Beschluss vom Verwaltungsgericht Hamburg (15. Kammer) - 15 E 521/14
Tenor
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den von der Antragstellerin am 11. August 2013 freiwillig abgegebenen Führerschein (Listennummer F0...) wieder an diese herauszugeben. Sollte dieser Führerschein bereits vernichtet worden sein, hat die Antragsgegnerin der Antragstellerin einen Ersatzführerschein auszustellen und auszuhändigen.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens nach einem Streitwert in Höhe von 2.500,-- Euro.
Gründe
I.
- 1
Die Entscheidung ergeht gem. § 87a Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 VwGO durch den Berichterstatter anstelle der Kammer, da sich die Beteiligten hiermit in ihren Schriftsätzen vom 21. Februar bzw. 12. März 2014 einverstanden erklärt haben.
II.
- 2
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (§ 123 Abs. 1 VwGO) ist zulässig. Insbesondere ist dieser Antrag wirksam gestellt worden. Soweit das Gericht hieran mit Verfügung vom 8. April 2014 Zweifel geäußert hat, weil für die Antragstellerin eine Betreuung eingerichtet war und ihre Betreuerin Frau Rechtsanwältin ... die vorliegende Prozessführung bis dato nicht genehmigt hatte, sind diese Bedenken durch den ergänzenden Vortrag der Antragstellerin in ihrem Schriftsatz vom 15. April 2014 ausgeräumt worden. Zum einen hat Frau Rechtsanwältin ... mit Schreiben vom 10. April 2014 die Prozessführung nunmehr genehmigt. Zum anderen ist inzwischen die Betreuung mit Beschluss des Amtsgerichts Hamburg vom 8. April 2014 aufgehoben worden.
- 3
In der Sache führt der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zum Erfolg, weil die Antragstellerin das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs (dazu unten 1.) und eines Anordnungsgrundes (dazu unten 2.) glaubhaft gemacht hat (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
- 4
1. Der Anspruch der Antragstellerin auf Herausgabe ihres derzeit im Besitz der Antragsgegnerin befindlichen Führerscheins (bzw. auf Ausstellung und Aushändigung eines Ersatzführerscheins für den Fall, dass ihr Führerschein bereits vernichtet worden sein sollte) ergibt sich daraus, dass sie Inhaberin einer Fahrerlaubnis der Klasse CE/79 ist und als solche einen Anspruch darauf hat, dass ihr ein Führerschein ausgehändigt wird, der diese Fahrerlaubnis dokumentiert (s. § 22 Abs. 3 FeV). Dieser Anspruch besteht auch dann, wenn dem Fahrerlaubnisinhaber bereits ein Führerschein ausgehändigt worden ist, dieser dann aber – wie hier am 11. August 2013 – freiwillig bei der Polizei abgegeben wird. Wie die Regelung in § 25 Abs. 4 Satz 1 letzter Halbsatz FeV zeigt, würde der Anspruch des Fahrerlaubnisinhabers auf Wiederherausgabe des vorhandenen Führerscheins (bzw. auf Ausstellung und Aushändigung eines Ersatzführerscheins im Falle der Vernichtung des bisherigen Führerscheins) nur dann entfallen, wenn in der Abgabe des Führerscheins ein wirksamer Verzicht auf die Fahrerlaubnis zu sehen sein sollte. Dies ist im Falle der Antragstellerin jedoch nicht anzunehmen. Denn sie hat ausweislich des polizeilichen Berichts vom 11. August 2013 (Bl. 1 der Sachakte) auf der Polizeiwache lediglich erklärt, sie fühle sich „im Moment“ nicht imstande, sicher ein Fahrzeug zu führen. Sie hat nicht erklärt, sich für immer hierzu nicht imstande zu fühlen und deshalb auf die Fahrerlaubnis verzichten zu wollen. Die ihr von der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 21. August 2013 übersandte Verzichtserklärung (Bl. 4 f. der Sachakte) hat sie nicht unterzeichnet. Auch auf die nochmalige Übersendung einer Verzichtserklärung mit Schreiben vom 20. November 2013 (Bl. 18 der Sachakte) hat sie nicht den Verzicht auf die Fahrerlaubnis erklärt. Selbst wenn die Antragstellerin im Übrigen den Verzicht auf die Fahrerlaubnis erklärt hätte, wäre dieser Verzicht nicht wirksam, da zum damaligen Zeitpunkt noch für die Antragstellerin eine Betreuung eingerichtet war und somit ohne eine Genehmigung der Betreuerin Frau Rechtsanwältin ..., deren Aufgabenkreis u.a. die Vertretung gegenüber Behörden umfasste und die die Antragstellerin im Rahmen dieses Aufgabenkreises gerichtlich und außergerichtlich vertrat, eine solche Willenserklärung gegenüber der Antragsgegnerin gar nicht hätte abgegeben werden können.
- 5
Da ein Verzicht auf die Fahrerlaubnis somit nicht vorliegt, ist die Antragstellerin unzweifelhaft weiter Inhaberin der Fahrerlaubnis der Klasse CE/79. Dem steht auch nicht entgegen, dass die Antragsgegnerin ihr unter dem 20. Februar 2014 eine Anordnung zur Vorlage eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens eines Facharztes mit verkehrsmedizinischer Qualifikation zugesandt und ihr eine Frist zur Vorlage des Gutachtens bis zum 20. März 2014 gesetzt hat mit der Ankündigung, bei nicht fristgerechter Beibringung des Gutachtens die Fahrerlaubnis zu entziehen. Denn zum einen macht die Antragsgegnerin nicht geltend, dass sie der Antragstellerin entsprechend dieser Ankündigung zwischenzeitlich tatsächlich ihre Fahrerlaubnis entzogen hat. Zum anderen wäre sie hierzu auch gar nicht berechtigt, denn die Anordnung zur Vorlage eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens vom 20. Februar 2014 ist unwirksam, da sie der Antragstellerin persönlich und nicht ihrer Betreuerin zugestellt worden ist. Der Antragsgegnerin ist ausweislich ihrer Sachakte (Schreiben der Betreuerin vom 28. Oktober 2013 mit beigefügter Kopie des Betreuerausweises = Bl. 11 f. der Sachakte) die damalige Betreuung bekannt gegeben worden. Die Betreuerin hatte in ihrem Schreiben vom 28. Oktober 2013 auch ausdrücklich darum gebeten, weiteren Schriftwechsel an sie und nicht an die Antragstellerin zu richten. Gleichwohl hat die Antragsgegnerin die Anordnung vom 20. Februar 2014 an die Antragsteller persönlich mit Zustellungsurkunde (s. Bl. 40 f. der Sachakte) förmlich zugestellt. Ihren Prozessbevollmächtigten hat sie sie formlos zur Kenntnis gegeben (s. Bl. 43 f. der Sachakte). Der Betreuerin aber, deren Amt damals noch nicht aufgehoben worden war (dies ist erst mit Beschluss vom 8. April 2014 geschehen) und der somit seinerzeit die Anordnung zuzustellen war, hat sie die Anordnung noch nicht einmal formlos übersandt. Mangels wirksamer Anordnung zur Beibringung des Gutachtens wäre die Antragsgegnerin mithin nicht berechtigt, wegen der Nichtbeibringung des geforderten Gutachtens die Fahrerlaubnis der Antragstellerin zu entziehen.
- 6
2. Das Vorliegen eines Anordnungsgrundes hat die Antragstellerin ebenfalls glaubhaft gemacht. Sie ist nach den obigen Ausführungen weiterhin Inhaberin einer Fahrerlaubnis, verfügt jedoch nicht über ihren Führerschein, mit dem sie bei polizeilichen Kontrollen oder sonstigen Anlässen (z.B. bei der Anmietung eines Mietfahrzeugs) den Besitz der Fahrerlaubnis dokumentieren kann. Sollte sie im Straßenverkehr kontrolliert werden, wäre sie, weil sie keinen Führerschein vorweisen kann, vermutlich Strafverfolgungsmaßnahmen ausgesetzt. Aus diesem Grund ist ein Anordnungsgrund zu bejahen (vgl. VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 14.11.2012 – 7 L 1243/12 –, juris Rdnr. 15).
III.
- 7
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
- 8
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 52 Abs. 1 und 2 GKG.
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
- VwGO § 87a 1x
- VwGO § 123 2x
- ZPO § 920 Arrestgesuch 1x
- § 22 Abs. 3 FeV 1x (nicht zugeordnet)
- § 25 Abs. 4 Satz 1 letzter Halbsatz FeV 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 154 1x
- § 52 Abs. 1 und 2 GKG 1x (nicht zugeordnet)
- 7 L 1243/12 1x (nicht zugeordnet)