Beschluss vom Verwaltungsgericht Düsseldorf - 12 L 1303/22.A
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
1
Gründe:
2I.
3Der am 00.00.2001 geborene Antragsteller ist irakischer Staatsangehöriger. Nach seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland wurde er am 12. Februar 2022 von der Bundespolizei in der Nähe der deutsch-polnischen Grenze aufgegriffen.
4Eine Abfrage des Eurodac-Systems ergab am 13. Februar 2022 einen Treffer der Kategorie 1 für Polen (PL1211129178089008000/700680188U). Danach hatte der Antragsteller am 29. November 2021 in Polen einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.
5Der Antragsteller gab bei seiner Befragung zum Anlass seiner Einreise nach Deutschland an, er sei mit dem Flugzeug von Bagdad nach Damaskus und dann weiter nach Minsk gereist, von wo aus er mit dem Auto zur polnischen Grenze gebracht worden sei, die er dann zu Fuß überquert habe. Er habe in Polen einen Asylantrag gestellt, über den noch nicht entschieden worden sei. Er habe den Irak zusammen mit seiner Familie im Oktober 2021 verlassen, weil sie Angst um ihr Leben gehabt hätten. Sein Vater sei von schiitischen Milizen bedroht worden, die ganze Familie sei bedroht worden. Die Bundespolizei ging von einem Schutzersuchen aus und leitete die Niederschrift über die Befragung an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) weiter.
6Dem Antragsteller wurde u.a. eine Belehrung nach § 20 Abs. 1 AsylG ausgehändigt, wonach er sich unverzüglich, spätestens bis zum 14. Februar 2022 in der Erstaufnahmeeinrichtung in E. , T.-----------allee 0x, melden solle. Dort werde ihm auch die Außenstelle des Bundesamtes genannt, bei der er seinen Asylantrag stellen müsse. Der Antragsteller stellte keinen förmlichen Asylantrag, sondern reiste ausweislich einer Reiseschwundmitteilung bereits am 14. Februar 2022 gemeinsam mit seiner Familie weiter, so dass zunächst keine Registrierung sowie keine EASY-Verteilung durch die Landesdirektion Sachsen erfolgen konnten.
7Das Bundesamt richtete am 18. Februar 2022 ein Wiederaufnahmegesuch an Polen, das die polnischen Behörden mit Schreiben vom 28. Februar 2022 gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchstabe b) Dublin III-Verordnung akzeptierten.
8Das Bundesamt verzichtete gemäß Art. 5 Abs. 2 Buchstabe a) Dublin III-Verordnung auf das persönliche Gespräch mit dem Antragsteller, da der Antragsteller flüchtig sei (vgl. Vermerk vom 1. März 2022, Bl. 39 des Verwaltungsvorgangs BAMF-Az.: 0000000-438).
9Mit Bescheid vom 1. März 2022 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers als unzulässig ab (Ziffer 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 2), ordnete die Abschiebung nach Polen an (Ziffer 3), ordnete das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG an und befristete es auf 12 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 4). In der dem Bescheid beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung heißt es, gegen den Bescheid könne innerhalb einer Woche nach Zustellung Klage bei dem Verwaltungsgericht E. erhoben werden.
10Der Bescheid wurde unter dem 4. März 2022 mit der Bitte um Aushändigung an die Aufnahmeeinrichtung E. , T.-----------allee 0x, geschickt, wo er am 9. März 2022 einging. Nachdem der Bescheid nicht ausgehändigt werden konnte, schickte die Aufnahmeeinrichtung den Bescheid mit dem Vermerk an das Bundesamt zurück, der Empfänger habe die Aufnahmeeinrichtung verlassen. Sein Aufenthaltsort sei gegenwärtig nicht bekannt. Handschriftlich ist vermerkt: „Entlassen wegen Inaktivität am 16.02.2022.“
11Das Bundesamt richtete unter dem 1. März 2022 ein Schreiben an die zuständigen polnischen Behörden und teilte mit, eine Überstellung sei derzeit nicht möglich, weil der Antragsteller flüchtig sei. Die Überstellungsfrist werde bis zum 28. August 2023 verlängert.
12Der Antragsteller wurde durch Zuweisungsentscheidung der Bezirksregierung B. vom 22. März 2022 der Stadt T1. zugwiesen. Die Ausländerbehörde T1. teilte dem Bundesamt am 11. Mai 2022 die aktuelle Adresse des Antragstellers mit und bot an, die Zustellung des Bescheides zu übernehmen.
13Der Antragsteller hat am 7. Juni 2022 bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 1. März 2022 erhoben (12 K 4194/22.A) und gleichzeitig einen „Eilantrag“ gestellt. Er trägt vor, ihm sei der Bescheid vom 1. März 2022 ohne Rechtsmittelbelehrung am 23. Mai 2022 ausgehändigt worden. Das Asylverfahren sei ohne seine Zustimmung und gegen seinen Wunsch eingeleitet und durch das Bundesamt ohne sein Wissen durchgeführt worden. Er begehre keinen internationalen Schutzstatus, sondern lediglich vorübergehenden Schutz gemäß § 24 AufenthG. Gemäß UkraineAufenthÜV sei hierfür keine Prüfung nach der Dublin III-Verordnung durchzuführen.
14Der Antragsteller hat einen Ankunftsnachweis (Bescheinigung zur Vorlage bei Behörden) der Ausländerbehörde T1. vom 4. April 2022 vorgelegt. Darin wird er als ukrainischer Staatsangehöriger bezeichnet, der ein Schutzgesuch geäußert habe. Er unterfalle dem Durchführungsbeschluss (EU) 2022/382 des Rates vom 4. März 2022. Somit finde § 24 AufenthG unmittelbar Anwendung. Es werde daher aller Voraussicht nach ein befristeter Aufenthaltstitel nach § 24 AufenthG erteilt.
15Die Antragsgegnerin ist der Klage und dem Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes entgegen getreten und beantragt, soweit ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO oder § 123 VwGO gestellt sei, diesen abzulehnen.
16Auf Nachfrage des Gerichts hat die Ausländerbehörde T1. mit Schreiben vom 14. Juli 2022 mitgeteilt, der Antragsteller werde mit der irakischen Staatsangehörigkeit geführt. Ihm sei keine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 24 AufenthG und keine entsprechende Fiktionsbescheinigung ausgestellt worden.
17Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Streitakte, der Gerichtsakte 12 K 4194/22.A sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes und der Ausländerbehörde T1. ergänzend Bezug genommen.
18II.
19Die Zuständigkeit der Kammer für die Entscheidung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ergibt sich aus § 76 Abs. 4 Satz 2 AsylG, nachdem die Einzelrichterin den Rechtsstreit mit Beschluss vom 3. August 2022 auf die Kammer übertragen hat.
20Der am 7. Juni 2022 sinngemäß gestellte „Eilantrag“ des anwaltlich nicht vertretenen Antragstellers ist sachdienlich als Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auszulegen,
21die aufschiebende Wirkung der Klage 12 K 4194/22.A gegen die Abschiebungsanordnung in Ziffer 3 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 1. März 2022 anzuordnen.
22Der so verstandene Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg.
23Der Antrag ist nach § 80 Abs. 5 VwGO statthaft, da der in der Hauptsache erhobenen Klage gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 75 Abs. 1 AsylG keine aufschiebende Wirkung zukommt.
24Der Antragsteller hat zwar die Wochenfrist zur Stellung des Antrags gemäß § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG nicht eingehalten, denn ausgehend von seinen Angaben in der Klage-/Antragsschrift ist ihm der in der Hauptsache angefochtene Bescheid des Bundesamtes am 23. Mai 2022 ausgehändigt worden. Die Wochenfrist ist im vorliegenden Fall aber nicht einschlägig. Dies gilt unabhängig davon, ob dem Antragsteller der Bescheid mit oder ohne Rechtsmittelbelehrung ausgehändigt worden ist.
25Ist dem Antragsteller der Bescheid ohne Rechtsmittelbelehrung ausgehändigt worden, hätte die Wochenfrist gemäß § 58 Abs. 1 VwGO nicht zu laufen begonnen mit der Folge, dass gemäß § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO die Jahresfrist gilt, die der Antragsteller eingehalten hat. Ist dem Antragsteller der Bescheid mit Rechtsmittelbelehrung ausgehändigt worden, wäre ebenfalls die – vom Antragsteller eingehaltene – Jahresfrist nach § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO einschlägig, denn die Belehrung wäre dann unrichtig erteilt worden. In der dem Bescheid ausweislich des Verwaltungsvorgangs beigefügten Rechtsmittelbelehrung ist das Verwaltungsgericht E. als das örtlich zuständige Gericht angegeben. Der Antragsteller wurde aber durch Zuweisungsentscheidung der Bezirksregierung B. vom 22. März 2022 der Stadt T1. zugewiesen, so dass die Rechtsmittelbelehrung im Zeitpunkt der Bekanntgabe des Bescheides am 23. Mai 2022 hinsichtlich des örtlich zuständigen Gerichts unrichtig war. Anhaltspunkte dafür, dass dem Antragsteller der Bescheid vom 1. März 2022 mit einer anderen (inhaltlich richtigen) Rechtsmittelbelehrung bekanntgegeben worden ist, lassen sich den vorliegenden Verwaltungsvorgängen nicht entnehmen.
26Der Bescheid des Bundesamtes vom 1. März 2022 ist dem Antragsteller nicht bereits in der Aufnahmeeinrichtung E. wirksam zugestellt worden und bestandskräftig geworden. § 10 Abs. 2 Satz 1 AsylG bestimmt zwar, dass der Ausländer Zustellungen und formlose Mitteilungen unter der letzten Anschrift, die der jeweiligen Stelle auf Grund seines Asylantrags oder seiner Mitteilung bekannt ist, gegen sich gelten lassen muss, wenn er für das Verfahren weder einen Bevollmächtigten bestellt noch einen Empfangsberechtigten benannt hat oder diesen nicht zugestellt werden kann. Dies setzt aber voraus, dass der Ausländer bei der Antragstellung schriftlich und gegen Empfangsbestätigung auf diese Zustellungsvorschriften hingewiesen worden ist (vgl. § 10 Abs. 7 AsylG). Im vorliegenden Fall fehlt es an einer solchen Belehrung. Dem Verwaltungsvorgang des Bundesamtes lässt sich jedenfalls für eine solche Belehrung nichts entnehmen.
27Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist jedoch unbegründet. Die Voraussetzungen für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung in Ziffer 3 des Bescheides vom 1. März 2022 nach § 80 Abs. 5 VwGO liegen im gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht vor.
28Gemäß § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht auf Antrag im Rahmen einer eigenen Ermessensentscheidung die aufschiebende Wirkung der Klage anordnen, wenn das Interesse des Antragstellers an der beantragten Aussetzung der Vollziehung das bezüglich der Abschiebungsanordnung durch § 75 AsylG gesetzlich angeordnete öffentliche Interesse an der sofortigen Durchsetzbarkeit des Verwaltungsaktes überwiegt. Die dabei vorzunehmende Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Vollzugsinteresse und dem privaten Aussetzungsinteresse des Antragstellers hat sich maßgeblich – wenn auch nicht ausschließlich – an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu orientieren, wie diese sich bei der im Eilverfahren allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung im vorliegenden Verfahren abschätzen lassen.
29Vgl. zu diesem Maßstab: VG Düsseldorf, Beschlüsse vom 12. August 2016 – 12 L 2625/16.A -, juris, Rn. 7, und vom 7. Dezember 2015 – 12 L 3592/15.A –, juris, Rn. 5.
30Die Interessenabwägung fällt hier zu Lasten des Antragstellers aus, denn die Anordnung seiner Abschiebung nach Polen in Ziffer 3 des in der Hauptsache angefochtenen Bescheides begegnet bei Anlegung dieses Maßstabes derzeit keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
31Es liegt kein Verfahrensmangel nach europäischem Recht vor, der zur Rechtswidrigkeit der Abschiebungsanordnung führen könnte. Im vorliegenden Fall hat zwar kein persönliches Gespräch mit dem Antragsteller nach Art. 5 Abs. 1 Dublin III-Verordnung stattgefunden. Die Durchführung einer persönlichen Anhörung war mit Blick auf Art. 5 Abs. 2 Buchstabe a) Dublin III-Verordnung aber entbehrlich. Nach dieser Vorschrift darf auf das persönliche Gespräch verzichtet werden, wenn der Antragsteller flüchtig ist.
32Der Antragsteller war flüchtig, denn er hat sich der Durchführung eines Asyl- bzw. Dublin-Verfahrens bewusst entzogen. Er hat nach seinem Aufgriff durch die Bundespolizei am 12. Februar 2022 unter anderem eine Belehrung nach § 20 Abs. 1 AsylG erhalten, wonach er sich unverzüglich, spätestens bis zum 14. Februar 2022 bei der Erstaufnahmeeinrichtung in E. , T.-----------allee 0x, melden solle. Dem ist der Antragsteller wohl auch nachgekommen, ausweislich der vorliegenden Reiseschwundmeldung reiste er aber bereits am 14. Februar 2022 mit seiner Familie weiter, ohne einen förmlichen Asylantrag gestellt zu haben und ohne dass eine Registrierung oder eine EASY-Verteilung durch die Landesdirektion Sachsen erfolgen konnte. Danach war der Aufenthalt des Antragstellers unbekannt. Die Erstaufnahmeeinrichtung in E. teilte dem Bundesamt in der zurückgesandten Empfangsbestätigung zum Bescheid vom 1. März 2022 mit, dass der Antragsteller die Aufnahmeeinrichtung verlassen habe und sein Aufenthaltsort gegenwärtig nicht bekannt sei. Er sei wegen Inaktivität am 16. Februar 2022 entlassen worden.
33Soweit der Antragsteller geltend macht, das Asylverfahren sei ohne seine Zustimmung und gegen seinen Wunsch eingeleitet und durch das Bundesamt ohne sein Wissen durchgeführt worden, steht dies der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung ebenfalls nicht entgegen.
34Rechtsgrundlage für die Abschiebungsanordnung ist § 34a Abs. 1 Sätze 1 und 2 AsylG. Gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung des Ausländers in einen sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) an, sobald feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Dies gilt gemäß § 34a Abs. 1 Satz 2 AsylG auch, wenn der Ausländer den Asylantrag in einem anderen auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat gestellt oder vor der Entscheidung des Bundesamtes zurückgenommen hat.
35§ 34a Abs. 1 AsylG ist im vorliegenden Fall einschlägig, ungeachtet der Tatsache, dass der Antragsteller in Deutschland keinen förmlichen Asylantrag im Sinne des Asylgesetzes gestellt hat. Es handelt sich um einen sogenannten „Aufgriffsfall“, der vom Anwendungsbereich des § 34a Abs. 1 Satz 2 AsylG erfasst wird. Die Vorschrift wurde im Rahmen der Änderung des Asylverfahrensgesetzes im Jahr 2013 zur Umsetzung der Qualifikationsrichtlinie (2011/95/EU) ausdrücklich mit der Begründung eingefügt, dass diese Vorschrift eine gesetzliche Aufgabenzuweisung für das Bundesamt darstelle und der Erfassung der sogenannten „Aufgriffsfälle“ dienen solle, in denen ein Ausländer im Inland angetroffen wird, der in einem anderen Staat – in dem die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 vom 29.6.2013, S. 31; im Folgenden: Dublin III-Verordnung) Anwendung findet – einen Asylantrag gestellt hat, nicht aber in Deutschland (BT-Drs. 17/13556, S. 7).
36Vgl. VG Düsseldorf, Beschluss vom 29. September 2017 – 12 L 3583/17.A -, juris, Rn. 32; VG Ansbach, Beschluss vom 9. September 2021 – AN 17 S 21.50195 -, juris, Rn. 22; VG Bremen, Beschluss vom 18. Dezember 2019 – 5 V 2644/19 -, juris, Rn. 20 m.w.N.; VG München, Beschlüsse vom 29. September 2016 – M 24 S 16.50506 -, juris, Rn. 21, vom 8. Juli 2016 – M 8 S 16.50302 -, juris, Rn. 20 f., und vom 22. Juni 2016 – M 8 S 16.50295 -, juris, Rn. 24.
37Die Voraussetzungen von § 34a Abs. 1 Satz 2 AsylG sind hier erfüllt. Der Antragsteller hat in Polen und damit in einem Staat, in dem die Dublin III-Verordnung Anwendung findet, einen Asylantrag gestellt. Dies steht fest aufgrund des ermittelten Eurodac-Treffers der Kategorie 1 im Sinne von Art. 24 Abs. 4 Satz 3 der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (Abl. L 180 vom 29. Juni 2013, S. 1) (PL1211129178089008000/700680188U). Danach hat der Antragsteller am 29. November 2021 in Polen einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.
38Polen ist für die Prüfung dieses Antrags auch zuständig. Die Zuständigkeit ist im Rahmen eines Wiederaufnahmeverfahrens nach Art. 23 ff. Dublin III-Verordnung – wie hier – nicht nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin III-Verordnung, sondern anhand der Voraussetzungen der Art. 20 Abs. 5 und Art. 18 Abs. 1 Buchstaben b) bis d) Dublin III-Verordnung zu bestimmen.
39Vgl. EuGH, Urteil vom 2. April 2019 – C-582/17 und C-583/17 -, juris, Rn. 57 ff.
40Danach folgt die Zuständigkeit Polens daraus, dass der Antragsteller dort ausweislich des ermittelten Eurodac-Treffers am 29. November 2021 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat und die polnischen Behörden dem Wiederaufnahmegesuch der Antragsgegnerin gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchstabe b) zugestimmt haben.
41Die Antragsgegnerin hat Polen rechtzeitig gemäß Art. 23 Abs. 2 Unterabsatz 1 Dublin III-Verordnung um Wiederaufnahme des Antragstellers ersucht. Die Vorschrift des Art. 23 Dublin III-Verordnung ist hier einschlägig, wenngleich der Antragsteller in Deutschland keinen förmlichen Asylantrag gestellt hat. Art. 23 Abs. 1 Dublin III-Verordnung setzt indes lediglich voraus, dass eine Person im Sinne des Art. 18 Abs. 1 Buchstaben b) bis d) in einem Mitgliedstaat einen neuen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat. Art. 20 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-Verordnung bestimmt, dass ein Antrag auf internationalen Schutz als gestellt gilt, wenn den zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaats ein vom Antragsteller eingereichtes Formblatt oder ein behördliches Protokoll zugegangen ist. Die Vorschrift ist dahin auszulegen, dass ein Antrag auf internationalen Schutz als gestellt gilt, wenn der mit der Durchführung der sich aus der Dublin III-Verordnung ergebenden Verpflichtungen betrauten Behörde ein Schriftstück zugegangen ist, das von einer Behörde erstellt wurde und bescheinigt, dass ein Drittstaatsangehöriger um internationalen Schutz ersucht hat, und, gegebenenfalls, wenn ihr nur die wichtigsten in einem solchen Schriftstück enthaltenen Informationen, nicht aber das Schriftstück oder eine Kopie davon, zugegangen sind.
42Vgl. EuGH, Urteil vom 26. Juli 2017 – C-670/16 -, juris, Rn. 103.
43Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt, denn der Antragsteller hat bei seiner Befragung durch die Bundespolizei zum Anlass seiner Einreise nach Deutschland angegeben, sein Vater und die ganze Familie seien im Heimatstaat bedroht worden. Dieses Vorbringen ist – zu Recht – als Schutzgesuch gewertet worden, so dass die Bundespolizei die Niederschrift über die Befragung an das Bundesamt als zuständige Behörde weitergeleitet hat. Damit gilt ein Antrag auf internationalen Schutz gemäß Art. 20 Abs. 2 Dublin III-Verordnung im vorliegenden Fall als gestellt.
44Art. 23 Abs. 2 Unterabsatz 1 Dublin III-Verordnung bestimmt, dass ein Wiederaufnahmegesuch so bald wie möglich, auf jeden Fall aber innerhalb von zwei Monaten nach der Eurodac-Treffermeldung zu stellen ist. Diese Frist ist im vorliegenden Fall eingehalten. Das Bundesamt hat Polen am 18. Februar 2022 und damit innerhalb von zwei Monaten nach der Eurodac-Treffermeldung vom 13. Februar 2022 um Wiederaufnahme des Antragstellers ersucht. Die polnischen Behörden haben hierauf fristgerecht innerhalb von zwei Wochen (vgl. Art. 25 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-Verordnung) mit Schreiben vom 28. Februar 2022 geantwortet und ihre Zuständigkeit gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchstabe b) Dublin III-Verordnung erklärt.
45Die Zuständigkeit Polens ist auch noch nicht gemäß Art. 29 Abs. 2 Dublin III-Verordnung wegen Ablaufs der Überstellungsfrist auf die Antragsgegnerin übergegangen. Nach dieser Vorschrift gilt: Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs durchgeführt, ist der zuständige Mitgliedstaat nicht mehr zur Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person verpflichtet und die Zuständigkeit geht auf den ersuchenden Mitgliedstaat über. Diese Frist war zu dem Zeitpunkt, als der Antragsteller den vorliegenden Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gestellt hat, noch nicht abgelaufen und ist seitdem unterbrochen. Die Annahme des Wiederaufnahmegesuchs am 28. Februar 2022 lag bei Antragstellung am 7. Juni 2022 weniger als sechs Monate zurück. Bei einem – wie hier – rechtzeitig gestellten Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen die Abschiebungsanordnung wird die Überstellungsfrist kraft Gesetzes unterbrochen (vgl. § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylG) und erst mit dem ablehnenden Beschluss im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes erneut in Lauf gesetzt.
46Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Mai 2016 – 1 C 15/15 –, juris, Rn. 11; OVG NRW, Urteil vom 7. Juli 2016 – 13 A 2238/15.A –, juris, Rn. 24ff.
47Für das vorliegende einstweilige Rechtsschutzgesuch ist es insofern unerheblich, ob die Antragsgegnerin die Überstellungsfrist am 1. März 2022 wirksam auf 18 Monate verlängert hat.
48Eine Zuständigkeit der Antragsgegnerin ergibt sich auch nicht aus Art. 3 Abs. 2 Unterabsätze 2 und 3 Dublin III-Verordnung. Nach diesen Vorschriften gilt: Erweist es sich als unmöglich, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen, so setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat die Prüfung der in Kapitel III vorgesehenen Kriterien fort, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann. Kann keine Überstellung gemäß diesem Absatz an einen aufgrund der Kriterien des Kapitels III bestimmten Mitgliedstaat oder an den ersten Mitgliedstaat, in dem der Antrag gestellt wurde, vorgenommen werden, so wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat.
49In Bezug auf Polen liegen derzeit keine wesentlichen Gründe für die Annahme vor, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Schutzsuchende in der Situation des Antragstellers systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen.
50Das Gemeinsame Europäische Asylsystem geht auf der Grundlage des Grundsatzes gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten davon aus, dass alle daran beteiligten Staaten die Grundrechte beachten, einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) sowie der EU-Grundrechtecharta finden. Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass dieses System in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stößt, so dass ein ernsthaftes Risiko besteht, dass Antragsteller oder Schutzberechtigte bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt werden, die mit ihren Grundrechten unvereinbar ist.
51Vgl. EuGH, Urteile vom 19. März 2019 – C-163/17 -, juris, Rn. 82 f. und 87 bis 89, und vom 19. März 2019 – C-297/17 u.a. -, juris, Rn. 83 ff.
52Die Überstellung eines Antragstellers oder Schutzberechtigten in einen Mitgliedstaat ist in all jenen Situationen ausgeschlossen, in denen ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme vorliegen, dass er bei seiner Überstellung oder infolge seiner Überstellung einem ernsthaften Risiko ausgesetzt ist, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 der EU-Grundrechtecharta zu erfahren.
53Vgl. EuGH, Urteile vom 19. März 2019 – C-163/17 -, juris, Rn. 98, und vom 19. März 2019 – C-297/17 -, juris, Rn. 87 f., und Beschluss vom 13. November 2019 – C-540 und 541/17 -, juris, Rn. 39; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 2019 – 2 BvR 1380/19 -, juris, Rn. 15.
54Dabei ist es für die Anwendung von Art. 4 der EU-Grundrechtecharta gleichgültig, ob das Risiko einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung der betreffenden Person zum Zeitpunkt der Überstellung, während des Asylverfahrens oder nach dessen Abschluss besteht.
55Vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019 – C-163/17 -, juris, Rn. 88.
56Insoweit ist das zuständige Gericht verpflichtet, auf der Grundlage objektiver, zuverlässiger, genauer und gebührend aktualisierter Angaben und im Hinblick auf den durch das Unionsrecht gewährleisteten Schutzstandard der Grundrechte zu würdigen, ob entweder systemische oder allgemeine oder aber bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen vorliegen. Derartige Schwachstellen fallen nur dann unter Art. 4 der EU-Grundrechtecharta, wenn sie eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen, was von sämtlichen Umständen des Falles abhängt. Diese besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit ist erreicht, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hat, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befindet, die es ihr nicht erlaubt, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigt oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzt, der mit der Menschenwürde unvereinbar ist.
57Vgl. EuGH, Urteile vom 19. März 2019 – C-163/17 -, juris, Rn. 87 ff., und vom 19. März 2019 – C-297/17 u.a. -, juris, Rn. 87 ff., und Beschluss vom 13. November 2019 – C-540 und 541/17 -, juris, Rn. 39.
58Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Europäischen Gerichtshofs können systemische Mängel in diesem Sinne erst angenommen werden, wenn Grundrechtsverletzungen einer Art. 4 der EU‑Grundrechtecharta bzw. Art. 3 EMRK entsprechenden Schwere nicht nur in Einzelfällen, sondern strukturell bedingt, eben systemisch, vorliegen. Diese müssen aus Sicht des überstellenden Staates offensichtlich sein, ihm also nicht unbekannt sein können.
59Vgl. EuGH, Urteile vom 10. Dezember 2013 – C-394/12 -, juris, Rn. 60, vom 14. November 2013 – C-4/11 -, juris, Rn. 33 ff., und vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 -, juris, Rn. 83 ff., 99; EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 -, NVwZ 2011, 413; vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 19. März 2014 – 10 B 6/14 -, juris, Rn. 9.
60Große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person reichen nicht aus, sofern sie nicht mit extremer materieller Not verbunden sind. Das Fehlen familiärer Solidarität ist keine ausreichende Grundlage für die Feststellung einer Situation extremer materieller Not. Auch Mängel bei der Durchführung von Programmen zur Integration von Schutzberechtigten reichen für einen Verstoß gegen Art. 4 der EU-Grundrechtecharta nicht aus. Schließlich kann der bloße Umstand, dass im ersuchenden Mitgliedstaat die Sozialhilfeleistungen und/oder die Lebensverhältnisse günstiger sind als im normalerweise zuständigen Mitgliedstaat, nicht die Schlussfolgerung stützen, dass die betreffende Person im Fall ihrer Überstellung tatsächlich der Gefahr ausgesetzt ist, eine gegen Art. 4 der EU-Grundrechtecharta verstoßende Behandlung zu erfahren.
61Vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019 – C-163/17 -, juris, Rn. 93 f. und 96 f., und Beschluss vom 13. November 2019 – C-540 und C-541/17 -, juris, Rn. 39.
62Ein Verstoß gegen Art. 4 der EU-Grundrechtecharta liegt daher erst vor, wenn die elementarsten Bedürfnisse nicht befriedigt werden können, insbesondere eine Unterkunft zu finden, sich zu ernähren und zu waschen („Bett, Brot, Seife“).
63Vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juli 2019 – 1 C 45/18 -, juris, Rn. 12 m.w.N.; OVG NRW, Beschluss vom 16. Dezember 2019 – 11 A 228/15.A -, juris, Rn. 44; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 27. Mai 2019 – A 4 S 1329/19 -, juris, Rn. 5.
64Der Verstoß gegen Art. 4 der EU-Grundrechtecharta muss dabei unabhängig vom Willen des Betroffenen drohen. Er liegt mithin nicht vor, wenn der Betroffene nicht den Versuch unternimmt, sich unter Zuhilfenahme der bescheidenen Möglichkeiten und gegebenenfalls unter Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes eine Existenz aufzubauen.
65Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16. Dezember 2019 – 11 A 228/15.A -, juris, Rn. 47; OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 25. Juli 2019 – 4 LB 12/17 -, juris, Rn. 134 f.
66Nach diesen Vorgaben ist in Bezug auf Polen nach aktuellem Kenntnisstand nicht davon auszugehen, dass dem Antragsteller im Falle seiner Überstellung in dieses Land mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im eben beschriebenen Sinne droht. Dem Gericht liegen keine Erkenntnisse vor, die den Schluss rechtfertigen könnten, dass in Polen für Dublin-Rückkehrer in der Situation des Antragstellers systemische Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen bestehen.
67Vgl. VG Schleswig-Holstein, Gerichtsbescheid vom 14. Juni 2022 – 5 A 271/22 -, juris, S. 3 ff. des Urteilabdrucks; VG München, Beschluss vom 27. Mai 2022 – M 30 S 22.50276 -, juris, Rn. 23 ff.; VG Wiesbaden, Urteil vom 6. Mai 2022 – 3 K 1656/18.WI.A -, juris, Rn. 27 ff.; VG Lüneburg, Beschluss vom 3. Mai 2022 – 5 B 31/22 -, juris, S. 5 ff. des Urteilabdrucks; VG Stuttgart, Beschluss vom 13. April 2022 – A 8 K 1530/22 -, juris, S. 7 des Urteilabdrucks.
68Der Antragsteller wird in Polen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Zugang zum Asylverfahren haben. Ungeachtet der Frage, ob gegenüber Ausländern, die nicht über amtliche Grenzübergänge ins Land gekommen sind, an der belarussisch-polnischen Grenze illegale Pushbacks stattfinden,
69vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation, Polen (Version 2), 7. Dezember 2021, S. 7 ff., abrufbar unter: www.milo.bamf.de; Human Rights Watch, „Die Here or Go to Poland“ – Belarus’ and Poland’s Shared Responsibility for Border Abuses, 24. November 2021, S. 11 ff., abrufbar unter: https://www.hrw.org,
70liegen jedenfalls keine Anhaltspunkte dafür vor, dass Dublin-Rückkehrer entgegen dem in Art. 33 Abs. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention und Art. 3 EMRK verankerten Grundsatz der Nichtzurückweisung (Refoulement-Verbot) ohne eine Entscheidung über ihren Asylantrag in ihr Herkunftsland abgeschoben werden.
71Es gibt keine Berichte über Zugangshindernisse zum Verfahren für Dublin-Rückkehrer. Personen, die im Rahmen der Dublin-Bestimmungen nach Polen zurückkehren, können bei der Grenzwache einen Asylantrag stellen oder die Wiedereröffnung eines etwaigen vorherigen Verfahrens beantragen. Eine Wiedereröffnung ist innerhalb von neun Monaten ab Einstellung möglich. Sind diese neun Monate verstrichen, wird der Antrag als Folgeantrag betrachtet und auf Zulässigkeit geprüft.
72Vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation, Polen (Version 2), 7. Dezember 2021, S. 4, abrufbar unter: www.milo.bamf.de; AIDA Country Report: Poland, 2021 Update, Mai 2022, S. 37 f., abrufbar unter: https://asylumineurope.org.
73Für Asylbewerber besteht ab dem Zeitpunkt der Registrierung (nach Antragstellung) in einem der Erstaufnahmezentren ein Recht auf Versorgung während des gesamten Verfahrens, inklusive einer ersten Beschwerde. Asylbewerber, die in einem Zentrum leben, erhalten Unterkunft, Mahlzeiten, Taschengeld, Geld für Hygieneartikel und eine Einmalzahlung für Bekleidung. Asylbewerber, die außerhalb der Aufnahmezentren leben, erhalten eine finanzielle Beihilfe. Beide Gruppen erhalten einen Polnisch-Sprachkurs und Unterrichtsmaterialien, Unterstützung für Schulkinder, Geld für notwendige Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln und medizinische Versorgung.
74Vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation, Polen (Version 2), 7. Dezember 2021, S. 10 ff., abrufbar unter: www.milo.bamf.de.
75Eine andere Bewertung der Situation für Asylsuchende in Polen ist auch nicht im Hinblick auf einen aktuellen Bericht von ProAsyl geboten.
76Vgl. ProAsyl, „Dublin-Abschiebungen nach Polen müssen gestoppt werden“, vom 28. Juli 2022, abrufbar unter: https://www.proasyl.de/news.
77Darin wird zwar argumentiert, Schutzsuchende, die von Polen nach Deutschland weitergeflohen seien, dürften nicht nach Polen zurückgeschoben werden, weil sie dort absehbar systematisch inhaftiert würden und die Haftbedingungen für Geflüchtete in Polen menschenunwürdig und erniedrigend sein könnten. Dies lässt sich der angegebenen Quelle in dieser Allgemeinheit aber nicht entnehmen. Nach dem AIDA-Bericht Polen 2021, Update May 2022, ist eine Inhaftierung zwar in allen Asylverfahren möglich, besonders im Falle eines illegalen Grenzübertritts und auch im Falle eines Transfers unter dem Dublin-Regime.
78Vgl. AIDA Country Report: Poland, 2021 Update, Mai 2022, S. 91, abrufbar unter: https://asylumineurope.org.
79Nach den weiteren Ausführungen des Berichts betreffen Inhaftierungen aber in erster Linie Personen nach ihrer illegalen Einreise über die polnisch-belarussische Grenze.
80Vgl. AIDA Country Report: Poland, 2021 Update, Mai 2022, S. 88, abrufbar unter: https://asylumineurope.org.
81Die Ausführungen des Berichts lassen jedenfalls nicht den Schluss zu, dass auch Dublin-Rückkehrer systematisch inhaftiert und unter menschenunwürdigen Bedingungen untergebracht werden. Es kann folglich nicht davon ausgegangen werden, dass der Antragsteller im Falle einer Überstellung nach Polen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit inhaftiert werden wird.
82Auf der Grundlage der vorliegenden Erkenntnisse und der zum Zeitpunkt der Entscheidung allgemein zugänglichen Informationen ist zudem davon auszugehen, dass dem Antragsteller auch für den Fall, dass er in Polen internationalen Schutz erhalten sollte, keine ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 EU-Grundrechtecharta droht. Die Situation anerkannter Schutzberechtigter im zuständigen Mitgliedstaat ist auch bei sogenannten Dublin-Rückkehrern bereits in den Blick zu nehmen.
83Vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019 – C-163/17 –, juris, Rn. 76 ff.
84Die Lebensverhältnisse für international Schutzberechtigte in Polen stellen sich nicht allgemein als unmenschlich oder erniedrigend im Sinne von Art. 4 EU-Grundrechtecharta bzw. Art. 3 EMRK dar. Ein vom Willen der Schutzberechtigten unabhängiger „Automatismus der Verelendung“ lässt sich nicht feststellen.
85Vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 7. September 2020 – 12 K 17494/17.A –, S. 8 ff. des Urteilabdrucks; VG Lüneburg, Beschluss vom 3. Mai 2022 – 5 B 31/22 -, juris, S. 7 f. des Urteilabdrucks.
86Anerkannten Schutzberechtigten droht in Polen nicht automatisch die Obdachlosigkeit. Sie haben das Recht, sich noch für maximal zwei Monate nach der endgültigen Entscheidung über ihren Asylantrag in den Aufnahmezentren aufzuhalten. Der polnische Staat stellt Schutzberechtigten keine Wohnung zur Verfügung und es herrscht generell ein Mangel an Sozialwohnungen, sowohl für polnische Staatsbürger als auch für Schutzberechtigte. Einige Gemeinden bieten jedes Jahr Wohnungen speziell für Schutzberechtigte an. Berichten zufolge vermieten aber viele Vermieter nicht gerne an Flüchtlinge bzw. verlangen höhere Mieten. Viele NGOs meine, Flüchtlinge würden sich in Polen Obdachlosigkeit und Armut gegenüber sehen. Hierzu gibt es aber keine belastbaren Zahlen.
87Vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation, Polen (Version 2), 7. Dezember 2021, S. 16, abrufbar unter: www.milo.bamf.de.
88Schutzberechtigte haben wie polnische Bürger zwar vollen Zugang zum Arbeitsmarkt, in der Praxis sind jedoch fehlende Sprachkompetenz und Qualifikation der Flüchtlinge sowie Diskriminierung ein Problem. Schutzberechtigte können binnen 60 Tagen ab Statuszuerkennung die Teilnahme an einem speziellen Individual Integration Program (IPI), das von den Poviat Family Support Centers (PCPR) angeboten wird, beantragen. Integrationshilfe wird für 12 Monate gewährt. Sie umfasst unter anderem eine Beihilfe für Polnisch-Kurse, Übernahme der Krankenversicherung und Sozialberatung. Abhängig von der Haushaltsgröße erhalten die Teilnehmer zwischen 158 und 317 Euro pro Person in den ersten sechs Monaten und zwischen 149 und 288 Euro pro Person in den zweiten sechs Monaten. Die Teilnehmer werden auch bei der Arbeitssuche und bei der Suche nach Wohnraum unterstützt, gegebenenfalls wird eine Beihilfe für das Mieten einer Wohnung gezahlt.
89Vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation, Polen (Version 2), 7. Dezember 2021, S. 16, abrufbar unter: www.milo.bamf.de.
90Schutzberechtigte haben wie polnische Bürger Zugang zum allgemeinen polnischen Sozialsystem und können Sozialhilfe erhalten, wenn sie eine gewisse Einkommensgrenze nicht überschreiten. Sie haben ebenfalls Zugang zu verschiedenen Familienbeihilfen. In der Praxis bestehen aber auch hier oft Zugangsprobleme aufgrund von mangelnden Sprachkenntnissen, mangelndem Wissen über ihre Rechte und administrative Hürden.
91Vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation, Polen (Version 2), 7. Dezember 2021, S. 16 f., abrufbar unter: www.milo.bamf.de.
92International Schutzberechtigte haben ein Recht auf medizinische Versorgung wie polnische Staatsbürger, was bedeutet, dass sie grundsätzlich eine Krankenversicherung haben müssen. Während sie eine Integrationshilfe beziehen, müssen sie sich arbeitslos melden und werden von der öffentlichen Hand krankenversichert. Nach Ende der Integrationshilfe muss die Krankenversicherung entweder von einem etwaigen Arbeitgeber, dem zuständigen Arbeitsamt (wenn der Betreffende arbeitslos gemeldet ist) oder vom Schutzberechtigten selbst übernommen werden. Die administrativen Hürden für den Zugang zu medizinischer Versorgung in Polen gelten als hoch und langwierig.
93Vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation, Polen (Version 2), 7. Dezember 2021, S. 17, abrufbar unter: www.milo.bamf.de.
94Selbst wenn sich danach die Situation für Dublin-Rückkehrende bzw. für anerkannt Schutzberechtigte in Polen schwieriger darstellt als in Deutschland, ergibt sich hieraus keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 EU-Grundrechtecharta bzw. Art. 3 EMRK. Es ist zu berücksichtigen, dass Dublin-Rückkehrer bzw. Schutzberechtigte nicht grundsätzlich schlechter gestellt sind als polnische Staatsbürger. Ein vom eigenen Willen des Asylsuchenden bzw. Schutzberechtigten unabhängiger Automatismus der Verelendung bei einer Rückkehr nach Polen lässt sich nach dem Vorstehenden jedenfalls nicht feststellen. Eine möglicherweise zu besorgende Verschlechterung auch der wirtschaftlichen Situation in Polen im Gegensatz zur Situation in Deutschland ist dem Antragsteller angesichts der oben aufgezeigten hohen Hürden für die Annahme systemischer Mängel zumutbar und rechtlich tolerierbar.
95Eine andere Bewertung ist auch nicht im Hinblick auf den derzeit fortdauernden Ukrainekrieg und die sich hieraus ergebenden Flüchtlingsbewegungen nach Polen geboten.
96Zwar sind nach dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine am 24. Februar 2022 ca. 4,8 Millionen Menschen aus der Ukraine nach Polen geflohen, die Zahl der Flüchtlinge aus der Ukraine, die für vorübergehenden Schutz oder ähnliche nationale Schutzsysteme in Polen registriert sind, beträgt (Stand: 18. Juli 2022) indes „nur“ 1.235.000.
97Vgl. UNHCR, Flüchtlingssituation in der Ukraine, abrufbar unter: https://data.unhcr.org/en/situations/ukraine/location/10781, Stand: 19. Juli 2022.
98Ferner ist festzustellen, dass zwischen dem 27. Februar 2022 und 9. März 2022 täglich noch zwischen 100.000 und (in der Spitze) 140.000 Menschen zum Schutz vor dem Krieg nach Polen eingereist sind, die täglichen Einreisezahlen seit Mitte März 2022 aber deutlich gesunken sind. Sie lagen seit dem 28. März 2022 bei täglich zwischen 9.000 und 28.000 Personen und zuletzt nur zwischen 16.000 und 21.000 Personen pro Tag.
99Vgl. UNHCR, Flüchtlingssituation in der Ukraine, abrufbar unter: https://data.unhcr.org/en/situations/ukraine/location/10781, Stand: 19. Juli 2022.
100Zuletzt ist auch eine verstärkte Rückkehr der aus der Ukraine geflüchteten Menschen in ihr Herkunftsland zu verzeichnen. So haben in der Zeit vom 10. Mai 2022 bis zum 19. Juli 2022 täglich zwischen 20.000 und 30.000 Grenzübertritte in die Ukraine stattgefunden.
101Vgl. UNHCR, Flüchtlingssituation in der Ukraine, abrufbar unter: https://data.unhcr.org/en/situations/ukraine/location/10781, Stand: 19. Juli 2022.
102Zu berücksichtigen ist ferner, dass Schutzsuchende aus der Ukraine aufgrund des Durchführungsbeschlusses (EU) 2022/382 des Rates der Europäischen Union vom 4. März 2022 zur Feststellung des Bestehens eines Massenzustroms von Vertriebenen aus der Ukraine im Sinne des Artikels 5 der Richtlinie 2001/55/EG und zur Einführung eines vorübergehenden Schutzes nicht das üblicherweise vorgesehene Asylverfahren durchlaufen müssen, sondern in einem vereinfachten Verfahren einen europaweit gültigen vorübergehenden Schutz mit entsprechendem Zugang zum Arbeitsmarkt und etwaigen Sozialleistungen erhalten (können). Die Aktivierung der Richtlinie 2001/55/EG vom 20. Juli 2001 über Mindestnormen für die Gewährung vorübergehenden Schutzes im Falle eines Massenzustroms von Vertriebenen und Maßnahmen zur Förderung einer ausgewogenen Verteilung der Belastungen, die mit der Aufnahme dieser Personen und den Folgen dieser Aufnahme verbunden sind, auf die Mitgliedstaaten (Massenzustrom-Richtlinie) soll eine ausgewogene Verteilung der Belastungen, die mit der Aufnahme der Schutzsuchenden aus der Ukraine verbunden sind, auf die Mitgliedstaaten fördern.
103Vgl. Art. 1 der Richtlinie 2001/55/EG (Massenzustrom-Richtlinie); ferner Erwägungsgründe 16 und 20 des Durchführungsbeschlusses (EU) 2022/382 vom 4. März 2022.
104Ferner ist zu berücksichtigen, dass die Schutzsuchenden aus der Ukraine zu einem beachtlichen Teil in privat organisierten Unterkünften untergebracht werden oder weiterreisen, was im März 2022 dazu führte, dass die von lokalen polnischen Behörden eingerichteten Unterkunftszentren mit einer Kapazität für ca. 280.000 Menschen weitgehend unbewohnt geblieben sind.
105Vgl. UNHCR, Situation in der Ukraine: Flash-Update Nr. 1 vom 8. März 2022, S. 4, abrufbar unter: https://data.unhcr.org/en/documents/details/91208, Stand: 26. Juli 2022; VG Lüneburg, Beschluss vom 3. Mai 2022 – 5 B 31/22 -, juris, S. 8 f. des Urteilabdrucks.
106Dem Gericht liegen keine Berichte oder andere Erkenntnismittel vor, wonach es derzeit zu einer Überforderung des polnischen Asylsystems kommen soll, etwa durch Engpässe bei der Flüchtlingsunterbringung und -versorgung.
107Ebenso: VG Dresden, Beschluss vom 27. Juni 2022 – 3 L 397/22.A -, juris, Rn. 22 ff.; VG München, Beschluss vom 27. Mai 2022 – M 30 S 22.50276 -, juris, Rn. 31; VG Trier, Beschluss vom 4. Mai 2022 – 7 L 1051/22.TR -, juris, S. 4 des Urteilabdrucks; VG Lüneburg, Beschluss vom 3. Mai 2022 – 5 B 31/22 -, juris, S. 8 f. des Urteilabdrucks; VG Stuttgart, Beschluss vom 13. April 2022 – A 8 K 1530/22 -, juris, S. 7 f. des Urteilabdrucks.
108Der Antragsteller hat keine aktuellen Erkenntnisse benannt, die die vorstehenden Ausführungen zu den Lebensbedingungen von Asylbewerbern und Personen mit internationalem Schutzstatus in Polen in Frage stellen könnten.
109Individuelle, in der Person des Antragstellers liegende besondere Gründe, die im Falle der Rückkehr nach Polen als Asylbewerber oder der Zuerkennung internationalen Schutzes hinsichtlich der dann zu erwartenden Lebensverhältnisse auf eine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verletzung von Art. 4 EU-Grundrechtecharta bzw. Art. 3 EMRK schließen lassen könnten, liegen nicht vor.
110Einer Überstellung des Antragstellers nach Polen stehen nach derzeitigem Kenntnisstand keine zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbote entgegen. Für das Vorliegen eines Abschiebungsverbotes aus § 60 Abs. 5 AufenthG ist nach dem zuvor Gesagten nichts ersichtlich. Es liegt auch kein Abschiebungsverbot aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Anhaltspunkte dafür, dass diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt sein könnten, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
111Anhaltspunkte für ein der Abschiebung nach Polen entgegenstehendes inlandsbezogenes Abschiebungshindernis, das im Rahmen einer Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylG ausnahmsweise von der Antragsgegnerin auch noch nach Erlass der Abschiebungsanordnung zu berücksichtigen wäre, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
112Gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung bestehen auch im Übrigen keine Bedenken, so dass die Abschiebung des Antragstellers nach Polen gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG durchgeführt werden kann.
113Die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Antragsteller geltend macht, er begehre lediglich vorübergehenden Schutz nach § 24 AufenthG; gemäß UkraineAufenthÜV sei hierfür keine Prüfung nach der Dublin III-Verordnung durchzuführen. Der Antragsteller hat zwar einen Ankunftsnachweis (Bescheinigung zur Vorlage bei Behörden) der Ausländerbehörde T1. vom 4. April 2022 vorgelegt. Darin wird er als ukrainischer Staatsangehöriger bezeichnet, der ein Schutzgesuch geäußert habe. Er unterfalle dem Durchführungsbeschluss (EU) 2022/382 des Rates vom 4. März 2022. Somit finde § 24 AufenthG unmittelbar Anwendung. Es werde daher aller Voraussicht nach ein befristeter Aufenthaltstitel nach § 24 AufenthG erteilt. Ungeachtet der Frage, ob die vom Antragsteller geäußerte Rechtsauffassung zutreffend ist, ist nach derzeitigem Kenntnisstand jedenfalls nicht davon auszugehen, dass der Antragsteller im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis zum vorübergehenden Schutz gemäß § 24 Abs. 1 AufenthG ist. Auf Nachfrage des Gerichts hat die Ausländerbehörde T1. mit Schreiben vom 14. Juli 2022 vielmehr mitgeteilt, der Antragsteller werde mit der irakischen Staatsangehörigkeit geführt. Ihm sei keine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 24 AufenthG und keine entsprechende Fiktionsbescheinigung ausgestellt worden.
114Die Überstellung des Antragstellers nach Polen ist nach allem rechtlich zulässig und auch tatsächlich möglich. Polen hatte mit Rundschreiben vom 25. Februar 2022 zwar alle eingehenden (Dublin-)Transfers bis auf weiteres suspendiert. Inzwischen haben die zuständigen polnischen Behörden mit Rundschreiben vom 23. Juni 2022 aber mitgeteilt, ab dem 1. August 2022 (Dublin-)Transfers nach Polen wieder aufzunehmen. Ungeachtet dessen hatte Polen im vorliegenden Fall mit Schreiben vom 28. Februar 2022 – und damit nach dem Rundschreiben vom 25. Februar 2022 – das Wiederaufnahmegesuch vom 18. Februar 2022 ausdrücklich angenommen und der Wiederaufnahme des Antragstellers zugestimmt.
115Vor diesem Hintergrund und mangels aktueller Berichte oder anderer Erkenntnismittel, die eine Überforderung des polnischen Asylsystems, etwa durch Engpässe bei der Flüchtlingsunterbringung und -versorgung aufzeigen, hält das Gericht nicht länger an der Bewertung fest, wonach die Antragsgegnerin – insbesondere aufgrund einer tatsächlichen Unmöglichkeit einer Überstellung nach Polen – zur Ausübung ihres Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-Verordnung verpflichtet sei.
116Vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 29. April 2022 – 12 K 737/22.A -, juris, Rn. 24 ff., und Beschluss vom 12. April 2022 – 12 L 627/22.A -, juris, Rn. 29 ff.
117Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
118Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).
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