Beschluss vom Verwaltungsgericht Freiburg - 4 K 1363/12

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe

 
Der Antrag des Antragstellers auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 17.07.2012, mit welchem ihm unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die Fahrerlaubnis der Klasse B entzogen und das Führen fahrerlaubnispflichtiger Kraftfahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehr innerhalb der Bundesrepublik Deutschland untersagt wurde, ist gemäß § 80 Abs. 5 VwGO zulässig, aber nicht begründet.
Die Begründung für die Anordnung des Sofortvollzugs unter III. des angegriffenen Bescheids der Antragsgegnerin genügt den (formalen) Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Die Antragsgegnerin hat unter anderem auf die Gefahren abgestellt, die sich aus der Teilnahme eines ungeeigneten Fahrzeugführers (unter dem Einfluss von Alkohol) am Straßenverkehr ergeben. Den dabei für das Leben und die Gesundheit anderer Verkehrsteilnehmer drohenden erheblichen Gefahren sei mit der Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit wirkungsvoll zu begegnen. Dies lässt sich rechtlich nicht beanstanden. Es entspricht ständiger Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte, dass gerade im Bereich des Gefahrenabwehrrechts die Interessen, die Voraussetzung für den Erlass des Verwaltungsakts sind, zugleich die Anordnung des Sofortvollzugs rechtfertigen können (vgl. u. a. VGH Bad.-Württ., Beschlüsse vom 27.10.2009, VBlBW 2010, 122, und vom 22.11.2004, VBlBW 2005, 279, Bayer. VGH, Beschluss vom 30.09.2008 - 11 Cs 08.2501 -, juris, jew. m.w.N.). Die Antragsgegnerin hat damit die Gründe angegeben, die nach ihrer Ansicht im vorliegenden Fall dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts den Vorrang vor dem Aufschubinteresse des Antragstellers einräumen. Ob diese Erwägungen der Behörde tatsächlich genügen, um die Anordnung des Sofortvollzugs zu rechtfertigen, ist für die Einhaltung des formellen Begründungserfordernisses des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO nicht von Bedeutung. Das Gericht nimmt im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO eine eigene Interessenabwägung vor und ist nicht auf die bloße Überprüfung der von der Behörde getroffenen Entscheidung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO beschränkt (VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 22.11.2004, a.a.O.).
Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Verfügungen im Bescheid der Antragsgegnerin vom 17.07.2012 überwiegt das private Interesse des Antragstellers, vorläufig weiter im Besitz der Fahrerlaubnis zu bleiben und ein Kraftfahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr führen zu dürfen. Dies folgt daraus, dass nach der im Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage aller Voraussicht nach davon auszugehen ist, dass der Antragsteller zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht geeignet ist, und somit ernstlich befürchtet werden muss, dass er bereits vor einer endgültigen Entscheidung in der Hauptsache die Sicherheit des Straßenverkehrs gefährden wird.
Die Antragsgegnerin hat ihre Entscheidung voraussichtlich zu Recht auf die §§ 3 Abs. 1 und 6 Abs. 1 Nr. 1q StVG in Verbindung mit § 46 Abs. 1 Satz 1 der Fahrerlaubnisverordnung - FeV - gestützt und keine (in das Ermessen der Behörde gestellte) Rücknahme der Fahrerlaubnis nach § 48 LVwVfG ausgesprochen (wie in ihrem Anhörungsschreiben vom 04.07.2012 zunächst angekündigt). Nach überwiegender Auffassung, der die Kammer folgt, ist die Fahrerlaubnis auch dann nach § 3 Abs. 1 StVG zu entziehen, wenn ein Kraftfahrer aufgrund von Umständen, die vor Erteilung der Fahrerlaubnis eingetreten sind, als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen ist, da die §§ 3 StVG und 46 FeV als spezialgesetzliche Regelungen den allgemeinen Regelungen in den §§ 48, 49 LVwVfG vorgehen, soweit - wie im vorliegenden Fall - die Eignung oder die Befähigung zum Führen von Kraftfahrzeugen in Rede stehen (wie hier: VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 17.12.1991, VBlBW 1992, 150, m.w.N.; Hamb. OVG, Beschlüsse vom 04.02.2003, NordÖR 2003, 305, und vom 30.01.2002, NJW 2002, 2123, jew. m.w.N.; Nieders. OVG, Beschluss vom 27.09.1991 - 12 M 7440/91 -, juris; VG Düsseldorf, Urteil vom 18.08.2009 - 14 K 7374/08 -, juris, m.w.N.; VG Saarland, Beschluss vom 12.09.2007 - 10 L 1021/07 -, juris, m.w.N.; VG Sigmaringen, Urteil vom 10.07.2007 - 4 K 1374/06 -, juris, m.w.N.; VG Berlin, Beschluss vom 30.03.2007 - 11 A 158.07 -, juris, m.w.N.; VG Braunschweig, Beschluss vom 17.09.2002 - 6 K 530/02 -, juris, m.w.N.; VG Karlsruhe, Beschluss, vom 22.03.1999 - 6 K 284/99 -, juris, m.w.N.; vgl. hierzu auch BVerwG, Beschluss vom 12.10.1982, NJW 1983, 1279; Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl. 2011, § 3 StVG RdNr. 40, m.w.N.; unklar: VGH Bad.-Württ., Urteil vom 12.04.1994, NVwZ-RR 1995, 170, betr. einen Fall der Umschreibung einer ausländischen Fahrerlaubnis; a. A.: Erlass des Ministeriums für Verkehr und Infrastruktur Baden-Württemberg vom 27.06.2012, Az: 3-3853.7/649; zur Anwendbarkeit von § 48 [L]VwVfG neben den §§ 3 StVG und 46 FEV: Kopp/Ramsauer, VwVfG, 12. Aufl. 2011, § 48 RdNr. 44).
Nach den §§ 3 Abs. 1 StVG und 46 Abs. 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde dem Inhaber einer Fahrerlaubnis diese zu entziehen, wenn er sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Dies gilt insbesondere, wenn Erkrankungen oder Mängel nach der Anlage 4 zur Fahrerlaubnisverordnung vorliegen und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist. Nach Nr. 8.1 in Verbindung mit der Vorbemerkung Nr. 3 der genannten Anlage 4 ist ein Kraftfahrer im Regelfall als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen, wenn bei ihm ein Alkoholmissbrauch vorliegt, das heißt, wenn er das Führen von Fahrzeugen und einen die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher trennen kann. Diese Voraussetzungen sind beim Antragsteller aller Voraussicht nach (weiterhin) gegeben.
Dass der Antragsteller einen die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum und das Führen von Fahrzeugen nicht hinreichend sicher trennen kann, hat er durch seine Trunkenheitsfahrt und einen Verkehrsunfall am 26.09.2010 bewiesen. Wenn ihm das Amtsgericht F. die Fahrerlaubnis nicht mit Urteil vom 21.04.2011 entzogen hätte, wäre die Antragsgegnerin nach den §§ 3 Abs. 1 StVG und 46 Abs. 1 FeV dazu verpflichtet gewesen. Aus § 13 Satz 1 Nr. 2d FeV ergibt sich, dass dem Antragsteller eine neue Fahrerlaubnis nur erteilt werden durfte (und darf), wenn er durch Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nachweist, dass er die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen wiedererlangt hat. Aus dieser Regelung folgt, dass ein Fahrerlaubnisinhaber, dem die Fahrerlaubnis wie hier wegen einer Trunkenheitsfahrt entzogen wurde, als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen gilt, solange er die Wiedererlangung der Kraftfahreignung nicht durch ein medizinisch-psychologisches Gutachten nachgewiesen hat. Ihn trifft insoweit eine Pflicht zum Eignungsnachweis (Hamb. OVG, Beschluss vom 30.01.2002, a.a.O., juris RdNr. 18).
Ein solcher Eignungsnachweis ist dem Antragsteller nicht durch Vorlage des medizinisch-psychologischen Gutachtens der ... GmbH vom 19.03.2012 gelungen. Denn die ... GmbH hat die in jenem Gutachten erstellten Prognosen, wonach es nicht zu erwarten sei, dass der Antragsteller auch zukünftig erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften beim Führen eines Kraftfahrzeugs im öffentlichen Straßenverkehr verstoßen werde, dass er auch zukünftig Kraftfahrzeuge unter Alkoholeinfluss führen werde und dass als Folge eines unkontrollierten Alkoholkonsums keine Beeinträchtigungen vorlägen, die das sichere Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 (FE-Klasse B) in Frage stellten, in der Sache umfassend widerrufen. In einem Schreiben an die Antragsgegnerin vom 01.08.2012 teilt die ... GmbH mit, nachdem die Therapiebescheinigungen, welche der Antragsteller im Rahmen seiner Fahreignungsbegutachtung vorgelegt hat, nach gesicherten Erkenntnissen der Kriminalpolizei wahrheitswidrig ausgestellt worden sind und weder eine psychotherapeutische Behandlung noch eine Teilnahme an der Hauskreisgruppe stattgefunden hat, könne die positive Gutachtenprognose nicht aufrecht erhalten werden.
Damit steht der Antragsteller in Bezug auf den Nachweis seiner Kraftfahreignung heute wie vor Erstellung des medizinisch-psychologischen Gutachtens vom 19.03.2012. Wenn die Begutachtungsstelle ein von ihr erstelltes positives Gutachten über die Kraftfahreignung der Sache nach widerruft, weil sie vom Vorliegen einer Täuschungshandlung bei der Erstellung des Gutachtens ausgeht, liegt ein positives Eignungsgutachten nicht vor. Damit gilt der Antragsteller, da er den Nachweis seiner Kraftfahreignung nicht erbracht hat, weiterhin als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen. Darauf, ob die Antragsgegnerin berechtigt gewesen wäre, das medizinisch-psychologische Gutachten der ... GmbH vom 19.03.2012 allein deshalb zurückzuweisen, weil die vom Antragsteller vorgelegten Abstinenznachweise und Bescheinigungen über die Teilnahme an Gruppen- und Einzelsitzungen unter psychotherapeutischer Anleitung angeblich allesamt (objektiv) gefälscht seien und weil die Darstellung des Sachverhalts, mit dem der Antragsteller seinen Einstellungswandel im Umgang mit Alkohol begründet hat, angeblich von dritter Seite erfunden sei, kommt es, da die ... GmbH ihre zunächst positive Prognose über die Kraftfahreignung des Antragstellers ausdrücklich widerrufen hat, hier nicht an (zur fehlenden Aussagekraft einer med.-psych. Begutachtung, an deren ordnungsgemäßem Zustandekommen erhebliche Zweifel bestehen, siehe VG Düsseldorf, Urteil vom 18.08.2009, und VG Sigmaringen, Beschluss vom 10.07.2007, jew. a.a.O.). Ebenfalls kann es hier dahingestellt bleiben, ob der Antragsteller an den angeblichen Täuschungshandlungen der Eheleute K. bewusst mitgewirkt und somit schuldhaft gehandelt hat (zur Bedeutungslosigkeit eines Schuldvorwurfs bei Täuschungshandlungen, die die Befähigung zum Führen von Kraftfahrzeugen betreffen, siehe OVG Berl.-Brandenb. Beschluss vom 03.04.2008 - OVG 1 S 192.07 -, juris), da selbst fehlendes Verschulden des Antragstellers nichts daran ändert, dass er derzeit über keine positive Begutachtung seiner Kraftfahreignung verfügt.
Da die Ungeeignetheit des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen hiernach fortbesteht, musste die Antragsgegnerin die dem Antragsteller zwischenzeitlich fehlerhafterweise erteilte Fahrerlaubnis wieder entziehen. Die §§ 3 Abs. 1 StVG und 46 Abs. 1 FeV räumen der Antragsgegnerin insoweit keinen Ermessensspielraum ein. Daran würde sich im Ergebnis auch dann nichts ändern, wenn man mit der vereinzelt vertretenen Auffassung (siehe oben) eine Rücknahme der Fahrerlaubnis nach Maßgabe von § 48 LVwVfG für zulässig hielte. Denn die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Rücknahme nach § 48 Abs. 1, Abs. 2 Satz 3 und Abs. 4 LVwVfG liegen aller Voraussicht nach ebenfalls vor und das nach dieser Vorschrift grundsätzlich bestehende Rücknahmeermessen ist in Fällen der vorliegenden Art grundsätzlich auf Null reduziert (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 12.04.1994, und VG Sigmaringen, Beschluss vom 10.07.2007, jew. a.a.O.).
10 
Das von der Antragsgegnerin gleichfalls ausgesprochene Verbot des Führens fahrerlaubnispflichtiger Kraftfahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehr innerhalb der Bundesrepublik Deutschland, ist ebenfalls rechtlich nicht zu beanstanden. Es ist gesetzliche Folge der Entziehung der Fahrerlaubnis (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1 und § 3 Abs. 2 StVG, § 4 Abs. 1 Satz 1 und § 46 Abs. 6 FeV).
11 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
12 
Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 2 und 63 Abs. 2 GKG. Die Kammer orientiert sich dabei am Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ 2004, 1327), der für ein Hauptsacheverfahren bei einer Fahrerlaubnisentziehung der Klasse B den Auffangstreitwert vorsieht. Im Hinblick auf die Besonderheiten des auf vorläufigen Rechtsschutz gerichteten Verfahrens hält die Kammer die Hälfte dieses Streitwerts für angemessen.

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