Beschluss vom Verwaltungsgericht Aachen - 6 L 565/15
Tenor
1. Frau S. A. , O. , M. , wird zum Verfahren beigeladen.
2. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens. Außergerichtliche Kosten der Beigeladenen werden nicht erstattet.
3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,- € festgesetzt.
1
G r ü n d e:
21.
3Die Ehefrau des Antragstellers, Frau S. A. , wird gemäß § 65 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zum Verfahren beigeladen, weil sie als Person, zu deren Schutz das Rückkehrverbot vom 30. Juni 2015 ergangen ist, durch die Entscheidung im vorliegenden Verfahren in ihren rechtlichen Interessen berührt wird. Von einer Anhörung der nach Aktenlage über den Inhalt des Antrages informierten Beigeladenen wurde angesichts der Dringlichkeit der begehrten Entscheidung abgesehen.
42.
5Der sinngemäß gestellte Antrag,
6die aufschiebende Wirkung einer - noch zu erhebenden - Anfechtungsklage gegen die am 30. Juni 2015 mündlich verfügte und schriftlich bestätigte Wohnungsverweisung mit Rückkehrverbot und Zwangsgeldandrohung anzuordnen,
7hat keinen Erfolg. Der Antrag ist zulässig, aber nicht begründet.
8Bei der im Rahmen des Aussetzungsverfahrens nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmenden Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts und dem Individualinteresse des Antragstellers an einem einstweiligen Aufschub der Vollziehung sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache das maßgebliche Kriterium. Erweist sich der angefochtene Verwaltungsakt bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung als offensichtlich rechtswidrig, überwiegt das Aussetzungsinteresse das Vollzugsinteresse. Stellt der Verwaltungsakt sich als offensichtlich rechtmäßig dar, überwiegt in der Regel das Vollzugsinteresse. Lässt sich hingegen bei summarischer Überprüfung eine Offensichtlichkeitsbeurteilung nicht treffen, kommt es entscheidend auf eine Abwägung zwischen den für eine sofortige Vollziehung sprechenden Interessen einerseits und dem Interesse des Betroffenen an einer Aussetzung der Vollziehung bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren andererseits an. Die Erfolgsaussichten sind dabei auch unabhängig von einer fehlenden Offensichtlichkeit einzubeziehen. Je höher diese sind, umso größer ist das Interesse an der aufschiebenden Wirkung. Sind die Erfolgsaussichten demgegenüber gering, fällt das Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts stärker ins Gewicht.
9Gemessen an diesem Maßstab überwiegt hier das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Rückkehrverbots das private Aussetzungsinteresse des Antragstellers.
10Die angefochtene und gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VwGO kraft Gesetzes sofort vollziehbare Wohnungsverweisung mit Rückkehrverbot findet ihre Rechtsgrundlage in § 34 a des Polizeigesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen (PolG NRW).
11Nach § 34 a Abs. 1 Satz 1 PolG NRW kann die Polizei eine Person zur Abwehr einer von ihr ausgehenden gegenwärtigen Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer anderen Person aus einer Wohnung, in der die gefährdete Person wohnt, sowie aus deren unmittelbaren Umgebung verweisen und ihr die Rückkehr in diesen Bereich untersagen. In besonders begründeten Einzelfällen können die Maßnahmen nach § 34 a Abs. 1 Satz 1 PolG NRW auf Wohn- und Nebenräume beschränkt werden (§ 34 a Abs. 1 Satz 3 PolG NRW). Gemäß § 34 a Abs. 5 Satz 1 PolG NRW enden Wohnungsverweisung und Rückkehrverbot regelmäßig mit Ablauf des zehnten Tages nach ihrer Anordnung, soweit nicht die Polizei im Einzelfall ausnahmsweise eine kürzere Geltungsdauer festlegt.
12Die materiellen Voraussetzungen des § 34 a Abs. 1 Satz 1 PolG NRW sind vorliegend gegeben.
13Ausweislich des Akteninhalts ist es in der Nacht vom 29./30. Juni 2015 zunächst zu verbalen Streitigkeiten zwischen dem Antragsteller und der Beigeladenen gekommen, in deren weiterem Verlauf sich der Antragsteller mit dem Knie auf die Beigeladene gesetzt und ihr mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen habe. Die 14-jährige Tochter der Eheleute hatte den Streit mitbekommen und nach der körperlichen Attacke sofort die Polizei gerufen und aus Angst vor dem Antragsteller das Haus verlassen. Den vor Ort eingesetzten Polizeibeamten gegenüber gab sie an, bereits in der Vergangenheit mitbekommen zu haben, dass der Antragsteller die Beigeladene geschlagen habe. Dies wurde von der Beigeladenen bestätigt. Während der 35-jährigen Ehe habe der Antragsteller sie immer wieder geschlagen und werde dies auch in Zukunft tun. Der zu diesem Zeitpunkt stark alkoholisierte Antragsteller räumte auf Befragen ein, die Beigeladene geschlagen zu haben. Er schlage sie seit 30 Jahren. Sie habe seiner Meinung nach die Schläge auch verdient. Er werde sie auch in Zukunft schlagen.
14Unter Zugrundelegung dieses Akteninhalts kann kein vernünftiger Zweifel daran bestehen, dass die vom Antragsgegner getroffene Gefahrenprognose zutreffend ist und die Polizeibeamten zu Recht von einer Gefährdungssituation für die Beigeladene ausgehen konnten. Dass der Antragsteller offenbar auch über eine erhöhte Gewaltbereitschaft verfügt, hat er durch sein Verhalten gegenüber den Polizeibeamten, die den wild um sich schlagenden Antragsteller schließlich mittels Handfesseln fixieren und in polizeiliches Gewahrsam verbringen mussten, unter Beweis gestellt.
15Dass die Beigeladene nunmehr angibt, keine Angst vor dem Antragsteller zu haben und seine Rückkehr in die gemeinsame Wohnung wünscht, führt nicht zu einer anderen Einschätzung der Gefährdungssituation. Das ausgesprochene Einverständnis der Beigeladenen spricht angesichts der insoweit übereinstimmenden Angaben aller Beteiligten gegenüber den Polizeibeamten, denen zufolge sich die Ehe zwischen dem Antragsteller und der Beigeladenen seit vielen Jahren als Gewaltbeziehung darstellen dürfte, zum einen dafür, dass die Beigeladene sich in einer Drucksituation befinden und ihr Einverständnis nicht auf einem freien und unbeeinflussten Willensentschluss beruhen könnte. Zum anderen steht es grundsätzlich nicht zur Disposition des Opfers, ob der Staat in einem solchen Fall seinem aus Art. 2 Abs. 2 GG folgenden Schutzauftrag (für Leben und körperliche Unversehrtheit) nachkommt. Vorliegend ist die Beigeladene zwar Inhaberin des aus Art. 2 Abs. 1 GG folgenden Grundrechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, das grundsätzlich auch beinhaltet, dass der Einzelne sich ‑ in gewissem Rahmen ‑ selbst gefährden darf. Drohen dem Einzelnen aber erhebliche Gefahren für Leib und Leben, so wird dem staatlichen Schutzauftrag für diese Rechtsgüter in aller Regel der Vorrang einzuräumen sein.
16Vgl. Verwaltungsgericht (VG) Aachen, ständige Rechtsprechung, u.a. Beschlüsse vom 22. Dezember 2011 - 6 L 545/11 -, sowie Beschluss vom 28. Februar 2012 - 6 L 70/12 -, beide veröffentlicht in der NRW-Rechtsprechungsdatenbank
Letztlich führte auch eine nach den eingangs dargelegten Grundsätzen unabhängig von den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache vorzunehmende Interessenabwägung zu einem Überwiegen des öffentlichen Vollzugsinteresses.
18Im Rahmen dieser Interessenabwägung muss die Kammer die Folgen abwägen, die sich im Falle der Stattgabe oder der Ablehnung des Antrages ergäben. Es sind daher auf der einen Seite in die Abwägung die Folgen einzustellen, die sich für den Antragsteller aus einer Ablehnung des Antrages ergäben. Er wäre vorübergehend daran gehindert, die Wohnung, in der sich seine persönliche Habe befindet, als Unterkunft zu nutzen. Hierbei handelt es sich um nicht ganz unerhebliche - wenn auch nur für einen begrenzten Zeitraum hinzunehmende - Beeinträchtigungen seiner persönlichen Sphäre. In diesem Zusammenhang ist jedoch auch zu berücksichtigen, dass gemäß § 34 a Abs. 2 PolG NRW der Person, die die Gefahr verursacht hat und gegen die sich die polizeilichen Maßnahmen nach § 34 a Abs. 1 PolG NRW richten, Gelegenheit zu geben ist, dringend benötigte Gegenstände des persönlichen Bedarfes mitzunehmen bzw. in Begleitung eines Polizeibeamten aus der Wohnung zu holen. Hierauf ist der Antragsteller, der seinen Angaben zufolge an einer Krebserkrankung leide und auf in der Wohnung befindliche Nahrungsergänzungsmittel angewiesen sei, hingewiesen worden und hierzu ist ihm ausweislich des Verwaltungsvorgangs auch Gelegenheit gegeben worden.
19Im Falle der Stattgabe des Antrages und einer Realisierung der von der Polizei angenommenen Gefahr ergäben sich für die Beigeladene im Rahmen weiterer Streitigkeiten unter Umständen erhebliche Beeinträchtigungen ihrer körperlichen Unversehrtheit.
20Im Ergebnis wiegen die im Falle der Stattgabe des Antrages und einer Verwirklichung der Gefahr zu erwartenden Folgen gegenüber den sich für den Antragsteller aus einer Ablehnung seines Antrages ergebenden Konsequenzen weitaus schwerer. Angesichts dessen ist das öffentliche Interesse an einer sofortigen Vollziehung der angefochtenen Verfügung höher zu bewerten. Das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung einer - ggf. noch zu erhebenden - Klage muss daher zurücktreten.
21Die gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 112 Satz 1 des Gesetzes über die Justiz im Land Nordrhein-Westfalen (Justizgesetz Nordrhein-Westfalen - JustG NRW -) kraft Gesetzes sofort vollziehbare Zwangsgeldandrohung ist rechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden. Sie steht im Einklang mit den gesetzlichen Bestimmungen der §§ 50, 51, 53, 56 PolG NRW.
22Der Antrag ist mithin insgesamt abzulehnen.
23Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 und 3, 162 Abs. 3 VwGO. Da die Beigeladene sich mangels Antragstellung keinem eigenen Kostenrisiko ausgesetzt hat, entspricht es der Billigkeit, dass sie ihre eigenen außergerichtlichen Kosten, sollten solche überhaupt entstanden sein, selbst trägt.
243.
25Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG). Sie berücksichtigt zum einen, dass vorliegend wegen der begehrten Vorwegnahme der Hauptsache die Hälfte des gesetzlichen Auffangstreitwerts des § 52 Abs. 2 GKG (vgl. Ziffer 35.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 18. Juli 2013) ungekürzt anzusetzen ist, und zum anderen, dass die mit dem Rückkehrverbot als Grundverfügung verbundene Zwangsgeldandrohung den Streitwert nicht erhöht.
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Referenzen
- § 34 a Abs. 1 PolG 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 154 1x
- VwGO § 3 1x
- Beschluss vom Verwaltungsgericht Aachen - 6 L 545/11 1x
- Beschluss vom Verwaltungsgericht Aachen - 6 L 70/12 1x
- §§ 50, 51, 53, 56 PolG 4x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 162 1x
- VwGO § 80 3x
- § 52 Abs. 2 GKG 1x (nicht zugeordnet)
- § 34 a Abs. 1 Satz 1 PolG 2x (nicht zugeordnet)
- § 34 a Abs. 5 Satz 1 PolG 1x (nicht zugeordnet)