quartale übertragen (vgl. LSG NRW, Urteil vom 11.03.2009 - L 11 (10) KA 3/07 -; Beschluss vom 17.02.2015 - L 11 KA 82/14 B -).
31Gleichwohl hat es die Kammer für sachgerecht erachtet, mögliche Fehlerquellen auszugleichen, die durch die geringe Anzahl der geprüften Fälle im Verhältnis zu der absolut hohen Anzahl erbrachter Leistungen nach GOPen 05330 und 05331 EBM nicht ausgeschlossen werden können. Insofern hat die Kammer die Rückforderung der Honorare für die Leistungen nach diesen beiden Ziffern auf den Betrag begrenzt, der den Fachgruppendurchschnitt überschreitet. Nach dem Schreiben der Abteilung Qualitätssicherung/Prüfwesen an die Rechtsabteilung der Beklagten vom 06.09.2013 überschritt die Klägerin die in Ansatz gebrachte GOP 05330 EBM im Quartal 2/2013 um 420,94 %. Sie rechnete diese Leistung daher etwa fünfmal so häufig wie die Vergleichsgruppe ab. Die Kammer hat daher im Wege pauschalierender Schätzung (§ 202 SGG i.V.m. § 278 der Zivilprozessordnung) die Rückforderungssumme (224.345,90 EUR) um 1/5 (= 44.869,18 EUR) reduziert, so dass sich insofern ein Rückforderungsbetrag von 179.476,72 EUR ergibt. Damit wird die Klägerin nicht unter den Vergleichsgruppendurchschnitt zurückgeworfen.
32Zu Recht hat die Beklagte allerdings die auf die Leistung nach GOP 05340 EBM entfallenden Honoraranteile vollständig zurückgefordert.
33Diese GOP honoriert die Überwachung der Vitalfunktionen.
34Obligater Leistungsinhalt – Überwachung der Vitalfunktionen (Stand-by), – Persönliche Anwesenheit des Arztes, – Kontinuierliches EKG-Monitoring,
35Fakultativer Leistungsinhalt – Infusion(en) (Nr. 02100), – Magenverweilsondeneinführung (Nr. 02320), – Anlage suprapubischer Harnblasenkatheter (Nr. 02321), – Wechsel/Entfernung suprapubischer Harnblasenkatheter (Nr. 02322), – Wechsel/Legen transurethraler Dauerkatheter (Nr. 02323), – arterielle Blutentnahme (Nr. 02330),
36je vollendete 15 Minuten Schnitt-Naht-Zeit bzw. Eingriffszeit.
37Diese Leistung kann z.B. dann abgerechnet werden, wenn ein Anästhesist von einem anderen Arzt zur Herzkatheteruntersuchung beigezogen wird und hierbei die Vitalfunktion, wie Kreislauf und Atmung, kontinuierlich überwacht. Die bloße Anwesenheit des Anästhesisten erfüllt indes noch nicht den Leistungsinhalt der Nr. 05340. Die angegebene Schnitt-Naht-Zeit (SNZ) setzt einen operativen Eingriff voraus. Daraus folgt, dass eine Abrechnung der Nr. 05340 neben einer diagnostischen Gastroskopie oder (Vorsorge-)Koloskopie (ohne operativen Eingriff) nicht abgerechnet werden kann (Wezel-Liebold, Kommentar zu EBM und GOÄ, 48. Aufl. Oktober 2016, zu Nr. 05340).
38Insofern hat G für die Klägerin mit Schreiben vom 06.05.2014 mitgeteilt, dass für die Gastroskopien die Anwesenheit ihrer angestellten Ärztin für Anästhesiologie in Form des Stand by genutzt werde. Zu den von der Bezirksstelle angeforderten Dokumentationen wurde mitgeteilt, dass keine Narkosen gemacht worden seien. Hier sei die Anästhesistin lediglich anwesend gewesen (Stand by), somit immer verfügbar gewesen. Das allein reicht nach den vorstehenden Darlegungen nicht aus. Der Honorarrückforderungsbetrag von 67.732,89 EUR ist insofern rechtmäßig.
39Insgesamt ergibt sich somit ein rechtmäßiger Rückforderungsbetrag von 247.209,61 EUR (179.476,772 EUR + 67.7732,89 EUR).
40Die Rechtmäßigkeit sachlich-rechnerischer Berichtigungen setzt grundsätzlich kein Verschulden des Vertragsarztes voraus. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Kassenärztliche Vereinigung den gesamten Honorarbescheid für ein Quartal allein wegen der Unrichtigkeit der Abrechungssammelerklärung aufhebt (BSG, Urteil vom 22.03.2006 - B 6 KA 76/04 R -). Das ist hier nicht geschehen. Die Beklagte hat lediglich die von der Klägerin abgerechneten Leistungen nach den GOPen 0555330, 05331und 05340 EBM sachlich-rechnerisch berichtigt, die Abrechnungsbescheide für die Quartale 4/2011 bis 4/2013 im Übrigen aber nicht angetastet.
41Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 SGG in Verbindung mit §§ 155 Abs. 1 Satz 1, 162 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung.
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