Beschluss vom Verwaltungsgericht Arnsberg - 4 L 1082/16
Tenor
Die aufschiebende Wirkung der Klage 4 K 2840/16 gegen den Zurückstellungsbescheid des Landrats des Antragsgegners vom 6. Juni 2016 wird wiederhergestellt.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
Der Streitwert wird auf 103.000,- EUR festgesetzt.
1
G r ü n d e :
2Der sinngemäße Antrag,
3die aufschiebende Wirkung der gegen den Zurückstellungsbescheid des Landrats des Antragsgegners vom 6. Juni 2016 erhobenen Klage 4 K 2840/16 wiederherzustellen,
4hat Erfolg.
5Der Antrag ist zulässig. Die Antragstellerin begehrt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer am 8. Juli 2016 erhobenen Klage gegen den für sofort vollziehbar erklärten Bescheid des Landrats des Antragsgegners vom 6. Juni 2016, mit dem die Entscheidung über den Genehmigungsantrag der Antragstellerin vom 19. August 2015 über die Errichtung und den Betrieb von sechs Windenergieanlagen vom Typ Enercon E-92 auf den Grundstücken G 1 und G 2 bis zum 30. April 2017 ausgesetzt worden ist. Der Antrag ist nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Fall 2 i.V.m. 7; 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) statthaft.
6Vgl. zu alledem: Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschluss vom 4. Februar 2010 – 8 B 1652/09.AK –, juris Rn. 22; Verwaltungsgericht (VG) Minden, Beschluss vom 26. Mai 2014 – 11 L 329/15 –, juris Rn. 1.
7Auch in der Sache hat der Antrag Erfolg. Die nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse am sofortigen Vollzug des angefochtenen Zurückstellungsbescheides und dem privaten Aufschubinteresse der Antragstellerin fällt zu Gunsten der Antragstellerin aus. Insoweit hat sich das Gericht maßgeblich von den Erfolgsaussichten der in der Hauptsache erhobenen Klage leiten lassen, denn bei offensichtlicher Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides kann kein öffentliches Interesse daran bestehen, dass dieser sofort vollzogen wird.
8So liegt der Fall hier. Der Zurückstellungsbescheid des Landrats des Antragsgegners vom 6. Juni 2016 erweist sich bei der im Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung voraussichtlich als rechtswidrig.
9Der angefochtene Bescheid findet in § 15 Abs. 3 Satz 1 BauGB keine hinreichende Rechtsgrundlage. Nach dieser Vorschrift hat die Baugenehmigungsbehörde auf Antrag der Gemeinde die Entscheidung über die Zulässigkeit unter anderem von Vorhaben nach § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB für einen Zeitraum bis zu längstens einem Jahr nach Zustellung der Zurückstellung des Baugesuchs auszusetzen, wenn die Gemeinde beschlossen hat, einen Flächennutzungsplan aufzustellen, zu ändern oder zu ergänzen, mit dem die Rechtswirkungen des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB erreicht werden sollen, und zu befürchten ist, dass die Durchführung der Planung durch das Vorhaben unmöglich gemacht oder wesentlich erschwert werden würde. Danach begegnet die angegriffene Zurückstellung des Genehmigungsantrags der Antragstellerin bei summarischer Prüfung Rechtmäßigkeitsbedenken. Die Vorschrift des § 15 Abs. 3 BauGB ist zwar im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren entsprechend anwendbar (dazu 1), aber aller Voraussicht nach sind die tatbestandlichen Anforderungen gemäß § 15 Abs. 3 Satz 1 BauGB nicht erfüllt (dazu 2).
echts">10="absatzLinks">1. Die Regelung des § 15 Abs. 3 BauGB ist entsprechend anwendbar, wenn es – wie vorliegend – nicht um eine baurechtliche, sondern um die immissionsschutzrechtliche Genehmigung eines Vorhabens geht.
11Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 4. Februar 2010 – 8 B 1652/09.AK –, juris Rn. 31, vom 11. März 2014 – 8 B 1339/13 –, juris Rn. 4, vom 25. November 2014 – 8 B 646/14 –, juris Rn. 6, und vom 18. Dezember 2014 – 8 B 646/14 –, juris Rn. 5; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof (VGH), Beschluss vom 5. Dezember 2013 – 22 CS 13.1757 –, juris Rn. 19.
12Auch nach Inkrafttreten des § 15 Abs. 3 Satz 4 BauGB zum 20. September 2013 ist von einer planwidrigen Regelungslücke im Sinne eines versehentlichen, mit dem Normzweck unvereinbaren Regelungsversäumnisses des Normgebers auszugehen.
13Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. Dezember 2014, a.a.O., Rn. 5.
142. Die tatbestandlichen Voraussetzungen gemäß § 15 Abs. 3 Satz 1 BauGB dürften im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Zurückstellungsbescheides als letzter behördlicher Entscheidung nicht vorgelegen haben.
="absatzRechts">15>Vgl. zum maßgeblichen Zeitpunkt OVG NRW, Beschlüsse vom 17. März 2006 – 8 B 1920/05 –, juris Rn. 6, und vom 11. März 2014 ‑ 8 B 1339/13 ‑, juris Rn. 6.
16Es stand nicht zu befürchten, dass die Durchführung des sachlichen Teilflächennutzungsplans der Beigeladenen, der sich noch in Aufstellung befindet und dessen Inhalt gemäß § 5 Abs. 2b HS 1 BauGB auf die Darstellung von Konzentrationszonen mit Ausschlusswirkung nach § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB innerhalb des Gemeindegebiets gerichtet ist, durch das zur Genehmigung gestellte Vorhaben unmöglich gemacht oder wesentlich erschwert werden würde. Das Vorhaben der Antragstellerin ist aller Voraussicht nach bereits auf der Grundlage des aktuellen Planungsrechts gemäß § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB unzulässig mit der Folge, dass der Antragsgegner den Genehmigungsantrag vom 19. August 2015 hätte ablehnen müssen.
17An einer Planungsgefährdung im Sinne des § 15 Abs. 3 Satz 1 BauGB fehlt es, sollte das in Rede stehende Vorhaben aus anderen – jedenfalls – bauplanungsrechtlichen Gründen unzulässig sein und die noch in Entwicklung befindliche Bauleitplanung der Gemeinde somit nicht nachteilig berührt werden. Der Gesetzgeber hat das Institut der Zurückstellung für den Fall geschaffen, dass ein Vorhaben an sich überhaupt bauplanungsrechtlich genehmigungsfähig ist. Erweist sich das Vorhaben demnach als unzulässig, muss die Genehmigungsbehörde, anstatt eine Zurückstellung zu verfügen, den Genehmigungsantrag negativ bescheiden, weil es zur Sicherung der gemeindlichen Planung keiner zeitlichen Verzögerung der insoweit ablehnenden Entscheidung bedarf.
18Vgl. 0; 0; Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 18. Oktober 1983 – 4 C 21/80 –, juris, Rn. 38; OVG NRW, Beschluss vom 6. Mai 2011 – 10 B 465/11 –, juris Rn. 6; Stock, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand: 121. Ergänzungslieferung, Mai 2016, § 15 Rn. 71j und 71m; Lemmel, in: Berliner Kommentar, Stand: 33. Ergänzungslieferung, Mai 2016, § 15 Rn. 7; Sennekamp, in: Brügelmann, BauGB, Stand: 89. Ergänzungslieferung, Februar 2014, § 15 Rn. 78.
19ass="absatzLinks">Entgegen dem Vorbringen der Beigeladenen ist die derzeitige bauplanungsrechtliche Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens auch Prüfungsgegenstand der erhobenen Anfechtungsklage und damit zugleich des vorliegenden Eilverfahrens. Am Rechtsschutzbedürfnis der erhobenen Anfechtungsklage bestehen keine Zweifel, da die Antragstellerin allein auf diese Weise erreichen kann, dass ihr Genehmigungsantrag in der Sache möglichst zeitnah beschieden wird. Im Rahmen dieses Klagebegehrens handelt es sich bei der Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens um eine inzident für die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Zurückstellung relevante Rechtsfrage.
bsatzRechts">20Gemessen hieran durfte der Landrat des Antragsgegners von der Zurückstellung keinen Gebrauch machen. Dem Vorhaben der Antragstellerin stehen gemäß § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB öffentliche Belange entgegen, da für die Nutzung von Windenergie im Außenbereich durch die Darstellungen im Flächennutzungsplan der Beigeladenen eine Ausweisung an anderer Stelle erfolgt ist. Die geplanten Vorhabenstandorte befinden sich sämtlich außerhalb der Konzentrationszone für Windenergieanlagen, die der derzeit noch gültige Flächennutzungsplan der Beigeladenen seit dem 17. November 2004 weiter s252;dlich nahe des Ortsteils B. festsetzt. Dabei wäre der Antragsgegner unbeschadet dessen, dass er sich mit dieser Frage in seiner Begründung zum Zurückstellungsbescheid nicht weiter auseinandergesetzt hat, nicht gemäß § 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB befugt gewesen, dass seitens der Beigeladenen unter Hinweis auf die aktuell entgegenstehende Flächennutzungsplanung verweigerte Einvernehmen zu ersetzen. Ob der Flächennutzungsplan der Beigeladenen aus dem Jahr 2004 insoweit an einem seine Wirksamkeit ausschließenden Mangel leidet, mag dahinstehen. Denn jedenfalls verfügt die Genehmigungsbehörde nicht über eine originäre Verwerfungskompetenz im Hinblick auf in Kraft gesetzte Flächennutzungspläne der Gemeinde, soweit diese – wie hier bei der Darstellung von Konzentrationszonen gemäß § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB – außenwirksame, die privaten Belange Planbetroffener berührende Festsetzungen treffen und in entsprechender Anwendung des § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO der prinzipalen Normenkontrolle unterliegen.
21Vgl. entsprechend zu § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO BVerwG, Urteil vom 26. April 2007 – 4 CN 3/06 –, juris Rn. 13.
22Ist demnach die Flächennutzungsplanung der Beigeladenen aus dem Jahr 2004 zu Grunde zu legen, so sind auch keine durchgreifenden Anhaltspunkte dafür gegeben, dass die zur Genehmigung gestellten sechs Windenergieanlagen ausnahmsweise hätten zugelassen werden dürfen. Zwar tritt die auf der Konzentrationszonendarstellung beruhende Ausschlusswirkung gemäß § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB nur „in der Regel“ ein, so dass in Ausnahmefällen eine Zulassung auch im sonstigen Außenbereich des Gemeindegebiets in Betracht kommt. Ein solcher Ausnahmefall liegt hier aber voraussichtlich nicht vor.
23Der abweichend gegenü;ber den Ausweisungen des Flächennutzungsplans vorgesehene Standort darf das gesamträumliche Planungskonzept der Gemeinde nicht in Frage stellen, vielmehr muss eine vom Plangeber in dieser Art nicht vorhergesehene und damit atypische Fallkonstellation begründet sein. Die dergestalt bestehende Abweichungsmöglichkeit unterscheidet den Regelungsanspruch, den § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB einer Ausweisung von Konzentrationsflächen vermittelt, nicht von anderen gesetzlichen Regelungen, die sich ebenfalls nur Geltung für den Regelfall beimessen und deren unmittelbare normative Wirkung damit nicht in Frage gestellt wird.
Vgl. BVerwG, Urteile vom 17. Dezember 2002 – 4 C 15.01 –, juris Rn. 47 ff., und vom 26. April 2007, a.a.O., Rn. 17; OVG NRW, Urteil vom 15. März 2006 – 8 A 2672/03 –, juris Rn. 93.
25Eine in diesem Sinne atypische Konstellation ist vorliegend nicht anzunehmen. Die hier streitigen sechs Windenergieanlagen, die Bestandteil eines vorgesehenen Windparks bestehend aus insgesamt 13 Anlagen sind, umfassen ein Areal, das die bisherige, nur etwa 9 ha große Konzentrationszone erheblich überschreiten würde. Bei einer solchen Situation kann von einer bloßen atypischen, vom Plangeber nicht beachteten Sondersituation keine Rede mehr sein; vielmehr würde im Falle einer Zulassung das bisherige gesamträumliche Planungskonzept der Beigeladenen in Frage gestellt, das jedenfalls eine weitere Windkraftnutzung mit dieser Ausdehnung im sonstigen Außenbereich erkennbar ausgeschlossen hat.
26Ob der Zurückstellungsbescheid des Landrats des Antragsgegners noch an weiteren Fehlern leidet, kann nach alledem offen bleiben.
27Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 und 3, § 162 Abs. 3 VwGO. Eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen wäre unbillig, da diese keinen Antrag gestellt und sich nicht dem Risiko einer Kostentragung ausgesetzt hat.
28Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1 des Gerichtskostengesetzes. Die Kammer bewertet die Bedeutung des die Zurückstellung des Genehmigungsantrags betreffenden Hauptsacheverfahrens mit 1 % der Investitionssumme.
29Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 18. Dezember 2014, a.a.O., Rn. 31, und vom 4. Februar 2010 – 8 B 1652/09.AK –, juris Rn. 79.
30Der Antragsteller hat die Herstellungskosten in ihrem Genehmigungsantrag mit 20.600.000,- EUR kalkuliert, so dass 206.000,- EUR als Ausgangswert anzusetzen sind. In vorläufigen Rechtsschutzverfahren ist dieser Betrag nochmals zu halbieren, so dass sich ein Streitwert von 103.000,- EUR ergibt.
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