Beschluss vom Verwaltungsgericht Hamburg (9. Kammer) - 9 AE 5887/16
Tenor
Der Antrag vom 18. Oktober 2016, die aufschiebende Wirkung der Klage 9 A 5886/16 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 21. September 2016 anzuordnen, wird abgelehnt.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt ... wird abgelehnt.
Gründe
I.
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Der nach § 34a Abs. 2 AsylG i. V. m. § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO zulässige Antrag hat in der Sache keinen Erfolg. Das Interesse des Antragstellers an der Aussetzung der Vollziehung überwiegt nicht das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheids vom 21. September 2016. Denn die Abschiebungsanordnung ist aller Voraussicht nach rechtmäßig und verletzt den Antragsteller deshalb nicht in seinen Rechten.
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Die Abschiebungsanordnung findet ihre Grundlage in § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG. Danach ordnet das Bundesamt, sofern der Ausländer in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) abgeschoben werden soll, die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Einer vorherigen Androhung und Fristsetzung bedarf es nicht, § 34a Abs. 1 Satz 3 AsylG.
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Die Abschiebung des Antragstellers nach Italien ist rechtlich zulässig und tatsächlich möglich:
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1. Für die Durchführung des Asylverfahrens ist nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 vom 29.6.2013, S. 31 – Dublin III-VO), nicht die Antragsgegnerin, sondern der italienische Staat zuständig (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a AsylG). Nach der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (vgl. die Urteile der Großen Kammer des EuGH v. 7.6.2016, C-63/15 und C-155/15, beide juris) hat ein Asylsuchender im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen eine Entscheidung über seine Überstellung einen Anspruch auf Prüfung der fehlerfreien Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats nach den in Kapitel III der Dublin III-VO aufgeführten Kriterien.
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a) Italien ist nach Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO zuständig für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz. Denn der Antragsteller ist nach seinen eigenen Angaben von Afghanistan aus im Mai 2016 nach Italien gelangt, hielt sich dort etwa drei Tage auf und wurde erkennungsdienstlich behandelt. Dies bestätigt ein entsprechender EURODAC-Treffer der Kategorie 2.
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b) Auf das Aufnahmegesuch der Antragsgegnerin vom 14. Juli 2016 hat Italien nach Aktenlage nicht reagiert. Nach Art. 22 Abs. 7 i. V. m. Abs. 1 Dublin III-VO ist davon auszugehen, dass dem Aufnahmegesuch stattgegeben wird, wenn innerhalb einer Frist von zwei Monaten, nachdem der ersuchte Mitgliedstaat mit dem Gesuch befasst wurde, keine Antwort erteilt wird. Damit ist Italien seit dem 14. September 2016 zuständig.
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c) Die Zuständigkeit ist nicht nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 und 3 Dublin III-VO auf die Antragsgegnerin übergegangen. Nach dieser Vorschrift wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat zuständig, wenn keine Überstellung an einen anderen Mitgliedstaat erfolgen kann. Die Überstellung nach Italien ist indes nicht unmöglich, denn es bestehen keine Anhaltspunkte für das Vorliegen systemischer Schwachstellen.
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Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschl. v. 19.3.2014, 10 B 6/14, juris) liegen systemische Mängel vor, wenn es sich um Defizite handelt, die im Rechtssystem des zuständigen Mitgliedsstaates angelegt sind oder dessen Vollzugspraxis strukturell prägen. Dabei müssen das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen im zuständigen Mitgliedstaat aufgrund größerer Funktionsstörungen regelhaft so defizitär sein, dass anzunehmen ist, dass dort auch dem Asylsuchenden im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Insoweit kommt es nicht darauf an, ob es unterhalb der Schwelle systemischer Mängel in Einzelfällen zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union bzw. Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) kommen kann und ob ein Antragsteller dem in der Vergangenheit schon einmal ausgesetzt war (BVerwG, Beschl. v. 6.6.2014, 10 B 35/14, juris). Derartige individuelle Erfahrungen sind vielmehr in die Gesamtwürdigung einzubeziehen, ob systemische Mängel im Zielland der Abschiebung vorliegen. Eine tragfähige Grundlage für die Annahme systemischer Mängel dürfte jedenfalls dann vorliegen, wenn hierfür kompetente Stellen wie der UNHCR und das EASO (Europäisches Unterstützungsbüro für Asylfragen, errichtet durch die Verordnung (EU) Nr. 439/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates, ABl. L 132 v. 29.5.2010, S. 11) derartige Mängel feststellen (VG Hamburg, Urt. v. 3.3.2015, 10 A 4414/14, n. v.; s. auch die Erwägungsgründe 22 und 23 sowie Art. 33 der Dublin III-VO).
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Gemessen hieran sind Anhaltspunkte für das Vorliegen systemischer Schwachstellen in Italien weder substantiiert dargelegt noch sonst ersichtlich (vgl. dazu ausführlich OVG Münster, Urt. v. 22.9.2016, 13 A 2448/15.A, juris; Urt. v. 7.7.2016, 13 A 2238/15.A, juris; ebenso Bundesverwaltungsgericht Österreich, Spruch v. 14.12.2015, W153 2116055-1/7E). Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (v. 17.9.2014, u.a. 2 BvR 1795/14, juris) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR, Entscheidung der Großen Kammer v. 4.11.2014, Tarakhel, Nr. 29217/12) geben für den Fall des volljährigen Antragstellers, der als junger Alleinreisender nicht zu einer besonders schutzwürdigen Gruppe gehört, nichts her. Systemische Mängel in Italien werden in diesen Entscheidungen gerade nicht festgestellt. Beide Gerichte haben vielmehr unter Hervorhebung der besonderen Schutzbedürftigkeit von Kindern die Auffassung vertreten, eine Überstellung nach Italien bedürfe einer vorherigen Zusicherung der zuständigen italienischen Behörden, dass die jeweils betroffenen Asylsuchenden in Italien in einer der besonderen Situation von Kindern gerecht werdenden Einrichtung gemeinsam mit ihren Eltern untergebracht werden. Diese Entscheidungen, selbst wenn man etwa die Entscheidung des EGMR als Hinweis auf einen systembedingten Mangel der Aufnahmebedingungen in Italien für eine bestimmte Personengruppe verstehen wollte, treffen für den Fall des Klägers indes keine Aussage. So hat auch der EGMR (Entscheidung der Dritten Kammer v. 5.2.2015, A.M.E against the Netherlands, Nr. 51428/10) für einen 21 Jahre alten Mann entschieden, dass eine Verletzung in dem Recht aus Art. 3 EMRK bei Rückkehr nach Italien nicht zu befürchten ist.
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Nichts anderes folgt aus dem aktuellen Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (Aufnahmebedingungen in Italien, Zur aktuellen Situation von Asylsuchenden und Schutzberechtigten, insbesondere Dublin-Rückkehrenden in Italien, abrufbar unter: https://www.fluechtlingshilfe.ch/assets/news/2016/160815-sfh-bericht-italien-aufnahmebedingungen-final.pdf) vom August 2016 (ebenso VG Schwerin, Urt. v. 26.9.2016, 16 A 1757/15 As SN, juris). Auch der genannte Bericht liefert keine Hinweise darauf, dass Italien zur Bewältigung der Probleme durch die erhöhte Zahl von Einwanderern keinerlei Maßnahmen ergreift. Vielmehr reagiert Italien gerade im Bereich der Unterbringung von Asylsuchenden sehr flexibel auf den steigenden Zustrom (OVG Münster, Urt. v. 22.9.2016, 13 A 2448/15.A, juris). Dies bestätigen auch die von der Österreichischen Botschaft Rom dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich übermittelten Zahlen über die in Italien in Flüchtlingsunterkünften untergebrachten Personen, die auf Auskünften des italienischen Innenministeriums beruhen (Länderreport von Österreich v. 2.8.2016 und v. 29.9.2016). Danach waren in Italien mit Stand 27. Juli 2016 139.207 Personen untergebracht, davon 1.016 in Hotspots, 13.572 in Erstaufnahmezentren, 104.248 in temporären Strukturen (meist durch NGO´s und Private mit staatlicher Förderung zur Verfügung gestellt) und 20.371 in staatlicher Betreuung (SPRAR). Mit Stand 26. September 2016 waren 160.030 Personen untergebracht, davon 980 in Hotspots, 13.377 in Erstaufnahmezentren, 123.481 in temporären Strukturen und 22.192 in staatlicher Betreuung (SPRAR). Soweit der Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe darauf verweist, dass Personen Obdachlosigkeit drohe, weil ein Anspruch auf Unterbringung in einem Aufnahmezentrum nicht mehr besteht, wenn dieses ohne Genehmigung verlassen wurde, so begegnet dies keinen Bedenken, weil dieser Umstand an ein von den jeweils Betroffenen zu vertretendes Verhalten anknüpft. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass eine Wiederaufnahme mit Genehmigung der Präfektur gewährt werden kann und in Gemeinden ausweislich des Berichts Informationsschalter bestehen, an denen Unterkunftsplätze auf Gemeindeebene vermittelt werden können. Im Übrigen folgt aus dem Bericht, dass das italienische Sozialsystem die Deckung der Elementarbedürfnisse hinsichtlich Unterkunft, Nahrung, Hygiene und medizinischer Versorgung in noch ausreichender Weise gewährleistet.
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2. Die Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, ist voraussichtlich ebenfalls rechtmäßig. Der Antragsteller kann sich auf zielstaatsbezogene – bezogen auf Italien – oder inlandsbezogene Abschiebungsverbote, die in Bezug auf die Abschiebungsanordnung gegenüber der Antragsgegnerin geltend gemacht werden können (vgl. VGH Mannheim, Beschl. v. 31.5.2011, A 11 S 1523/11, juris; OVG Hamburg, Beschl. v. 3.12.2010, 4 Bs 223/10, juris), nicht berufen. Er hat insofern weder etwas vorgebracht noch gibt es sonstige Anhaltspunkte hierfür.
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3. Ob die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG gemäß § 11 Abs. 2 AufenthG auf 6 Monate rechtmäßig ist, kann dahinstehen. Denn die Rechtmäßigkeit der Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots, wirkt sich nur dann auf die Rechtmäßigkeit der Abschiebung aus, wenn der Antragsteller ausnahmsweise einen Anspruch auf Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf „Null“ hätte, wenn damit also auch die Ausreiseverpflichtung nach § 11 Abs. 2 Satz 2 AufenthG entfiele (vgl. BVerwG, Urt. v. 6.3.2014, 1 C 2/13, juris). Umstände, die einen solchen Anspruch begründen könnten, hat der Antragsteller nicht vorgetragen und sind auch sonst nicht ersichtlich. Für den Fall von zu lang bemessenem Einreise- und Aufenthaltsverbot ist es dem Antragsteller zuzumuten, auszureisen und einen ggf. erforderlichen Rechtsstreit vom Ausland aus zu führen.
II.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
III.
- 14
Der Prozesskostenhilfeantrag ist abzulehnen, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung auch gemessen an dem im Prozesskostenhilfeverfahren zu Gunsten des Antragstellers anzulegenden großzügigen Maßstab, der lediglich eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Erfolgs der beabsichtigten Rechtsverfolgung voraussetzt (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 28.7.2016, 1 So 42/16, juris), aus den unter I. genannten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, § 166 VwGO i. V. m. § 114 ZPO.
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