Beschluss vom Verwaltungsgericht Freiburg - A 4 K 11125/17

Tenor

Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, gegenüber der zuständigen griechischen Behörde (Dublin-Einheit) bis zum 21.05.2018 zu erklären, dass die Überstellung der Eltern (x) und der beiden Schwestern der Antragstellerin (x) umgehend erfolgen kann und soll.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des - gerichtskostenfreien - Verfahrens.

Gründe

 
I.
Die Antragstellerin, die subsidiären Schutz erlangt hat, begehrt, der Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung aufzugeben, dafür zu sorgen, dass ihre Eltern und ihre zwei Schwestern, die in Griechenland Asyl beantragt haben, nach den Regeln der Dublin III-VO in die Bundesrepublik Deutschland überstellt werden.
Die Antragstellerin ist am x2001 in Damaskus geboren und syrische Staatsangehörige. Am 30.12.2015 beantragte sie im Bundesgebiet Asyl. Ihre beiden Brüder waren vor ihr eingereist. Mit Bescheid vom 10.04.2017 gewährte ihr das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge subsidiären Schutz, lehnte es aber ab, ihr Flüchtlingsschutz zuzuerkennen; hiergegen hat die Antragstellerin am 21.04.2017 Klage erhoben, über die noch nicht entschieden ist (A 4 K 2703/17). Zur Begründung trägt sie vor, dass sie wegen ihrer sunnitischen Religionszugehörigkeit sowie wegen ihrer illegalen Ausreise, der Asylantragstellung und wegen ihres Aufenthalts im westlichen Ausland dem syrischen Staat als Regimegegner gelte.
Der Amtsvormund der Antragstellerin beantragte für diese mit Schreiben vom 19.05.2016, die in Griechenland „gestrandeten“ Eltern und zwei Geschwister mit der Antragstellerin zusammenzuführen. Zu dem weiteren Verfahren insoweit enthalten die vom Bundesamt vorgelegten Akten keine Vorgänge.
Seit dem 12.04.2017 hat die Antragstellerin eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 2 AufenthG.
Die Antragstellerin hat am 20.12.2017 vorläufigen Rechtsschutz beantragt. Sie trägt vor: Ihre Eltern und Schwestern seien am 06.03.2017 in Thessaloniki als Asylsuchende registriert worden. Dabei hätten sie beantragt, mit ihr im Bundesgebiet zusammengeführt zu werden. Dem entsprechenden Gesuch der griechischen Behörden habe das Bundesamt mit Schreiben vom 06.07.2017 unter Bezugnahme auf Art. 10 Dublin III-VO entsprochen. Die Überstellung ihrer Angehörigen hätte deshalb bis zum 05.01.2018 erfolgen müssen. Sie sei aber bisher nicht erfolgt, weil es eine rechtswidrige Absprache der Antragsgegnerin mit Griechenland gebe, wonach die Zahl der monatlichen Überstellungen auf ca. 70 Personen begrenzt sei. So seien, obwohl die Antragsgegnerin bis September 2017 fast 5.000 Überstellungen zugestimmt habe, in den Monaten zuvor nur zwischen 70 und 262 Personen überstellt worden. Die Antragsgegnerin sei in der Lage, eine zügige Überstellung ihrer Angehörigen über die Liaisonbeamtin des Bundesamts in Griechenland zu bewirken. Sie habe darauf einen Anspruch. Dieser folge aus Art. 29 Abs. 1, Art. 22 Abs. 1 bzw. 7, Art. 18 Abs. 1a Dublin III-VO i.V.m. Art. 8 DVO-Dublin III-VO (in Verbindung mit dem 13. bis 15. Erwägungsgrund der Dublin III-VO), weil diese Vorschriften den Schutz der Familie bezweckten; insoweit gelte nichts anderes als hinsichtlich der Überstellungsfristen der Dublin III-VO, auf die sich Asylsuchende nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs berufen könnten. Die Dublin III-VO enthalte keine Regelungen, welche ein Hinausschieben und eine Begrenzung von Überstellungen zuließen; insbesondere sei Art. 36 Dublin III-VO keine solche Regelung. Eine weitere Verzögerung der Überstellung würde die Grund- und Menschenrechte der Antragstellerin insbesondere aus Art. 7 GrCH und Art. 8 EMRK übermäßig beeinträchtigen.
Die Antragsgegnerin ist dem Antrag entgegen zu treten, ohne in der Sache zu erwidern.
Das Bundesamt hat auf elektronischem Weg pdf-Fassungen seiner Akten betreffend das Asylverfahren (130 Seiten) und betreffend das Verfahren zu dem Antrag der Antragstellerin auf Überstellung ihrer Angehörigen nach Deutschland (205 Seiten) übermittelt, nicht aber die Akten zu dem von Griechenland eingeleiteten Überstellungsverfahren der Angehörigen der Antragstellerin.
II.
Für den Antrag ist das Verwaltungsgericht Freiburg örtlich zuständig. Dieses wäre das Gericht der Hauptsache im Sinn von § 123 Abs. 2 Satz 1 VwGO. Denn es handelt sich um eine Streitigkeit „nach dem Asylgesetz“ im Sinne von § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO und die Antragstellerin hat im Bezirk dieses Gerichts Aufenthalt zu nehmen. Zwar ist die Abgabe von Erklärungen zum Überstellungsverfahren nach der Dublin III-VO nicht im Asylgesetz selbst geregelt, sondern in jener unionsrechtlichen Verordnung. Das Asylgesetz greift aber über die Regelung des im Bundesgebiet geführten Asylverfahrens hinaus und schafft die Grundlagen für Zuständigkeiten des Bundesamts im Dublin-Verfahren (§ 88 Abs. 1 Nr. 2 AsylG i.V.m. der Verordnung zur Neufassung der Asylzuständigkeitsbestimmungsverordnung vom 02.04.2008, BGBl I S. 645).
Demzufolge entscheidet auch über den Antrag der Berichterstatter als Einzelrichter (§ 76 Abs. 4 AsylG).
10 
Der Antrag ist bei sachdienlicher Auslegung infolge des erfolgten Ablauf der sechsmonatigen Überstellungsfrist (wohl) am 05.01.2018 allein noch darauf gerichtet, dass die Antragsgegnerin gegenüber der zuständigen griechischen Behörde alsbald erklärt, dass die Überstellung ihrer Angehörigen nach Deutschland umgehend erfolgen soll.
11 
Der Antrag ist als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (§ 123 Abs. 1 VwGO) statthaft und auch sonst zulässig; er ist auch begründet. Die Antragstellerin hat sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
12 
In tatsächlicher Hinsicht steht nicht in Frage, dass die Antragstellerin bei der Antragsgegnerin beantragt hat, darauf hinzuwirken, dass ihre Angehörigen nach Deutschland überstellt werden, weiter, dass ihre Angehörigen in Griechenland einen entsprechenden Antrag gestellt haben, dass die Antragsgegnerin ihrer Übernahme zugestimmt hat und dass damit die Antragsgegnerin für deren Asylanträge zuständig geworden ist. Dementsprechend haben die griechischen Behörden offensichtlich auch die Asylanträge der Angehörigen wegen der Zuständigkeit der Antragsgegnerin als unzulässig abgelehnt (vgl. den in der Originalfassung vorgelegten Bescheid vom 04.10.2017, den die Antragstellerin zwar nicht hat übersetzen lassen, aus dessen in englischer Sprache abgefassten Rechtsmittelbelehrung sich aber ergibt, dass die Anträge auf internationalen Schutz als unzulässig zurückgewiesen worden sind und dass die Angehörigen gemäß Art. 29 Dublin III-VO nach Deutschland überstellt würden). Die Antragsgegnerin hat diesen Sachverhalt nicht bestritten. Dass die Antragsgegnerin die entsprechenden Akten (betreffend ihre Erklärung zu den in Griechenland gestellten Überstellungsanträgen der Angehörigen der Antragstellerin) nicht vorgelegt und damit eine Überprüfung des Sachverhalts anhand der Akten nicht ermöglicht hat, kann nicht zum Nachteil der Antragstellerin gereichen.
13 
In rechtlicher Hinsicht hat die Kammer keine Zweifel daran, dass der Antragstellerin aus diesem Sachverhalt ein Anspruch gemäß Art. 29 Abs. 1, Art. 22 Abs. 1, Art. 18 Abs. 1a und Art. 10 Dublin III-VO darauf erwächst, dass die Antragsgegnerin die bezeichnete Erklärung gegenüber der zuständigen griechischen Behörde abgibt; denn die Vorschriften über den Vorrang der Familienzusammenführung im Dublin-Verfahren (Art. 8 bis 11 Dublin III-VO, hier Art. 10 Dublin III-VO) dienen offensichtlich auch dem Schutz der jeweils betroffenen Familienangehörigen (vgl. VG Wiesbaden, Beschluss vom 15.09.2017 - 6 L 4438/17 -; VG Düsseldorf, Beschluss vom 21.02.2018 - 22 L 442/18.A -; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 07.03.2018 - 15a L 435/18.A -; alle juris).
14 
Dem Anspruch der Antragstellerin steht der Ablauf der Überstellungsfrist (wohl am 05.01.2018) nicht entgegen (a.A. wohl VG Ansbach, Beschluss vom 09.02.2018 - AN 14 E 17.51345 -, juris). Die Antragsgegnerin macht nicht geltend, die Angehörigen der Antragstellerin nunmehr nicht mehr übernehmen zu wollen. Im Übrigen träfe sie wegen der bislang rechtswidrig unterlassenen Übernahme auch eine Folgenbeseitigungslast. Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO, wonach, wenn die Überstellung nicht binnen sechs Monaten durchgeführt wird, der zuständige Mitgliedstaat nicht mehr zur Wiederaufnahme der betreffenden Person verpflichtet ist und die Zuständigkeit auf den ersuchenden Mitgliedstaat übergeht, stünde dem wegen der zwischen der Antragsgegnerin und dem griechischen Staat offensichtlich getroffenen Absprachen nicht entgegen.
15 
Soweit in der Rechtsprechung vertreten wird, es sei nicht ersichtlich, dass die Antragsgegnerin ihre Verpflichtungen im Hinblick auf die Überstellung von Schutzsuchenden (aus Griechenland) nicht nachkomme (VG Hamburg, Beschluss vom 13.11.2017 - 4 AE 8285/17 -, juris, Rn. 28 ff.) folgt dem die Kammer nicht. Auf der Grundlage der mitgeteilten Zahlen (zuletzt vom September 2017) von bewilligten und tatsächlich erfolgten Überstellungen von Griechenland nach Deutschland ist offensichtlich, dass in der ganz überwiegenden Zahl der bewilligten Überstellungen eine solche nicht innerhalb des Sechs-Monats-Frist erfolgt. Dafür, dass sich daran in jüngster Zeit etwas geändert hätte, ist nichts ersichtlich. Die Antragsgegnerin hat auch hierzu nichts vorgetragen.
16 
Dem Anordnungsanspruch steht auch nicht entgegen, dass für die Überstellung der Angehörigen der Antragstellerin die griechischen Behörden zuständig sind (so aber VG Ansbach, Beschluss vom 09.02.2018 a.a.O.). Denn es erscheint nicht als zweifelhaft, dass die griechischen Behörden von einer Überstellung nur deshalb absehen, weil die Antragsgegnerin darum gebeten hat, nur eine begrenzte Zahl an Überstellungen zeitnah auszuführen. Dem entsprechenden Vortrag der Antragstellerin ist die Antragsgegnerin ebenfalls nicht entgegengetreten. Auch in anderen Verfahren hat sich die Antragsgegnerin offensichtlich nicht in der Lage gesehen, insoweit zur Sache näher vorzutragen (vgl. die bei VG Düsseldorf a.a.O., Rn. 7 ff., wiedergegebenen Äußerungen des Leiters des Referats DU 2 des Bundesamts).
17 
Unerheblich ist auch, dass die am 01.01.2000 geborene Schwester der Antragstellerin nicht mehr minderjährig ist; denn maßgeblich für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaats ist der Zeitpunkt, in dem diese ihren Antrag auf internationalen Schutz in Griechenland gestellt hat (Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO); dies war vor dem 01.01.2018.
18 
Dass die Anordnung des Gerichts die Entscheidung in der Hauptsache vorwegnimmt, steht ihr nicht entgegen. Denn anders kann der Antragstellerin effektiver Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) nicht gewährt werden. Ein längeres Zuwarten ist ihr nicht zuzumuten.
19 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO und § 83b AsylG.
20 
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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