Beschluss vom Verwaltungsgericht Aachen - 3 L 393/20
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
2. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000 Euro festgesetzt.
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G r ü n d e
21. Der sinngemäße Antrag,
3die aufschiebende Wirkung der Klage gleichen Rubrums ‑ 3 K 1336/20 ‑ gegen die Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 7. Mai 2020 hinsichtlich der Entziehung der Fahrerlaubnis wiederherzustellen und hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung anzuordnen,
4hat keinen Erfolg.
5Der Antrag ist zwar zulässig.
6Insbesondere ist seine Statthaftigkeit als Aussetzungsantrag gegeben, vgl. § 80 Abs. 5 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die in der Hauptsache erhobene Anfechtungsklage besitzt keine aufschiebende Wirkung, vgl. §§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO und 112 Satz 1 des Justizgesetzes NRW.
7Der zulässige Antrag ist aber unbegründet.
8In formeller Hinsicht begegnet die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Fahrerlaubnisentziehung keinen rechtlichen Bedenken. Sie ist insbesondere hinreichend schriftlich begründet, vgl. § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Angesichts der aus der Ungeeignetheit eines Kraftfahrers für die Allgemeinheit resultierenden erheblichen Gefahren bedurfte es bei der hier in Rede stehenden Alkoholproblematik über die erfolgte Begründung hinaus keiner weiteren Ausführungen.
9Die in materieller Hinsicht gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung der angegriffenen Verwaltungsakte und dem privaten Interesse des Antragstellers, von deren Vollziehung bis zur abschließenden Klärung ihrer Rechtmäßigkeit im Hauptsacheverfahren verschont zu bleiben, fällt zu seinen Lasten aus. Die in der Hauptsache erhobene Klage wird voraussichtlich erfolglos bleiben.
10Die angefochtene Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 7. Mai 2020 erweist sich bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung als offensichtlich rechtmäßig.
11Als rechtliche Grundlage für die angeordnete Entziehung der Fahrerlaubnis hat die Antragsgegnerin zutreffend § 3 Abs. 1 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) in Verbindung mit § 46 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung - FeV -) herangezogen. Danach ist einem Kraftfahrzeugführer die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn er sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist.
12Vorliegend durfte die Antragsgegnerin gemäß § 46 Abs. 3 i. V. m. §§ 11 Abs. 8 Satz 1 und 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe c) FeV auf die Ungeeignetheit des Antragstellers schließen, da dieser es trotz entsprechender Aufforderung und Fristsetzung unterlassen hat, ein medizinisch-psychologisches Gutachten über seine Fahreignung vorzulegen.
13Dabei ist der von Antragsgegnerin gezogene Schluss auf die Nichteignung nur dann zulässig, wenn die Anordnung des Gutachtens formell und materiell rechtmäßig ergangen ist.
14Vgl. Oberverwaltungsgericht (OVG) NRW, Beschluss vom 5. Mai 2017 - 16 E 1138/15 – juris Rn. 6 f.
15So liegt es hier. Die behördliche Gutachtenanforderung beruht auf der zur Klärung von Eignungszweifeln bei einer Alkoholproblematik einschlägigen Ermächtigung in § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe c) FeV.
16Die Gutachtenanforderung ist formell rechtmäßig.
17Nach § 11 Abs. 6 FeV legt die Fahrerlaubnisbehörde unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls und unter Beachtung der Anlagen 4 und 5 in der Anordnung zur Beibringung des Gutachtens fest, welche Fragen im Hinblick auf die Eignung des Betroffenen zum Führen von Kraftfahrzeugen zu klären sind. Die Behörde teilt dem Betroffenen unter Darlegung der Gründe für die Zweifel an seiner Eignung und unter Angabe der für die Untersuchungen in Betracht kommenden Stelle oder Stellen mit, dass er sich innerhalb einer von ihr festgelegten Frist auf seine Kosten der Untersuchung zu unterziehen und das Gutachten beizubringen hat.
18Diesen Anforderungen werden die Ausführungen in der Gutachtenanforderung gerecht. Die Antragsgegnerin knüpft zutreffend daran an, dass der Antragsteller am 26. Januar 2019 durch das Führen eines Kraftfahrzeugs unter erheblichem Alkoholeinfluss (2,0 Promille) verkehrsrechtlich auffällig geworden ist. Vor diesem Hintergrund forderte sie in formell nicht zu beanstandender Weise die Vorlage eines Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung (medizinisch-psychologische Untersuchung). Auch die Formulierung der vom Gutachter zu beantwortenden Fragestellung begegnet keinen Bedenken. Nicht zu beanstanden sind die gestellten Fragen, ob vom Antragsteller zu erwarten sei, dass er auch zukünftig ein (Kraft-) Fahrzeug unter einem die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholeinfluss führen werde und/oder ob im Zusammenhang mit dem früheren Alkoholkonsum Beeinträchtigungen vorlägen, die das sichere Führen eines Kraftfahrzeugs der Gruppe 1 in Frage stellten. Schließlich setzte die Antragsgegnerin gemäß § 11 Abs. 6 Satz 2 HS 1 FeV eine angemessene (und zusätzlich verlängerte) Frist zur Gutachtenvorlage und fügte hinzu, dass die Fahrerlaubnisakte eingesehen werden könne. Schließlich wies sie den Antragsteller darauf hin, dass nach § 11 Abs. 8 FeV bei Nichtvorlage des Gutachtens auf die Nichteignung geschlossen werden dürfe.
19Die Gutachtenanforderung ist materiell rechtmäßig.
20Nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe c) FeV ist ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen, wenn ein Fahrzeug im Straßenverkehr mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr geführt wurde.
21Diese Voraussetzungen sind gegeben. Ausweislich der Feststellungen im rechtskräftigen Strafurteil des Amtsgerichts Aachen vom 12. Juli 2019 (Az.: 450 Cs-803 Js 245/19-326/19) ist der Antragsteller wie folgt verkehrsrechtlich auffällig geworden: Er führte am 26. Januar 2019 um 22:25 Uhr in B, Tstraße, ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr, um dieses in eine Parklücke zu fahren. Dabei stand er unter erheblicher Alkoholeinwirkung. Die um 23:11 Uhr festgestellte Blutalkoholkonzentration betrug 2,00 Promille und überstieg damit deutlich die in § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe c) FeV genannte Schwelle von 1,6 Promille.
22Angesichts dessen bestand eine Rechtspflicht der Antragsgegnerin, vom Antragsteller ein medizinisch-psychologischen Gutachten anzufordern („ist…beizubringen“).
23Der Verweis des Antragstellers auf das für ihn günstige Ergebnis des Strafprozesses rechtfertigt keine andere Beurteilung. Zwar händigte die Strafrichterin dem Antragsteller am Ende der Hauptverhandlung den Führerschein wieder aus und sah das im Urteil verhängte dreimonatige Fahrverbot angesichts der Dauer der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis als „erledigt“ an. Maßgeblich ist aber, dass ein derartiges Vorgehen des Strafgerichts die gesetzliche Pflicht der Fahrerlaubnisbehörde unberührt lässt, die in der Person des Betroffenen entstandenen Zweifel an der Kraftfahreignung abzuklären.
24Zwar kann nach § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG die Fahrerlaubnisbehörde, wenn sie in einem Entziehungsverfahren einen Sachverhalt berücksichtigen will, der Gegenstand der Urteilsfindung in einem Strafverfahren gegen den Inhaber der Fahrerlaubnis gewesen ist, zu dessen Nachteil vom Inhalt des Urteils insoweit nicht abweichen, als es sich auf die Feststellung des Sachverhalts oder die Beurteilung der Schuldfrage oder der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen bezieht. Voraussetzung einer derartigen Bindungswirkung des Strafurteils ist aber, dass sich aus diesem ersehen lässt, dass und aus welchen Gründen das Strafgericht die Eignung des Betroffenen zum Führen von Kraftfahrzeugen trotz der sich aus der Tat ergebenden Bedenken bejaht hat, wobei allein die schriftlichen Entscheidungsgründe maßgeblich sind.
25Damit der Eintritt einer Bindung überprüft werden kann, ist der Strafrichter nach § 267 Abs. 6 Satz 2 der Strafprozessordnung (StPO) stets zu einer besonderen Begründung verpflichtet, wenn er in einem Fall von der Entziehung der Fahrerlaubnis absieht, in dem die Maßregel der Entziehung der Fahrerlaubnis nach der Art der Straftat in Betracht gekommen wäre. Zu einer besonderen Begründung ist der Strafrichter auch dann verpflichtet, wenn er oder sie - wie hier - von der Möglichkeit des § 267 Abs. 4 StPO Gebrauch macht und die Urteilsgründe abkürzt.
26Vgl. Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 17. Juli 2007 - 11 CS 07.535 -, juris.
27Gemessen daran bestand vorliegend keine Bindungswirkung des Strafurteils.
28So wurde der Antragsteller aufgrund der Alkoholfahrt vom 26. Januar 2019 durch das Urteil des Amtsgerichts Aachen wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr nach § 316 Abs. 1 und 2 des Strafgesetzbuches (StGB) verurteilt. Bei einem derartigen Vergehen ist der Täter nach § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB in der Regel als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen. Gleichwohl enthält das Urteil keine Ausführungen zur Beurteilung der Fahreignung des Antragstellers, sondern beschränkt sich neben der Verhängung einer Geldstrafe (30 Tagessätze zu je 25 Euro) darauf, dem Antragsteller das Führen von Kraftfahrzeugen für die Dauer von drei Monaten zu untersagen, vgl. § 44 StGB, was mit Blick auf die Dauer der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis als „erledigt“ anzusehen sei.
29Das Amtsgericht stellt damit maßgeblich darauf ab, dass die Nachteile, die der Antragsteller durch die mehr als dreimonatige Dauer der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis erlitten habe, eine ausreichende Sanktionsmaßnahme seien. Eine der Bindungswirkung fähige Feststellung über die aktuelle Fahreignung des Antragstellers zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung ist damit erkennbar nicht verbunden. Im Übrigen handelt es sich beim verhängten Fahrverbot um eine erzieherische Nebenstrafe, bei der die Mahnung zur zukünftigen Beachtung der Verkehrsregeln im Vordergrund steht, ohne dass über die Fahreignung des Betroffenen befunden wird.
30Die behördliche Fahrerlaubnisentziehung vom Mai 2020 ist ferner nicht etwa wegen des zeitlichen Abstands zum Tag des Vorfalls im Januar 2019 als unverhältnismäßig anzusehen.
31Schon vom Ansatz her ist der bloße Zeitablauf nicht in der Lage, die Gefahren für Leib und Leben anderer Verkehrsteilnehmer zu beseitigen, welche durch die Teilnahme von ungeeigneten Fahrerlaubnisinhaber am Straßenverkehr (fort-) bestehen und damit fahrerlaubnisrechtliche Maßnahmen ohne Weiteres rechtfertigen. Abgesehen davon hatte die Antragsgegnerin den Ausgang des Strafprozesses abzuwarten, der nach Einspruch gegen den Strafbefehl durch das amtsgerichtliche Urteil vom 12. Juli 2019 beendet worden ist.
32Ist demnach in der Person des Antragstellers der Entziehungstatbestand des § 46 Abs. 1 und 3 FeV i. V. m. §§ 11 Abs. 8 Satz 1, 13 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe c) als erfüllt anzusehen, ist die angeordnete Entziehung der Fahrerlaubnisbehörde rechtlich zwingend. Ein Ermessen ist der Fahrerlaubnisbehörde nicht eröffnet.
33Die weitere Interessenabwägung geht ebenfalls zu Lasten des Antragstellers aus.
34In aller Regel trägt allein die voraussichtliche Rechtmäßigkeit einer auf den Verlust der Kraftfahreignung gestützten Ordnungsverfügung die Aufrechterhaltung der An-ordnung der sofortigen Vollziehung. Zwar kann die Fahrerlaubnisentziehung die per-sönliche Lebensführung und damit die Wahrnehmung grundrechtlicher Freiheiten des Erlaubnisinhabers gravierend beeinflussen. Derartige Folgen, die im Einzelfall bis zur Vernichtung der wirtschaftlichen Existenzgrundlage reichen können, muss der Betroffene jedoch angesichts des von fahrungeeigneten Verkehrsteilnehmern aus-gehenden besonderen Risikos für die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs und des aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) ableitbaren Auftrags zum Schutz vor erheblichen Gefahren für Leib und Leben hinnehmen.
35Vgl. etwa VG Düsseldorf, Beschluss vom 24. November 2015 - 14 L 3652/15 - juris, Rn. 53 f., m. w. N.; OVG NRW, Beschluss vom 22. Oktober 2013 ‑ 16 B 1124/13 - juris, Rn. 9.
36Besondere Umstände, aufgrund derer vorliegend ausnahmsweise eine abweichende Bewertung veranlasst sein könnte, sind nicht erkennbar.
37Auch im Übrigen bleibt der Aussetzungsantrag ohne Erfolg. Rechtliche Bedenken gegen die in der Ordnungsverfügung getroffenen sonstigen Entscheidungen bestehen ebenfalls nicht.
38Die Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins (und des Personenbeförderungsscheins) binnen sechs Tagen beruht auf § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG i. V. m. § 47 Abs. 1 Satz 1 FeV.
39Die mit der Fahrerlaubnisentziehung verbundene Zwangsgeldandrohung für den Fall der Nicht- oder nicht fristgerechten Ablieferung des Führerscheins (und des Personenbeförderungsscheins) findet ihre Grundlage in §§ 55 Abs. 1, 57 Abs. 1 Nr. 2, 60, 63 des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (VwVG NRW). Die Höhe des Zwangsgeldes von 500 Euro steht in einem angemessenen Verhältnis zu seinem Zweck, den Antragsteller zur Abgabe seines Führerscheins zu bewegen (vgl. § 58 Abs. 1 Satz 1 VwVG NRW).
40Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
412. Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG). Nach der Streitwertpraxis des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen,
42vgl. u.a. OVG NRW, Beschluss vom 20. November 2012 - 16 A 2172/12 - juris, Rn. 17,
43der sich die Kammer anschließt, ist für ein Hauptsacheverfahren wegen Entziehung einer Fahrerlaubnis ungeachtet der erteilten Fahrerlaubnisklassen stets der Auffangwert (5.000 Euro) und bei – hier gegebener – beruflicher Nutzung der doppelte Auffangwert (10.000 Euro) zu berücksichtigen. Für ein vorläufiges Rechtsschutzverfahren ist die Hälfte dieses Betrages und damit vorliegend 5.000 Euro als Streitwert anzusetzen. Die ‑ unselbständige - Zwangsgeldandrohung wird bei der Streitwertfestsetzung nicht berücksichtigt.
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Referenzen
- 14 L 3652/15 1x (nicht zugeordnet)
- 16 A 2172/12 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 80 2x
- § 11 Abs. 6 FeV 1x (nicht zugeordnet)
- StGB § 69 Entziehung der Fahrerlaubnis 1x
- 3 K 1336/20 1x (nicht zugeordnet)
- StVG § 3 Entziehung der Fahrerlaubnis 2x
- VwGO § 154 1x
- § 47 Abs. 1 Satz 1 FeV 1x (nicht zugeordnet)
- 16 B 1124/13 1x (nicht zugeordnet)
- StGB § 44 Fahrverbot 1x
- StPO § 267 Urteilsgründe 1x
- 803 Js 245/19 1x (nicht zugeordnet)
- 16 E 1138/15 1x (nicht zugeordnet)