Urteil vom Sozialgericht Speyer (1. Kammer) - S 1 AL 31/11

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Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

3. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

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Streitig ist die Gewährung von Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit vom 1.12.2010 bis 31.1.2011.

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Die Klägerin arbeitete seit 1997 in Vollzeit bei der Firma K.. H… und Sohn. Am 26.12.2004 wurde ihre Tochter E… und am 18.4.2006 ihre Tochter M… geboren. Mutterschaftsgeld bezog sie aufgrund der Geburten der Kinder vom 25.11.2004 bis 3.3.2005 und vom 11.3.2006 bis 17.6.2006. Seit Januar 2005 bis Dezember 2010 befand sich die Klägerin nach Angaben ihres Arbeitgebers in der Arbeitsbescheinigung in Elternzeit. Mit Schreiben vom 7.1.2009 kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis zum 30.11.2010, weil die Klägerin wegen der Kinderbetreuung nur noch in Teilzeit arbeiten wollte und dem Arbeitgeber ein entsprechender Arbeitsplatz nicht zur Verfügung stand.

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Am 16.8.2010 meldete sich die Klägerin bei der Beklagten arbeitsuchend. Am 23.11.2010 meldete sie sich zudem mit Wirkung zum 1.12.2010 arbeitslos und beantragte Alg. Mit Bescheid vom 7.12.2010 lehnte die Beklagte den Alg-Anspruch ab, weil die Klägerin die Anwartschaftszeit nicht erfüllt habe. Versicherungspflichtige Zeiten könnten nur bis zum 17.4.2009 (Vollendung 3. Lebensjahr des jüngsten Kindes) anerkannt werden. Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte aus den genannten Gründen mit Widerspruchsbescheid vom 11.1.2011 zurück. Seit dem 1.2.2011 ist die Klägerin wieder in Arbeit.

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Am 25.1.2011 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Speyer erhoben.

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Sie trägt vor:

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Gemäß § 15 Abs. 2 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) könne ein Anteil der Elternzeit von bis zu 12 Monaten mit Zustimmung des Arbeitgebers auf die Zeit bis zur Vollendung des 8. Lebensjahres des jüngsten Kindes übertragen werden. Vorliegend habe sie mit Zustimmung ihres Arbeitgebers nicht verbrauchte Anteile ihrer Elternzeit bezüglich ihres ersten Kindes an die Elternzeit für das zweite Kind nach Vollendung des 3. Lebensjahres bis 30.11.2010 angehängt. In dieser Zeit sei sie mithin versicherungspflichtig gewesen. Der Gesetzgeber habe klar geregelt, dass im Fall von Mehrlingsgeburten oder mehreren Kindern mit Zustimmung des Arbeitgebers die Elternzeit verlängert werden könne. Dies müsse auch im Rahmen der Arbeitslosenversicherung bei der Anwartschaftszeit entsprechende Berücksichtigung finden.

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Die Klägerin beantragt,

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den Bescheid der Beklagten vom 7.12.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.1.2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Arbeitslosengeld für die Zeit vom 1.12.2010 bis 31.1.2011 zu gewähren.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie trägt vor, nach den klaren Regelungen, die für die Erfüllung der Anwartschaftszeit im Bereich der Arbeitslosenversicherung gelten, könne ein versicherungspflichtiges Verhältnis aufgrund der Erziehung des Kindes nur bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres des Kindes mithin bis zum 17.4.2009 Berücksichtigung finden. Damit erfülle die Klägerin jedoch nicht die erforderliche Anwartschaftszeit aufgrund ihrer Arbeitslosmeldung zum 1.12.2010.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte und die die Klägerin betreffende Leistungsakte der Beklagten Bezug genommen. Sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist nicht begründet.

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Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung von Alg für die Zeit vom 1.12.2010 bis 31.1.2011.

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Gemäß §§ 117, 118 SGB III haben Anspruch auf Alg Arbeitnehmer, die arbeitslos sind, sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet haben und die Anwartschaftszeit erfüllt haben. Nach § 123 SGB III hat die Anwartschaftszeit erfüllt, wer in der Rahmenfrist mindestens 12 Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat. Nach § 124 Abs. 1 SGB III beträgt die Rahmenfrist zwei Jahre und beginnt mit dem Tag vor der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Alg. Nach den genannten Vorschriften berechnet sich mithin aufgrund der Arbeitslosmeldung und Antragstellung zum 1.12.2010 die Rahmenfrist vom 1.12.2008 bis zum 30.11.2010. Innerhalb dieser zweijährigen Rahmenfrist hat die Klägerin nicht für mindestens 12 Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden.

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Ein Versicherungspflichtverhältnis nach §§ 24, 25 SGB III scheidet aus, weil die Klägerin trotz fortbestehendem Arbeitsverhältnis nicht gegen Arbeitsentgelt bei ihrem Arbeitgeber beschäftigt war. Der letzte Abrechnungszeitraum mit Anspruch auf Arbeitsentgelt liegt unstreitig vor Beginn dieser zweijährigen Rahmenfrist.

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Die Klägerin war auch nicht aus sonstigen Gründen im Sinne des § 24 Abs. 1 versicherungspflichtig. Zwar besteht nach § 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB III Versicherungspflicht in der Zeit, für die von einem Leistungsträger Mutterschaftsgeld gezahlt wurde. Die Klägerin erhielt für die Geburten ihrer beiden Kinder Mutterschaftsgeld und zwar für die Zeit vom 25.11.2004 bis 3.3.2005 und vom 11.3.2006 bis 17.6.2006. Diese Zeiträume liegen aber ebenfalls außerhalb der hier maßgeblichen Rahmenfrist.

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Schließlich war die Klägerin auch nicht versicherungspflichtig nach § 26 Abs. 2 a SGB III. Danach sind versicherungspflichtig Personen in der Zeit, in der sie ein Kind, das das dritte Lebensjahr noch nicht vollendet hat, erziehen, wenn sie u. a. unmittelbar vor der Kindererziehung versicherungspflichtig waren und sich mit dem Kind im Inland gewöhnlich aufhalten. Demnach war die Klägerin versicherungspflichtig seit der Geburt ihres ersten Kindes bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres ihres zweiten Kindes, mithin bis zum 17.4.2009. Innerhalb der hier maßgeblichen Rahmenfrist vom 1.12.2008 bis 30.11.2010 umfasst der Zeitraum vom 1.12.2008 bis 17.4.2009 jedoch nicht die nach § 123 Abs. 1 SGB III erforderlichen 12 Monate eines Versicherungspflichtverhältnisses.

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Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die Vorschrift des § 26 Abs. 2 a SGB III nicht erweiternd auslegungsfähig.

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Zu Recht weist zwar die Klägerin daraufhin, dass in anderen Vorschriften eine Verlängerung der Eltern- bzw. Kindererziehungszeiten über die Vollendung des dritten Lebensjahres hinaus möglich ist. So sah bereits § 15 Abs. 2 Satz 4 Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG) vor, dass ein Anteil der Elternzeit von bis zu 12 Monaten mit Zustimmung des Arbeitgebers auf die Zeit bis zur Vollendung des achten Lebensjahres übertragbar ist, wenn für mehrere Kinder ein Anspruch auf Elternzeit besteht und die Zeiträume sich teilweise überschneiden. Diese Vorschrift, die zum 31.12.2006 außer Kraft trat wurde in der nachfolgenden Regelung in § 15 Abs. 2 BEEG wortgleich übernommen. Nach dieser Vorschrift konnte die Klägerin daher mit Zustimmung ihres Arbeitgebers den unverbrauchten Anteil der Elternzeit nach der Geburt ihres ersten Kindes an die Zeit nach Vollendung des dritten Lebensjahres ihres zweiten Kindes für maximal 12 Monate anhängen.

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Eine ähnliche Regelung für die Anerkennung von Kindererziehungszeiten sieht § 56 Abs. 5 SGB VI im Bereich der Rentenversicherung vor. Danach endet zwar eine Kindererziehungszeit auch dort grundsätzlich mit Vollendung des dritten Lebensjahres des Kindes. Wird allerdings während dieses Zeitraums vom erziehenden Elternteil ein weiteres Kind erzogen, für das ihm eine Kindererziehungszeit anzurechnen ist, wird die Kindererziehungszeit für dieses und jedes weitere Kind um die Anzahl von Kalendermonaten der gleichzeitigen Erziehungszeit verlängert.

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Eine sinngemäße Anwendung dieser Regelungen auf die Vorschrift in § 26 Abs. 2 a SGB III scheidet jedoch aus, weil eine ausfüllungsbedürftige Lücke im Gesetz nicht vorliegt. Die Vorschrift bestimmt eindeutig, dass versicherungspflichtig nur Personen sind, in der Zeit, in der sie ein Kind bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres erziehen. Eine Gesetzeslücke kann daher nur angenommen werden, wenn das Gesetz entweder absichtlich keine Regelung trifft und dies insoweit der Rechtsprechung überlässt oder wenn der nicht geregelte Tatbestand erst nach Erlass des Gesetzes durch eine Veränderung der Lebensverhältnisse sich ergeben hat. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben.

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§ 26 Abs. 2 a SGB III wurde durch das Gesetz zur Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente vom 10.12.2001 mit Wirkung vom 1.1.2003 in § 26 SGB III eingefügt. Bereits zu diesem Zeitpunkt bestand die Regelung im Bundeserziehungsgeldgesetz in § 15 Abs. 3 BErzGG, der eine Verlängerung der Elternzeit über die Vollendung des dritten Lebensjahres des Kindes hinaus bei Mehrfacherziehung vorsah. Gleiches gilt für die Regelung in § 56 Abs. 5 SGB VI. Demnach ist davon auszugehen, dass dem Gesetzgeber durchaus die unterschiedliche Regelung bewusst war und er eine solche auch wollte. Eine entsprechende Anwendung der Vorschriften nach BErzGG und BEEG scheidet daher aus (vgl. dazu auch BSG Urteil vom 4.9.2003, Az.: B 11 AL 9/03 R).

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Die Kammer hält § 26 Abs. 2 a SGB III insoweit auch nicht für verfassungswidrig. Einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz in Artikel 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) kann die Kammer nicht erkennen. Bei der Überprüfung ist nicht zu untersuchen, ob der Gesetzgeber die zweckmäßigste oder gerechteste Lösung gefunden hat, sondern ob er die verfassungsrechtlichen Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit eingehalten hat. Hierbei ist im Hinblick auf die Eigenart des zu regelnden Sachverhaltes durchaus eine Differenzierung möglich. Für eine unterschiedliche Regelung der Tatbestände sieht die Kammer sachliche Gründe. Zweck der Arbeitslosenversicherung ist es, für einen vorübergehenden Zeitraum das Risiko der Beschäftigungslosigkeit abzusichern. Der zeitliche Abstand zwischen der zuletzt ausgeübten Beschäftigung und dem Anspruch auf Arbeitslosengeld ist daher zeitlich zu begrenzen, wie sich dies auch in den Regelungen zur Anwartschaftszeit zeigt. Ziel des SGB III ist es insgesamt, Beschäftigungslosigkeit möglichst rasch zu beenden. Es ist daher nachvollziehbar, dass im Bereich des SGB III der versicherungspflichtige Tatbestand der Kindererziehung mit Vollendung des dritten Lebensjahres endet.

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Ein Verstoß gegen Artikel 6 GG liegt ebenfalls nicht vor. Das Differenzierungsziel des Gesetzgebers ist insbesondere auch unter Berücksichtigung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf legitim.

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Aufgrund der Arbeitslosmeldung zum 1.12.2010 hat die Klägerin mithin die Anwartschaftszeit nach § 123 SGB III nicht erfüllt. Eine Verlängerung der zweijährigen Rahmenfrist nach § 124 Abs. 3 SGB III kommt ersichtlich nicht in Betracht. Die Klägerin hat auch nach den Grundsätzen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches keinen Anspruch auf Alg. Selbst unterstellt, die Klägerin hätte bei ihrer Arbeitsuchendmeldung am 16.8.2010 sich bereits arbeitslos gemeldet und Alg beantragt, umfasst die dann maßgebliche Rahmenfrist vom 16.8.2008 bis 15.8.2010 nicht mindestens 12 Monate einer versicherungspflichtigen Kindererziehungszeit.

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Die Klägerin hat auch dargelegt, dass sie vor dem 16.8.2010 keinerlei Kontakt zur Beklagten aufgenommen hatte. Anhaltspunkte für die Annahme eines Beratungsfehlers bestehen mithin nicht.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

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Die Berufung wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.

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