Beschluss vom Verwaltungsgericht Gelsenkirchen - 6 L 62/20
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.
2. Der Streitwert wird auf 25.000,00 € festgesetzt.
1
G r ü n d e:
2Der Antrag der Antragstellerin,
3die sofortige Vollziehung der ihr von der Antragsgegnerin erteilten Genehmigung vom 30. Juli 2019 zur Fällung von ca. 80 Laubbäumen anzuordnen,
4hat keinen Erfolg. Er ist zulässig, aber unbegründet.
5Der Antrag ist nach § 80a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 2 Nr. 4 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) statthaft. Gemäß § 80a Abs. 3 VwGO kann das Gericht auf Antrag Maßnahmen nach § 80a Abs. 1 und Abs. 2 VwGO ändern oder aufheben oder selbst solche Maßnahmen treffen. Für den Fall, dass ein Dritter einen Rechtsbehelf gegen den an einen anderen gerichteten, diesen begünstigenden Verwaltungsakt einlegt, sieht § 80a Abs. 1 Nr. 1 VwGO einen Antrag des Begünstigten auf Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO vor. Einen solchen Antrag kann die Antragstellerin vorliegend stellen, weil der Beigeladene als Dritter Klage gegen die an die Antragstellerin gerichtete Fällgenehmigung erhoben hat (Az. 6 K 4412/19).
6Der Antragstellerin fehlt es auch nicht an dem erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis. Vor allem bedurfte es im vorliegenden Fall nicht eines vorhergehenden Antrags bei der Antragsgegnerin. Gemäß § 80a Abs. 3 Satz 2 VwGO gilt § 80 Abs. 5 bis 8 VwGO für die Anträge nach § 80a VwGO entsprechend. Gemäß § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO ist ein vorheriger Antrag bei der Behörde hingegen nur in den Fällen des § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO erforderlich, also wenn es um die Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten geht. Diese Einschränkung gilt auch für die Fälle des § 80a Abs. 3 VwGO.
7Vgl. Puttler, in: Sodan/Ziekow (Hrsg.), VwGO, 5. Auflage 2018, § 80a Rdnr. 16 ff. m.w.N. (auch zur Gegenansicht).
8Der Antrag hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
9Die Anordnung der sofortigen Vollziehung durch das Gericht ist angezeigt, wenn hierfür ein öffentliches Interesse oder ein überwiegendes Interesse eines Beteiligten besteht (§ 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO). Hierfür ist eine Abwägung der Interessen an der sofortigen Vollziehung des angegriffenen Verwaltungsakts mit dem Interesse des Dritten an der aufschiebenden Wirkung des von ihm erhobenen Rechtsbehelfs erforderlich. Diese orientiert sich in erster Linie an den Erfolgsaussichten des erhobenen Rechtsbehelfs in der Hauptsache, wobei der Prüfungsumfang auf Rechtsverletzungen beschränkt ist, die von dem Dritten geltend gemacht werden können.
10Gemessen an diesen Maßstäben überwiegt vorliegend das Aussetzungsinteresse des Beigeladenen, denn nach summarischer Prüfung spricht vieles dafür, dass die von ihm erhobene Klage überwiegend Erfolg haben wird und im Übrigen jedenfalls kein Interesse an der Anordnung der sofortigen Vollziehung der Fällgenehmigung besteht.
111.
12Die gegen die am 30. Juli 2019 erteilte Fällgenehmigung erhobene Klage des Beigeladenen erweist sich nach summarischer Prüfung als zulässig. Insbesondere dürfte der Beigeladene klagebefugt sein.
13a)
14Die Befugnis des Beigeladenen als nach § 3 Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz (UmwRG) anerkannter Naturschutzvereinigung, gegen die Genehmigung zu klagen, ergibt sich aus § 2 Abs. 1 i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 UmwRG.
15Gemäß § 2 Abs. 1 UmwRG kann eine anerkannte Vereinigung unter gewissen Voraussetzungen Rechtsbehelfe nach Maßgabe der Verwaltungsgerichtsordnung gegen eine Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 UmwRG oder deren Unterlassen einlegen. Die Erteilung der Fällgenehmigung ist eine Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 UmwRG. Die Vorschrift setzt einen Verwaltungsakt oder einen öffentlich-rechtlichen Vertrag voraus, durch den ein anderes als die in § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 2b UmwRG genannten Vorhaben unter Anwendung umweltbezogener Rechtsvorschriften des Bundesrechts, des Landesrechts oder unmittelbar geltender Rechtsakte der Europäischen Union zugelassen wird.
16Bei der erteilten Fällgenehmigung handelt es sich um einen Verwaltungsakt, durch den ein Vorhaben im vorgenannten Sinne zugelassen wird. Der Vorhabenbegriff entspricht der Begriffsbestimmung in § 2 Abs. 4 Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG), allerdings ohne die Bezugnahme auf die Anlage 1 zum UVPG.
17Vgl. Gesetzesbegründung, BT-Drs. 18/9526 vom 5. September 2016, S. 36; BVerwG, Urteil vom 2. November 2017 - 7 C 25/15 -, Juris.
18Erfasst sind daher unter anderem die Errichtung und der Betrieb einer technischen Anlage, der Bau einer sonstigen Anlage oder die Durchführung einer sonstigen in Natur und Landschaft eingreifenden Maßnahme. Hinsichtlich der zuletzt genannten Alternative dürfte eine Einschränkung auf an einem bestimmten Ort unmittelbar eingreifende Maßnahmen geboten sein.
19Vgl. VG Schleswig, Urteil vom 13. Dezember 2017 - 3 A 30/17 -; VG Düsseldorf, Urteil vom 24. Januar 2018 - 6 K 12341/17 -, jeweils Juris.
20Dass auch diese Tatbestandsalternative nur die Zulassung von „Anlagen“ erfasst,
21so wohl Schlacke, NVwZ 2019, 1392 (1399),
22vermag die Kammer dem Gesetz aber nicht zu entnehmen.
23Da das Ziel der Neufassung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes die vollständige Umsetzung von Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens vom 25. Juni 1998 über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten (Aarhus-Konvention) gewesen ist,
24vgl. hierzu Gesetzesbegründung, BT-Drs. 18/9526 vom 5. September 2016, S. 32,
25ist der Anwendungsbereich der Vorschrift im Übrigen weit auszulegen. Ein Eingriff von Maßnahmen in Natur und Landschaft ist vor diesem Hintergrund jedenfalls dann anzunehmen, wenn dadurch zugleich ein Eingriff im Sinne von § 14 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) vorliegt.
26So Fellenberg/Schille, in: Landmann/Rohmer (Hrsg.), UmweltR, Stand: Juni 2019, § 1 UmwRG Rdnr. 108; Appold, in: Hoppe/Beckmann/Kment (Hrsg.), UVPG/UmwRG, 5. Auflage 2018, § 2 UVPG, Rdnr. 90.
27Gemäß § 14 BNatSchG sind Eingriffe in Natur und Landschaft Veränderungen der Gestalt oder Nutzung von Grundflächen oder Veränderungen des mit der belebten Bodenschicht in Verbindung stehenden Grundwasserspiegels, die die Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts oder das Landschaftsbild erheblich beeinträchtigen können. Von einem Eingriff in diesem Sinne ist im vorliegenden Fall bei summarischer Prüfung auszugehen. Die mit dem Fällen der Bäume einhergehende Veränderung der Gestalt der Grundfläche, die auch den Pflanzbestand umfasst, ist geeignet, die Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushaltes erheblich zu beeinträchtigen. Der Naturhaushalt umfasst die Naturgüter Boden, Wasser, Luft, Klima, Tiere und Pflanzen sowie das Wirkungsgefüge zwischen ihnen (§ 7 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG). Vorliegend ist aufgrund des Ausmaßes der Rodungsmaßnahmen sowie auch in Anbetracht der im Rahmen des Landschaftspflegerischen Fachbeitrags zum Bebauungsplan Nr. 00 festgestellten ökologischen Werthaltigkeit des Baumbestandes von einer solchen erheblichen Beeinträchtigung auszugehen. Im Plangebiet stehen die Bäume in Teilen sehr dicht und es besteht überwiegend ein Kronenschluss. Für die Bäume wurde bei der Ermittlung des Biotopwertes ein Wertfaktor für lebensraumtypische Laubbäume mittleren Alters von sechs Punkten pro Quadratmeter zugrunde gelegt. Der im Bereich des Friedhofs befindliche Baumbestand wird als strukturreicher alter Baumbestand bezeichnet und der bewaldeten Friedhofsfläche wird ebenfalls ein Wertfaktor von sechs Punkten zugeordnet, wobei die Werteskala der verwendeten Biotopwertliste von minus zwei bis zehn Punkte reicht. Dabei weisen viele der in diesem Bereich stehenden Bäume einen Kronenumfang von mehr als 15 Metern und einen Stammumfang von bis zu zwei Metern auf.
28Ferner waren bei der Zulassungsentscheidung auch umweltbezogene Vorschriften des Landesrechts im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 UmwRG anzuwenden. Von diesem Tatbestand erfasst sind grundsätzlich auch untergesetzliche Vorschriften.
29So Fellenberg/Schille, in: Landmann/Rohmer (Hrsg.), UmweltR, Stand: Juni 2019, § 1 UmwRG Rdnr. 113; Bunge, UmwRG, 2. Auflage 2019, § 1 Rdnr. 201.
30Ob es sich bei den Normen einer kommunalen Baumschutzsatzung um Vorschriften des Landesrechts in diesem Sinne handelt, ist allerdings umstritten. Die Ansicht der Antragstellerin und der Antragsgegnerin, bei kommunalen Satzungen handele es sich nicht um Landesrecht,
31so wohl auch Schlacke, NVwZ 2019, 1392 (1399); Bunge, UmwRG, 2. Auflage 2019, § 1 Rdnr. 145 und VGH München, Beschluss vom 11. April 2018 - 2 CS 18.198 -, Juris,
32teilt die Kammer nicht.
33Vgl. auch Michl, NuR 2018, 845 (846); Remmert, VBlBW 2019, 181 (183), und Marquard, NVwZ 2019, 1162 (1163).
34Zunächst einmal lässt der Wortlaut der Vorschrift nicht darauf schließen, dass ausschließlich solche Vorschriften erfasst sein sollen, die unmittelbar vom Landesgesetzgeber erlassen wurden. Zwar werden Satzungen teilweise als „autonomes Recht“ dem staatlichen Recht gegenüberstellt, um zu betonen, dass sie von Selbstverwaltungskörperschaften erlassen wurden. Dennoch sind auch Satzungen – je nach Zuordnung der erlassenden Körperschaft – entweder als Landes- oder als Bundesrecht zu qualifizieren. Die Gemeinden stellen keine dritte Ebene im Staatsaufbau dar, sondern sie sind Träger der mittelbaren Landesverwaltung und leiten ihre Rechtsetzungsbefugnis vom Land ab.
35Vgl. nur Dietlein/Hellermann, Öffentliches Recht in Nordrhein-Westfalen, 7. Auflage 2019, § 2 Rdnr. 4 f.
36Wenn also, wie im vorliegenden Fall, eine Satzung von der Gemeinde erlassen wurde, stellt diese schon wegen der Ableitung ihrer Hoheitsrechte von dem Land „Landesrecht“ dar. Hinzu kommt, dass auch Art. 9 Abs. 3 Aarhus-Konvention, dessen Umsetzung in Bundesrecht bei der Gesetzesänderung beabsichtigt gewesen ist, eine solche Differenzierung zwischen den unmittelbar vom Landesgesetzgeber erlassenen und den von den Kommunen erlassenen Vorschriften nicht vorsieht. Dort ist vielmehr ganz allgemein von „umweltbezogenen Vorschriften“ bzw. von „national law“ die Rede. Ferner spricht gegen eine entsprechende Differenzierung, dass die Unterschutzstellung von geschützten Landschaftsbestandteilen in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich gehandhabt wird. Die Wahl der Rechtsform richtet sich nach dem jeweiligen Landesrecht und folgt aus der Zuständigkeitsverteilung zwischen den Landesbehörden und den Kommunen. Das Landesnaturschutzrecht sieht überwiegend den Erlass von Rechtsverordnungen vor. Der Erlass von Satzungen, wie vor allem im Baumschutzrecht und in Nordrhein-Westfalen auch darüber hinaus, stellt die Ausnahme dar.
37Vgl. hierzu Meßerschmidt, BNatSchG, Stand: August 2017, § 22 Rdnr. 8.
38Nach alledem erscheint eine Ausklammerung von kommunalen Satzungen fernliegend und nicht systemkonform. Ein Grund für eine unterschiedliche Behandlung der in Rede stehenden Rechtsquellen im Rahmen des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes ist nicht ersichtlich.
39Die einschlägigen Regelungen der Baumschutzsatzung der Antragsgegnerin vom 12. März 1998 in der Fassung der 6. Änderungsfassung vom 29. November 2018 (im Folgenden BSS) sind darüber hinaus auch als Vorschriften mit Umweltbezug zu klassifizieren. Der Begriff der umweltbezogenen Vorschriften wird in § 1 Abs. 4 UmwRG konkretisiert. Danach handelt es sich bei umweltbezogenen Rechtsvorschriften um Bestimmungen, die sich zum Schutz von Mensch und Umwelt auf den Zustand von Umweltbestandteilen im Sinne von § 2 Abs. 3 Nummer 1 oder auf Faktoren im Sinne von § 2 Abs. 3 Nummer 2 des Umweltinformationsgesetzes (UIG) beziehen. Zu den Umweltbestandteilen zählen demnach insbesondere die Luft und die Atmosphäre, der Boden, die Landschaft und die natürlichen Lebensräume, die Artenvielfalt und ihre Bestandteile, sowie die Wechselwirkungen zwischen diesen Bestandteilen. Der Anwendungsbereich ist nicht auf Vorschriften beschränkt, in denen ausdrücklich der Begriff „Umwelt“ verwandt wird.
40Vgl. hierzu BT-Drs. 18/9526 vom 5. September 2016, S. 32.
41Die für den vorliegenden Sachverhalt zentralen §§ 4 und 6 BSS dienen in Umsetzung der Schutzzwecke der Baumschutzsatzung dazu, den Baumbestand innerhalb ihres Geltungsbereichs zu schützen und die darin liegende Beschränkung des Grundeigentums näher auszugestalten. Der Umweltbezug liegt auf der Hand.
42Das Fehlen eines Umweltbezuges kann – entgegen der Ansicht der Antragstellerin – auch nicht damit begründet werden, im Rahmen der Erteilung der Ausnahmegenehmigung werde nur darauf abgestellt, ob es einen wirksamen Bebauungsplan gebe. Anders als bei der Erteilung einer Baugenehmigung nach § 30 Abs. 1 BauGB, bei der die von der Antragstellerin zitierte Rechtsprechung davon ausgeht, dass auf Ebene der Baugenehmigungserteilung ausschließlich die Vereinbarkeit des Vorhabens mit dem Bebauungsplan zu prüfen sei und dieser seinerseits keine umweltbezogene Rechtsvorschrift darstelle,
43VGH München, Beschluss vom 11. April 2018 - 2 CS 18.198 -, VG Augsburg, Beschluss vom 26. April 2018 - Au 4 S 18.281 -, jeweils Juris; kritisch dazu u.a. OVG NRW, Beschluss vom 20. Mai 2019 - 2 B 1649/18 -, Juris (Rdnr. 6 f.); Michl, NuR 2018, 845 (846),
44sind vorliegend bereits die unmittelbar anzuwendenden Vorschriften der Baumschutzsatzung selbst solche mit Umweltbezug. Ihre Anwendbarkeit setzt unter anderem voraus, dass der jeweilige Baum dem Schutzbereich der Satzung unterfällt und damit Teil eines geschützten Landschaftsbestandteils ist, der von den in § 4 BSS enthaltenen Verboten umfasst ist. Die Baumschutzsatzung beruht zudem auf § 29 BNatSchG und § 49 Landesnaturschutzgesetz (LNatSchG) NRW, die zweifellos einen Umweltbezug aufweisen.
45Schließlich macht der Beigeladene im Hauptsacheverfahren auch geltend, dass die Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 UmwRG Rechtsvorschriften widerspricht, die für die Entscheidung von Bedeutung sein können und insoweit in seinem satzungsmäßigem Aufgabenbereich der Förderung des Umweltschutzes berührt zu sein (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 UmwRG). Ferner macht der Beigeladene mit seinem Vortrag, die Fällgenehmigung verstoße mangels Vorliegens der Voraussetzungen des Ausnahmetatbestandes gegen § 4 Abs. 1 BSS, die Verletzung umweltbezogener Rechtsvorschriften geltend (§ 2 Abs. 1 Satz 2 UmwRG).
46b)
47Die Befugnis, gegen die erteilte Fällgenehmigung zu klagen, dürfte sich unabhängig davon auch aus § 68 LNatSchG NRW i.V.m. § 64 Abs. 3 BNatSchG ergeben.
48Gemäß § 68 LNatSchG NRW können anerkannte Naturschutzvereinigungen unter den in § 64 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 und Abs. 2 des BNatSchG genannten Voraussetzungen Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen nach § 66 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 8 und Nr. 10 LNatSchG NRW einlegen, soweit Verfahren zur Ausführung von landesrechtlichen Vorschriften betroffen sind. Voraussetzung hierfür ist, dass die Naturschutzvereinigung zur Mitwirkung nach § 66 LNatSchG NRW berechtigt war und sich hierbei entweder in der Sache geäußert hat oder ihr keine Gelegenheit zur Äußerung gegeben worden ist.
49Bei der erteilten Fällgenehmigung handelt es sich um eine Entscheidung nach § 66 Abs. 1 Nr. 3 lit. a) LNatSchG NRW, bei der der Beigeladene als eine vom Land anerkannte Naturschutzvereinigung zur Mitwirkung berechtigt gewesen wäre. Die Vorschrift sieht vor, dass den Vereinigungen vor der Erteilung von Befreiungen und wesentlichen Ausnahmen von den Geboten und Verboten zum Schutz von geschützten Landschaftsbestandteilen Gelegenheit zur Stellungnahme und zur Einsicht in die einschlägigen Sachverständigengutachten zu geben ist. Bei dem durch die Baumschutzsatzung geschützten Baumbestand handelt es sich um einen solchen geschützten Landschaftsbestandteil im Sinne von §§ 20 Abs. 2 Nr. 7, 29 Satz 2 BNatSchG bzw. § 49 LNatSchG NRW.
50Vgl. auch Dreier, in: Hoppenberg/de Witt (Hrsg.), Handbuch des öffentlichen Baurechts, Teil E, Rdnr. 322.
51Bei der auf Grundlage der Baumschutzsatzung erteilten Ausnahmegenehmigung für insgesamt ca. 80 Bäume handelt es sich aufgrund des Umfangs auch um eine wesentliche Ausnahme im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 3 lit. a) LNatSchG NRW. Als wesentlich sind nach der Gesetzesbegründung zu § 68 LNatSchG NRW solche Ausnahmen einzustufen, die Schutzzweckrelevanz besitzen.
52Vgl. hierzu LT-Drs. 16/11154 vom 17. Februar 2016, S. 178.
53Hierbei ist zu berücksichtigen, dass es bei der Einführung des § 68 LNatSchG NRW nicht Absicht des Gesetzgebers war, Naturschutzvereinigungen bei jeder naturschutzrechtlich irgendwie relevanten Maßnahme Beteiligungsrechte und Rechtsbehelfsmöglichkeiten einzuräumen, sondern nur bei solchen mit hinreichendem Gewicht für Natur und Landschaft. Bei den in § 66 Abs. 1 LNatSchG NRW vorgesehenen Mitwirkungsrechten handelt es sich daher jeweils um Maßnahmen mit einiger Bedeutung für Natur und Landschaft und zwar, weil sie qualitativ und/oder quantitativ bedeutsame Bereiche mit möglicherweise erheblichen Auswirkungen auf Natur und Landschaft betreffen.
54Vgl. hierzu OVG NRW, Beschluss vom 8. März 2019 - 8 B 1651/18 -, Juris, mit Verweis auf die in der Gesetzesbegründung zu § 66 LNatSchG NRW verwendeten Formulierungen wie „in wichtigen […] Fällen“, „besondere Bedeutung für den Naturschutz“, „wesentliche Ausnahmen“, „wirken sich grundsätzlich auf den Naturhaushalt oder/und das Landschaftsbild aus“.
55Gemessen an diesen Anforderungen ist die angegriffene Fällgenehmigung eine wesentliche Ausnahme von der Baumschutzsatzung im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 lit. a) LNatSchG NRW, die deren Schutzzweck in relevanter Weise berührt. Die in § 29 Abs. 1 BNatSchG für geschützte Landschaftsbestandteile vorgesehenen Schutzzwecke werden in § 1 BSS dahingehend konkretisiert, dass durch die Satzung der Baumbestand im Stadtgebiet der Antragsgegnerin zur Sicherstellung der Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts, zur Gestaltung, Gliederung und Pflege des Orts- und Landschaftsbildes sowie zur Sicherung der Naherholung, zur Abwehr schädlicher Einwirkungen auf den Menschen und auf Stadtbiotope, zur Erhaltung oder Verbesserung des Stadtklimas und zur Erhaltung eines artenreichen Baumbestandes gegen schädliche Einwirkungen geschützt werden soll. Die erteilte Genehmigung umfasst das Fällen von ca. 80 Bäumen, die durch die Baumschutzsatzung einem besonderen Schutz unterworfen wurden, in einem durch Bebauungsplan neu ausgewiesenen Wohngebiet. Mit der vollständigen Beseitigung der Bäume kann aufgrund der Anzahl der Bäume und deren ökologischer Werthaltigkeit vor allem ein nicht unerheblicher Eingriff in die Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes einhergehen und es sind schädliche Einwirkungen auf das bestehende Biotop zu erwarten. Der auf der Fläche insgesamt befindliche Baumbestand wurde im Zusammenhang mit der Erstellung des Bebauungsplans Nr. 00 „X. an der F. “ – wie oben bereits ausgeführt – kartiert und bewertet. Anhand des Landschaftspflegerischen Fachbeitrags zum Bebauungsplan lässt sich ein Eindruck von dem ökologischen Wert des auf der überplanten Fläche aufstehenden Baumbestandes gewinnen, wobei zu berücksichtigen ist, dass nicht jeder auf der Fläche aufstehende Baum von der Baumschutzsatzung umfasst ist. In der Anlage 3 zum Fachbeitrag wird aufgeführt, wie der im Zusammenhang mit der Bebauung einhergehende Eingriff in den vorhandenen Baumbestand zu bewerten ist. Die Anlage bezieht sich sowohl auf die zuvor unbeplante Fläche („Baumbestand“) als auch auf die gesamte Fläche in dem Geltungsbereich des ursprünglichen Bebauungsplans Nr. 54, die nunmehr bebaut werden soll („Öffentliche Grünfläche - Zweckbestimmung Friedhof - Teilflächen des BP Nr. 54 -“). Der Beigeladene war nach alledem zur Mitwirkung berechtigt.
56Aus den vorgenannten Gründen sind bei der Umsetzung der Fällgenehmigung auch nicht nur geringfügige Auswirkungen auf Natur und Landschaft zu erwarten, sodass vorliegend nicht ausnahmsweise von einer Beteiligung des Beigeladenen gemäß § 66 Abs. 2 LNatSchG NRW abgesehen werden konnte.
57Der Beigeladene hat darüber hinaus auch geltend gemacht, dass die Entscheidung dem Naturschutzrecht der Länder widerspricht (§ 64 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG). Denn er beruft sich darauf, dass die Ausnahmegenehmigung nach § 6 Abs. 1 lit. b) BSS unter anderem wegen der Unwirksamkeit des Bebauungsplans nicht hätte erteilt werden dürfen und somit gegen § 4 BSS, wonach es im Geltungsbereich verboten ist, geschützte Bäume zu entfernen, verstößt. Bei dieser Vorschrift handelt es sich um eine naturschutzrechtliche Vorschrift des Landes im Sinne von § 64 BNatSchG. Insoweit ist unerheblich, dass es sich bei der Baumschutzsatzung nicht um ein formelles Gesetz,
58vgl. hierzu u.a. Leppin, in: Lütkes/Ewer (Hrsg.), BNatSchG, 2. Auflage 2018, § 64 Rdnr. 26,
59und dass es sich um eine von der Gemeinde und nicht unmittelbar vom Landesgesetzgeber erlassene Rechtsvorschrift handelt.
60Siehe zur Einordnung gemeindlichen Satzungsrechts als Recht des Landes oben unter a).
61Ferner macht der Beigeladene geltend, in seinem satzungsgemäßen Aufgaben- und Tätigkeitsbereich berührt zu werden (§ 64 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG i.V.m. § 68 LNatSchG NRW). Dem von ihm vorgelegten Anerkennungsbescheid vom 22. Januar 2009 lässt sich entnehmen, dass Zweck der Vereinigung der Schutz und die Pflege von Natur und naturgemäßer Umwelt zur Erhaltung und Wiederherstellung der naturbedingten Einheit von Leben und Umwelt ist. Seine Bemühungen gelten u.a. den noch verbliebenen Naturlandschaften und naturnahen Landschaften, einer ökologischen Gestaltung der Kulturlandschaft und naturnaher Erholungslandschaften, den natürlichen Bodenformen, schutzwürdigen Einzelobjekten, der einheimischen Tier- und Pflanzenwelt, der Förderung des Tierschutzes, der Bodengesundheit, der Reinhaltung von Wasser und Luft, der Lärmminderung sowie gesunder Lebensbedingungen, u.a. im Wohn-, Arbeits- und Ernährungsbereich.
622.
63Die demnach wohl zulässige Klage des Beigeladenen auf Aufhebung der nach § 6 Abs. 1 lit. b) BSS erteilten Ausnahmegenehmigung ist nach summarischer Prüfung auch im überwiegenden Umfang begründet. Die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 6 Abs. 1 lit. b) BSS ist rechtswidrig, weil sich der Bebauungsplan Nr. 00 als unwirksam erweist und die Genehmigung auch nicht aus anderen Gründen von der Antragsgegnerin hätte erteilt werden dürfen.
64Gemäß § 6 Abs. 1 lit. b) BSS ist eine Ausnahmegenehmigung für von der Baumschutzsatzung erfasste Bäume zu erteilen, wenn eine nach den öffentlich-rechtlichen Vorschriften zulässige Nutzung sonst nicht oder nur unter wesentlichen Beschränkungen verwirklicht werden kann. Nach dem von der Antragsgegnerin erlassenen Bebauungsplan Nr. 00 ist zwar auf der Fläche eine bauliche Nutzung vorgesehen, zu deren Umsetzung es einer erheblichen Aufschüttung des Plangebietes und der Fällung des von der Genehmigung umfassten Baumbestandes bedarf. Der Bebauungsplan Nr. 00 erweist sich nach summarischer Prüfung jedoch als unwirksam.
65Nach ständiger Rechtsprechung kann in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zwar grundsätzlich von der Wirksamkeit eines Bebauungsplans oder sonstiger Satzungen ausgegangen werden. Dies gilt jedoch nicht, wenn diese an offensichtlichen und durchgreifenden Mängeln leiden, die zu ihrer Unwirksamkeit führen.
66Vgl. hierzu OVG NRW, Beschlüsse vom 19. November 2019 - 15 B 1338/19 -, vom 21. Dezember 2006 - 7 B 2193/06 -, vom 19. Januar 2009 - 10 B 1687/08 -, vom 27. November 2009 - 8 B 1549/09.AK -, und vom 20. Mai 2019 - 2 B 1649/18 -, jeweils Juris.
67Die gebotene Prüfungstiefe hängt dabei im Übrigen vor dem Hintergrund des Gebots, effektiven Rechtsschutz zu gewähren, auch davon ab, inwieweit die Annahme der Wirksamkeit der Satzung zu schwerwiegenden und irreparablen Folgen führen kann.
68Der Bebauungsplan Nr. 00 weist einen offensichtlichen und durchgreifenden Mangel auf. Der Plan ist unter Verstoß gegen § 3 Abs. 2 Baugesetzbuch (BauGB) zustande gekommen. § 3 Abs. 2 Satz 1 BauGB sieht vor, dass die Entwürfe der Bauleitpläne mit der Begründung und den nach Einschätzung der Gemeinde wesentlichen, bereits vorliegenden umweltbezogenen Stellungnahmen für die Dauer eines Monats auszulegen sind. Die öffentliche Auslegung des Planentwurfs ist öffentlich bekannt zu machen. Die öffentliche Bekanntmachung darf keine Zusätze oder Einschränkungen enthalten, die geeignet sein könnten, auch nur einzelne an der Bauleitplanung interessierte Bürger von Stellungnahmen zu der Planung abzuhalten.
69Vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. Mai 2013 - 4 BN 28.13 -, Juris.
70Die öffentliche Bekanntmachung der Antragsgegnerin vom 7. Dezember 2018 enthielt jedoch einen solchen Zusatz. Dort hat die Antragsgegnerin ausgeführt, Stellungnahmen könnten während der Auslegungsfrist „schriftlich oder mündlich zur Niederschrift“ abgegeben werden. Diese Formulierung ist geeignet, einzelne Bürger von einer Beteiligung im Aufstellungsverfahren abzuhalten.
71§ 3 Abs. 2 BauGB schreibt diese Form nicht vor, sodass zum Beispiel (entgegen dem Text der im Internet veröffentlichten Auslegungsbekanntmachung zum Bebauungsplan Nr. 00) auch eine Stellungnahme per E-Mail zulässig ist. Die ältere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts,
72vgl. Beschluss vom 28. Januar 1997 - 4 NB 39.96 -, Juris,
73wonach die Formulierung, Bedenken und Anregungen könnten „schriftlich oder zur Niederschrift“ vorgetragen werden, nicht dem Gesetz widerspreche, weil es notwendig sei, dass die Argumente, die für oder gegen eine Überarbeitung der Bauleitplanung sprächen, schriftlich niedergelegt würden, dürfte die Abgrenzung zu lediglich mündlich vorgetragenen Argumenten im Blick gehabt haben. Sie ist nach der neueren Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen wegen der inzwischen weit verbreiteten elektronischen Übertragungswege und des Umstandes, dass die ausgelegten Unterlagen auch im Internet eingesehen werden können, überholt.
74Vgl. OVG NRW, Urteile vom 21. Januar 2019 - 10 D 23/17.NE -, BauR 2019, 1410 ff., vom 14. März 2019 - 2 D 71/17.NE -, BauR 2019, 1418 ff. und vom 9. September 2019 - 10 D 36/17.NE -, BauR 2020, 226 ff.; siehe auch VG Minden, Urteil vom 11. Dezember 2019 - 11 K 1787/18 -, Juris (Rdnr. 52).
75Dieser Auffassung (auch des für die Antragsgegnerin zuständigen Normenkontrollsenats) schließt sich die erkennende Kammer an. Der Fehler ist auch gemäß § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB beachtlich. Die Reglung in § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 2. Halbsatz BauGB in der bis zum 12. Mai 2017 geltenden Fassung des BauGB, wonach eine Verletzung der Vorschriften über die Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung nach § 3 Abs. 2 BauGB und anderen Vorschriften unter anderem dann unbeachtlich war, wenn der Hinweis nach § 3 Abs. 2 Satz 2 2. Halbsatz BauGB gefehlt hat, ist auf den erst nach Aufhebung dieser Vorschrift erlassenen Bebauungsplan nicht mehr anzuwenden (vgl. § 233 Abs. 2 Satz 1 BauGB).
76Zum Anwendungsbereich von § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 2. Halbsatz BauGB a.F. vgl. unter anderem OVG, Urteil vom 21. Januar 2019 - 10 D 23/17.NE -, Juris.
77Angesichts der auf absehbare Zeit nicht reparablen Folgen, die eine Entfernung des in Rede stehenden Baumbestandes mit sich brächte, meint die Kammer, diesen Fehler nicht ignorieren zu dürfen. Die Fällgenehmigung hätte nicht auf der Grundlage des Bebauungsplans Nr. 00 erteilt werden dürfen.
78Zu prüfen war allerdings, ob die Fällgenehmigung auch bei Unwirksamkeit des Bebauungsplans Nr. 00 für einen Teil der Bäume oder für alle Bäume erteilt werden durfte bzw. musste. Dies ist indessen nicht der Fall. Für einen Großteil der von dem Bescheid erfassten Bäume ist die Baumschutzsatzung auch bei Unwirksamkeit des Bebauungsplans anwendbar, die Voraussetzungen für die Erteilung der Ausnahmegenehmigung liegen jedoch nicht vor. Dies betrifft einen kleineren Bereich am westlichen Rand des Plangebietes, der bei Unwirksamkeit des Bebauungsplans Nr. 00 dem unbeplanten Innenbereich zuzuordnen ist (a) und den Teil des Plangebietes, in dem der „alte“ Bebauungsplan Nr. 54 wieder auflebt (b). Für die übrige von dem Bebauungsplan Nr. 00 erfasste Fläche kommt eine Ausnahmegenehmigung nach der Baumschutzsatzung nicht in Betracht, weil es sich planungsrechtlich um Außenbereich handelt, in dem die Baumschutzsatzung nicht anwendbar ist (c).
79Dem sachlichen Anwendungsbereich der Baumschutzsatzung unterfällt gemäß § 2 Abs. 1 BSS nur der Baumbestand innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile und des Geltungsbereichs von Bebauungsplänen.
80a)
81Die Bäume, die südlich des Gebäudes X1.-------straße 260 auf dem Flurstück 436 aufstehen, sind wegen der Lage zwischen diesem Gebäude und dem Haus X1.-------straße 258 einem im Zusammenhang bebauten Ortsteil, also dem bauplanungsrechtlichen Innenbereich (§ 34 BauGB) zuzuordnen. Insoweit ist aber nicht ersichtlich, dass eine nach öffentlich-rechtlichen Vorschriften zulässige Nutzung dieses Grundstücks derzeit ohne Beseitigung der dort befindlichen Bäume nicht oder nur unter wesentlichen Beschränkungen verwirklicht werden kann, wie in § 6 Abs. 1 lit. b) BSS vorausgesetzt. Denn für ein entsprechendes Innenbereichsvorhaben sind konkrete Pläne nach Lage der Dinge nicht vorhanden.
82Die Fällgenehmigung verstößt insoweit gegen die Vorgaben des § 4 Abs. 1 BSS, der das in § 29 Abs. 2 BNatSchG vorgesehene Verbot der Beseitigung von geschützten Landschaftsbestandteilen, konkretisiert. Die Genehmigung verletzt damit auch von dem Beigeladenen in dem jeweiligen Verfahren nach dem Landesnaturschutzgesetz bzw. dem Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz rügefähige umweltbezogene Rechtsvorschriften, die seinen satzungsmäßigen Aufgaben- und Tätigkeitsbereich berühren, bzw. berührt solche Belange, die zu den Zielen gehören, die der Beigeladene nach seiner Satzung fördert (vgl. § 68 LNatSchG NRW i.V.m. § 64 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 BNatSchG und § 2 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UmwRG).
83b)
84Gleiches gilt im Ergebnis, soweit sich die Fällgenehmigung auf Bäume bezieht, die sich im Geltungsbereich des älteren Bebauungsplans Nr. 00 „G. I.---straße “ aus dem Jahr 1972 befinden. Dieser Bebauungsplan wurde im Jahr 1997 hinsichtlich eines Teilbereichs aufgehoben (dazu sogleich unter c), galt aber in den übrigen Teilbereichen fort. Ein Teil dieses verbliebenen Geltungsbereichs ist durch den Bebauungsplan Nr. 00 „überschrieben“ worden. Insoweit behalten die Festsetzungen aber bei Unwirksamkeit des Bebauungsplans Nr. 00 ihre Wirkung.
85Vgl. in diesem Zusammenhang BVerwG, Urteil vom 10. August 1990 - 4 C 3.90 -, Juris.
86Auch in diesem Bereich ist die Baumschutzsatzung also weiterhin grundsätzlich anwendbar.
87Der Bebauungsplan Nr. 00 setzt für den östlichen Teilbereich des Bebauungsplans Nr. 00, der an den G. angrenzt bzw. diesen teilweise überplant, eine Grünfläche fest. Hiervon umfasst sind vor allem das Flurstück 692, auf dem sich ein Großteil der von der Fällgenehmigung erfassten Bäume befindet und ein Teilbereich des Flurstücks 628, auf dem sich ausweislich der Begründung zum Bebauungsplan Nr. 00 eine vom Betriebshof des Friedhofes genutzte Lagerfläche befindet. Auf den im westlichen Bereich liegenden Flurstücken 55 und 56, die offenbar ebenfalls nicht von der Teilaufhebung im Jahr 1997 erfasst waren, ist hingegen eine Verkehrsfläche festgesetzt. Anhaltspunkte für die Unwirksamkeit dieses älteren Bebauungsplans sind weder geltend gemacht, noch sind solche für die Kammer bei summarischer Prüfung ersichtlich. Auch in diesen Bereichen scheidet die Erteilung einer Fällgenehmigung gemäß § 6 Abs. 1 lit. b) BSS aus, da nicht ersichtlich ist, dass eine nach öffentlich-rechtlichen Vorschriften zulässige Nutzung eine Beseitigung von Bäumen auf der festgesetzten Grünfläche bzw. auf der Verkehrsfläche erforderlich macht.
88Inwieweit die Baumschutzsatzung angesichts der Regelung in ihrem § 2 Abs. 4 auf den Teilbereich des Flurstücks 628 überhaupt anwendbar ist, ist fraglich. Gemäß § 2 Abs. 4 BSS unterliegen unter anderem die Bäume der städtischen Grünflächen und der Friedhöfe nach Maßgabe der Satzung der politischen Kontrolle der zuständigen Gremien. Der Teilbereich des Flurstücks steht im Eigentum der Antragsgegnerin und die Bäume gehören zur Friedhofsfläche bzw. sind nach der geplanten Aufgabe dieser Nutzung wohl jedenfalls als städtische Grünfläche zu qualifizieren. Einer Entscheidung dazu, ob § 2 Abs. 4 BSS dahingehend zu verstehen ist, dass unter diesen Umständen der dort befindliche Baumbestand nicht vom Anwendungsbereich der Satzung erfasst ist, bedarf es jedoch nicht. Denn auch für Bäume, die nicht von § 4 BSS erfasst sind, kann der Antrag auf Anordnung der sofortigen Vollziehung der erteilten Fällgenehmigung in der Sache keinen Erfolg haben (dazu unter c).
89c)
90Bei der übrigen von dem Bebauungsplan Nr. 00 erfassten Fläche handelt es sich infolge der Unwirksamkeit des Bebauungsplans um Außenbereich im Sinne von § 35 BauGB, auf den die Baumschutzsatzung nicht anwendbar ist. Dies betrifft vor allem alle östlich und nördlich des Gebäudes X1.-------straße 260 sowie die im östlichen Bereich des Flurstücks 723 und auf dem Flurstück 695 aufstehenden Bäume. Sie liegen weder innerhalb des Geltungsbereichs eines wirksamen Bebauungsplans – der frühere Bebauungsplan Nr. 00 ist hinsichtlich dieser Flächen bereits im Jahre 1997 aufgehoben worden –, noch innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB.
91Ein im Zusammenhang bebauter Ortsteil ist jede Bebauung im Gebiet einer Gemeinde, die – trotz vorhandener Baulücken – geschlossen und zusammengehörig wirkt, nach Zahl der vorhandenen Gebäude ein gewisses Gewicht hat und Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur ist. Dass ein Grundstück von zusammenhängender Bebauung umgeben ist, reicht allein nicht aus. Eine unbebaute Fläche ist – im Sinne einer Baulücke – nur Teil des Bebauungszusammenhangs, wenn sie von der angrenzenden zusammenhängenden Bebauung so stark geprägt wird, dass die Errichtung eines Gebäudes auf dieser Fläche als zwanglose Fortsetzung der vorhandenen Bebauung erscheint; diese Voraussetzung muss auch bei einer auf mehreren oder allen Seiten von zusammenhängender Bebauung umgebenen unbebauten Fläche erfüllt sein.
92Vgl. u.a. BVerwG, Beschlüsse vom 2. März 2000 - 4 B 15.00 - und vom 15. September 2005 - 4 BN 37/05 -, jeweils Juris.
93Ob eine unbebaute Fläche, die sich an einen Bebauungszusammenhang anschließt, diesen Zusammenhang bis zur nächsten Bebauung fortsetzt oder unterbricht, ist letztlich eine Frage des Einzelfalles, zu deren Beantwortung geographisch-mathematische Maßstäbe ungeeignet sind. Zur Beurteilung bedarf es vielmehr einer Wertung und Bewertung der gesamten konkreten örtlichen Verhältnisse nach den Maßstäben der Verkehrsauffassung.
94Vgl. u.a. BVerwG, Beschlüsse vom 15. September 2005 - 4 BN 37/05 - und vom 1. September 2010 - 4 B 21/10 -, Juris.
95Ausgehend von den vorgenannten Kriterien ist festzustellen, dass die Freifläche nach dem vorhandenen Karten- und Bildmaterial nicht an dem Eindruck geschlossener und zusammenhängender Bebauung teilhat. Die Größe einer Fläche ist zwar für sich genommen kein Merkmal, das die für die Annahme eines Bebauungszusammenhangs im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB vorausgesetzte Geschlossenheit von vornherein ausschließt. Jedoch ist die wachsende Größe Indiz dafür, dass ein Bebauungszusammenhang eher zu verneinen ist.
96Vgl. hierzu BVerwG, Beschlüsse vom 12. März 1999 - 4 B 112.98 - und vom 30. August 2019 - 4 B 8/19 -, Juris.
97Allein der Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 00, der fast ausschließlich derzeit unbebaute Grundstücke erfasst, umfasst eine Fläche von ca. 38.00 qm. Hinzu kommt, dass sich sowohl im nördlichen Bereich bis zur F. als auch im östlichen Bereich weitere unbebaute Freiflächen von erheblichem Umfang anschließen. Die gesamte Freifläche ist wegen ihrer enormen Größe und der kleinteiligen, die Freifläche nicht prägenden Umgebungsbebauung einer von der Umgebung gerade unabhängigen gesonderten städtebaulichen Entwicklung und Beplanung fähig. Sie stellt somit Außenbereich dar; die Baumschutzsatzung ist unanwendbar.
98Mangels Anwendbarkeit der Baumschutzsatzung geht die erteilte Fällgenehmigung in diesem Bereich ins Leere. Ob der Beigeladene im Hauptsacheverfahren dennoch auch insoweit ihre Aufhebung fordern kann, kann im vorliegenden Verfahren letztlich dahinstehen. Denn es ist jedenfalls nicht ersichtlich, welches Interesse an der Anordnung der sofortigen Vollziehung hinsichtlich der für diese Bäume erteilten Fällgenehmigung bestehen könnte. Für die Umsetzung der Rodungsmaßnahmen betreffend diese Bäume ist die erteilte, hier letztlich gegenstandlose Fällgenehmigung unbeachtlich. Vor diesem Hintergrund ist kein Vollziehungsinteresse im Hinblick auf diesen Teil der Fällgenehmigung ersichtlich.
99Ob der Entfernung der Bäume in diesem Bereich bei Unwirksamkeit des Bebauungsplans und Unanwendbarkeit der Baumschutzsatzung andere naturschutzrechtliche Vorschriften entgegenstehen, fällt nicht in die Zuständigkeit der Antragsgegnerin, sondern in die der unteren Naturschutzbehörde.
1003.
101Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, der Antragstellerin auch die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen aufzuerlegen, da dieser einen Sachantrag gestellt und sich damit seinerseits gemäß § 154 Abs. 3 VwGO einem Kostenrisiko ausgesetzt hat.
102Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG und berücksichtigt die sich aus dem Antrag der Antragstellerin für sie ergebende Bedeutung der Sache.
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