Urteil vom Verwaltungsgericht Freiburg - A 14 K 6699/18

Tenor

Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 14.11.2018 wird aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Tatbestand

Der Kläger reiste nach eigenen Angaben am 08.06.2016 auf dem Landweg aus Schweden kommend in das Bundesgebiet ein. Er gab an, am x.1988 in x geboren und somalischer Staatsangehöriger muslimischer Glaubenszugehörigkeit zu sein.
Bereits zuvor war er nach eigenen Angaben im Jahr 2010 nach Deutschland eingereist und hatte am 03.08.2010 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) einen Asylantrag gestellt. Mit Bescheid vom 26.07.2011 lehnte dieses den Antrag als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung des Klägers nach Rumänien an. Zur Begründung führte das Bundesamt an, der Asylantrag des Klägers sei gemäß § 27a AsylVfG unzulässig, da Rumänien wegen eines zuvor erteilten Aufenthaltstitels gemäß Art. 16 Abs. 2 Dublin-(II)-VO für die Behandlung des Asylantrags des Klägers zuständig sei und die rumänischen Behörden dies auch auf eine nach einem Eurodac-Treffer durchgeführte Anfrage hin unter dem 14.06.2011 bestätigt hätten. Am 11.08.2011 wurde der Kläger sodann nach Rumänien überstellt.
Von dort aus begab er sich nach eigenen Angaben nach Schweden und stellte auch dort einen Asylantrag, der aber ebenfalls abgelehnt worden sei.
Nach eigenen Angaben am 15.05.2014 reiste der Kläger dann erneut nach Deutschland ein und stellte am 16.05.2014 einen weiteren Asylantrag. Mit Bescheid vom 16.05.2014 stellte das Bundesamt fest, dass dem Kläger in der Bundesrepublik Deutschland kein Asylrecht zustehe und ordnete die Abschiebung nach Rumänien an. Zur Begründung führte es an, der Kläger könne sich wegen der Einreise aus Rumänien, einem sicheren Drittstaat, nicht auf das Asylgrundrecht des Art. 16a Abs. 1 GG berufen. Die Ausnahmen des § 26a Abs. 1 Satz 3 AsylVfG lägen nicht vor. Dieser Bescheid wurde am 19.06.2014 bestandskräftig, nachdem das von dem Kläger angestrengte Klageverfahren vor dem Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 17.06.2014 eingestellt wurde. Wie der Kläger in seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 24.04.2018 angab, habe er zu diesem Zeitpunkt Deutschland schon wieder verlassen gehabt und sei bereits nach Schweden zurückgekehrt gewesen.
Nach seiner erneuten Einreise nach Deutschland am 08.06.2016 stellte er am 17.08.2016 beim Bundesamt einen neuerlichen Asylantrag, welcher nun auch in dem vorliegenden Verfahren gegenständlich ist.
Mit Bescheid vom 28.08.2017 stellte das Bundesamt fest, dass der Asylantrag als zurückgenommen gelte, und stellte das Asylverfahren ein. Weiter stellte es fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen und drohte dem Kläger die Abschiebung nach Somalia an. Zur Begründung führte das Bundesamt im Wesentlichen an, der Kläger sei zu einem Anhörungstermin unentschuldigt nicht erschienen. Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger Klage vor dem Verwaltungsgericht Freiburg (A 1 K 7721/17), welches auf entsprechenden, von dem Kläger neben der Klage gestellten Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage anordnete. Mit Erklärung vom 29.03.2018 hob das Bundesamt den Bescheid vom 28.08.2017 sodann auf.
Bei seiner persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt am 24.04.2018 gab der Kläger an, Somalia 2007 verlassen zu haben, weil er nicht für die Al-Shabaab-Miliz habe arbeiten wollen. Er sei dann zunächst nach Rumänien gegangen. In der Folge sei er in zahlreichen Ländern in Europa herumgereist bzw. herumgeschoben worden. Er wünsche sich, an einem Ort zur Ruhe kommen zu können. In Rumänien sei er obdachlos gewesen und habe Schwierigkeiten gehabt, die Sprache zu lernen.
Auf von dem Bundesamt am 01.10.2018 gestellte Info-Request-Anfrage teilte das rumänische Innenministerium – Dublin Einheit – unter dem 01.11.2018 mit, dem Kläger sei am 18.01.2008 subsidiärer Schutz in Rumänien zuerkannt worden.
Mit Bescheid vom 14.11.2018, dem Kläger ausweislich Postzustellungsurkunde am 16.11.2018 zugestellt, lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers als unzulässig ab (Nr. 1) und lehnte die Abänderung des Bescheids vom 26.07.2011 bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG ab (Nr. 2). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 7 AufenthG wurde auf zehn Monate ab dem Tag der Ausreise, das gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4 und 5). Zur Begründung führte das Bundesamt im Wesentlichen an, wegen des bereits 2010 und 2011 durchgeführten Asylverfahrens handele es sich bei dem Antrag des Klägers um einen Folgeantrag. Die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 VwVfG seien jedoch nicht erfüllt. Die Sach- und Rechtslage sei nicht geändert, auch sein neuer Antrag würde gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG abzulehnen sein. Die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG seien ebenfalls nicht gegeben.
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Am 29.11.2018 hat der Kläger Klage erhoben. Zur Begründung trägt er ergänzend vor und macht insbesondere geltend, ihm drohe bei einer Überstellung nach Rumänien namentlich aufgrund der Corona-Pandemie eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung nach Art. 3 EMRK.
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Der Kläger beantragt,
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den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 14.11.2018 aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt schriftlich,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte trägt zu den allgemeinen Lebensverhältnissen in Rumänien, auch in Anbetracht der Corona-Pandemie, vor, und macht geltend, auch wenn die wirtschaftliche Lage für Schutzberechtigte in Rumänien schwierig sei, sei ihre Lage doch nicht so defizitär, dass von einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 GRCh oder Art. 3 EMRK ausgegangen werden könne.
16 
Mit Gerichtsbescheid vom 22.02.2021, dem Kläger zugestellt am 01.03.2021, hat das Gericht die Klage abgewiesen. Hiergegen hat der Kläger am 04.03.2021 die Durchführung der mündlichen Verhandlung beantragt.
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Der Kläger wurde in der mündlichen Verhandlung vom 27.09.2021 informatorisch angehört. Hierbei hat er unter Vorlage eines Auszugs aus dem Geburtenregister insbesondere angegeben, Vater eines am XXXXX geborenen Kleinkindes geworden zu sein, um welches er sich auch gemeinsam mit der Mutter des Kindes, die seine Lebensgefährtin sei, kümmere.
18 
Dem Gericht liegt ein elektronischer Auszug aus den Akten des Bundesamts vor. Diese Akten wurden ebenso wie die Erkenntnismittel, die in der mit der Ladung mitgeteilten Liste und in der Niederschrift über die mündliche Verhandlung aufgeführt sind, zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht. Hierauf sowie auf die Gerichtsakte, die gewechselten Schriftsätze und die Sitzungsniederschrift vom 27.09.2021 wird wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des weiteren Sachverhalts ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
19 
Über die Klage entscheidet der Berichterstatter im Einverständnis der Beteiligten anstelle der Kammer (vgl. § 87a Abs. 2, 3 VwGO).
20 
Der Berichterstatter durfte am 27.09.2021 verhandeln und entscheiden, obwohl die Beklagte nicht anwesend war, denn sie ist in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden (§ 102 Abs. 2 VwGO).
I.
21 
Die Klage ist als Anfechtungsklage statthaft und zulässig.
II.
22 
Die Klage ist auch begründet. Der angefochtene Bescheid des Bundesamts ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1.
23 
Zum entscheidungsrelevanten Zeitpunkt (vgl. § 77 Abs. 1 AsylG) liegen die Voraussetzungen für eine Ablehnung des Asylantrags des Klägers als unzulässig gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG nicht vor.
24 
a) Bei dem Antrag handelt es sich zwar um einen Folgeantrag im Sinne des § 71 Abs. 1 AsylG. Bereits der am 03.08.2010 gestellte Asylantrag des Klägers ist mit bestandskräftigem Bescheid vom 26.07.2011 abgelehnt worden, da dem Kläger zuvor in Rumänien aufgrund zuerkannten subsidiären Schutzstatus‘ ein Aufenthaltsrecht gewährt worden war. Die fehlende Sachprüfung des Erstantrags in der Bundesrepublik steht der Annahme eines Asylfolgeantrags hier nicht entgegen (vgl. VG Düsseldorf, Beschl. v. 17.09.2020 – 22 L 1454/20.A, BeckRS 2020, 23717, Rn. 19 ff.; VG Karlsruhe, Urt. v. 18.08.2020 – A 9 K 4171/19, BeckRS 2020, 21917, Rn. 18 ff.; Dickten, in: BeckOK Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 28. Edition Stand: 01.01.2021, § 71 AsylG Rn. 5 m.w.N. auch zu abweichenden Ansichten).
25 
b) Jedoch sind die Voraussetzungen von § 51 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 VwVfG, auf die § 71 Abs. 1 AsylG Bezug nimmt, vorliegend erfüllt, sodass ein weiteres Asylverfahren durchzuführen ist.
26 
aa) Eine relevante Änderung der Rechtslage ist allerdings nicht anzunehmen. Zwar hat der Europäische Gerichtshof nach dem Abschluss des Erstverfahrens in mehreren Entscheidungen sowohl die inhaltlichen Maßstäbe (EuGH, Urt. v. 19.03.2019 – C-163/17, Rn. 87 f. – Jawo; Urt. v. 19.03.2019 – C-297/17 u. a., Rn. 86 f. – Ibrahim) als auch die verfahrensrechtlichen Vorgaben (insb. EuGH, Beschl. v. 13.11.2019 – C-540/17, C-541/17, NVwZ 2020, 137, 137 f., Tenor und Rn. 34 ff. – Hamed und Omar) für die Unzulässigkeit von Asylanträgen in dem Fall von Sekundärmigration näher konkretisiert. Jedoch stellt selbst eine Änderung höchstrichterlicher Rechtsprechung grundsätzlich keine Änderung der Rechtslage dar, da die gerichtliche Entscheidungsfindung eine rechtliche Würdigung anhand der vorgegebenen Rechtsordnung und grundsätzlich nicht geeignet ist, die Rechtslage konstitutiv zu verändern (BVerwG, Beschl. v. 12.11.2020 – 2 B 1.20, Rn. 8 über juris; OVG Bremen, Beschl. v. 06.08.2021 – 1 LA 294/21, Rn. 8 ff. über juris m.w.N.).
27 
bb) Es hat sich aber die dem Verwaltungsakt zugrundeliegende Sachlage nachträglich zugunsten des Klägers geändert (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG). Das ist zum einen hinsichtlich der Aufnahme- und Lebensbedingungen in Rumänien der Fall (sogleich (1)), und zum anderen hinsichtlich der persönlichen und insbesondere familiären Situation des Klägers, der inzwischen Vater eines Kleinkindes geworden ist, dessen Sorge er auch ausübt (unten (2)).
28 
(1) Die Situation für anerkannte Schutzberechtigte stellt sich in Rumänien in dem Kontext des dortigen Asylsystems gegenwärtig wie folgt dar:
29 
Asylbewerber haben in Rumänien einen Anspruch auf Geldleistungen in Form eines Taschengelds, das generell ausreicht, um den Lebensunterhalt abzudecken (AIDA, Country Report: Romania, 2019 update, 31.12.2019, S. 88). Hinsichtlich einer Unterkunft stehen staatliche Heime zur Verfügung und es werden – etwa dann, wenn diese erschöpft sind – Hilfen, auch in Form von Geldleistungen, für eine Mietwohnung gewährt (ACCORD, Anfragebeantwortung zu Rumänien: Lage von Flüchtlingen und Asylsuchenden: Polizeigewalt, Unterbringungssituation, Zustände in Quartieren, Zugang zu Rechtsberatung, 16.03.2020; AIDA, Country Report: Romania, 2019 update, 31.12.2019, S. 89). Die Gewährung setzt jedoch einen rechtzeitig gestellten Antrag voraus (AIDA, Country Report: Romania, 2019 update, 31.12.2019, S. 89). Jenseits der staatlichen Unterstützung wird eine solche auch durch Hilfsorganisationen, etwa AIDRom, gewährt (AIDA, Country Report: Romania, 2019 update, 31.12.2019, S. 90 f.; vgl. auch ACCORD, Anfragebeantwortung zu Rumänien: Lage von Flüchtlingen und Asylsuchenden: Polizeigewalt, Unterbringungssituation, Zustände in Quartieren, Zugang zu Rechtsberatung, 16.03.2020). Berichten zufolge sind keine Fälle bekannt, in denen Asylbewerber in staatlichen Heimen keine Unterkunft erhalten hätten, weil dort keine Plätze mehr vorhanden gewesen wären (AIDA, Country Report: Romania, 2019 update, 31.12.2019, S. 95). Auch anerkannte Schutzberechtigte haben unter bestimmten Bedingungen Zugang zu den staatlichen Heimen, müssen dafür jedoch – soweit sie nicht etwa als vulnerable Personen freigestellt sind – eine Miete bezahlen (AIDA, Country Report: Romania, 2019 update, 31.12.2019, S. 146). Die Aufnahme ist für anerkannte Schutzberechtigte zudem zeitlich begrenzt auf maximal zwölf Monate (AIDA, Country Report: Romania, 2019 update, 31.12.2019, S. 146). Die hygienischen Bedingungen in den staatlichen Aufnahmeeinrichtungen werden Berichten zufolge als schlecht beschrieben, etwa dergestalt, dass es dort Bettwanzen, Flöhe und schlechte sowie unzureichende sanitäre Einrichtungen gebe (ACCORD, Anfragebeantwortung zu Rumänien: Lage von Flüchtlingen und Asylsuchenden: Polizeigewalt, Unterbringungssituation, Zustände in Quartieren, Zugang zu Rechtsberatung, 16.03.2020).
30 
Das rumänische Asylsystem sieht spezielle Garantien und Betreuung für besonders vulnerable Personen vor, insbesondere Kinder, Ältere, Schwangere, schwer Kranke und Personen mit Behinderungen (AIDA, Country Report: Romania, 2019 update, 31.12.2019, S. 64 ff.). Die Behörden arbeiten dabei mit Hilfsorganisationen zusammen (AIDA, Country Report: Romania, 2019 update, 31.12.2019, S. 65 f.). Spezielle Mechanismen, um solche vulnerable Personen zu identifizieren, existieren allerdings nicht (AIDA, Country Report: Romania, 2019 update, 31.12.2019, S. 106).
31 
In der Regel haben Asylbewerber nach drei Monaten das Recht, zu arbeiten, wobei sie in gleicher Weise wie rumänische Arbeitnehmer Zugang zu dem Arbeitsmarkt haben (AIDA, Country Report: Romania, 2019 update, 31.12.2019, S. 100). Gleiches gilt auch für anerkannte Schutzberechtigte (AIDA, Country Report: Romania, 2019 update, 31.12.2019, S. 148). In der Praxis wird der Zugang zu Arbeitsplätzen aber oft durch fehlende Sprachkenntnisse und fehlende Berufsqualifikationen oder deren Nachweis behindert (AIDA, Country Report: Romania, 2019 update, 31.12.2019, S. 149). Teilweise wird von Problemen für Asylbewerber und auch für anerkannte Schutzberechtigte bestimmter Herkunftsländer berichtet, Bankkonten zu eröffnen (AIDA, Country Report: Romania, 2019 update, 31.12.2019, S. 133 f.).
32 
Asylbewerber erhalten medizinische Versorgung über ihre regionalen Aufnahmezentren oder durch gesetzlich zugewiesene Gesundheitseinrichtungen (AIDA, Country Report: Romania, 2019 update, 31.12.2019, S. 104; vgl. auch ACCORD, Anfragebeantwortung zu Rumänien: Lage von Flüchtlingen und Asylsuchenden: Polizeigewalt, Unterbringungssituation, Zustände in Quartieren, Zugang zu Rechtsberatung, 16.03.2020). Anerkannte Schutzberechtigte haben in gleicher Weise wie rumänische Staatsbürger Zugang zu dem allgemeinen Gesundheitssystem (AIDA, Country Report: Romania, 2019 update, 31.12.2019, S. 159).
33 
Rumänien sieht sich aktuell einer steigenden Zahl von Asylsuchenden gegenüber, was die Behörden vor Herausforderungen stellt (Balkan Insight, Abandoned Romanian Mansion Becomes ‘Base Camp’ for Afghans Heading West, 04.02.2021). In diesem Umfeld sind Flüchtlinge Berichten zufolge teilweise auf private Lebensmittelspenden angewiesen (Balkan Insight, Abandoned Romanian Mansion Becomes ‘Base Camp’ for Afghans Heading West, 04.02.2021). Die Arbeitslosigkeit in Rumänien ist im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie gestiegen, nachdem eine große Zahl im Ausland lebende Rumänen wegen der Lockdowns in anderen europäischen Ländern dorthin zurückgekehrt sind und gleichzeitig auch in Rumänien wegen des auch dort angeordneten Lockdowns Arbeitsplätze entfallen sind (Balkan Insight, Analysis – Pandemic Disrupts Southeast Europe Labour Flow, 25.11.2020).
34 
Im Rahmen der so nachgezeichneten Situation in Rumänien stellen sich die dortigen Aufnahme- und Lebensbedingungen für den Kläger anders dar als noch während des Erstverfahrens, welches freilich auch bereits etwa zehn Jahre zurückliegt.
35 
Geht es um Dauerzustände, wie etwa die allgemeinen politischen Verhältnisse im Heimatland des Asylbewerbers, sind diese naturgemäß ständigen Änderungen unterworfen, sodass eine Änderung der Sachlage in dem hier relevanten Sinn nur dann anzunehmen ist, wenn nach dem für die bestandskräftige Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt neue erhebliche Tatsachen eingetreten sind, die sich so wesentlich von den früher maßgeblichen Umständen unterscheiden, dass auch unter Berücksichtigung des Zwecks der Bestandskraft eines Verwaltungsakts bzw. – bei Abschluss des Erstverfahrens durch rechtskräftiges Urteil – Rechtskraft eines Urteils eine erneute Sachentscheidung durch die Verwaltung oder ein Gericht gerechtfertigt ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.09.2001 – 1 C 7.01, NVwZ 2002, 345, 345 f., zur Rechtskraftwirkung). Das ist der Fall, wenn es für die geltend gemachte Rechtsfolge um die rechtliche Bewertung eines jedenfalls in wesentlichen Punkten neuen Sachverhalts geht, zu dem das rechtskräftige Urteil – auch unter Berücksichtigung seiner Rechtsfrieden und Rechtssicherheit stiftenden Funktion – keine verbindlichen Aussagen mehr enthält (BVerwG, Urt. v. 18.09.2001 – 1 C 7.01, NVwZ 2002, 345, 345 f.; vgl. auch BVerwG, Urt. v. 25.11.2008 – 10 C 25.07, NVwZ 2009, 595, 596 Rn. 12). Diese Vorgabe ist auf bestandskräftige Bescheide zu übertragen, da die Bestandskraft jedenfalls keiner wesentlich anders zu bewertenden Interessenlage als die Rechtskraft unterliegt, welche ein Festhalten an der Bestandskraft noch stärker gebieten würde, als dies für die Rechtskraft von Urteilen der Fall ist.
36 
Der Zeitablauf allein stellt dabei grundsätzlich keine erhebliche Änderung der Sachlage dar (BVerwG, Urt. v. 18.09.2001 – 1 C 7.01, NVwZ 2002, 345, 346). Gleichwohl darf nicht verkannt werden, dass gerade die Gefahrenprognose im Asylrecht, insbesondere soweit sie von den allgemeinen politischen Verhältnissen im Heimatland des Asylbewerbers abhängt, in besonderem Maße durch die weitere Entwicklung dieser Verhältnisse berührt sein kann, sodass der Zeitablauf (je nach seiner Länge) grundsätzlich ein Umstand ist, der bei der Prüfung der Frage, ob sich die Umstände in dem Herkunftsland in relevanter Weise geändert haben, zu berücksichtigen ist (BVerwG, Urt. v. 18.09.2001 – 1 C 7.01, NVwZ 2002, 345, 346).
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Die Erheblichkeit der Sachlagenänderung hängt nicht notwendig davon ab, ob die Behörde oder das Gericht bei der neuerlichen Entscheidung auf der Grundlage des neuen Sachverhalts zu einem anderen Ergebnis kommen als in dem Erstverfahren (BVerwG, Urt. v. 18.09.2001 – 1 C 7.01, NVwZ 2002, 345, 346 m.w.N.). Ergibt sich allerdings eine solche Ergebnisabweichung wegen der geänderten Sachlage, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, dass die Rechtskraft des alten Urteils – bzw. die Bestandskraft einer früheren Behördenentscheidung – nicht mehr bindet (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.09.2001 – 1 C 7.01, NVwZ 2002, 345, 346).
38 
Nach diesen Vorgaben ist aufgrund der Aufnahmesituation in Rumänien eine Änderung der Sachlage in dem hier maßgeblichen Kontext gegeben. Die entsprechende Veränderung liegt im Wesentlichen darin, dass seit eineinhalb Jahren die Corona-Pandemie zu weitreichenden wirtschaftlichen Umwälzungen geführt hat und sich gleichzeitig die Fluchtrouten in Südosteuropa geändert haben, was zu einem Anstieg der Flüchtlingszahlen in Rumänien geführt hat. Beide Effekte haben einen potentiellen Einfluss auf die Entscheidung über die Unzulässigkeit des Asylantrags des Klägers. Dabei ist indes vorliegend auch zu sehen, dass in dem das Erstverfahren abschließenden Bescheid gar keine ausdrücklichen Feststellungen zu der Aufnahmesituation bzw. der humanitären oder wirtschaftlichen Lage in Rumänien getroffen worden sind. Der Bescheid enthält vielmehr lediglich die Feststellung, außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht gem. Art. 3 Abs. 2 der Dublin-Verordnung auszuüben, seien nicht ersichtlich. Dies spricht zusätzlich dafür, dass in dem Erstbescheid keine verbindlichen Aussagen (mehr) zu der gegenwärtigen Lage vorhanden sind. Im Rahmen dieser Erwägungen ist sodann auch der bereits lange Zeitablaufs von über zehn Jahren seit dem Erlass des Erstbescheids zu berücksichtigen, welcher ebenfalls eine relevante Änderung der Sachlage i.S.v. § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG nahelegt.
39 
(2) Daneben liegt eine Änderung der Sachlage auch hinsichtlich der familiären Situation des Klägers vor. Es ist davon auszugehen, dass der Kläger als Familienvater gemeinsam mit seinem Kind und dessen Mutter nach Rumänien reisen würde. Der Kläger ist ausweislich des vorgelegten Auszugs aus dem Geburtenregister inzwischen Vater eines Kleinkindes geworden. Zur Überzeugung des Gerichts, die sich auf seinen insoweit anschaulichen und schlüssigen Vortrag stützt, kümmert er sich auch selbst – gemeinsam mit der Mutter, seiner Lebensgefährtin – um das Kind. Zwar leben seine Lebensgefährtin mit dem Kind und der Kläger nicht in einem Haushalt; allerdings wohnen sie in demselben Ort und haben täglichen, umfangreichen Kontakt. Die getrennte Wohnsituation beruht zudem – was ebenfalls aufgrund des glaubhaften, weil plastisch nachvollziehbaren Vortrags des Klägers zur Überzeugung des Gerichts feststeht – nicht etwa auf einer Entscheidung des Klägers und seiner Lebensgefährtin, sondern auf formalen Vorgaben der örtlichen Verwaltungsbehörden.
40 
(3) Beide genannten Änderungen – hinsichtlich der Lage in Rumänien einerseits und der familiären Situation des Klägers andererseits – führen auch dazu, dass es zumindest hinreichend wahrscheinlich erscheint, dass eine dem Kläger günstigere Entscheidung erginge. Sie bedingen nämlich aus der vorliegend maßgeblichen Perspektive (§ 77 Abs. 2 AsylG) eine nun andere, dem Kläger günstigere Einschätzung der humanitären Aufnahmebedingungen von anerkannten Schutzberechtigten in Rumänien bezogen auf seine individuelle Situation. Dies wiederum wirkt sich auch auf die Unzulässigkeitsentscheidung wegen in einem anderen Mitgliedstaat bereits gewährten Schutzes – hier Rumänien – aus. So ist es nämlich nicht (erst) im Rahmen eines Abschiebungsverbots zu prüfen, sondern es darf bereits (auch) keine Ablehnung nach der heute – gegenüber § 27a AsylVfG a.F. bei Erlass des Erstbescheids – für diese Situation maßgeblichen Vorschrift § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG erfolgen, wenn eine ernsthafte Gefahr besteht, dass die Lebensverhältnisse in dem anderen Mitgliedstaat den Betroffenen einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 GRCh aussetzen würden (vgl. EuGH, Beschl. v. 13.11.2019 – C-540/17, C-541/17, NVwZ 2020, 137, 137 f., Tenor und Rn. 34 ff. – Hamed und Omar; BVerwG, Urt. v. 21.04.2020 – 1 C 4.19, Rn. 36 über juris). Eine solche Gefahr ist indes vorliegend in Anbetracht der aktuellen, geänderten Situation gegeben.
41 
Dabei gilt nach dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten im Kontext des gemeinsamen europäischen Asylsystems und insbesondere der Dublin III-VO die Vermutung, dass die Behandlung der Antragsteller in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta, dem Genfer Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28.07.1951 und der EMRK steht.
42 
Der EuGH (hierzu und zum Folgenden: Urt. v. 19.03.2019 – C-163/17, Rn. 87 f. – Jawo; Urt. v. 19.03.2019 – C-297/17 u. a., Rn. 86 f. – Ibrahim) hat geklärt, unter welchen Voraussetzungen eine Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat nach der Dublin III-Verordnung oder innerhalb des gemeinsamen Asylsystems zulässig ist. Danach darf das nationale Gericht die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU-Grundrechtecharta und Art. 3 EMRK nur annehmen, wenn es auf einer entsprechenden Tatsachengrundlage feststellt, dass dieses Risiko für diesen Antragsteller gegeben ist, weil er sich im Fall der Überstellung unabhängig von seinem Willen und seinen persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände. Diese besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit wäre erreicht, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre. Diese Schwelle ist dagegen selbst in durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichneten Situationen nicht erreicht, sofern sie nicht mit extremer materieller Not verbunden sind. Die Feststellung des Fehlens von Formen familiärer Solidarität oder von Mängeln bei der Durchführung von Programmen zur Integration von Schutzberechtigten vermögen keinen ernsthaften und durch Tatsachen bestätigten Grund für die Annahme darstellen, dass im Fall der Überstellung die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta bestünde (vgl. auch VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 27.05.2019 – A 4 S 1329/19). Die entsprechenden Vorgaben gelten auch in dem hier relevanten Kontext im Rahmen einer Überstellung von anerkannten Schutzberechtigten (vgl. insb. EuGH, Urt. v. 19.03.2019 – C-297/17 u. a., Rn. 87 f. – Ibrahim).
43 
Vor dem Hintergrund der durch die Erkenntnismittel nachgezeichneten, gegenüber der für das Erstverfahren maßgeblichen Situation geänderten Sachlage droht dem Kläger selbst nach den oben dargelegten, strengen Maßgaben in dem Fall der Abschiebung nach Rumänien die zumindest beachtlich wahrscheinliche Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der EU-Grundrechtcharta.
44 
Hierbei ist namentlich zu sehen, dass der Kläger über einen – jedenfalls für europäische Maßstäbe – allenfalls durchschnittlichen Berufsbildungs- und Qualifikationsstandverfügt. Es wird ihm – gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin – daher voraussichtlich zumindest mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht möglich sein, sich selbst, durch eigene Erwerbstätigkeit den Lebensunterhalt für sich und auch die Familie, einschließlich des Kleinkindes, zu sichern und zugleich auch die Kinderbetreuung zu übernehmen oder sicherzustellen und auch eine Wohnung zu finden und zu finanzieren bzw. die Finanzierung zu gewährleisten.
45 
Insgesamt handelt es sich bei dem Kläger und seiner Familie mithin um Angehörige der besonders verletzlichen, vulnerablen Personengruppe derjenigen Personen, die zumindest weitgehend auf Unterstützung angewiesen sind.
46 
Insoweit ist zu berücksichtigen, dass die in dem rumänischen Asylsystem vorgesehenen Unterstützungen auch für Angehörige dieser Personengruppe nach der durch die Erkenntnismittel nachgezeichneten Lage grundsätzlich ein hohes Maß an Eigeninitiative voraussetzen (vgl. auch VG Aachen, Urt. v. 03.07.2020 – 1 K 373/18.A, Rn. 64 über juris). Für Personen, die besonders vulnerabel sind oder die aus anderen Gründen außerstande sind, die nötige Eigeninitiative zu erbringen und sich ihre Lebensgrundlage zumindest unter Inanspruchnahme von Hilfen zu sichern, kann mithin im Einzelfall Obdachlosigkeit drohen und sie können zur Erhaltung einer Lebensgrundlage auf Spenden Privater angewiesen sein, die – insbesondere bei erhöhtem Bedarf wie bei der Familie der Kläger der Fall – unter Umständen nicht in ausreichendem Maß erreicht werden könnten. Dies ist aufgrund der individuellen Sondersituation des Klägers und in Anbetracht der aktuell durch die Corona-Pandemie und die verstärkte Aufnahme von Flüchtlingen durch Rumänien bedingten Lage für den Kläger zumindest mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen.
47 
cc) Sodann liegen auch die weiteren Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens vor. Der Kläger war in dem bereits etliche Jahre zurückliegenden, früheren Verfahren (schuldlos) außerstande, die nunmehrige Änderung der Sachlage, welche durch die derzeitige Situation in Rumänien aufgrund der Corona-Pandemie und in persönlicher Sicht auch die erst in diesem Jahr erfolgte Geburt seines Kindes bedingt ist, geltend zu machen (§ 51 Abs. 2 VwVfG).
48 
dd) Schließlich sind der Wiederaufgreifensantrag bzw. die hierzu geltend gemachten Gründe auch nicht gemäß § 51 Abs. 3 VwVfG verfristet.
49 
Der Kläger hat allerdings den Umstand, dass er nun Vater eines Kleinkindes ist und als Familienvater besondere Unterhalts- und Fürsorgepflichten zu erfüllen hat, erst in der mündlichen Verhandlung am 27.09.2021 erstmalig vorgetragen, obgleich das betreffende Kind bereits im Januar geboren worden war.
50 
Die dreimonatige Ausschlussfrist gilt dabei grundsätzlich auch für im gerichtlichen Verfahren neu vorgebrachte Wiederaufgreifensgründe (BVerwG, Urt. v. 09.12.2010 – 10 C 13.09, NVwZ 2011, 629, 632 Rn. 28; Urt. v. 10.02.1998 – 9 C 28.97, NVwZ 1998, 861, 863). Einzelne neue Tatsachen, die zur Begründung nachgeschoben werden, brauchen – ausnahmsweise – allerdings nicht innerhalb der Ausschlussfrist vorgetragen zu werden, wenn sie einen bereits rechtzeitig geltend gemachten Wiederaufgreifensgrund bestätigen, wiederholen, erläutern oder konkretisieren, also nicht qualitativ neu sind, d.h. nicht aus dem Rahmen der bisher für das Wiederaufgreifen angeführten Umstände fallen und damit keinen neuen Wiederaufgreifensgrund – wie z.B. die Übernahme herausgehobener Funktionen in einer Exilorganisation, in der der Asylsuchende bisher nur als einfaches Mitglied beteiligt bzw. untergeordnet tätig war – darstellen (wörtlich BVerwG, Urt. v. 10.02.1998 – 9 C 28.97, NVwZ 1998, 861, 863).
51 
Nach diesen Vorgaben stellt der Umstand, dass der Kläger Vater geworden ist, einen qualitativ neuen Grund dar, der nicht lediglich den zuvor geltend gemachten Grund der Änderung der wirtschaftlichen und humanitären Situation in Rumänien konkretisiert.
52 
Dennoch ist der Kläger mit der Geltendmachung dieses Wiederaufgreifensgrundes nicht ausgeschlossen. § 51 Abs. 3 VwVfG bleibt nämlich in der vorliegenden Konstellation unangewandt.
53 
Art. 40 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32 (Verfahrensrichtlinie) sieht vor, dass dann, wenn neue Elemente oder Erkenntnisse zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht worden sind, die erheblich zu der Wahrscheinlichkeit beitragen, dass der Antragsteller nach Maßgabe der Richtlinie 2011/95/EU als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz anzuerkennen ist, sein Antrag weiter geprüft wird. Diese Regelung enthält keine Vorgabe einer Ausschlussfrist und sieht auch keine Möglichkeit vor, dass Mitgliedstaaten eine solche vorsehen könnten (EuGH, Urt. v. 09.09.2021 – C-18/20, Rn. 54 ff.). Dieses dem Wortlaut der Vorschrift zu entnehmende Auslegungsergebnis wird bestätigt durch eine systematische Auslegung. So sieht Art. 28 der Verfahrensrichtlinie bestimmte Konstellationen vor, in denen eine Ausschlussfrist für die Vornahme bestimmter (Verfahrens-)Handlungen vorgegeben werden können (EuGH, Urt. v. 09.09.2021 – C-18/20, Rn. 57). Art. 5 der Verfahrensrichtlinie bestimmt zudem, dass in Abweichung von der Richtlinie nur dem Antragsteller günstigere Regelungen vorgesehen werden dürfen, was ebenfalls gegen die Zulässigkeit einer (ja nicht ausdrücklich vorgesehenen) Ausschlussfrist spricht (EuGH, Urt. v. 09.09.2021 – C-18/20, Rn. 59). Auch ein historischer Vergleich mit der Vorgängervorschrift in der Richtlinie 2005/85 belegt dieses Verständnis, da eine in der Vorgängerregelung noch vorgesehene entsprechende Einschränkungsmöglichkeit in der (aktuellen) Verfahrensrichtlinie gerade nicht mehr enthalten ist (EuGH, Urt. v. 09.09.2021 – C-18/20, Rn. 58).
54 
Die Verfahrensrichtlinie ist auch auf die vorliegende Fallgestaltung eines Folgeantrags ohne vorangegangene Sachprüfung anwendbar. Zwar geht es hier nicht – wie ausdrücklich in der hier relevanten Vorschrift des Art. 40 Abs. 3 der Verfahrensrichtlinie formuliert – um neue Umstände, die unmittelbar zu der Zuerkennung internationalen Schutzes führen, sondern „nur“ um die Vorfrage, ob der Antrag überhaupt zulässig ist. Es steht ja vorliegend nach einem etwaigen Wiederaufgreifen zunächst die Frage im Raum, ob der Antrag wegen der Zuerkennung internationalen Schutzes in Rumänien gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG, also entsprechend der Maßgabe des Art. 33 Abs. 2 a) der Verfahrensrichtlinie unzulässig ist; das Bestehen eines Anspruchs auf internationalen Schutzes stellt sich mithin (noch) gar nicht unmittelbar. Allerdings zeigt sich daran, dass die Verfahrensrichtlinie die möglichen Unzulässigkeitsgründe (abschließend) regelt, dass auch die vorliegende Konstellation eines Folgeantrags ohne vorangegangene Sachprüfung geregelt werden soll, also auch in dem Anwendungsbereich der Richtlinie liegt. Überdies trägt die als Vorfrage zu prüfende Zulässigkeit eines Antrags durchaus auch – wie es in der Formulierung des Art. 40 Abs. 3 der Verfahrensrichtlinie heißt – „erheblich zu der Wahrscheinlichkeit bei“, dass ein Anspruch auf internationalen Schutz anzuerkennen ist: Wäre der Antrag unzulässig, wäre eine solche Anerkennung ja nämlich gerade ausgeschlossen. Eine Einschränkung dergestalt, dass die Vorschrift nur eine etwaige Abweichung hinsichtlich der Sachprüfung als solcher meinen könnte, ist nicht ersichtlich.
55 
Die von § 51 Abs. 3 VwVfG statuierte Ausschlussfrist steht in dem hier relevanten Kontext auch in Widerspruch zu Art. 40 Abs. 3 der Verfahrensrichtlinie. Insbesondere ist wegen des eindeutigen Wortlauts keine den Widerspruch vermeidende richtlinienkonforme Auslegung des § 51 Abs. 3 VwVfG möglich. Eine schlichte Nichtanwendung würde vielmehr der ausdrücklichen Formulierung widersprechen. Sodann kann der Betroffene auch nicht auf die Möglichkeit eines Wiederaufgreifens im weiteren Sinn nach § 51 Abs. 5 VwVfG verwiesen werden. So wird der Verweis in § 71 Abs. 1 AsylG, demnach die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG (und eben nicht des § 51 Abs. 5 VwVfG) vorliegen müssen, dahin verstanden, dass die Anwendung von § 51 Abs. 5 VwVfG i.V.m. §§ 48, 49 VwVfG in diesem Anwendungsbereich generell gesperrt ist (Bergmann, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 71 AsylG Rn. 35) oder jedenfalls aber kein Anspruch auch nur auf ermessensfehlerfreie Entscheidung besteht (BVerwG, Urt. v. 15.12.1987 – 9 C 285.86, NVwZ 1988, 737, 739). Hinzu kommt, dass selbst dann, wenn man das Bundesamt als entscheidungsbefugt ansehen wollte, der entsprechende Anspruch als Ermessensanspruch ausgestaltet ist (vgl. § 49 Abs. 1 VwVfG); dies entspricht nicht der Vorgabe des Art. 40 Abs. 3 der Verfahrensrichtlinie, welcher nämlich eine gebundene Entscheidung vorsieht. Allein hierüber ließe sich freilich durch eine mit Blick auf die Richtlinie gegebenenfalls begründbare Ermessensreduktion auf Null hinwegkommen. Insgesamt würde allerdings auch eine solche Lösung über ein Wiederaufgreifen im weiteren Sinne eine Nichtanwendung von Gesetzesvorschriften erzwingen, nämlich der abschließenden Verweisung in § 71 Abs. 1 AsylG. Da diese Lösung allerdings auch nicht zu dem auch von der Richtlinie vorgegebenen System einer gebundenen Entscheidung passt, erscheint es vorzugswürdig, den Widerspruch zu Art. 40 Abs. 3 der Verfahrensrichtlinie dort aufzulösen, wo er unmittelbar zutage tritt: Bei derjenigen Regelung, die eine Ausschlussfrist vorsieht, also bei § 51 Abs. 3 VwVfG.
56 
Diese Vorschrift hat im Anwendungsbereich der Richtlinie aufgrund des europarechtlichen Anwendungsvorrangs unangewandt zu bleiben. Für den Fall der nicht fristgerechten oder unvollständigen Umsetzung einer Richtlinie durch einen Mitgliedstaat hat nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH der Einzelne das Recht, sich vor den nationalen Gerichten gegenüber dem Staat auch dann, wenn nationales Recht entgegensteht, auf durch eine Richtlinie auferlegte Verpflichtungen zu berufen, wenn diese klar und unbedingt sind und zu ihrer Anwendung keines Ausführungsakts mehr bedürfen (BVerwG, Beschl. v. 25.06.2013 – 1 WRB 2.11, Rn. 42 über juris m.w.N. – st. Rspr.; vgl. auch – grundlegend – EuGH, Urt. v. 15.07.1964 – 6/64, NJW 1964, 2371, 2372 – Costa/ENEL; Urt. v. 09.03.1978 – 106/77, NJW 1978, 1741, 1741 f. – Simmenthal II).
57 
Diese Vorgaben sind mit Blick auf Art. 40 Abs. 3 der Verfahrensrichtlinie gegeben. Nach den oben aufgezeigten Gesichtspunkten ist die Regelung eindeutig dahingehend zu verstehen, dass neu eingetretene, geänderte Umstände zu einem Anspruch auf (erneute) Prüfung des Anspruchs auf internationalen Schutz führen, und zwar unabhängig von einer Ausschlussfrist. Dieser Anspruch ist auch nicht bedingt und bedarf auch keines Ausführungsakts mehr. Nach diesen Vorgaben ist mithin die Ausschlussfrist des § 51 Abs. 3 VwVfG im Rahmen eines Folgeantrags i.S.v. § 71 AsylG in der vorliegenden Konstellation gemäß dem europarechtlichen Anwendungsvorrang unanwendbar.
2.
58 
Die Unzulässigkeitsentscheidung kann auch nicht etwa in eine nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG umgedeutet werden, weil die Rechtsfolgen insoweit ungünstiger wären (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 20.2.2020 – 10 LA 53/20, BeckRS 2020, 2857 Rn. 20 m. w. N.). Überdies liegen aufgrund der zu der Begründetheit des Wiederaufgreifensantrags dargelegten Gesichtspunkte (siehe oben unter 1. a), insbesondere zu der gegenwärtigen humanitären und wirtschaftlichen Situation in Rumänien aufgrund seiner individuellen familiären Lage) die Voraussetzungen von § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG auch gar nicht vor.
3.
59 
Da das Bundesamt den Asylantrag des Klägers nicht nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG (und auch nicht etwa im Wege der Umdeutung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG) als unzulässig ablehnen durfte, fehlt es auch an einer Grundlage für die ferner verfügte Ablehnung einer Änderung des Erstbescheids bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG und die angeordneten Einreise- und Aufenthaltsverbote nach § 11 Abs. 7 und Abs. 1 AufenthG. Der Bescheid war mithin auch insoweit (Ziffern 2 bis 4) aufzuheben.
III.
60 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei gemäß § 83b AsylG.

Gründe

 
19 
Über die Klage entscheidet der Berichterstatter im Einverständnis der Beteiligten anstelle der Kammer (vgl. § 87a Abs. 2, 3 VwGO).
20 
Der Berichterstatter durfte am 27.09.2021 verhandeln und entscheiden, obwohl die Beklagte nicht anwesend war, denn sie ist in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden (§ 102 Abs. 2 VwGO).
I.
21 
Die Klage ist als Anfechtungsklage statthaft und zulässig.
II.
22 
Die Klage ist auch begründet. Der angefochtene Bescheid des Bundesamts ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1.
23 
Zum entscheidungsrelevanten Zeitpunkt (vgl. § 77 Abs. 1 AsylG) liegen die Voraussetzungen für eine Ablehnung des Asylantrags des Klägers als unzulässig gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG nicht vor.
24 
a) Bei dem Antrag handelt es sich zwar um einen Folgeantrag im Sinne des § 71 Abs. 1 AsylG. Bereits der am 03.08.2010 gestellte Asylantrag des Klägers ist mit bestandskräftigem Bescheid vom 26.07.2011 abgelehnt worden, da dem Kläger zuvor in Rumänien aufgrund zuerkannten subsidiären Schutzstatus‘ ein Aufenthaltsrecht gewährt worden war. Die fehlende Sachprüfung des Erstantrags in der Bundesrepublik steht der Annahme eines Asylfolgeantrags hier nicht entgegen (vgl. VG Düsseldorf, Beschl. v. 17.09.2020 – 22 L 1454/20.A, BeckRS 2020, 23717, Rn. 19 ff.; VG Karlsruhe, Urt. v. 18.08.2020 – A 9 K 4171/19, BeckRS 2020, 21917, Rn. 18 ff.; Dickten, in: BeckOK Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 28. Edition Stand: 01.01.2021, § 71 AsylG Rn. 5 m.w.N. auch zu abweichenden Ansichten).
25 
b) Jedoch sind die Voraussetzungen von § 51 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 VwVfG, auf die § 71 Abs. 1 AsylG Bezug nimmt, vorliegend erfüllt, sodass ein weiteres Asylverfahren durchzuführen ist.
26 
aa) Eine relevante Änderung der Rechtslage ist allerdings nicht anzunehmen. Zwar hat der Europäische Gerichtshof nach dem Abschluss des Erstverfahrens in mehreren Entscheidungen sowohl die inhaltlichen Maßstäbe (EuGH, Urt. v. 19.03.2019 – C-163/17, Rn. 87 f. – Jawo; Urt. v. 19.03.2019 – C-297/17 u. a., Rn. 86 f. – Ibrahim) als auch die verfahrensrechtlichen Vorgaben (insb. EuGH, Beschl. v. 13.11.2019 – C-540/17, C-541/17, NVwZ 2020, 137, 137 f., Tenor und Rn. 34 ff. – Hamed und Omar) für die Unzulässigkeit von Asylanträgen in dem Fall von Sekundärmigration näher konkretisiert. Jedoch stellt selbst eine Änderung höchstrichterlicher Rechtsprechung grundsätzlich keine Änderung der Rechtslage dar, da die gerichtliche Entscheidungsfindung eine rechtliche Würdigung anhand der vorgegebenen Rechtsordnung und grundsätzlich nicht geeignet ist, die Rechtslage konstitutiv zu verändern (BVerwG, Beschl. v. 12.11.2020 – 2 B 1.20, Rn. 8 über juris; OVG Bremen, Beschl. v. 06.08.2021 – 1 LA 294/21, Rn. 8 ff. über juris m.w.N.).
27 
bb) Es hat sich aber die dem Verwaltungsakt zugrundeliegende Sachlage nachträglich zugunsten des Klägers geändert (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG). Das ist zum einen hinsichtlich der Aufnahme- und Lebensbedingungen in Rumänien der Fall (sogleich (1)), und zum anderen hinsichtlich der persönlichen und insbesondere familiären Situation des Klägers, der inzwischen Vater eines Kleinkindes geworden ist, dessen Sorge er auch ausübt (unten (2)).
28 
(1) Die Situation für anerkannte Schutzberechtigte stellt sich in Rumänien in dem Kontext des dortigen Asylsystems gegenwärtig wie folgt dar:
29 
Asylbewerber haben in Rumänien einen Anspruch auf Geldleistungen in Form eines Taschengelds, das generell ausreicht, um den Lebensunterhalt abzudecken (AIDA, Country Report: Romania, 2019 update, 31.12.2019, S. 88). Hinsichtlich einer Unterkunft stehen staatliche Heime zur Verfügung und es werden – etwa dann, wenn diese erschöpft sind – Hilfen, auch in Form von Geldleistungen, für eine Mietwohnung gewährt (ACCORD, Anfragebeantwortung zu Rumänien: Lage von Flüchtlingen und Asylsuchenden: Polizeigewalt, Unterbringungssituation, Zustände in Quartieren, Zugang zu Rechtsberatung, 16.03.2020; AIDA, Country Report: Romania, 2019 update, 31.12.2019, S. 89). Die Gewährung setzt jedoch einen rechtzeitig gestellten Antrag voraus (AIDA, Country Report: Romania, 2019 update, 31.12.2019, S. 89). Jenseits der staatlichen Unterstützung wird eine solche auch durch Hilfsorganisationen, etwa AIDRom, gewährt (AIDA, Country Report: Romania, 2019 update, 31.12.2019, S. 90 f.; vgl. auch ACCORD, Anfragebeantwortung zu Rumänien: Lage von Flüchtlingen und Asylsuchenden: Polizeigewalt, Unterbringungssituation, Zustände in Quartieren, Zugang zu Rechtsberatung, 16.03.2020). Berichten zufolge sind keine Fälle bekannt, in denen Asylbewerber in staatlichen Heimen keine Unterkunft erhalten hätten, weil dort keine Plätze mehr vorhanden gewesen wären (AIDA, Country Report: Romania, 2019 update, 31.12.2019, S. 95). Auch anerkannte Schutzberechtigte haben unter bestimmten Bedingungen Zugang zu den staatlichen Heimen, müssen dafür jedoch – soweit sie nicht etwa als vulnerable Personen freigestellt sind – eine Miete bezahlen (AIDA, Country Report: Romania, 2019 update, 31.12.2019, S. 146). Die Aufnahme ist für anerkannte Schutzberechtigte zudem zeitlich begrenzt auf maximal zwölf Monate (AIDA, Country Report: Romania, 2019 update, 31.12.2019, S. 146). Die hygienischen Bedingungen in den staatlichen Aufnahmeeinrichtungen werden Berichten zufolge als schlecht beschrieben, etwa dergestalt, dass es dort Bettwanzen, Flöhe und schlechte sowie unzureichende sanitäre Einrichtungen gebe (ACCORD, Anfragebeantwortung zu Rumänien: Lage von Flüchtlingen und Asylsuchenden: Polizeigewalt, Unterbringungssituation, Zustände in Quartieren, Zugang zu Rechtsberatung, 16.03.2020).
30 
Das rumänische Asylsystem sieht spezielle Garantien und Betreuung für besonders vulnerable Personen vor, insbesondere Kinder, Ältere, Schwangere, schwer Kranke und Personen mit Behinderungen (AIDA, Country Report: Romania, 2019 update, 31.12.2019, S. 64 ff.). Die Behörden arbeiten dabei mit Hilfsorganisationen zusammen (AIDA, Country Report: Romania, 2019 update, 31.12.2019, S. 65 f.). Spezielle Mechanismen, um solche vulnerable Personen zu identifizieren, existieren allerdings nicht (AIDA, Country Report: Romania, 2019 update, 31.12.2019, S. 106).
31 
In der Regel haben Asylbewerber nach drei Monaten das Recht, zu arbeiten, wobei sie in gleicher Weise wie rumänische Arbeitnehmer Zugang zu dem Arbeitsmarkt haben (AIDA, Country Report: Romania, 2019 update, 31.12.2019, S. 100). Gleiches gilt auch für anerkannte Schutzberechtigte (AIDA, Country Report: Romania, 2019 update, 31.12.2019, S. 148). In der Praxis wird der Zugang zu Arbeitsplätzen aber oft durch fehlende Sprachkenntnisse und fehlende Berufsqualifikationen oder deren Nachweis behindert (AIDA, Country Report: Romania, 2019 update, 31.12.2019, S. 149). Teilweise wird von Problemen für Asylbewerber und auch für anerkannte Schutzberechtigte bestimmter Herkunftsländer berichtet, Bankkonten zu eröffnen (AIDA, Country Report: Romania, 2019 update, 31.12.2019, S. 133 f.).
32 
Asylbewerber erhalten medizinische Versorgung über ihre regionalen Aufnahmezentren oder durch gesetzlich zugewiesene Gesundheitseinrichtungen (AIDA, Country Report: Romania, 2019 update, 31.12.2019, S. 104; vgl. auch ACCORD, Anfragebeantwortung zu Rumänien: Lage von Flüchtlingen und Asylsuchenden: Polizeigewalt, Unterbringungssituation, Zustände in Quartieren, Zugang zu Rechtsberatung, 16.03.2020). Anerkannte Schutzberechtigte haben in gleicher Weise wie rumänische Staatsbürger Zugang zu dem allgemeinen Gesundheitssystem (AIDA, Country Report: Romania, 2019 update, 31.12.2019, S. 159).
33 
Rumänien sieht sich aktuell einer steigenden Zahl von Asylsuchenden gegenüber, was die Behörden vor Herausforderungen stellt (Balkan Insight, Abandoned Romanian Mansion Becomes ‘Base Camp’ for Afghans Heading West, 04.02.2021). In diesem Umfeld sind Flüchtlinge Berichten zufolge teilweise auf private Lebensmittelspenden angewiesen (Balkan Insight, Abandoned Romanian Mansion Becomes ‘Base Camp’ for Afghans Heading West, 04.02.2021). Die Arbeitslosigkeit in Rumänien ist im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie gestiegen, nachdem eine große Zahl im Ausland lebende Rumänen wegen der Lockdowns in anderen europäischen Ländern dorthin zurückgekehrt sind und gleichzeitig auch in Rumänien wegen des auch dort angeordneten Lockdowns Arbeitsplätze entfallen sind (Balkan Insight, Analysis – Pandemic Disrupts Southeast Europe Labour Flow, 25.11.2020).
34 
Im Rahmen der so nachgezeichneten Situation in Rumänien stellen sich die dortigen Aufnahme- und Lebensbedingungen für den Kläger anders dar als noch während des Erstverfahrens, welches freilich auch bereits etwa zehn Jahre zurückliegt.
35 
Geht es um Dauerzustände, wie etwa die allgemeinen politischen Verhältnisse im Heimatland des Asylbewerbers, sind diese naturgemäß ständigen Änderungen unterworfen, sodass eine Änderung der Sachlage in dem hier relevanten Sinn nur dann anzunehmen ist, wenn nach dem für die bestandskräftige Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt neue erhebliche Tatsachen eingetreten sind, die sich so wesentlich von den früher maßgeblichen Umständen unterscheiden, dass auch unter Berücksichtigung des Zwecks der Bestandskraft eines Verwaltungsakts bzw. – bei Abschluss des Erstverfahrens durch rechtskräftiges Urteil – Rechtskraft eines Urteils eine erneute Sachentscheidung durch die Verwaltung oder ein Gericht gerechtfertigt ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.09.2001 – 1 C 7.01, NVwZ 2002, 345, 345 f., zur Rechtskraftwirkung). Das ist der Fall, wenn es für die geltend gemachte Rechtsfolge um die rechtliche Bewertung eines jedenfalls in wesentlichen Punkten neuen Sachverhalts geht, zu dem das rechtskräftige Urteil – auch unter Berücksichtigung seiner Rechtsfrieden und Rechtssicherheit stiftenden Funktion – keine verbindlichen Aussagen mehr enthält (BVerwG, Urt. v. 18.09.2001 – 1 C 7.01, NVwZ 2002, 345, 345 f.; vgl. auch BVerwG, Urt. v. 25.11.2008 – 10 C 25.07, NVwZ 2009, 595, 596 Rn. 12). Diese Vorgabe ist auf bestandskräftige Bescheide zu übertragen, da die Bestandskraft jedenfalls keiner wesentlich anders zu bewertenden Interessenlage als die Rechtskraft unterliegt, welche ein Festhalten an der Bestandskraft noch stärker gebieten würde, als dies für die Rechtskraft von Urteilen der Fall ist.
36 
Der Zeitablauf allein stellt dabei grundsätzlich keine erhebliche Änderung der Sachlage dar (BVerwG, Urt. v. 18.09.2001 – 1 C 7.01, NVwZ 2002, 345, 346). Gleichwohl darf nicht verkannt werden, dass gerade die Gefahrenprognose im Asylrecht, insbesondere soweit sie von den allgemeinen politischen Verhältnissen im Heimatland des Asylbewerbers abhängt, in besonderem Maße durch die weitere Entwicklung dieser Verhältnisse berührt sein kann, sodass der Zeitablauf (je nach seiner Länge) grundsätzlich ein Umstand ist, der bei der Prüfung der Frage, ob sich die Umstände in dem Herkunftsland in relevanter Weise geändert haben, zu berücksichtigen ist (BVerwG, Urt. v. 18.09.2001 – 1 C 7.01, NVwZ 2002, 345, 346).
37 
Die Erheblichkeit der Sachlagenänderung hängt nicht notwendig davon ab, ob die Behörde oder das Gericht bei der neuerlichen Entscheidung auf der Grundlage des neuen Sachverhalts zu einem anderen Ergebnis kommen als in dem Erstverfahren (BVerwG, Urt. v. 18.09.2001 – 1 C 7.01, NVwZ 2002, 345, 346 m.w.N.). Ergibt sich allerdings eine solche Ergebnisabweichung wegen der geänderten Sachlage, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, dass die Rechtskraft des alten Urteils – bzw. die Bestandskraft einer früheren Behördenentscheidung – nicht mehr bindet (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.09.2001 – 1 C 7.01, NVwZ 2002, 345, 346).
38 
Nach diesen Vorgaben ist aufgrund der Aufnahmesituation in Rumänien eine Änderung der Sachlage in dem hier maßgeblichen Kontext gegeben. Die entsprechende Veränderung liegt im Wesentlichen darin, dass seit eineinhalb Jahren die Corona-Pandemie zu weitreichenden wirtschaftlichen Umwälzungen geführt hat und sich gleichzeitig die Fluchtrouten in Südosteuropa geändert haben, was zu einem Anstieg der Flüchtlingszahlen in Rumänien geführt hat. Beide Effekte haben einen potentiellen Einfluss auf die Entscheidung über die Unzulässigkeit des Asylantrags des Klägers. Dabei ist indes vorliegend auch zu sehen, dass in dem das Erstverfahren abschließenden Bescheid gar keine ausdrücklichen Feststellungen zu der Aufnahmesituation bzw. der humanitären oder wirtschaftlichen Lage in Rumänien getroffen worden sind. Der Bescheid enthält vielmehr lediglich die Feststellung, außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht gem. Art. 3 Abs. 2 der Dublin-Verordnung auszuüben, seien nicht ersichtlich. Dies spricht zusätzlich dafür, dass in dem Erstbescheid keine verbindlichen Aussagen (mehr) zu der gegenwärtigen Lage vorhanden sind. Im Rahmen dieser Erwägungen ist sodann auch der bereits lange Zeitablaufs von über zehn Jahren seit dem Erlass des Erstbescheids zu berücksichtigen, welcher ebenfalls eine relevante Änderung der Sachlage i.S.v. § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG nahelegt.
39 
(2) Daneben liegt eine Änderung der Sachlage auch hinsichtlich der familiären Situation des Klägers vor. Es ist davon auszugehen, dass der Kläger als Familienvater gemeinsam mit seinem Kind und dessen Mutter nach Rumänien reisen würde. Der Kläger ist ausweislich des vorgelegten Auszugs aus dem Geburtenregister inzwischen Vater eines Kleinkindes geworden. Zur Überzeugung des Gerichts, die sich auf seinen insoweit anschaulichen und schlüssigen Vortrag stützt, kümmert er sich auch selbst – gemeinsam mit der Mutter, seiner Lebensgefährtin – um das Kind. Zwar leben seine Lebensgefährtin mit dem Kind und der Kläger nicht in einem Haushalt; allerdings wohnen sie in demselben Ort und haben täglichen, umfangreichen Kontakt. Die getrennte Wohnsituation beruht zudem – was ebenfalls aufgrund des glaubhaften, weil plastisch nachvollziehbaren Vortrags des Klägers zur Überzeugung des Gerichts feststeht – nicht etwa auf einer Entscheidung des Klägers und seiner Lebensgefährtin, sondern auf formalen Vorgaben der örtlichen Verwaltungsbehörden.
40 
(3) Beide genannten Änderungen – hinsichtlich der Lage in Rumänien einerseits und der familiären Situation des Klägers andererseits – führen auch dazu, dass es zumindest hinreichend wahrscheinlich erscheint, dass eine dem Kläger günstigere Entscheidung erginge. Sie bedingen nämlich aus der vorliegend maßgeblichen Perspektive (§ 77 Abs. 2 AsylG) eine nun andere, dem Kläger günstigere Einschätzung der humanitären Aufnahmebedingungen von anerkannten Schutzberechtigten in Rumänien bezogen auf seine individuelle Situation. Dies wiederum wirkt sich auch auf die Unzulässigkeitsentscheidung wegen in einem anderen Mitgliedstaat bereits gewährten Schutzes – hier Rumänien – aus. So ist es nämlich nicht (erst) im Rahmen eines Abschiebungsverbots zu prüfen, sondern es darf bereits (auch) keine Ablehnung nach der heute – gegenüber § 27a AsylVfG a.F. bei Erlass des Erstbescheids – für diese Situation maßgeblichen Vorschrift § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG erfolgen, wenn eine ernsthafte Gefahr besteht, dass die Lebensverhältnisse in dem anderen Mitgliedstaat den Betroffenen einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 GRCh aussetzen würden (vgl. EuGH, Beschl. v. 13.11.2019 – C-540/17, C-541/17, NVwZ 2020, 137, 137 f., Tenor und Rn. 34 ff. – Hamed und Omar; BVerwG, Urt. v. 21.04.2020 – 1 C 4.19, Rn. 36 über juris). Eine solche Gefahr ist indes vorliegend in Anbetracht der aktuellen, geänderten Situation gegeben.
41 
Dabei gilt nach dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten im Kontext des gemeinsamen europäischen Asylsystems und insbesondere der Dublin III-VO die Vermutung, dass die Behandlung der Antragsteller in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta, dem Genfer Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28.07.1951 und der EMRK steht.
42 
Der EuGH (hierzu und zum Folgenden: Urt. v. 19.03.2019 – C-163/17, Rn. 87 f. – Jawo; Urt. v. 19.03.2019 – C-297/17 u. a., Rn. 86 f. – Ibrahim) hat geklärt, unter welchen Voraussetzungen eine Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat nach der Dublin III-Verordnung oder innerhalb des gemeinsamen Asylsystems zulässig ist. Danach darf das nationale Gericht die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU-Grundrechtecharta und Art. 3 EMRK nur annehmen, wenn es auf einer entsprechenden Tatsachengrundlage feststellt, dass dieses Risiko für diesen Antragsteller gegeben ist, weil er sich im Fall der Überstellung unabhängig von seinem Willen und seinen persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände. Diese besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit wäre erreicht, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre. Diese Schwelle ist dagegen selbst in durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichneten Situationen nicht erreicht, sofern sie nicht mit extremer materieller Not verbunden sind. Die Feststellung des Fehlens von Formen familiärer Solidarität oder von Mängeln bei der Durchführung von Programmen zur Integration von Schutzberechtigten vermögen keinen ernsthaften und durch Tatsachen bestätigten Grund für die Annahme darstellen, dass im Fall der Überstellung die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta bestünde (vgl. auch VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 27.05.2019 – A 4 S 1329/19). Die entsprechenden Vorgaben gelten auch in dem hier relevanten Kontext im Rahmen einer Überstellung von anerkannten Schutzberechtigten (vgl. insb. EuGH, Urt. v. 19.03.2019 – C-297/17 u. a., Rn. 87 f. – Ibrahim).
43 
Vor dem Hintergrund der durch die Erkenntnismittel nachgezeichneten, gegenüber der für das Erstverfahren maßgeblichen Situation geänderten Sachlage droht dem Kläger selbst nach den oben dargelegten, strengen Maßgaben in dem Fall der Abschiebung nach Rumänien die zumindest beachtlich wahrscheinliche Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der EU-Grundrechtcharta.
44 
Hierbei ist namentlich zu sehen, dass der Kläger über einen – jedenfalls für europäische Maßstäbe – allenfalls durchschnittlichen Berufsbildungs- und Qualifikationsstandverfügt. Es wird ihm – gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin – daher voraussichtlich zumindest mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht möglich sein, sich selbst, durch eigene Erwerbstätigkeit den Lebensunterhalt für sich und auch die Familie, einschließlich des Kleinkindes, zu sichern und zugleich auch die Kinderbetreuung zu übernehmen oder sicherzustellen und auch eine Wohnung zu finden und zu finanzieren bzw. die Finanzierung zu gewährleisten.
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Insgesamt handelt es sich bei dem Kläger und seiner Familie mithin um Angehörige der besonders verletzlichen, vulnerablen Personengruppe derjenigen Personen, die zumindest weitgehend auf Unterstützung angewiesen sind.
46 
Insoweit ist zu berücksichtigen, dass die in dem rumänischen Asylsystem vorgesehenen Unterstützungen auch für Angehörige dieser Personengruppe nach der durch die Erkenntnismittel nachgezeichneten Lage grundsätzlich ein hohes Maß an Eigeninitiative voraussetzen (vgl. auch VG Aachen, Urt. v. 03.07.2020 – 1 K 373/18.A, Rn. 64 über juris). Für Personen, die besonders vulnerabel sind oder die aus anderen Gründen außerstande sind, die nötige Eigeninitiative zu erbringen und sich ihre Lebensgrundlage zumindest unter Inanspruchnahme von Hilfen zu sichern, kann mithin im Einzelfall Obdachlosigkeit drohen und sie können zur Erhaltung einer Lebensgrundlage auf Spenden Privater angewiesen sein, die – insbesondere bei erhöhtem Bedarf wie bei der Familie der Kläger der Fall – unter Umständen nicht in ausreichendem Maß erreicht werden könnten. Dies ist aufgrund der individuellen Sondersituation des Klägers und in Anbetracht der aktuell durch die Corona-Pandemie und die verstärkte Aufnahme von Flüchtlingen durch Rumänien bedingten Lage für den Kläger zumindest mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen.
47 
cc) Sodann liegen auch die weiteren Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens vor. Der Kläger war in dem bereits etliche Jahre zurückliegenden, früheren Verfahren (schuldlos) außerstande, die nunmehrige Änderung der Sachlage, welche durch die derzeitige Situation in Rumänien aufgrund der Corona-Pandemie und in persönlicher Sicht auch die erst in diesem Jahr erfolgte Geburt seines Kindes bedingt ist, geltend zu machen (§ 51 Abs. 2 VwVfG).
48 
dd) Schließlich sind der Wiederaufgreifensantrag bzw. die hierzu geltend gemachten Gründe auch nicht gemäß § 51 Abs. 3 VwVfG verfristet.
49 
Der Kläger hat allerdings den Umstand, dass er nun Vater eines Kleinkindes ist und als Familienvater besondere Unterhalts- und Fürsorgepflichten zu erfüllen hat, erst in der mündlichen Verhandlung am 27.09.2021 erstmalig vorgetragen, obgleich das betreffende Kind bereits im Januar geboren worden war.
50 
Die dreimonatige Ausschlussfrist gilt dabei grundsätzlich auch für im gerichtlichen Verfahren neu vorgebrachte Wiederaufgreifensgründe (BVerwG, Urt. v. 09.12.2010 – 10 C 13.09, NVwZ 2011, 629, 632 Rn. 28; Urt. v. 10.02.1998 – 9 C 28.97, NVwZ 1998, 861, 863). Einzelne neue Tatsachen, die zur Begründung nachgeschoben werden, brauchen – ausnahmsweise – allerdings nicht innerhalb der Ausschlussfrist vorgetragen zu werden, wenn sie einen bereits rechtzeitig geltend gemachten Wiederaufgreifensgrund bestätigen, wiederholen, erläutern oder konkretisieren, also nicht qualitativ neu sind, d.h. nicht aus dem Rahmen der bisher für das Wiederaufgreifen angeführten Umstände fallen und damit keinen neuen Wiederaufgreifensgrund – wie z.B. die Übernahme herausgehobener Funktionen in einer Exilorganisation, in der der Asylsuchende bisher nur als einfaches Mitglied beteiligt bzw. untergeordnet tätig war – darstellen (wörtlich BVerwG, Urt. v. 10.02.1998 – 9 C 28.97, NVwZ 1998, 861, 863).
51 
Nach diesen Vorgaben stellt der Umstand, dass der Kläger Vater geworden ist, einen qualitativ neuen Grund dar, der nicht lediglich den zuvor geltend gemachten Grund der Änderung der wirtschaftlichen und humanitären Situation in Rumänien konkretisiert.
52 
Dennoch ist der Kläger mit der Geltendmachung dieses Wiederaufgreifensgrundes nicht ausgeschlossen. § 51 Abs. 3 VwVfG bleibt nämlich in der vorliegenden Konstellation unangewandt.
53 
Art. 40 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32 (Verfahrensrichtlinie) sieht vor, dass dann, wenn neue Elemente oder Erkenntnisse zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht worden sind, die erheblich zu der Wahrscheinlichkeit beitragen, dass der Antragsteller nach Maßgabe der Richtlinie 2011/95/EU als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz anzuerkennen ist, sein Antrag weiter geprüft wird. Diese Regelung enthält keine Vorgabe einer Ausschlussfrist und sieht auch keine Möglichkeit vor, dass Mitgliedstaaten eine solche vorsehen könnten (EuGH, Urt. v. 09.09.2021 – C-18/20, Rn. 54 ff.). Dieses dem Wortlaut der Vorschrift zu entnehmende Auslegungsergebnis wird bestätigt durch eine systematische Auslegung. So sieht Art. 28 der Verfahrensrichtlinie bestimmte Konstellationen vor, in denen eine Ausschlussfrist für die Vornahme bestimmter (Verfahrens-)Handlungen vorgegeben werden können (EuGH, Urt. v. 09.09.2021 – C-18/20, Rn. 57). Art. 5 der Verfahrensrichtlinie bestimmt zudem, dass in Abweichung von der Richtlinie nur dem Antragsteller günstigere Regelungen vorgesehen werden dürfen, was ebenfalls gegen die Zulässigkeit einer (ja nicht ausdrücklich vorgesehenen) Ausschlussfrist spricht (EuGH, Urt. v. 09.09.2021 – C-18/20, Rn. 59). Auch ein historischer Vergleich mit der Vorgängervorschrift in der Richtlinie 2005/85 belegt dieses Verständnis, da eine in der Vorgängerregelung noch vorgesehene entsprechende Einschränkungsmöglichkeit in der (aktuellen) Verfahrensrichtlinie gerade nicht mehr enthalten ist (EuGH, Urt. v. 09.09.2021 – C-18/20, Rn. 58).
54 
Die Verfahrensrichtlinie ist auch auf die vorliegende Fallgestaltung eines Folgeantrags ohne vorangegangene Sachprüfung anwendbar. Zwar geht es hier nicht – wie ausdrücklich in der hier relevanten Vorschrift des Art. 40 Abs. 3 der Verfahrensrichtlinie formuliert – um neue Umstände, die unmittelbar zu der Zuerkennung internationalen Schutzes führen, sondern „nur“ um die Vorfrage, ob der Antrag überhaupt zulässig ist. Es steht ja vorliegend nach einem etwaigen Wiederaufgreifen zunächst die Frage im Raum, ob der Antrag wegen der Zuerkennung internationalen Schutzes in Rumänien gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG, also entsprechend der Maßgabe des Art. 33 Abs. 2 a) der Verfahrensrichtlinie unzulässig ist; das Bestehen eines Anspruchs auf internationalen Schutzes stellt sich mithin (noch) gar nicht unmittelbar. Allerdings zeigt sich daran, dass die Verfahrensrichtlinie die möglichen Unzulässigkeitsgründe (abschließend) regelt, dass auch die vorliegende Konstellation eines Folgeantrags ohne vorangegangene Sachprüfung geregelt werden soll, also auch in dem Anwendungsbereich der Richtlinie liegt. Überdies trägt die als Vorfrage zu prüfende Zulässigkeit eines Antrags durchaus auch – wie es in der Formulierung des Art. 40 Abs. 3 der Verfahrensrichtlinie heißt – „erheblich zu der Wahrscheinlichkeit bei“, dass ein Anspruch auf internationalen Schutz anzuerkennen ist: Wäre der Antrag unzulässig, wäre eine solche Anerkennung ja nämlich gerade ausgeschlossen. Eine Einschränkung dergestalt, dass die Vorschrift nur eine etwaige Abweichung hinsichtlich der Sachprüfung als solcher meinen könnte, ist nicht ersichtlich.
55 
Die von § 51 Abs. 3 VwVfG statuierte Ausschlussfrist steht in dem hier relevanten Kontext auch in Widerspruch zu Art. 40 Abs. 3 der Verfahrensrichtlinie. Insbesondere ist wegen des eindeutigen Wortlauts keine den Widerspruch vermeidende richtlinienkonforme Auslegung des § 51 Abs. 3 VwVfG möglich. Eine schlichte Nichtanwendung würde vielmehr der ausdrücklichen Formulierung widersprechen. Sodann kann der Betroffene auch nicht auf die Möglichkeit eines Wiederaufgreifens im weiteren Sinn nach § 51 Abs. 5 VwVfG verwiesen werden. So wird der Verweis in § 71 Abs. 1 AsylG, demnach die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG (und eben nicht des § 51 Abs. 5 VwVfG) vorliegen müssen, dahin verstanden, dass die Anwendung von § 51 Abs. 5 VwVfG i.V.m. §§ 48, 49 VwVfG in diesem Anwendungsbereich generell gesperrt ist (Bergmann, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 71 AsylG Rn. 35) oder jedenfalls aber kein Anspruch auch nur auf ermessensfehlerfreie Entscheidung besteht (BVerwG, Urt. v. 15.12.1987 – 9 C 285.86, NVwZ 1988, 737, 739). Hinzu kommt, dass selbst dann, wenn man das Bundesamt als entscheidungsbefugt ansehen wollte, der entsprechende Anspruch als Ermessensanspruch ausgestaltet ist (vgl. § 49 Abs. 1 VwVfG); dies entspricht nicht der Vorgabe des Art. 40 Abs. 3 der Verfahrensrichtlinie, welcher nämlich eine gebundene Entscheidung vorsieht. Allein hierüber ließe sich freilich durch eine mit Blick auf die Richtlinie gegebenenfalls begründbare Ermessensreduktion auf Null hinwegkommen. Insgesamt würde allerdings auch eine solche Lösung über ein Wiederaufgreifen im weiteren Sinne eine Nichtanwendung von Gesetzesvorschriften erzwingen, nämlich der abschließenden Verweisung in § 71 Abs. 1 AsylG. Da diese Lösung allerdings auch nicht zu dem auch von der Richtlinie vorgegebenen System einer gebundenen Entscheidung passt, erscheint es vorzugswürdig, den Widerspruch zu Art. 40 Abs. 3 der Verfahrensrichtlinie dort aufzulösen, wo er unmittelbar zutage tritt: Bei derjenigen Regelung, die eine Ausschlussfrist vorsieht, also bei § 51 Abs. 3 VwVfG.
56 
Diese Vorschrift hat im Anwendungsbereich der Richtlinie aufgrund des europarechtlichen Anwendungsvorrangs unangewandt zu bleiben. Für den Fall der nicht fristgerechten oder unvollständigen Umsetzung einer Richtlinie durch einen Mitgliedstaat hat nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH der Einzelne das Recht, sich vor den nationalen Gerichten gegenüber dem Staat auch dann, wenn nationales Recht entgegensteht, auf durch eine Richtlinie auferlegte Verpflichtungen zu berufen, wenn diese klar und unbedingt sind und zu ihrer Anwendung keines Ausführungsakts mehr bedürfen (BVerwG, Beschl. v. 25.06.2013 – 1 WRB 2.11, Rn. 42 über juris m.w.N. – st. Rspr.; vgl. auch – grundlegend – EuGH, Urt. v. 15.07.1964 – 6/64, NJW 1964, 2371, 2372 – Costa/ENEL; Urt. v. 09.03.1978 – 106/77, NJW 1978, 1741, 1741 f. – Simmenthal II).
57 
Diese Vorgaben sind mit Blick auf Art. 40 Abs. 3 der Verfahrensrichtlinie gegeben. Nach den oben aufgezeigten Gesichtspunkten ist die Regelung eindeutig dahingehend zu verstehen, dass neu eingetretene, geänderte Umstände zu einem Anspruch auf (erneute) Prüfung des Anspruchs auf internationalen Schutz führen, und zwar unabhängig von einer Ausschlussfrist. Dieser Anspruch ist auch nicht bedingt und bedarf auch keines Ausführungsakts mehr. Nach diesen Vorgaben ist mithin die Ausschlussfrist des § 51 Abs. 3 VwVfG im Rahmen eines Folgeantrags i.S.v. § 71 AsylG in der vorliegenden Konstellation gemäß dem europarechtlichen Anwendungsvorrang unanwendbar.
2.
58 
Die Unzulässigkeitsentscheidung kann auch nicht etwa in eine nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG umgedeutet werden, weil die Rechtsfolgen insoweit ungünstiger wären (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 20.2.2020 – 10 LA 53/20, BeckRS 2020, 2857 Rn. 20 m. w. N.). Überdies liegen aufgrund der zu der Begründetheit des Wiederaufgreifensantrags dargelegten Gesichtspunkte (siehe oben unter 1. a), insbesondere zu der gegenwärtigen humanitären und wirtschaftlichen Situation in Rumänien aufgrund seiner individuellen familiären Lage) die Voraussetzungen von § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG auch gar nicht vor.
3.
59 
Da das Bundesamt den Asylantrag des Klägers nicht nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG (und auch nicht etwa im Wege der Umdeutung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG) als unzulässig ablehnen durfte, fehlt es auch an einer Grundlage für die ferner verfügte Ablehnung einer Änderung des Erstbescheids bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG und die angeordneten Einreise- und Aufenthaltsverbote nach § 11 Abs. 7 und Abs. 1 AufenthG. Der Bescheid war mithin auch insoweit (Ziffern 2 bis 4) aufzuheben.
III.
60 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei gemäß § 83b AsylG.

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