Beschluss vom Verwaltungsgericht Greifswald (4. Kammer) - 4 B 1987/16 As HGW
Tenor
1. Dem Antragsteller wird für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt B., B-Straße, B-Stadt gewährt mit der Maßgabe, dass keine höheren Kosten erstattet werden als bei der Beauftragung eines Rechtsanwalts, der am Gerichtsort ansässig ist.
2. Die aufschiebende Wirkung der Klage – 4 A 1986/16 As HGW - vom 25.10.2016 gegen die unter Ziff. 5 des Bescheides der Antragsgegnerin vom 13.10.2016 verfügte Abschiebungsandrohung wird angeordnet. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
- 1
Dem Antragsteller war Prozesskostenhilfe zu bewilligen (§ 166 VwGO, § 114 ZPO), denn sein Antrag bietet aus nachstehenden Gründen hinreichende Aussicht auf Erfolg.
- 2
Der sinngemäße Antrag,
- 3
die aufschiebende Wirkung der Klage – 4 A 1986/16 As HGW - vom 25.10.2016 gegen die unter Ziff. 5 des Bescheides der Antragsgegnerin vom 13.10.2016 verfügte Abschiebungsandrohung anzuordnen,
- 4
hat Erfolg. Er ist zulässig und begründet.
- 5
Der Antragsteller begehrt mit dem vorliegenden Antrag die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 13.10.2016, mit dem die Anträge des Antragstellers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und auf Anerkennung als Asylberechtigter als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden sind.
- 6
Gegenstand des gerichtlichen Eilverfahrens ist gemäß § 36 Abs. 3 S. 1 Asylgesetz (AsylG) die unter Setzung einer Ausreisefrist von einer Woche (§ 36 Abs. 1 AsylG) ausgesprochene Abschiebungsandrohung. Die mit dieser Verwaltungsentscheidung beabsichtigte umgehende Beendigung des Aufenthalts im Bundesgebiet stützt sich auf die Ablehnung des Asylantrages als offensichtlich unbegründet und ist deren Folge. Das Gericht hat im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes daher auch die Einschätzung des Bundesamtes, dass der geltend gemachte Anspruch auf Asylanerkennung bzw. auf Feststellung der Flüchtlingseigenschaft offensichtlich nicht besteht, zum Gegenstand seiner Prüfung zu machen (BVerfG, Urteil vom 14.05.1996 – 2 BvR 1516/93, juris). Die Aussetzung der Abschiebung darf nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an dem Offensichtlichkeitsurteil oder an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung im Übrigen bestehen (§ 36 Abs. 4 S. 1 AsylG).
- 7
Ernstliche Zweifel liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Abschiebungsandrohung – insbesondere das Offensichtlichkeitsurteil des Bundesamtes – einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, aaO). Von einem Standhalten ist demnach auszugehen, wenn an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen und bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung sich die Abweisung geradezu aufdrängt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 05.02.1993 – 2 BvR 1294/92, juris, Rn. 15).
- 8
Gemessen an diesen Erwägungen bestehen an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung im Hinblick auf das Offensichtlichkeitsurteil ernstliche Zweifel.
- 9
Das Bundesamt hat sein Offensichtlichkeitsurteil im wesentlichen damit begründet, der Vortrag des Antragstellers genüge nicht den nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes erforderlichen Kriterien einer glaubhaften Darstellung eines Verfolgungsschicksals. Die Angaben des Antragstellers seien arm an Details, vage und oberflächlich geblieben. Zu beachten ist hier, dass im Asylverfahren des Antragstellers Anhörer und Entscheider nicht personenidentisch waren. Der Mitarbeiter des Bundesamtes, der über den Asylantrag entschieden und damit auch das Offensichtlichkeitsurteil gefällt hat, hat seinen Eindruck von der Glaubhaftigkeit des Vortrages allein aus dem Protokoll der Anhörung und dem sonstigen Inhalt des Verwaltungsvorganges der Antragsgegnerin entnehmen können.
- 10
Personenverschiedenheit zwischen Anhörer und Entscheider führen nicht schon per se zur Rechtswidrigkeit des Bescheides, eine der Vorschrift des § 112 VwGO entsprechende Regelung enthält das Asylgesetz nicht (so u.a. auch VG Aachen, Urteil vom 31.08. 2016 – 7 K 893/15.A -, juris, Rn. 49, VG Göttingen, Beschluss vom 17.08.2010 – 2 B 301/10 -, juris, Rn. 10).
- 11
Jedenfalls dann, wenn es auf die Glaubhaftigkeit der Angaben des Asylbewerbers in der Anhörung ankommt, kommt der Analyse der Aussagen des Antragstellers eine gesteigerte Bedeutung zu. Ob in diesen Fällen die Personenverschiedenheit von Anhörer und Entscheider bereits zur Rechtswidrigkeit der Entscheidung des Bundesamtes führt (so VG Göttingen, aaO, VG Frankfurt Beschluss vom 23.03.2000 - 4 L 167/00.A-, juris, Rn. 7), kann hier offenbleiben. Selbst wenn man dieses Vorgehen nicht generell für ausgeschlossen hält, ändert dies im konkreten Fall nichts an der Fehlerhaftigkeit des Offensichtlichkeitsurteils. Denn die erforderliche Aussageanalyse kann nur vorgenommen werden, wenn das Protokoll der Anhörung so abgefasst ist, dass allein durch die Lektüre des Protokolls der Anhörung eine Analyse der Angaben des Antragstellers auf ihre Glaubhaftigkeit hin möglich ist. Dazu gehören Angaben darüber, ob und in welcher Weise auf eine detailarme und/und oder oberflächliche Darstellung des Sachverhaltes durch den Antragsteller reagiert wurde, z. B. ob Nachfragen gestellt wurden oder ob der Antragsteller aufgefordert wurde, nähere Details zu seinem Sachvortrag zu ergänzen.
- 12
Vorliegend erfüllt das Protokoll diese Voraussetzungen nicht. Es enthält keine Angaben darüber, ob und wie der Anhörende auf die – nach der Ansicht des Entscheiders vorliegende – detailarme und oberflächliche Darstellung reagiert hat, sondern vielmehr nur die Fragen und Antworten zu dem die behauptete Verfolgungsfurcht auslösenden Sachverhalten. Es ist nicht auszuschließen, dass der Anhörer zu Nachfragen beim Antragsteller bzw. Anmerkungen zu dessen Aussageverhalten keinen Anlass gesehen hat, weil nach seinem persönlichen Eindruck keine Detailarmut vorlag und er ggf. die Angaben des Antragstellers für ausreichend gehalten hat. Dieses Risiko ist jedoch dem von der Antragsgegnerin gewählten Vorgehen – keine Personenidentität von Anhörer und Entscheider – immanent und geht zu ihren Lasten.
- 13
Vor diesem Hintergrund kann das Offensichtlichkeitsurteil der Antragsgegnerin keinen Bestand haben.
- 14
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
- 15
Das Verfahren ist gerichtskostenfrei (§ 83b AsylG).
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
- § 83b AsylG 1x (nicht zugeordnet)
- 4 A 1986/16 2x (nicht zugeordnet)
- § 36 Abs. 4 S. 1 AsylG 1x (nicht zugeordnet)
- § 36 Abs. 1 AsylG 1x (nicht zugeordnet)
- 4 L 167/00 1x (nicht zugeordnet)
- 2 B 301/10 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 166 1x
- VwGO § 154 1x
- 2 BvR 1516/93 1x (nicht zugeordnet)
- 2 BvR 1294/92 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 112 1x
- ZPO § 114 Voraussetzungen 1x
- 7 K 893/15 1x (nicht zugeordnet)