Beschluss vom Verwaltungsgericht Arnsberg - 12 L 92/21
Tenor
Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes wird
abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 10.000,00 EUR festgesetzt.
1
G r ü n d e :
2Das als Antrag nach § 123 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) statthafte einstweilige Rechtsschutzgesuch bleibt ohne Erfolg.
3Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Der Antragsteller muss sowohl das Bestehen des geltend gemachten Anspruchs (Anordnungsanspruch) als auch die Notwendigkeit einer sofortigen Regelung (Anordnungsgrund) glaubhaft machen, § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO). Ist der Antrag auf eine Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet, sind an den Anordnungsgrund erhöhte Anforderungen zu stellen.
4Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Denn es ist zwar ein Anordnungsanspruch, jedoch kein Anordnungsgrund für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung glaubhaft gemacht worden.
5Die Antragstellerin hat einen Anordnungsanspruch – und zwar entsprechend ihrem Hauptantrag einen Anspruch auf Aufnahme der in ihrem auf den „06. Februar 2020“ (gemeint sein dürfte der 6. Februar 2021) datierten Schriftsatz benannten Beratungsgegenstände auf die Tagesordnung der für den 18. Februar 2021 anberaumten Sitzung des Rates der Stadt O – glaubhaft gemacht. Durch die Weigerung des Antragsgegners, die Tagesordnung der Sitzung – diesem Anspruch entsprechend – zu erweitern, ist die Antragstellerin in einer ihr zustehenden organschaftlichen Rechtsposition verletzt.
6Bei der im vorliegenden einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur möglichen summarischen Prüfung,
7vgl. Schenke, in: Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 26. Auflage 2020, § 123 Rn. 23,
8spricht deutlich Überwiegendes dafür, dass es sich bei dem vorbenannten Sachansinnen der Antragstellerin um einen Antrag auf Aufnahme von Beratungsgegenständen auf die Tagesordnung einer Ratssitzung i.S.d. § 48 Abs. 1 Satz 2 der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen (GO NRW) handelt und nicht – wie der Antragsgegner in seiner Antragserwiderung vom 16. Februar 2021 ausführt – um eine Sachanfrage i.S.d. § 16 der Geschäftsordnung für den Rat der Stadt O und seine Ausschüsse vom 20. März 2000 in der Fassung ihrer 4. Änderung vom 17. September 2018 (nachfolgend: GeschO). Denn § 16 GeschO räumt nach seinem Wortlaut ausdrücklich nur dem einzelnen Ratsmitglied ein schriftliches Fragerecht ein. Vorliegend meldet jedoch die Antragstellerin – und damit eine Fraktion im Rat – ausdrücklich Beratungsgegenstände zur Tagesordnung der anberaumten Ratssitzung an.Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 GO NRW setzt der Bürgermeister die Tagesordnung für die Sitzung des Rates fest. Er hat dabei Vorschläge aufzunehmen, die ihm innerhalb einer in der Geschäftsordnung des Rates zu bestimmenden Frist von einem Fünftel der Ratsmitglieder oder einer Fraktion vorgelegt werden (§ 48 Abs. 1 Satz 2 GO NRW). Die Kompetenz zur Festlegung der Tagesordnung des Rates liegt danach grundsätzlich bei dem Bürgermeister. Bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 GO NRW ist dieser jedoch an Vorschläge gebunden, die aus der Mitte des Rates kommen. Damit gewährleistet das Gesetz, dass auch der Rat auf die Gestaltung der Tagesordnung Einfluss nehmen kann. Denn die Vorschrift des § 48 Abs. 1 Satz 2 GO NRW ergänzt das nach § 47 Abs. 1 Satz 4 GO NRW bestehende Recht von Minderheiten, die Einberufung des Rates erzwingen zu können.
9Vgl. Held/Winkel/Wansleben (Hrsg.), Kommunalverfassungsrecht Nord-rhein-Westfalen, Loseblatt-Kommentar, Stand: 46. Ergänzungsliefe-rung Oktober 2020, § 48 GO NRW Anm. 2.2.
10Entsprechende Vorschläge von einem Fünftel der Ratsmitglieder oder einer Fraktion müssen dem Bürgermeister spätestens bis zum Ablauf des letzten Tages der in der Geschäftsordnung bestimmten Frist vorgelegt werden. Ist die Antragsfrist einge-halten, so hat der Bürgermeister den Vorschlag in die Tagesordnung aufzunehmen – und zwar selbst dann, wenn er selbst der Auffassung ist, dass die Angelegenheit keiner Beratung bedarf oder nicht oder noch nicht im Rat behandelt werden sollte.
11Vgl. Rehn/Cronauge/von Lennep/Knirsch, Gemeindeordnung Nordrhein-Westfalen, Loseblatt-Kommentar, Stand: 51. Ergänzungslieferung Mai 2020, § 48 Rn. 3, 6, 7; Wagner, in: Kleerbaum/Palmen, Gemeindeord-nung Nordrhein-Westfalen, 2. Auflage 2013, § 48 Anm. II.2.a).
12§ 48 Abs. 1 Satz 2 GO NRW regelt nicht nur objektivrechtlich, wie die Tagesordnung für die Sitzungen des Rates der Kommune zu erstellen ist, sondern vermittelt zugleich den einzelnen Ratsmitgliedern und Fraktionen ein subjektives Recht auf Einhaltung dieser Regelungen. Das in § 48 Abs. 1 Satz 2 GO NRW konkretisierte Recht, Anträge auf die Tageordnung von Ratssitzzungen zu setzen (Initiativrecht), ist wesentlicher Bestandteil des organschaftlichen Rechts von Ratsmitgliedern und Fraktionen, da es diesen ermöglicht, Einfluss auf die Geschicke der Kommune zu nehmen.
13Vgl. zur Parallelvorschrift betreffend die Festsetzung der Tagesordnung von Sitzungen des Kreistages im Bundesland Hessen: Hessischer Verwaltungsgerichtshof (HessVGH), Beschluss vom 19. Oktober 2018 – 8 B 2223/18 –, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (NVwZ) 2019, 581 f. = juris (Rn. 20); zur Qualifizierung des Initiativrechts als wesentliches Mitwirkungsrecht des Ratsmitglieds: Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschluss vom 18. August 2011 – 15 A 1574/11 –, Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter (NWVBl.) 2012, 152 f. = juris (Rn. 23).
14Eine Verletzung des Anspruchs auf Aufnahme eines Beratungspunkts auf die Tagesordnung einer Ratssitzung kann damit gegebenenfalls im Wege des Kommunalverfassungsstreitverfahrens durchgesetzt werden.
15Vgl. Wagner, a.a.O., § 48 Anm. II.2.a).
16Davon ausgehend hat der Antragsgegner die Antragstellerin durch die Nichtauf-nahme der in dem auf den 6. Februar 2020 datierten Schriftsatz benannten Bera-tungsgegenstände auf die Tagesordnung der für den 18. Februar 2021 anberaum-ten Sitzung des Rates der Stadt O in ihren organschaftlichen Rechten verletzt. Denn der entsprechende Antragsschriftsatz ist dem Antragsgegner innerhalb der insofern maßgeblichen, in der Geschäftsordnung des Rates der Stadt Netphen festgesetzten Frist zugegangen
17§ 3 Abs. 1 GeschO sieht für die Aufstellung der Tagesordnung einer Ratssitzung folgende Regelung vor:
18„Der Bürgermeister setzt die Tagesordnung fest. Er hat dabei auch Vorschläge aufzunehmen, die ihm in schriftlicher Form spätestens am 12. Tag vor dem Sitzungstag von mindestens 1/5 der Ratsmitglieder oder einer Fraktion vorge-legt werden.“
19Bei summarischer Prüfung spricht Überwiegendes dafür, dass die in Satz 2 der Geschäftsordnungsbestimmung normierte Frist mit Eingang des vier Beratungsgegenstände für die Tagesordnung der für den 18. Februar 2021 anberaumten Ratssitzung benennenden Schriftsatzes der Antragstellerin bei dem Antragsgegner am 8. Februar 2021 eingehalten wurde. Denn der in § 3 Abs. 1 Satz 2 GeschO festgelegte „12. Tag vor dem Sitzungstag“ fiel im Fall der für den 18. Februar 2021 anberaumten Ratssitzung zwar bereits auf den 6. Februar 2021, jedoch war nicht der Ablauf dieses Tages (Samstag) sondern der des 8. Februar 2021 (Montag) maßgeblich für das Ende der Frist zur Einreichung von Beratungsgegenständen für die Tagesordnung dieser Sitzung.
20Sofern die Geschäftsordnung des Rates keine besondere Berechnungsweise für die Frist zur Einreichung der Vorschläge zur Tagesordnung der Ratssitzung aus der Mitte des Rates hinaus vorsieht, ist für die Frage der Berechnung der Antragsfrist auf die §§ 187 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) als Ausdruck eines allge-meinen Rechtsgrundsatzes für alle Rechtsgebiete zurückzugreifen, soweit nicht – wie z.B. in § 31 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) – ausdrückliche Re-gelungen entgegenstehen.
21Vgl. Rehn/Cronauge/von Lennep/Knirsch, a.a.O., § 48 Rn. 6; Held/Winkel/ Wansleben, a.a.O., § 48 GO NRW Anm. 2.2; Wagner, a.a.O., § 48 Anm. II.2.a).
22Gemäß § 188 Abs. 1 BGB endigt eine nach Tagen bestimmte Frist mit dem Ablauf des letzten Tages der Frist. Ist jedoch an einem bestimmten Tag oder innerhalb einer Frist eine Willenserklärung abzugeben oder eine Leistung zu bewirken und fällt der bestimmte letzte Tag auf einen Sonntag, einen am Erklärungs- oder Leistungsort staatlich anerkannten allgemeinen Feiertag oder einen Sonnabend, so tritt gemäß § 193 BGB an die Stelle eines solchen Tages der nächste Werktag.Gemessen hieran fiel das Fristende zur Einreichung von Beratungsgegenständen für die Ratssitzung vom 18. Februar 2021 aus der Mitte des Rates heraus vorliegend auf den 8. Februar 2021, 23:59 Uhr. Zu diesem Zeitpunkt war das auf den 6. Februar 2020 datierte Schreiben der Antragstellerin bei dem Antragsgegner eingegangen.
23Die Auslegungsregel des § 193 BGB ist zwar nicht anwendbar, soweit durch Gesetz oder Rechtsgeschäft etwas anderes bestimmt ist oder dies aus den Umständen oder einer bestimmten Verkehrsübung folgt,
24vgl. Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar, 75. Auflage 2016, § 186 Rn. 1, § 193 Rn. 3; Erman, Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar, 10. Auflage 2000, § 193 Rn. 3,
25in die Geschäftsordnung für den Rat und die Ausschüsse der Stadt O wurde eine derartige Abdingbarkeitsklausel jedoch nicht aufgenommen.
26Dabei kann offenbleiben, ob die explizite Aufnahme einer Abdingbarkeitsklausel, wie sie laut Vortrag der Antragstellerin in Geschäftsordnungen von Räten anderer Kommunen teilweise zu finden ist, für einen Ausschluss der Geltung des § 193 BGB für die Berechnung der Frist nach § 48 Abs. 1 Satz 2 GO NRW zwingend erforderlich ist, denn aus dem Gesamteindruck der Formulierung der Geschäftsordnung für den Rat und die Ausschüsse der Stadt O ergibt sich nicht, dass der Rat der Stadt O die Geltung des § 193 BGB für die Berechnung der Frist des § 48 Abs. 1 Satz 2 GO NRW ausschließen wollte. Dies folgt aus einem Vergleich der Ausgestaltung des § 3 Abs. 1 GeschO einerseits und des § 16 Abs. 1 Gescho andererseits.
27In der Ausgangsfassung der Geschäftsordnung für den Rat und die Ausschüsse der Stadt Netphen vom 20. März 2000 wurde § 16 Absatz 1 wie folgt formuliert:
28„Jedes Ratsmitglied ist berechtigt, schriftliche Anfragen, die sich auf Angele-genheiten der Gemeinde beziehen, an den Bürgermeister zu richten. Anfragen sind mindestens 12 Werktage vor der Ratssitzung dem Bürgermeister zuzulei-ten.“
29und durch die 4. Änderung der Geschäftsordnung vom 17. September 2018 wie folgt neu gefasst:
30„Jedes Ratsmitglied ist berechtigt, schriftliche Anfragen, die sich auf Angele-genheiten der Gemeinde beziehen, an den Bürgermeister zu richten. Anfragen sind mindestens 16 Werktage vor der Ratssitzung dem Bürgermeister zuzulei-ten.“
31Dies spricht bei summarischer Prüfung dafür, dass der Rat der Stadt O der Auffassung ist, dass die Beantwortung schriftlicher Anfragen eines gewissen Vorbereitungszeitraums für den Bürgermeister bedarf, welchen der Rat mit einer an einer Mindestanzahl an Werktagen bemessenen Einreichungsfrist sicherstellen wollte. Es hätte jedoch nahe gelegen, eine derart – d.h. gleichermaßen nach Werktagen – ausformulierte Fristbestimmung in § 3 Abs. 1 Satz 2 GeschO auch für die Frist zur Einreichung von Beratungsgegenständen für die Tagesordnung einer Ratssitzung zu bestimmen, wenn auch insoweit ein entsprechender zeitlicher Vorbereitungsrahmen für erforderlich gehalten worden wäre; dies hat der Rat der Stadt O jedoch weder bei Beschlussfassung über seine Geschäftsordnung im Jahr 2000 noch über deren nachfolgende vier Änderungen getan.
32Eine „stillschweigendes Abbedingen“ der Geltung der Auslegungsregelung des § 193 BGB, das der Antragsgegner in seiner Antragserwiderung vom 16. Februar 2021 für sich reklamiert, ist angesichts des damit möglicherweise einhergehenden Eingriffs in das der Fraktion bzw. dem Ratsmitglied zukommenden bedeutenden Initiativrechts auf Einbringung von Beratungsgegenständen auf die Tagesordnung einer Ratssitzung,
33vgl. zur Qualifizierung des Initiativrechts als wesentliches Mitwirkungsrecht des Ratsmitglieds wiederum OVG NRW, Beschluss vom 18. August 2011 – 15 A 1574/11 –, a.a.O. (Rn. 23); zudem wiederum HessVGH, Beschluss vom 19. Oktober 2018 – 8 B 2223/18 –, a.a.O. (Rn. 20),
34nicht zulässig.
35Auch die weiteren Ausführungen des Antragsgegners, bei Anwendung der Auslegungsregelung des § 193 BGB könnten die erst an einem Montag, d.h. dem zehnten Tag vor einer für einen Donnerstag anberaumten Ratssitzung, bei ihm eingehenden Vorschläge zur Tagesordnung der Sitzung nicht mehr auf die Tagesordnung aufgenommen werden, da die Einladung zu einer Ratssitzung gemäß § 2 Abs. 1 GeschO spätestens am zehnten Tag vor dem Sitzungstermin zur Post zu geben und im Ratsinformationssystem zu veröffentlichen sei, sprechen nicht gegen die Anwendbarkeit des § 193 BGB bei der Berechnung der Frist des § 48 Abs. 1 Satz 2 GO NRW, § 3 Abs. 1 Satz 2 GeschO. Denn der Rat ist bei der Vorbereitung von Ratssitzungen in der Festsetzung von Fristen frei, sofern die in Rechtsprechung und Literatur zum Schutz der Ratsmitglieder herausgearbeiteten Mindestfristen für die Vorbereitung des Sitzungstermins, insbesondere zur Einarbeitung in die Verhandlungsgegenstände, gewahrt sind. Sofern der Rat – wie nach summarischer Prüfung auch vorliegend und von dem Antragsgegner in seiner Antragserwiderung in der Sache wohl auch eingestanden – in der Geschäftsordnung für die Vorbereitung von Rats- oder Ausschusssitzungen Fristenregelungen trifft, die nicht zwingend deckungsgleich verlaufen, spricht jedenfalls nichts Überwiegendes dafür, dass dies zu Lasten des dem Ratsmitglied oder der Fraktion zustehenden Initiativrechts geht.
36Hinzu kommt, dass in § 2 Abs. 1 GeschO nicht geregelt ist, dass die Tagesordnung für die nächste anstehende Ratssitzung zwingend mit der Ladung zu versenden ist. Jedenfalls nach den Vorgaben der Geschäftsordnung dürfte eine spätere Versendung einer aktualisierten Tagesordnung wohl jedenfalls dann noch möglich sein, wenn die vorgenannten Mindestfristen eingehalten werden können.
37Auch der Hinweis des Antragsgegners, die von der Antragstellerin vertretene Rechtsauffassung zur Berechnung der Einreichung von Tagesordnungspunkten aus der Mitte des Rates heraus zwinge zur Verletzung der Öffentlichkeitsvorschriften, vermag den bestehenden organschaftlichen Anspruch der Antragstellerin auf Aufnahme der Beratungsgegenstände auf die Tagesordnung der anstehenden Ratssitzung nicht anzugreifen. Denn die aufgetretene Problematik ist allein auf die konkrete Ausgestaltung der durch den Rat der Stadt O erstellten Geschäftsordnung zurückzuführen. Dies vermag den vorstehend dargestellten innerorganschaftlichen Anspruch der Antragstellerin nicht anzugreifen.
38Bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 GO NRW stehen dem Bürgermeister Ermessenserwägungen bei der Aufnahme von Beratungsgegenständen auf die Tagesordnung einer Ratssitzung nicht zu. Dem entsprechend vermag auch der Verweis des Antragsgegners auf „Empfehlungen handlungsleitender Richtlinien der Landesregierung“ bei der Ausgestaltung von Rats- und Ausschusssitzungen in Zeiten der andauernden Corona-Pandemie den Anordnungsanspruch bei summarischer Prüfung vorliegend nicht zu Fall zu bringen. Denn der – auch aus Sicht der Kammer in der Sache durchaus nachvollziehbare – Einwand, ob die Diskussion nicht-eilbedürftiger Angelegenheiten im Ratsplenum in der aktuellen Pandemiesituation erforderlich ist, kann (und muss) vielmehr zu Beginn der Ratssitzung vom Rat der Stadt O selbst diskutiert werden, der gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 lit. c) GeschO vor Eintritt in die Tagesordnung die Absetzung von Tagesordnungspunkten beschließen kann.
39Die Antragstellerin hat jedoch keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
40Das Erfordernis einer sofortigen Regelung der im Streit stehenden Frage, ob der Antragsgegner verpflichtet ist, die in dem auf 6. Februar 2020 datierten Schriftsatz aufgeführten Punkte auf die Tagesordnung für die Ratssitzung vom 18. Februar 2021 zu setzen, entfällt bei summarischer Prüfung allerdings nicht schon angesichts der mit E-Mail vom 9. Februar 2021 erteilten Ankündigung des Büros des Antragsgegners, die Punkte bei der Erstellung der Tagesordnung der für den 29. April 2021 vorgesehenen Ratssitzung zu berücksichtigen. Denn eine Zusage eines Bürgermeisters, einen aus der Mitte des Rates für die nächste anstehende Ratssitzung vorgeschlagenen Tagesordnungspunkt in einer späteren Ratssitzung zu behandeln, schließt einen Anordnungsgrund für einen auf Aufnahme dieses Punktes auf die Tagesordnung der unmittelbar bevorstehenden Ratssitzung gerichteten einstweiligen Rechtsschutzantrag nicht aus. Denn wenn die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 GO NRW erfüllt sind, hat der Bürgermeister den Vorschlag in die Tagesordnung aufzunehmen – und zwar selbst dann, wenn er selbst der Auffassung ist, dass die Angelegenheit keiner Beratung bedarf oder nicht oder noch nicht im Rat behandelt werden sollte.
41Vgl. Rehn/Cronauge/von Lennep/Knirsch, a.a.O. § 48 Rn. 7 m.w.N. zur Rechtsprechung des OVG NRW.
42Ist der einstweilige Rechtsschutzantrag allerdings – wie vorliegend – auf eine Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet, sind an den Anordnungsgrund erhöhte Anforderungen zu stellen. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung kommt dann grundsätzlich nur in Betracht, wenn dem Antragsteller ohne den Erlass einer einstweiligen Anordnung schwere und unzumutbare Nachteile entstünden, die auch bei einem späteren Erfolg in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden könnten.
43Vgl. HessVGH, Beschluss vom 19. Oktober 2018 – 8 B 2223/18 –, a.a.O. (Rn. 3).
44Gemessen hieran ist nicht glaubhaft gemacht worden, dass der Antragstellerin bei unterbleibender Behandlung der vier in dem auf den 6. Februar 2020 datierten Schriftsatz aufgeführten Beratungsgegenstände „Ausschreibung und Besetzung einer Beigeordnetenstelle / Bestimmung Geschäftskreis“, „Photovoltaik auf Freiflächen“, „Gutachten über Schallschutz Freizeitpark“ und „FON / Freizeitpark“ in der Ratssitzung vom 18. Februar 2021 schwere und unzumutbare Nachteile entstünden, die bei einem späteren Erfolg in einer etwaigen Hauptsacheklage nicht mehr beseitigt werden könnten.Zunächst sperrt sich der Antragsgegner nicht per se, die von der Antragstellerin benannten Beratungsgegenstände auf die Tagesordnung einer Ratssitzung zu setzen,
45vgl. zur Annahme eines Anordnungsanspruchs bei einer derartigen Haltung eines Bürgermeisters/Landrates: HessVGH, Beschluss vom 19. Oktober 2018 – 8 B 2223/18 –, a.a.O. (Rn. 28),
46sondern hat vielmehr erklärt, diese auf die Tagesordnung der für den 29. April 2021 avisierten Ratssitzung aufnehmen zu wollen.Entgegen der von der Antragstellerin vertretenen Auffassung ist für die Frage der Eilbedürftigkeit nicht auf das Datum der anberaumten Ratssitzung abzustellen, sondern vielmehr darauf, ob das wehrhafte Recht der Antragstellerin, ihre Mitgliedschaftsrechte durch die Einbringung von Anträgen wahrzunehmen,vereitelt wäre, weil ein späterer Erfolg in einem Hauptsacheverfahren die faktische Verhinderung der Ausübung ihres Rechts in den inzwischen abgehaltenen Sitzungen des Rates angesichts des aktuellen Bezugs ihres Antrags nicht mehr ausgleichen könnte.
47Vgl. HessVGH, Beschluss vom 19. Oktober 2018 – 8 B 2223/18 –, a.a.O. (Rn. 29).
48Einen derartigen aktuellen Bezug der Beratungsgegenstände hat die Antragstellerin im vorliegenden Verfahren jedoch nicht dargetan. Die Ausführungen zur „Verwendung von Fördermitteln zur Schwimmbadsanierung etc.“ zeigen nicht einmal ansatzweise einen Beratungsbedarf schon am 18. Februar 2021 auf. Auch aus dem Hinweis auf den Ablauf der Ausschreibungsfrist für die Beigeordnetenstelle am 28. Februar 2021 folgt nicht zwingend, dass eine Beratung in dem in dem auf den 6. Februar 2020 datierten Schriftsatz dargestellten Umfang zwingend schon am 18. Februar 2021 erfolgen muss. Denn ausweislich der im Internetauftritt der Stadt O abrufbaren Stellenausschreibung soll die Stelle der/des ersten Beigeordneten zum „nächstmöglichen Zeitpunkt“ besetzt werden. Des Weiteren wird eine Änderung des Geschäftsbereiches auf Grundlage des spezifischen Qualifikations- und Erfahrungsprofils des/der neuen Stelleninhabers/in als möglich dargestellt.
49Vgl. Stellenausschreibung ERSTE/R BEIGEORDNETE/R (m/w/d), abrufbar über den Internetauftritt der Stadt Netphen unter https://www.netphen.de/Rathaus-Verwaltung/Aktuelles/Stellenausschreibungen.
50Dass die von der Antragstellerin eingeforderte Diskussion über die Ausgestaltung des Aufgaben- und Geschäftskreises zwingend am 18. Februar 2021 – und damit noch vor Ende der Bewerbungsfrist und mithin in einem Stadium, in welchem eventuell noch nicht alle in Betracht kommenden Bewerbungen vorliegen – stattfinden muss, weil für den Fall einer späteren Diskussion hierüber Mitwirkungsrechte der Antragstellerin verletzt wären, ist nach alledem nicht glaubhaft gemacht worden.
51Da der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach alledem keinen Erfolg hat, geht auch der mit Schriftsatz vom 17. Februar 2021 gestellte Antrag auf Festsetzung eines Zwangsgeldes in Höhe von 10.000,00 EUR ins Leere.
52Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 154 Abs. 1 VwGO.
53Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 52 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 2 Nr. 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG), wobei die Kammer sich an Nr. 22.7 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 31. Mai/1. Juni 2012 bzw. 18. Juli 2013 orientiert und von einer Reduzierung des Streitwerts gemäß Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs absieht, da die Antragstellerin mit dem Eilverfahren eine Vorwegnahme der Hauptsache begehrt hat.
54Rechtsmittelbelehrung:
55Gegen die Entscheidung mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe bei dem Verwaltungsgericht Arnsberg (Jägerstraße 1, 59821 Arnsberg; Postanschrift: Verwaltungsgericht Arnsberg, 59818 Arnsberg) Beschwerde zum Oberverwaltungsgericht eingelegt werden. Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Sofern die Begründung nicht mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, ist sie bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster; Postanschrift: Postfach 6309, 48033 Münster) einzureichen. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten und die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen.
56Die Beschwerde und deren Begründung können in schriftlicher Form oder auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und der Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung (ERVV) eingereicht werden.
57Vor dem Oberverwaltungsgericht müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen; dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht eingeleitet wird. Als Bevollmächtigte sind Rechtsanwälte und Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, sowie die ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen. Auf die zusätzlichen Vertretungsmöglichkeiten für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse wird hingewiesen (vgl. § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und § 5 Nr. 6 des Einführungsgesetzes zum Rechtsdienstleistungsgesetz – RDGEG). Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen unter den dort genannten Voraussetzungen vor dem Oberverwaltungsgericht als Bevollmächtigte zugelassen.
58Gegen die Streitwertfestsetzung können die Beteiligten auch persönlich Beschwerde einlegen, über die das Oberverwaltungsgericht entscheidet, falls das beschließende Gericht ihr nicht abhilft. Die Beschwerde gegen die Streitwertfestsetzung ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von sechs Monaten eingelegt wird, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat. Die Beschwerde ist nicht gegeben, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,00 EUR nicht überschreitet.
59Die Beschwerde kann schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle oder auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV eingereicht werden.
60Camen Hilchenbach Dr. Stellhorn
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