Beschluss vom Verwaltungsgericht Freiburg - 5 K 2016/12

Tenor

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Verfügung des Landratsamts Breisgau-Hochschwarzwald vom 22.08.2012 wird angeordnet.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe

 
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die Anordnung eines Aufbauseminars gemäß § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StVG.
Der Antrag, die aufschiebende Wirkung des rechtzeitig eingelegten Widerspruchs gegen die Verfügung des Landratsamts22.08.2012 anzuordnen, ist statthaft (§ 80 Abs. 5 VwGO i.V.m. § 2a Abs. 6 StVG) und auch sonst zulässig. Er ist auch begründet. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit der Verfügung überwiegt nicht das Interesse des Antragstellers, davon vorläufig verschont zu bleiben; denn nach Lage der Akten ist zumindest offen, ob der Widerspruch des Antragstellers Erfolg haben wird und sonstige Gründe für ein überwiegendes Vollziehungsinteresse liegen - abweichend von der gesetzlichen Regel - hier nicht vor.
Allerdings sind die Voraussetzungen des § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StVG wohl sämtlich erfüllt.
Laut der Mitteilung des Kraftfahrtbundesamts vom 07.08.2012 wurde gegen den Antragsteller ein Bußgeldbescheid des Landratsamts Breisgau-Hochschwarzwald vom 13.10.2009 erlassen, weil er am 23.09.2009 vor Vollendung des 21. Lebensjahres als Führer eines Kraftfahrzeugs ein alkoholisches Getränk zu sich genommen habe (§ 24c Abs. 1, 2 StVG); ihm wurde deshalb eine Geldbuße von 125 EUR auferlegt. Den dagegen eingelegten Einspruch des Antragstellers hat das Amtsgericht Breisach am 25.01.2010 zurückgewiesen. Diese Entscheidung ist seit dem 02.02.2010 rechtskräftig.
An diese Entscheidung, welche gemäß § 28 Abs. 1 Nr. 3 StVG in das Verkehrszentralregister einzutragen war, ist das Landratsamt und damit auch das im vorliegenden Verfahren entscheidende Verwaltungsgericht gebunden (§ 2a Abs. 2 Satz 2 StVG).
Soweit der Antragsteller insoweit darauf hinweist, dass bei ihm nur eine Alkoholkonzentration von 0,09 mg/l gemessen worden sei (was allerdings in etwa einer Blutalkoholkonzentration von 0,18 Promille entspricht) und dass eine so geringe Konzentration nach der Rechtsprechung der zuständigen ordentlichen Gerichte noch nicht dazu führe, dass der Betroffene unter der Wirkung von Alkohol stehe, ändert dies am Vorliegen einer in seinem Fall rechtskräftigen und damit die Verwaltungsbehörde bindenden Entscheidung nichts; dem Antragsteller hätte es oblegen, gegen die Entscheidung des Amtsgerichts den zulässigen Rechtsbehelf einzulegen (zur Bindungswirkung vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 23.08.2011 - 10 S 1809/10 - VRS 122, 158 = juris, Rdnr. 16).
Im Übrigen ist zwar richtig, dass in etlichen Gerichtsentscheidungen und auch teilweise in der Literatur davon ausgegangen wird, dass eine Wirkung alkoholischer Getränke erst ab einer Blutalkoholkonzentration von 0,2 Promille anzunehmen sei (vgl. zuletzt auch AG Langenfeld vom 04.04.2011 - 20 OWi 30 Js 1563/11 - juris). Laut der Mitteilung des Kraftfahrtbundesamts liegt dem Bußgeldbescheid gegen den Antragsteller aber gar nicht der Vorwurf eines Fahrtantritts unter der Wirkung von Alkohol zu Grunde, sondern die Zusichnahme von Alkohol als Führer eines Kraftfahrzeugs, also während der Fahrt. § 24c Abs. 1 StVG enthält insoweit zwei Tatbestandsalternativen. Die erste und laut Mitteilung des Kraftfahrtbundesamts vom Antragsteller verwirklichte ist schon dann erfüllt, wenn der Inhaber einer Fahrerlaubnis auf Probe überhaupt Alkohol beim Führen von Kraftfahrzeug konsumiert, gleich, welche Menge. Der Gesetzgeber hat ein solches Verhalten als Ordnungswidrigkeit eingestuft, weil der Genuss von Alkohol während des Führens eines Kraftfahrzeugs auf einen charakterlichen Mangel (der fehlenden Bereitschaft, elementare Regeln des Straßenverkehrs einzuhalten) hindeutet und im Übrigen auch besonders bei Heranwachsenden ein (gefährliches) schlechtes Beispiel gibt.
Auch wenn somit die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung eines Aufbauseminars vorliegen, kommt in Betracht, dass die gegenüber dem Antragsteller erlassene Anordnung unverhältnismäßig ist und damit das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) verletzt. § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StVG, wonach die Anordnung nicht im Ermessen der Verkehrsbehörde steht, sondern bei Vorliegen der Voraussetzungen zu erfolgen hat, ist verfassungskonform auszulegen und anzuwenden.
Unverhältnismäßig sein könnte die Verfügung, weil die am 23.09.2009 begangene Ordnungswidrigkeit des Antragstellers bei Erlass der angefochtenen Verfügung fast drei Jahre zurück lag. Die Notwendigkeit, dem Antragsteller insbesondere die Gefahren des Alkohols im Straßenverkehr vor Augen zu halten (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 22.01.2008 - 10 S 1669/07 - juris, Rdnr. 26), könnte wegen des Zeitablaufs entfallen sein. Insoweit ist von Folgendem auszugehen:
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§ 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StVG bestimmt keine zeitlichen Grenzen für den Erlass einer Anordnung zur Teilnahme an einem Aufbauseminar. Geregelt ist allein, dass eine solche Anordnung auch erlassen werden darf, wenn die Probezeit zwischenzeitlich, das heißt nach Begehung der Ordnungswidrigkeit oder Straftat, abgelaufen ist.
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Einen Anhalt für eine äußerste Grenze für den Erlass einer solchen Anordnung könnte jedoch § 2a Abs. 2a Satz 1 StVG geben. Nach dieser Vorschrift verlängert sich die Probezeit um zwei Jahre, wenn die Teilnahme an einem Aufbauseminar angeordnet worden ist.
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In diesem Zusammenhang weist der Antragsteller möglicherweise auch zu Recht darauf hin, dass nach der Rechtsprechung der Strafgerichte ein Fahrverbot gemäß § 44 StGB in der Regel nicht mehr in Betracht kommt, wenn der verkehrsrechtliche Pflichtverstoß länger zurück liegt und der Zeitablauf nicht dem Betroffenen anzulasten ist (OLG Hamm, Beschl. v. 07.02.2008 - 4 Ss 21/08 - juris: bei Ablauf von 2,5 Jahren, dort zitiert auch BGH, Beschl. v. 22.10.2011 - zfs 2004, 133: schon bei Ablauf von einem Jahr und neun Monaten). Auch wenn die Zwecke des strafrechtlichen Fahrverbots und die der Anordnung eines Aufbauseminars für (ehemalige) Inhaber einer Fahrerlaubnis auf Probe sich nicht in jeder Hinsicht entsprechen, könnte dieser Rechtsprechung doch ein Anhaltspunkt dafür zu entnehmen sein, wie in Fällen wie dem Vorliegenden § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StVG verfassungskonform einschränkend auszulegen ist.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 2 und § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG (vgl., abweichend von Nr. 46.16 des Streitwertkatalogs 2004, VGH Bad.-Württ., Urt. v. 22.01.2008 - 10 S 1669/07 - a.a.O. und Beschl. v. 23.08.2011 - 10 S 1809/10 - a.a.O.).

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