Beschluss vom Verwaltungsgericht Hamburg (2. Kammer) - 2 E 5/15
Tenor
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig von Januar 2015 bis zu einer bestandskräftigen oder klageabweisenden Entscheidung im Hauptsacheverfahren, längstens bis September 2015, Ausbildungsförderung für ihr Studium im Bachelorstudiengang Sozialökonomie an der Universität Hamburg nach Maßgabe des Bundesausbildungsförderungsgesetzes zu gewähren.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens trägt die Antragsgegnerin.
Gründe
I.
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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vom 2. Januar 2015 und der ausweislich der Vorlage einer Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse am 21. Januar 2015 darauf bezogene Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe werden nach §§ 122 Abs. 1, 88 VwGO dahingehend ausgelegt, wie es dem stattgebenden Entscheidungsausspruch entspricht. Das Begehren auf vorläufige Gewährung von Ausbildungsförderung ist auf den Zeitraum ab dem Monat der Entscheidung des Gerichts beschränkt. Einstweilige Anordnungen dienen der Behebung aktueller, d.h. gegenwärtig noch bestehender Notlagen und können grundsätzlich nur für die Gegenwart und Zukunft, nicht aber für im Zeitpunkt der Entscheidung bereits zurückliegende Zeiträume getroffen werden (OVG Hamburg, Beschl. v. 3.12.2012, 4 Bs 200/12; Beschl. v. 18.12.2006, 4 Bs 284/06). Nicht ersichtlich ist, dass die Antragstellerin mit ihrem Antrag darüber hinausgehen will.
II.
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Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Der Bewilligung von Prozesskostenhilfe bedarf es nicht, da sie für die Antragstellerin ohne Vorteil wäre. Die Wirkungen der Prozesskostenhilfe betreffen gemäß § 122 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 166 Abs. 1 VwGO allein die Gerichtskosten, die gemäß § 188 Satz 2 VwGO im vorliegenden Verfahren jedoch nicht anfallen, sowie die Kosten eines Rechtsanwalts, der jedoch nicht als Prozessbevollmächtigter bestellt ist.
III.
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Der zulässige Antrag, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin vorläufig von Januar 2015 bis zu einer bestandskräftigen oder klageabweisenden Entscheidung im Hauptsacheverfahren, längstens bis September 2015, Ausbildungsförderung für ihr Studium im Bachelorstudiengang Sozialökonomie an der Universität Hamburg nach Maßgabe des Bundesausbildungsförderungsgesetzes zu gewähren, hat auch in der Sache Erfolg. Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung hierfür ist, dass die Antragstellerin die Umstände glaubhaft macht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO), aufgrund derer sie dringend auf den Erlass einer einstweiligen Anordnung angewiesen ist (Anordnungsgrund) und aus denen sie in der Hauptsache einen Anspruch herleiten kann (Anordnungsanspruch). Sowohl Anordnungsgrund (1.) als auch Anordnungsanspruch (2.) sind gegeben:
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1. Ein Anordnungsgrund folgt aus der glaubhaft gemachten gegenwärtigen wirtschaftlichen Notlage. Die Antragstellerin ist dringend auf die Gewährung von Ausbildungsförderung angewiesen, da ihr die für den Lebensunterhalt und die Fortführung des Studiums erforderlichen Mittel nicht anderweitig zur Verfügung stehen. Die Antragstellerin hat glaubhaft gemacht, dass sie über keine hinreichenden Einkünfte und über keine nennenswerten Rücklagen verfügt. Die eigenen Einnahmen der Antragstellerin beschränken sich auf das Betreuungsgeld für ihr […]geborenes Kind in Höhe von monatlich 150,-- Euro. Ihr Ehemann bezieht für sich und die beiden Kinder Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch. Das Girokonto der Antragstellerin bei der A. wies zum 29. Dezember 2014 ein Guthaben von 8,83 Euro auf.
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2. Ein Anordnungsanspruch ist gegeben. Nach dem Erkenntnisstand des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes kann die Antragstellerin in der Hauptsache für ihr zum Wintersemester 2014/2015 aufgenommenes Studium im Bachelorstudiengang Sozialökonomie an der Universität Hamburg Ausbildungsförderung nach Maßgabe des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (i.d.F. der Bekanntmachung v. 7.12.2010, BGBl. I S. 1952, 2012 I S. 197, zuletzt geändert durch Gesetz v. 23.12.2014, BGBl. I S. 2475 – BAföG) beanspruchen.
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Gemäß § 1 BAföG besteht auf individuelle Ausbildungsförderung für eine der Neigung, Eignung und Leistung entsprechende Ausbildung ein Rechtsanspruch nach Maßgabe dieses Gesetzes, wenn dem Auszubildenden die für seinen Lebensunterhalt und seine Ausbildung erforderlichen Mittel anderweitig nicht zur Verfügung stehen. Die sachlichen und persönlichen Förderungsvoraussetzungen dürften erfüllt sein. Bei dem Studium im Bachelorstudiengang Sozialökonomie an der Universität Hamburg dürfte es sich angesichts der von der Antragstellerin in ihrem Herkunftsland Mazedonien abgeschlossenen Ausbildung um eine nach § 7 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 BAföG förderungsfähige andere Erstausbildung handeln (a)). Die Förderung dürfte nicht deshalb ausgeschlossen sein, weil die Antragstellerin bei Aufnahme der Ausbildung zum Wintersemester 2014/2015 bereits die Altersgrenze nach § 10 Abs. 3 Satz 1 BAföG überschritten hatte (b)).
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a) Der Förderung des an der Universität Hamburg aufgenommenen Studiums im Bachelorstudiengang Sozialökonomie steht nach dem Erkenntnisstand des Eilverfahrens nicht entgegen, dass die Antragstellerin bereits in Mazedonien eine Ausbildung abgeschlossen hat. Die sachlichen Förderungsvoraussetzungen einer anderen Erstausbildung gemäß § 7 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 BAföG dürften erfüllt sein. Die Antragstellerin dürfte ihren Grundanspruch auf Förderung einer Erstausbildung weder nach § 7 Abs. 1 Satz 1 BAföG wegen einer auch im Inland verwertbaren Berufsqualifikation (aa)) noch wegen einer auf das Ausland beschränkten Berufsqualifikation nach § 7 Abs. 1 Satz 2 BAföG (bb)) ausgeschöpft haben. Die Förderung einer anderen Ausbildung als der im Ausland absolvierten dürfte nach § 7 Abs. 3 BAföG eröffnet sein (cc)).
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aa) Der Grundanspruch auf Förderung einer Erstausbildung dürfte nicht nach § 7 Abs. 1 Satz 1 BAföG ausgeschöpft sein. Nach dieser Vorschrift wird Ausbildungsförderung für die weiterführende allgemeinbildende und zumindest für drei Schul- oder Studienjahre berufsbildender Ausbildung i.S.d. §§ 2, 3 BAföG bis zu einem daran anschließenden berufsqualifizierenden Abschluss geleistet.
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Die Antragstellerin hat nach einer Ausbildung von zumindest drei Studienjahren, von September 2001 bis Juni 2005, an der Hochschule B. in C., Mazedonien, und damit an einer Ausbildungsstätte i.S.d. §§ 2, 3 BAföG einen Abschluss erworben. Es fehlt jedoch an einem Abschluss, der im Inland berufsqualifizierend ist. Ausschlagend ist, ob der Auszubildende nach dem von ihm durchlaufenen Ausbildungsgang einen Ausbildungsstand erreicht hat, der ihm die Aufnahme eines Berufs ermöglicht (Ramsauer/Stallbaum, BAföG, 5. Aufl 2014, § 7 Rn. 26 f.).
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Der Abschluss ist zwar in Mazedonien berufsqualifizierend. Im Zeugnis vom 15. August 2005 (Bl. 20 der Förderungsakte) wird der Abschuss in albanischer, mazedonischer bzw. englischer Sprache mit „Jurist i Diplomuar“, „Diplomiran pravnik“ bzw. „Bachelor of Arts in Law“ bezeichnet. Der mazedonische Abschluss dürfte in Mazedonien zu dem entsprechenden Beruf befähigen, zu dem in Deutschland die erste Prüfung für Juristen befähigt. In der Datenbank des Sekretariats der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder, Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen wird ein Abschluss dieser Art mit „diplomierter Jurist“ übersetzt (http://anabin.kmk.org, abgerufen am 17.4.2013, Bl. 15 der Förderungsakte) und als entsprechender deutscher Abschlusstyp „Staatsprüfung (1.) Jura“ angegeben. Ausgehend von der Aufstellung der Studieninhalte vom 4. September 2007 (Bl. 21 der Förderungsakte) schloss die Ausbildung neben Sprachkursen in Albanisch, Mazedonisch, Englisch und Französisch Inhalte ein, die ihrer Bezeichnung nach dogmatische Kenntnissen und methodische Fertigkeiten vermittelt haben dürften, allerdings bezogen auf die mazedonische Rechtsordnung, wenngleich teilweise mit internationalen Bezügen, z.B. Mazedonische Sprache: Rechtsterminologie, Methodik des Rechts I und II, Rechtswesen I bis IV, Medienrecht, Familienrecht, Internationales Recht der Menschenrechte.
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Der in Mazedonien erworbene Abschluss ermöglicht jedoch nicht in Deutschland die Ausübung eines Berufs. Dies gilt zum einen hinsichtlich der juristischen Berufsbilder, die wie z.B. der Beruf des Rechtsanwalts, zu den in dem Sinne reglementierten Berufen gehören, dass der Berufszugang und die Berufsausübung an den Nachweis einer bestimmten Qualifikation gebunden sind. Zum anderen dürfte der Antragstellerin auch nicht die Ausübung desjenigen Berufes in Deutschland eröffnet sein, zu dem die erste Prüfung für Juristen qualifiziert, die gemäß §§ 5 Abs. 1, 5a des Deutschen Richtergesetzes (i.d.F. v. 19.4.1972, BGBl. I S. 713, zuletzt geändert durch Gesetz v. 5.12.2011, BGBl. I S. 2515 – DRiG; vgl. § 52 Abs. 2 Satz 1 des Hamburgischen Hochschulgesetzes v. 18.7.2001, HmbGVBl. S. 171, zuletzt geändert durch Gesetz v. 2.12.2014, HmbGVBl. S. 495 – HmbHG) das Studium der Rechtswissenschaft abschließt. Zumindest weist eine erste Prüfung, die eine außerhalb der Europäischen Union stehende mazedonische Rechtsordnung mit internationalen Bezügen zum Gegenstand hat, nicht die Befähigung nach, die eine auf die in Deutschland geltende Rechtsordnung bezogene erste Prüfung belegt. Auch im Übrigen ist nicht ersichtlich, welchen Beruf die Antragstellerin aufgrund ihrer mazedonischen Ausbildung im Inland ausüben könnte.
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bb) Der Anspruch der Antragstellerin auf Förderung einer Ausbildung im Inland als Erstausbildung dürfte auch nicht nach § 7 Abs. 1 Satz 2 BAföG ausgeschlossen sein. Dem Wortlaut dieser Vorschrift nach ist ein Ausbildungsabschluss zwar auch dann berufsqualifizierend, wenn er im Ausland erworben wurde und dort zur Berufsausübung befähigt. Doch muss diese Vorschrift nach Sinn und Zweck einschränkend ausgelegt werden. Die Kammer macht sich den Ansatz in der höchstrichterlichen Rechtsprechung, der zunächst ausländische Auszubildende mit deutschen Ehegatten betrifft, zu Eigen und überträgt ihn auf den hier vorliegenden Fall, dass ein ausländischer Auszubildender mit einem deutschen Kind im Inland eine familiäre Lebensgemeinschaft führt.
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Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung betrifft § 7 Abs. 1 Satz 2 BAföG nur Auszubildende, die sich bei offener Möglichkeit einer berufsbildenden Ausbildung im Inland für eine solche im Ausland entschieden haben (BVerwG, Urt. v. 31.10.1996, BVerwGE 102, 200, juris Rn. 13). Die Vorschrift gilt insbesondere nicht für im Ausland berufsqualifizierende Ausbildungsabschlüsse, die ausländische Ehegatten deutscher Staatsangehöriger vor der Eheschließung im Herkunftsland erworben haben (BVerwG, Urt. v. 10.4.2008, 5 C 12/07, DVBl. 2008, 1058, juris Rn. 13). Sofern die in der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Bundesausbildungsförderungsgesetz (i.d.F. v. 15.10.1991, GMBl S. 770, zuletzt geändert unter dem 29.10.2013, GMBl S. 1094 – BAföGVwV 1991) niedergelegte Rechtsauffassung zu einem anderen Ergebnis käme, folgte die Kammer ihr nicht. Diese norminterpretierende Verwaltungsvorschrift bindet die Gerichte nicht und kann dem Gesetz keinen Inhalt zuschreiben, der mit der objektiven Rechtslage unvereinbar ist (BVerwG, Urt. v. 12.7.2012, 5 C 14/11, BVerwGE 143, 314; Urt. v. 30.6.2010, 5 C 3/09, Buchholz 436.36 § 27 BAföG Nr. 6). Zwar wird in Tz 7.1.15 Abs. 1 Satz 2 BAföGVwV 1991 in Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung die Auffassung vertreten, dass bestimmten Personen, denen ein Verweis auf eine Berufsausübung im Ausland unzumutbar ist, ein ausländischer berufsqualifizierender Abschluss nicht entgegengehalten werden kann. Eine Förderung für diese Personen soll nach Tz 7.1.15 Abs. 2 BAföGVwV 1991 grundsätzlich möglich sein, wenn sie sich bei Aufnahme ihrer im Ausland absolvierten Ausbildung nicht frei entscheiden konnten, diese Ausbildung stattdessen in Deutschland zu absolvieren („offene Wahlmöglichkeit“). Bei ausländischen, nicht einem Mitgliedstaat der Europäischen Union angehörigen Ehegatten von Deutschen, die ihren Abschluss vor der Eheschließung erworben haben, ist jedoch nach der in Tz 7.1.15 Abs. 3 Buchst a BAföGVwV 1991 niedergelegten Rechtsauffassung nur dann davon auszugehen, dass die offene Wahlmöglichkeit erst mit der Eheschließung entstanden ist, wenn ein Zusammenhang zwischen der Eheschließung und der Ausreise, Aus- oder Übersiedlung sowie der Aufnahme der inländischen Ausbildung besteht. Ein solches Erfordernis findet sich in der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu Recht nicht. Denn wer in Deutschland die eheliche Lebensgemeinschaft mit seinem deutschen Ehegatten führen will, für den ist es aufgrund des besonderen Schutzes von Ehe und Familie aus Art. 6 Abs. 1 GG nicht zumutbar, auf die Möglichkeit einer Berufsausübung im Ausland verwiesen zu werden. Sofern aus Tz 7.1.15 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 BAföGVwV 1991 die Rechtsauffassung hervorgeht, dass § 7 Abs. 1 Satz 2 BAföG auf solche Personen uneingeschränkt Anwendung findet, deren ausländischer berufsqualifizierender Abschluss vom Amt für Ausbildungsförderung (ggf. unter Einschaltung der Zentralstelle für ausländische Bildungsabschlüsse) für materiell gleichwertig erklärt werden kann, tritt die Kammer dem nicht uneingeschränkt bei. Wenn, wie im vorliegenden Fall, die Zentralstelle für ausländische Bildungsabschlüsse zwar eine materielle Gleichwertigkeit angenommen hat, jedoch eine Verwertbarkeit zur Berufsausübung in Deutschland nicht ersichtlich ist, kann der Betroffene nicht auf die ausländische Berufsqualifikation verwiesen werden.
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Die Kammer überträgt diese Erwägungen, die zunächst den Schutz der in Deutschland geführten ehelichen Lebensgemeinschaft des Auszubildenden mit seinem deutschen Ehegatten betreffen, auf die in Deutschland geführte familiäre Lebensgemeinschaft des Auszubildenden mit seinem deutschen Kind. Diese familiäre Lebensgemeinschaft unterliegt in gleicher Weise gemäß Art. 6 Abs. 1 GG besonderem Schutz, so dass dem Auszubildenden nicht zumutbar ist, auf die Möglichkeit einer Berufsausübung im Ausland verwiesen zu werden. Dieser Fall ist gegeben. Die Antragstellerin und ihr ebenfalls mazedonischer Ehemann leben mit ihren am 10. März 2009 und 4. September 2013 geborenen Kind, die aufgrund der Niederlassungserlaubnisse ihrer Eltern seit der Geburt deutsche Staatsangehörige sind, in Hamburg.
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cc) Die von der Antragstellerin aufgenommene inländische Ausbildung dürfte als andere Ausbildung nach § 7 Abs. 3 Satz 1 BAföG zu fördern sein. Nach dieser Vorschrift wird für eine andere Ausbildung Ausbildungsförderung geleistet, wenn der Auszubildende aus wichtigem Grund (Halbs. 1 Nr. 1) oder aus unabweisbarem Grund (Halbs. 1 Nr. 2) die Ausbildung abgebrochen oder die Fachrichtung gewechselt hat, wenngleich bei Auszubildenden an Höheren Fachschulen, Akademien und Hochschulen ein wichtiger Grund nur bis zum Beginn des 4. Fachsemesters genügt (Halbs. 2). Die Voraussetzungen eines Abbruchs der Ausbildung aus unabweisbarem Grund dürften erfüllt sein. Die Kammer lehnt sich im Eilverfahren an die höchstrichterliche Rechtsprechung zu ausländischen Ehegatten von Deutschen an, nach der bereits die mit der Übersiedlung nach Deutschland verbundene Aufgabe der mit der Berufsqualifikation im Ausland verbundenen Berufsperspektive entsprechend einem Abbruch der im Ausland bereits abgeschlossenen Ausbildung zu behandeln ist (BVerwG, Urt. v. 10.4.2008, 5 C 12/07, DVBl. 2008, 1058, juris Rn. 16). Die im Inland aufgenommene Ausbildung ist gemäß diesem Ansatz eine andere Ausbildung, die nach einem aus unabweisbarem Grund erfolgten Abbruch der vorangegangenen Ausbildung aufgenommen wird (BVerwG, a.a.O., Rn. 17). Auf einen besonderen Zusammenhang zwischen Eheschließung und Ausreise und Aufnahme der Ausbildung kommt es danach im Fall der Eheschließung eines ausländischen Auszubildenden mit einem Deutschen nicht an, sondern nur darauf, dass der Auszubildende die eheliche Lebensgemeinschaft in Deutschland aufgeben müsste, um seine Berufsqualifikation zu verwenden. Übertragen auf den vorliegenden Fall wird auf einen besonderen Zusammenhang zwischen Geburt und Ausreise und Aufnahme der Ausbildung verzichtet und genügt es, dass der Auszubildende die familiäre Lebensgemeinschaft in Deutschland aufgeben müsste, um seine Berufsqualifikation zu verwenden.
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b) Der Förderung der Antragstellerin dürfte nicht die Altersgrenze des § 10 Abs. 3 Satz 1 BAföG entgegenstehen. Danach wird Ausbildungsförderung nicht geleistet, wenn der Auszubildende bei Beginn des Ausbildungsabschnitts, für den er Ausbildungsförderung beantragt, das 30. Lebensjahr, bei postgradualen Studiengängen nach § 7 Abs. 1a BAföG das 35. Lebensjahr vollendet hat. Die für das nicht § 7 Abs. 1a BAföG unterfallende Studium im Bachelorstudiengang Sozialökonomie einschlägige Altersgrenze von 30 Jahren hatte die am 15. Februar 1982 geborene Antragstellerin überschritten, als sie zu dem am 1. Oktober 2014 beginnenden Wintersemester 2014/2015 das Studium aufnahm und damit gemäß § 15b Abs. 1 BAföG den Ausbildungsabschnitt begann. Das Überschreiten der Altersgrenze dürfte jedoch nach § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 Halbs. 1, Satz 3 BAföG unbeachtlich sein. Die Antragstellerin dürfte aus persönlichen oder familiären Gründen gehindert gewesen sein, die Altersgrenze einzuhalten (aa)). Sie dürfte die Ausbildung unverzüglich nach dem Wegfall der Hinderungsgründe aufgenommen haben (bb)).
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aa) Die Voraussetzungen des § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 Halbs. 1 BAföG dürften vorliegen. Nach dieser Bestimmung gilt die Altersgrenze dann nicht, wenn Auszubildende aus persönlichen oder familiären Gründen gehindert waren, den Ausbildungsabschnitt rechtzeitig zu beginnen, d.h. die Altersgrenze einzuhalten. Darin gelangt das jugendpolitische Interesse des Gesetzgebers an einer möglichst frühzeitigen Aufnahme der Ausbildung zum Ausdruck (vgl. BT-Drs. 8/2467, S. 15 und 11/610, S. 5). Dies entspricht der den Auszubildenden allgemein treffenden Obliegenheit, seine Ausbildung umsichtig zu planen und zielstrebig durchzuführen (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.6.1990, 5 C 45/87, BVerwGE 85, 194, juris Rn. 13). Ein Förderungsbewerber war dann an der rechtzeitigen Aufnahme seiner Ausbildung gehindert, wenn er aus von ihm nicht zu vertretenden, in seinen persönlichen Lebensverhältnissen liegenden Gründen eine objektiv gegebene Chance, eine seiner Neigung und Eignung entsprechende Ausbildung zu beginnen, bis zum Erreichen der Altersgrenze nicht wahrnehmen konnte (BVerwG, Urt. v. 28.4.1998, 5 C 5/97, FamRZ 1998, 1398, juris Rn. 12; OVG Hamburg, Beschl. v. 10.2.2014, 4 So 135/13, n.v.). Dem liegt die Vorstellung zugrunde, dass im Allgemeinen jeder bis zu diesem Zeitpunkt die Möglichkeit gehabt hat, eine seiner Neigung und Eignung entsprechende Ausbildung zu beginnen. Nur dann, wenn diese Möglichkeit ausnahmsweise nicht bestanden hat, kann auch bei verspätetem Ausbildungsbeginn die Gewährung von Ausbildungsförderung noch gerechtfertigt sein (BVerwG, Urt. v. 10.2.1983, 5 C 66/80, Buchholz 436.36 § 10 BAföG Nr. 7, juris Rn. 17). Danach ist darauf abzustellen, ob es dem Auszubildenden möglich und zumutbar war, vor dem Erreichen der Altersgrenze mit der Ausbildung zu beginnen. Für diese Feststellung ist auf den gesamten Zeitraum bis zur Vollendung des 30. Lebensjahres abzustellen (BVerwG, Urt. v. 28.4.1998, 5 C 5/97, FamRZ 1998, 1398, juris Rn. 12).
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Soweit der Zeitraum zwischen der Beendigung der allgemeinbildenden Ausbildung im Juni 2001 in Mazedonien und der Einreise nach Deutschland im März 2008 betroffen ist, kann der Antragstellerin kein Verstoß gegen ihre Obliegenheiten vorgehalten werden. Aus der damaligen Lebenssituation der Antragstellerin heraus bestand kein Anlass dazu, eine andere oder eine weitere Berufsausbildung zu absolvieren als die von 2001 bis Juni 2005 an der Hochschule B. in C., Mazedonien, mit dem akademischen Grad „Jurist i Diplomuar“, „Diplomiran pravnik“ bzw. „Bachelor of Arts in Law“ abgeschlossene Ausbildung. Es ist aus der damaligen Lebenssituation der Antragstellerin kein Anhaltspunkt dafür ersichtlich, dass eine umsichtige Planung und zielstrebige Durchführung erfordert hätten, bereits zu diesem Zeitpunkt eine auch in Deutschland verwertbare Berufsqualifikation anzustreben. Die Antragstellerin konnte von ihrer Berufsausbildung in Mazedonien Gebrauch machen; so war sie von Juli 2005 bis Januar 2006 beim mazedonischen Parlament und von 2006 bis 2008 bei einem mazedonischen Gericht beschäftigt.
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Soweit der Zeitraum von der Einreise nach Deutschland im März 2008 bis Januar 2012 betroffen ist, hat die Antragstellerin – was ihr nicht entgegengehalten werden kann – zunächst mit einem Kurs der deutschen Sprache begonnen, bereits am 10. März 2009 ein erstes Kind geboren und später den Sprachkurs wieder aufgenommen. Die Erziehung eines Kindes unter zehn Jahren ist dabei grundsätzlich als Hinderungsgrund i.S.d. § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 Halbs. 1 BAföG anzuerkennen. Dies geht aus der gesetzgeberischen Wertung hervor, die in der früheren Fassung des Gesetzes dadurch zum Ausdruck kam, dass die Altersgrenze nach § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes i.d.F. durch das Sechste Änderungsgesetz (v. 16.7.1979, BGBl. I S. 1037) dann nicht galt, wenn der Auszubildende „aus persönlichen oder familiären Gründen, insbesondere der Erziehung von Kindern bis zu 10 Jahren, gehindert war, den Ausbildungsabschnitt rechtzeitig zu beginnen“. Die Aufgliederung des § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 BAföG in drei Halbsätze durch das Dreiundzwanzigste Gesetz zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (v. 24.10.2010, BGBl. I. S. 1422) verfolgte die Zielsetzung, denjenigen Förderungsbewerber zu begünstigen, der sich der Kindererziehung gewidmet hat (VG Hamburg, Urt. v. 17.2.2014, 2 K 1494/12, juris Rn. 42 ff.). Der Gesetzgeber hat es nicht bezweckt, dass die Erziehung von Kindern unter zehn Jahren im Zeitraum vor Erreichen der Altersgrenze nicht mehr als möglicher Hinderungsgrund anerkannt werden könnte.
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Für den Zeitraum ab Aufnahme der Vollzeitbeschäftigung vom 1. Februar 2012 bis zum Erreichen der Altersgrenze am 15. Februar 1982 muss nach dem Erkenntnisstand des Eilverfahrens davon ausgegangen werden, dass die Aufnahme der Vollzeitbeschäftigung auch der Erfüllung der Unterhaltspflichten diente. Die aus der Antragstellerin und ihrem Ehemann gebildete Gesellschaft bürgerlichen Rechts übte ausweislich der vorgelegten Gewerbeabmeldung das Gewerbe des Einzelhandels mit Backwaren aus. Weitere Einnahmequellen der Familie sind nicht ersichtlich. Zu den persönlichen Gründen, welche die Aufnahme einer Ausbildung vor Erreichen der Altersgrenze i.S.d. § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 Halbs. 1 BAföG hindern können, gehören insbesondere die Unterhaltspflichten gegenüber Kindern (VG Hamburg, a.a.O., Rn. 21; vgl. BVerfG, Kammerbeschluss v. 26.11.1999, 1 BvR 653/99, FamRZ 2000, 476, juris Rn. 11; Ramsauer/Stallbaum, a.a.O., § 10 Rn. 29). Dient die Entscheidung zugunsten der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit vor Erreichen der Altersgrenze dazu, der Sozialhilfebedürftigkeit zu entgehen, so kann einer alleinerziehenden Person nicht entgegengehalten werden, sie hätte eine Ausbildung beginnen können (BVerfG, a.a.O., Rn. 12). Gleiches gilt für miteinander verheiratete Eltern (insoweit auch Roggentin, in Rothe/Blanke, BAföG, Stand: September 2013, § 10 Rn. 17) und allgemein für Nichtalleinerziehende (OVG Hamburg, Beschl. v. 3.12.2012, 4 Bs 200/12, juris Rn. 25): Alle Eltern unterliegen der Unterhaltspflicht gegenüber ihren Kindern, so dass sie vor Erreichen der Altersgrenze durch die Unterhaltspflicht gehindert sein können, eine Ausbildung aufzunehmen.
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bb) Auch dürften die Voraussetzungen des § 10 Abs. 3 Satz 3 Var. 2 BAföG erfüllt sein. Danach gilt die Ausnahme des § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 Halbs. 1 BAföG von der Altersgrenze nur dann, wenn der Auszubildende die Ausbildung unverzüglich nach dem Wegfall der Hinderungsgründe aufnimmt. Dies dürfte die Antragstellerin durch die Aufnahme des Studiums zum Wintersemester 2014/2015 am 1. Oktober 2014 getan haben.
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Im Zeitraum vom Erreichen der Altersgrenze am 15. Februar 2012 bis zur Aufgabe der Vollzeitbeschäftigung im August 2013 dürfte der Hinderungsgrund fortgewirkt haben, der kurz vor Erreichen der Altersgrenze die Antragstellerin zuletzt an der Aufnahme einer Ausbildung gehindert hatte (dazu s.o. aa)). Dabei ist es unschädlich, dass die Antragstellerin in dieser Zeit als nicht allein erziehender Elternteil vollerwerbstätig war und damit nicht die Voraussetzungen erfüllte, unter denen ein Auszubildender gemäß den Fiktionstatbeständen des § 10 Abs. 3 Nr. 3 Halbs. 2 und Halbs. 3 BAföG so gestellt wird, als ob er vor Erreichen der Altersgrenze gemäß dem Grundtatbestand des § 10 Abs. 3 Nr. 3 Halbs. 1 BAföG an der rechtzeitigen Aufnahme der Ausbildung gehindert gewesen wäre. Denn die Voraussetzungen der Fiktion müssen nicht erfüllt sein, wenn – wie hier – bereits der Grundtatbestand verwirklicht ist, weil der Auszubildende vor Erreichen der Altersgrenze tatsächlich an der rechtzeitigen Aufnahme der Ausbildung gehindert war.
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Im Zeitraum ab September 2013 bis März 2014 dürfte der Aufnahme der Ausbildung durch die Antragstellerin die Geburt ihres zweiten Kindes am 4. September 2013 und die nachfolgende Kindererziehung entgegengestanden haben. Im Zeitraum von April bis September 2014 dürfte die Antragstellerin ausgehend von der durch die Universität Hamburg für das Sommersemester 2014 ausgesprochenen Beurlaubung wegen Krankheit (Bl. 23 der Förderungsakte) an der Aufnahme des Studiums gehindert gewesen sein.
IV.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 188 Satz 2, 154 Abs. 1 VwGO.
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