Urteil vom Verwaltungsgericht Düsseldorf - 37 K 4405/14.BDG
Tenor
Die Disziplinarverfügung des Präsidenten des C. für W. vom 13. Januar 2014 und dessen Widerspruchsbescheid vom 16. Juni 2014 werden aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
1
Tatbestand
2Der 1949 geborene Kläger stand als Direktor beim C. für W. (C.) im Dienst der Beklagten. Beim C. trat er 1980 zunächst als Angestellter ein; 1981 wurde er als Regierungsrat z.A. in das Beamtenverhältnis auf Probe übernommen. 1982 erfolgte die Ernennung zum Regierungsrat, 1983 die Beförderung zum Oberregierungsrat unter Verleihung der Eigenschaft eines Beamten auf Lebenszeit. 1990 wurde der Kläger zum Regierungsdirektor, 1997 zum Leitenden Regierungsdirektor (BesGr A16) ernannt. 2001 beging er sein 25jähriges Dienstjubiläum. Im Jahre 2005 ernannte ihn der Bundespräsident zum Direktor beim C.. Zum Jahresende 2014 trat er mit Erreichen der Altersgrenze in den Ruhestand.
3Disziplinar und strafrechtlich ist der Kläger bisher unbelastet.
4Mit Verfügung vom 9. Juli 2012 leitete der Präsident des C. für W. gegen den Kläger ein Disziplinarverfahren ein. Anlass war die Vernichtung von Akten zu den drei dem „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) zugerechneten Personen C1., N. und A. und zum Thüringer Heimatschutz (THS). Es lägen zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass es der Kläger pflichtwidrig unterlassen habe, seine Vorgesetzten über die Aktenvernichtung und die insoweit lückenhafte Prüfung der Akten zu unterrichten. Ihm hätten hierzu u.a. in einer E-Mail vom 11. November 2011 Informationen vorgelegen, deren Relevanz sich aufgedrängt habe. Weiter bestehe der Verdacht, der Kläger habe seine dienstlichen Aufgaben durch unzureichende Steuerung, Kontrolle und Eigeninitiative bei einem tags zuvor, also am 10. November 2011, erteilten Prüfauftrag der Amtsleitung vernachlässigt.
5Auf Antrag des Klägers setzte die Disziplinarkammer der Beklagten mit Beschluss vom 22. März 2013 - 37 K 2104/13.BDG - eine sechsmonatige Frist zum Abschluss des Disziplinarverfahrens, die sie mit Beschluss gleichen Aktenzeichens vom 4. Oktober 2013 um drei Monate ab Zustellung dieses Beschlusses verlängerte. Die Zustellung erfolgte am 15. Oktober 2013.
6Mit Datum vom 13. Januar 2014 erließ der Präsident des C. für W. nach abschließender Anhörung des Klägers die hier im Streit stehende Disziplinarverfügung, mit der dem Kläger eine Geldbuße in Höhe von 1.500,- Euro auferlegt wurde.
7Dem Kläger wurde zum Vorwurf gemacht, fahrlässig seine Aufsichtspflichten gegenüber dem ihm unterstellten Referatsleiter, der am 11. November 2011 die Vernichtung von sieben im Einzelnen bezeichneten Beschaffungsakten veranlasst habe, vernachlässigt zu haben. Er habe nicht mit der gebotenen Sorgfalt hinterfragt, wann prüfungsrelevante Akten vernichtet worden seien. Der weitere Vorwurf fehlender Unterrichtung der Amtsleitung wurde fallen gelassen. Durch die fahrlässige Verletzung der Aufsichtspflichten habe der Kläger seine Pflicht, sich mit vollem persönlichen Einsatz seinem Beruf zu widmen, bzw. die Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigen Verhalten (§ 61 Abs. 1 Satz 1 und 3 BBG) verletzt. Da er als Abteilungsleiter bei der Erledigung eines herausragenden Auftrags seine vornehmste Aufgabe, die Führung und Kontrolle eines Referatsleiters, vernachlässigt habe und insofern zu dem Eintritt der hauptsächlich von diesem zu verantwortenden Folgen beigetragen habe, werde ein bloßer Verweis der Schwere des Dienstvergehens nicht gerecht. Angemessen und ausreichend sei eine Ahndung mit der verhängten Geldbuße.
8Die Disziplinarverfügung wurde am 14. Januar 2014 zugestellt.
9Den Widerspruch des Klägers vom 14. Februar 2014 wies der Präsident des C. mit Widerspruchsbescheid vom 16. Juni 2014 zurück.
10Am 8. Juli 2014 hat der Kläger Klage erhoben.
11Er ist der Auffassung, der ihm gemachte Vorwurf entbehre jeder Grundlage; insoweit nimmt er Bezug auf den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 28. Juni 2013 - 1 B 1307/12 -, der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine am 10. Juli 2012 ausgesprochene Umsetzung des Klägers ergangen ist. Davon abgesehen könne eine Geldbuße nach seinem Eintritt in den Ruhestand nicht mehr verhängt werden.
12Der Kläger beantragt,
13die Disziplinarverfügung des Präsidenten des C. für W. vom 13. Januar 2014 und dessen Widerspruchsbescheid vom 16. Juni 2014 aufzuheben.
14Die Beklagte verteidigt die Disziplinarverfügung. Sie sei durch die Versetzung des Klägers in den Ruhestand nicht erledigt. Entscheidungserheblicher Zeitpunkt sei insoweit wie auch sonst bei Anfechtungsklagen derjenige der letzten behördlichen Entscheidung, hier also des Widerspruchsbescheides. Zwar komme es für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme gemäß § 13 Abs. 1 BDG auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung an. Dies gelte aber nicht im Hinblick auf den Status des Beamten. Sowohl die generalpräventive Wirkung des Disziplinarrechts als auch das Ansehen des Berufsbeamtentums würden beeinträchtigt, wenn eine ergriffene Disziplinarmaßnahme durch Zurruhesetzung obsolet würde.
15Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Personal- und Disziplinarakten der Beklagten Bezug genommen.
16Entscheidungsgründe
17Die Disziplinarkammer entscheidet im Einverständnis der Beteiligten durch den Berichterstatter und ohne mündliche Verhandlung (§§ 87a Abs. 2 und 3, 101 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 3 BDG).
18Die von dem Kläger erhobene Anfechtungsklage hat Erfolg; sie ist zulässig und begründet. Die Disziplinarverfügung des Präsidenten des C. für W. vom 13. Januar 2014 in Gestalt von dessen Widerspruchsbescheid vom 16. Juni 2014 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 3 BDG. Dies ergibt sich unabhängig von der Berechtigung des disziplinaren Vorwurfs bereits daraus, dass gegen einen Ruhestandsbeamten nur die Kürzung oder Aberkennung des Ruhegehalts, nicht aber eine Geldbuße verhängt werden kann (§ 5 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 BDG). Zum jetzigen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ist der Kläger Ruhestandsbeamter, da er mit Ablauf des Jahres 2014 in den Ruhestand versetzt wurde. Der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ist für die Beurteilung der Recht- und Zweckmäßigkeit der Disziplinarverfügung maßgeblich.
19Das Gericht hat die Entscheidung über eine Disziplinarmaßnahme nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen (§ 13 Abs. 1 BDG). Steht eine Disziplinarverfügung im Streit, so ist diese außer auf Rechtmäßigkeit auch auf Zweckmäßigkeit zu prüfen (§ 60 Abs. 3 BDG). Dabei ist - wie auch die Beklagte einräumt - auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen. Denn anderenfalls blieben bemessungsrelevante Gesichtspunkte unberücksichtigt, weil sie bei Erlass der Disziplinarverfügung noch nicht vorlagen. Es müsste dann eine Disziplinarverfügung aufrechterhalten werden, die wegen geänderter Sachlage nicht mehr rechtmäßig oder nicht mehr zweckmäßig ist. Das Gericht würde sehenden Auges eine nicht mehr angemessene disziplinarische Sanktion bestätigen. Dies wäre mit seinem eigenen Ermessen bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme nicht vereinbar.
20Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten haben diese Grundsätze auch zu gelten, wenn sich gegenüber dem behördlichen Verfahren der Status des Beamten geändert hat. Dies hat das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Abkehr von seiner zum früheren Recht vertretenen Ansicht ausführlich begründet.
21Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 19. September 2007 - 21d A 3600/06.O -, juris.
22Dass das Bundesverwaltungsgericht derselben Auffassung ist, geht unter anderem aus seinem Urteil zum Beamtenstreik hervor. Darin hat es ohne weiteres berücksichtigt, dass die dortige Klägerin mittlerweile aus dem Beamtenverhältnis ausgeschieden war. Infolgedessen hat es die Disziplinarverfügung als erledigt angesehen.
23Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Februar 2014 - 2 C 1.13 -, BVerwGE 149, 117 = juris Rdnrn. 13 ff.
24Damit nicht vereinbar ist die entgegengesetzte Ansicht, wonach in Bezug auf den Status des Beamten „nach allgemeinen verwaltungsprozessualen Regeln auf den Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung abzustellen“ sein soll.
25So Gansen, Disziplinarrecht in Bund und Ländern, Stand: April 2014, § 60 Rdnr. 24c.
26Sie wird auch von der Disziplinarkammer nicht geteilt. Diese verfährt in ständiger Übung so, dass sie für die Überprüfung einer Disziplinarverfügung auf Recht- und Zweckmäßigkeit (§ 60 Abs. 3 BDG) insgesamt auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung abstellt. Für eine Differenzierung nach Zumessungs- und Statusgesichtspunkten sieht sie keine Veranlassung, zumal der Wortlaut des Gesetzes keinen Ansatzpunkt in diese Richtung bietet.
27Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs. 1 BDG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.
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Referenzen
- 21d A 3600/06 1x (nicht zugeordnet)
- Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 1 B 1307/12 1x
- VwGO § 87a 1x
- § 61 Abs. 1 Satz 1 und 3 BBG 1x (nicht zugeordnet)
- BDG § 13 Bemessung der Disziplinarmaßnahme 2x
- BDG § 5 Arten der Disziplinarmaßnahmen 1x
- VwGO § 3 1x
- BDG § 3 Ergänzende Anwendung des Verwaltungsverfahrensgesetzes und der Verwaltungsgerichtsordnung 2x
- VwGO § 113 1x
- VwGO § 101 1x
- BDG § 77 Kostentragung und erstattungsfähige Kosten 1x
- BDG § 60 Mündliche Verhandlung, Entscheidung durch Urteil 2x
- 37 K 2104/13 1x (nicht zugeordnet)